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- 07.05.2003
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Die Täuschung
Bin neu hier auf dem Board, aber wollte einfach mal meinen Senf dazu beitragen. Comments wären natürlich Klasse!
Die Täuschung
- * -
Der Bahnsteig war wie leergefegt. Sonst, zu Geschäftszeiten, hasteten hier tausende Menschen geschäftigt die Bahnsteige entlang um ihrer Arbeit nachzulaufen. Doch nun spielte allein der Wind mit einer alten Zeitung, die schon seit mehr als zwei Wochen alt war. Ihre Kreisbewegungen erinnerten eher an einen komplizierten tanz als an zufällige Windstöße.
Karl saß alleine auf einer alten, von Schmierereien bekritzelten Bank und nickte nur rhytmisch mit den Beats die aus seinen Kopfhörern ertönten. Sein Blick folgte der noch immer sich wie toll gebärenden Zeitung als er im Augenwinkel das Umschlagen der Anzeigetafel bemerkte.
„S6. Verdammt…“ murmelte Karl vor sich hin. Er wartete nun schon mehr als eine halbe Stunde auf seine S-Bahn, doch sie wollte einfach nicht kommen. Der Zeiger kroch seine Kreisbahn langsam weiter und zeigte Karl an, das es nun schon 22:34 Uhr war.
Etwas huschte im Winkel des gerade noch Sichtbaren vorbei und weckte seine Aufmerksamkeit. Sein Blick wanderte zur abgetretenen Treppe. Ein Mann mit abgerissenen Kleidern, hauptsächlich schwarz, das aber unter dem Dreck kaum mehr erkennbar war, und mit einer Aldi-Plastiktüte bewaffnet kam die Treppe herunter.
Der Kerl war ihm unangenehm. Er konnte es förmlich riechen, wie bei dem Mann zuhause geputzt wurde. Nämlich gar nicht! Und er wollte es auch gar nicht wissen wenn er ehrlich war. Vielleicht hätte er dann seine zwei Hamburger, die er vorhin in aller Eile verdrückt hatte und deswegen seine Bahn verpasst hatte, wieder sehen müssen, was er auf gar keinen Fall riskieren wollte. Er sah demonstrativ wieder zum Boden und drehte die Musik noch etwas lauter, so das er dem Mann gar keine Chance zu einem Gespräch lassen wollte.
Er stierte weiter auf den Boden und zählte krampfhaft Kieselsteine, doch bemerkte er wie sich der Kerl stetig näherte. Seine alten, abgelaufenen Nikeschuhe hinterließen dreckige Abdrücke auf dem Marmorboden. Karl wollte nicht wissen wie und vor allem wo der Typ seine Nacht verbrachte hatte.
Etwas tippte Karl an der Schulter, der nur seinen Kopf wandte und in das vom Alkohol gerötete Gesicht des Obdachlosen (zumindestens glaubte er das der Mann einer war)blickte.
Der Fremde blickte ihn an und bewegte seine Lippen wie ein Pantomime der sein Publikum versucht zu unterhalten. Als Karl endlich seine Kopfhörer abnahm hatte der etwa 40-jährige Mann gerade seine kleine Ansprache begonnen.
„… es ist Wahnsinn! Ich begreife nicht und doch kann ich sehen und verstehe was vor sich geht! Ich seh auf einmal alles so klar! Es ist wie als ob man einen Lichtschalter angeknipst hätte - “ sein Atem stank nach Bier was Karl den selbigen raubte. „Aber sie müssen aufpassen. Hinter mir sind sie auch schon her, aber bis jetzt haben sie mich noch nicht erwischt!“ als er dies aussprach blickte er sich verstohlen zu beiden Seiten um , kam näher zu Karls Gesicht und sprach mit gedämpfter Stimme: „Ich habe aber einen Vorteil. Ich kenne ihren Fehler. Ich weiß wie wir sie vernichten können!“ „Wen? Wen sollen wir vernichten? Und überhaupt hab ich sie um dieses Gespräch gebeten?“ Er wollte sich umdrehen, doch der Mann hielt ihn an der Schulter fest und zerrte ihn zurück auf seinen Platz.
„Aber verstehen sie denn nicht? Verstehen sie nicht in welcher Gefahr sie schweben? Sie sind überall! Sie können jede beliebige Form annehmen und keiner kann sich vor ihnen verstecken!“
„Ja aber warum sind sie dann ihnen nicht ins Netz gegangen?“
Der Kerl blickte Karl mit einem belustigendem Lächeln an und fuhr fort: „Weil ich sie kenne! Und ich kenne ihren Fehler! Ihr System ist undicht! Sie können vielleicht dir Dinge in den Kopf setzen, doch niemals können sie dein Wesen zerstören! Deine Seele, nein. Mich bekommen sie nicht! Niemals! Ich bin schlauer als sie!“
„Wer verdammt noch mal? Und was soll das in den Kopf setzen bedeuten?“
Mit leicht ironischem Unterton begann er wieder zu erzählen: „Das ist es ja eben. Sie können jeden manipulieren der an ihr System angeschlossen ist! Und niemand bemerkt etwas. Sie können Leute Dinge wissen lassen die nicht einmal existieren und dann glauben sie auch daran. Glaubst du an Gott?“ Sein Blick fixierte Karl der sich jetzt etwas überrumpelt fühlte. „ Äh…. Ja?“ „ Alles Humbug! Nichts davon ist wahr! Ihre Erfindung! Auch der zweite Weltkrieg! Nur ein legitimes Mittel um tausende von unschuldigen Menschen einfach so aus dem Weg schaffen zu können! Genau das ist es was sie mit dir machen! Sie verdrehen alles und setzen es dir dann wieder falsch in den Kopf ein.“ Eine kurze Pause trat ein, in der Karl wirklich über das nachdachte was der Fremde ihm gerade versuchte zu vermitteln.
„Ich weiß nicht… Wenn einem alles ins Gehirn gesetzt wurde, woher soll man dann wissen was Realität und was Fake ist? Sie könnten ja ihnen gerade diese Sache ins Gehirn eingepflanzt haben um sich selbst und andere zu zerstören?“ Wieder eine Pause. Nur diesmal vom anderen Gesprächspartner.
Es fing an zu arbeiten in seinem Gehirn. Dem Fremden schwollen die Pulsadern an und seine Pupillen weiteten sich unnatürlich. Er begann zu schwitzen und seine Hände zitterten.
„ oh…mein Gott….“ Begann er langsam „Sie haben Recht. Wie konnte ich nur so dumm sein? Aber dann bedeutet das dann auch…. Oh nein!..:.“ Der Wahnsinn streckte seine Finger nach dem Mann aus und schlich sich langsam in sein Gehirn ein. Er kroch mit spitzen, eisigen Klauen die Wirbelsäule entlang und erreichte sein Gehirn, wo er sich im vollen Maße ausbreiten und einen Flächenbrand anrichten konnte.
„Sie gehören zu ihnen! Ich weiß es! Warum würden sie mir sonst so etwas absurdes einflüstern wollen!“ schrie er und verlor vollends die Fassung. Er griff in seine Tüte und zückte eine Barretta. Er lud sie durch und hielt den Lauf genau in Karls Richtung. Sein Schreien verwandelte sich nun langsam in ein hysterisches Kreischen:
„ Ich muss blind gewesen sein, doch nun bin ich geheilt. Ihr seid die Wahnsinnigen und ich die Heilung! Ich werde nicht so schnell aufgeben! Ihr bekommt mich niemals!“ Karl, der sich erschrocken fest an die Bank drückte hob nun vorsichtig die Hand um den verwirrten Mann zu beruhigen.
„Ganz ruhig mein Freund! Wir können über alles reden! Aber, leg jetzt die Waffe weg!“ Langsam näherte sich Karl dem Mann der nun völlig verstört in sämtliche Richtungen starrte und erbärmlich zitterte.
Doch dann wurde er wieder ganz ruhig und sah Karl mit finsterem, eiskalten Blick an. Im nächsten Augenblick hielt er sich die Waffe an den Kopf.
„Nein, ihr könnt mich nicht täuschen. Eher geh ich unter, bevor ihr mich bekommt.“
Dann drückte er ab. Der Knall zerriss die Luft und musste noch kilometerweit gehört worden sein.
Zuerst schlug die Patrone mit einem leisen Klirren auf. Aus der Kammer entwich noch der letzte Rauch, dann schlug auch der nun leblose Körper auf dem Boden auf.
Aus dem nun geöffneten Mund entwich der letzte Lebenshauch und schon bildete sich eine Blutlache um den erkaltenden Körper.
Karl wischte sich die Blutflecken von seiner Boss Jacke, stand auf und klappte sein Handy auf.
Er wählte eine dreistellige Nummer und wartete auf das Freizeichen.
„Operator? Wir haben hier einen 487! Langsam werden die Menschen rebellisch! Dieser hier hatte etwas von einer Waffe oder so etwas ähnlichem erzählt, die er gegen uns einsetzten wolle. Wisst ihr da etwas näheres darüber? --- --- --- Ja, das hatte ich mir schon gedacht. Nochmals vielen Dank. Schickt mal jemanden vorbei der hier die Sauerei aufwischt!“
Aus seiner linken Brusttasche zog er eine schwarze Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Ein letztes Mal schweifte sein Blick auf den Toten, lächelte und ging im Laufschritt die Treppe nach oben.
Die Zeitung begann wieder wie von alleine mit dem Wind zu tanzen und segelte wie ein Leichentuch auf den Leichnam des Fremden.
06.05.03
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