Was ist neu

Die Strandrose

Mitglied
Beitritt
09.06.2013
Beiträge
30
Zuletzt bearbeitet:

Die Strandrose

Die Strandrose

Ich war einmal eine Strandrose und ich wuchs an der Steilküste am Meer. Ich war fest verwurzelt in der Erde und fühlte mich sicher und geborgen an meinem Platz. Ich liebte die salzige Luft, den frischen Wind und das sanfte Geräusch der Dünung. Den ganzen Tag konnte ich auf das Meer schauen und die Segelboote auf dem glitzernden Wasser bewundern. Die großen Ozeanriesen und die Windjammer aus aller Herren Länder, die majestätisch an mir vorbeizogen, waren für mich alte Bekannte. Auch wenn die Herbststürme das Wasser peitschten und die Wellen sich aufbäumten und an die Steilküste schlugen, liebte ich das Meer. Wenn der Sturm über mich hinweg fegte, fühlte ich mich lebendig und stark. Ich war glücklich. Außerdem war ich wunderschön. Das sagten jedenfalls die Menschen, die auf ihren Spaziergängen stehenblieben, um mich zu bewundern. Und ich hatte keinen Grund, das zu bezweifeln. Oft beugten sie sich zu mir herunter, um eine meiner Blüten abzubrechen. Ich gab sie ihnen gerne, denn ich hatte ja so viele, und ich wusste, dass sie sich daran erfreuten. Im Herbst verschenkte ich meine Früchte und tat damit ein gutes Werk, denn ich wusste auch, dass es nicht jedem so gut ging wie mir.

Ich hatte viele Freunde. Da waren die Steine. Wir kannten uns seit Ewigkeiten und gaben uns gegenseitig Halt in der schweren, feuchten Erde. Wir vertrauten einander wie Brüder und auch in schweren Zeiten konnten wir uns aufeinander verlassen. Da waren die anderen Pflanzen um mich herum, die alle auf ihre eigene Art schön waren. Zwar wetteiferten wir darum, wer denn die Schönste sei, aber wir gönnten einer jeden ihre eigenen Bewunderer. Und es gab die Schmetterlinge, Bienen, Vögel und die Katze des Leuchtturmwärters. Mit der Katze stritt ich häufig darüber, wer von uns beiden wohl am besten kratzen könne, sie mit ihren Krallen, oder ich mit meinen Dornen. Wir konnten uns nie einigen, aber es war ein harmloses Geplänkel unter Freunden, ein Spaß, nichts Ernstes.
Meine Freundin, die Möwe, berichtete mir von ihren Reisen, von den Feldern und Wiesen, von den Häusern der Menschen und von den großen Städten, die sie gesehen hatte. Sie konnte so gut erzählen, dass ich mir alles genau vorstellen konnte. So, als sei ich selbst dort gewesen.
Es war ein schönes Leben.

Ich kann nicht sagen, wann es angefangen hat. Oder warum. Vielleicht hing es damit zusammen, dass die Katze des Leuchtturmwärters eines Tages verschwunden war. Vielleicht auch nicht.Sie verschwand Anfang des Sommers. Ich sah den Leuchtturmwärter ein paar Tage nach ihr suchen. Er rief sie bei ihrem Namen und lockte sie mit Futter, aber sie blieb verschwunden. Wir haben sie nie wieder gesehen. Die Einen sagten, sie habe sich einen neuen, besseren Platz zum Leben gesucht. Die Anderen sagten, sie sei tot.
Ich kann nicht sagen, was mich mehr erschreckte.

In jenem Sommer wurde ich krank. Ich trug kaum Blüten, ich verlor sogar Blätter. Die Menschen bemerkten mich nicht mehr. Meine Freunde versuchten, mich aufzumuntern, doch ich blieb schwermütig. Und ich begann, von einem anderen Leben zu träumen. Doch wie sollte das möglich sein? Ich vertraute mich den Schmetterlingen an, die mich mit ihrer Fröhlichkeit und ihren leuchtenden Farben von Allen am besten aufheitern konnten.

„Das ist kein Problem!“, sagten sie. „Wir machen es alle!“
„Tatsächlich?“, fragte ich. „Und habt ihr es jemals bereut?“
„Nein, niemals!“, sagten sie und flatterten aufgeregt um mich herum.
Mein Nachbar, der Gemeine Strandhafer, hatte uns zugehört und begann nun zu spotten:
„Wie dumm kann man sein?“, fragte er. „Wie kann man glauben, dass eine Strandrose jemals etwas anderes werden könnte, als eine Strandrose?“
Ich war geknickt, aber er setzte noch eins oben drauf: „Außer vielleicht ein Häufchen Feuerholz!“, sagte er böse und bog sich vor Lachen.

„So ist er eben, er kann nicht anders.“, dachte ich und versuchte, nicht allzu traurig zu sein.
Ich fragte meine alte Freundin, die Möwe. Sie war sehr skeptisch. „Das“, sagte sie, und sie zögerte, wie um nach den richtigen Worten zu suchen, „Das funktioniert meines Wissens nur bei Schmetterlingen. Und sie leben nicht lange genug, um zu bereuen.“ Diese Aussage erschütterte mich schwer.
Und ich beschloss, nicht mehr darüber zu reden.

Der Herbst kam und mit ihm die Wildgänse. Schon immer hatte ich ihren Flug bewundert. Aber es war mir nie gelungen, eine von ihnen persönlich kennenzulernen. Viele sonderbare Geschichten eilten ihnen voraus. Sie galten als klug, sogar als weise. So begann ich zu hoffen. Und ich hatte tatsächlich Glück. Eine von ihnen landete ganz in meiner Nähe. Ich sprach sie an und bat sie um Rat. Sie hörte mir geduldig zu und nickte ab und zu mit dem Kopf. Dann dachte sie eine Weile nach.

„Ich habe schon einmal davon gehört“, sagte sie. „ Es müsste möglich sein. Du musst es nur wirklich wollen.“
„Das will ich!“, rief ich. „Ich möchte etwas anderes tun! Ich möchte frei sein! Ich möchte die Welt sehen!“
„Dann musst du jemanden finden, der mit dir tauscht.“, sagte die Wildgans.
„Tauschen?“, fragte ich entsetzt. „Und das geht?“, fügte ich zweifelnd hinzu.
„Ich glaube schon. Wenn der andere es auch will.“, sagte die Wildgans und sah mich lange an.
„Aber wer sollte das sein?“, fragte ich mich im Stillen.
„Ich muss dich jetzt verlassen. Meine Schar ruft mich. Ich wünsche dir viel Glück!“.

Sie verließ mich und mit ihr schwand meine letzte Hoffnung. Meine Freunde, die Steine, hatten alles mit angehört und tuschelten nun aufgeregt miteinander. Ich beachtete sie gar nicht und hing meinen düsteren Gedanken nach. Der Große Stein räusperte sich, fasste seinen Mut zusammen und sprach mich an: „Strandrose! Wir würden es tun. Jeder einzelne von uns würde mit dir tauschen! Sag nur, wer von uns du sein willst! Wir sind bereit!“
Ich lächelte traurig. „Seid mir nicht böse, aber mit Euch zu tauschen, würde mich nicht wirklich weiterbringen.“
„Na, hör mal!“, rief der Große Stein empört. „Steine sind immer auf Reisen! Es gibt berühmte Lieder darüber!“
„Das mag sein, aber es ist nun mal bekannt, dass Steine sich sehr, sehr langsam bewegen.“, erwiderte ich.
Das hätte ich nicht tun dürfen. Die Steine waren gekränkt und sprachen tagelang nicht mit mir.

Es war ein wunderschöner Herbst, und so traurig ich auch war, selbst ich konnte mich seinem Zauber nicht entziehen. Die Menschen gingen am Strand spazieren und an den Wochenenden kamen Familien mit Picknick-Körben und kosteten die Sonnenstahlen aus, die der Herbst uns schenkte. Wie in jedem Jahr erfreute ich mich an dem Farbenspiel, das die Menschen mit ihren bunten Lenkdrachen an den Himmel zauberten. Voller Faszination sah ich die tollkühnen Kunststücke und vergaß darüber fast meinen Kummer. Eines Tages bemerkte ich einen Lenkdrachen, den ich noch nicht kannte und ich glaubte, noch niemals zuvor etwas so Schönes gesehen zu haben. Er bewegte sich etwas unsicher am Himmel, aber er war der schönste von allen. Seine Farben strahlten am Himmel und trafen direkt in mein Herz.

Dann sah ich ihn fallen. Erst trudelte er nur ein wenig und dann fiel er wie vom Blitz getroffen. Ich konnte den Aufschlag hören. Sogar die Steine zuckten zusammen. Aber er rappelte sich wieder auf. Er stieg wieder in die Höhe, stürzte wieder ab, und wieder und wieder. Es war furchtbar. Und dann passierte es. Er landete genau neben mir. Er stürzte mit diesem schrecklichen Schrei zwischen die Steine und den Gemeinen Strandhafer und blieb regungslos liegen. Ich konnte ihn berühren. Und das tat ich. Sehr vorsichtig.
„Hast du dich verletzt?“, fragte ich ängstlich.
„Ja!“, gab er stöhnend zur Antwort. „Ich bin heute schon zehn Mal abgestürzt“.
„Das habe ich gesehen“, sagte ich. „Es hat mir so leid getan. Ich wünschte, ich hätte dir helfen können.“
„Niemand kann mir helfen. Mein Mensch kann einfach nicht mit mir umgehen. Er zieht immer an der falschen Leine. Er wird mich noch umbringen.“ Seine Stimme klang so hoffnungslos. Er blickte sich um und seufzte.
„Du hast es gut.“, sagte er. „ So ein schöner Platz. So eine Aussicht. Und niemand, der an dir zerrt. Das könnte mir gefallen“.
Mir wurde plötzlich ganz heiß.
„Möchtest du tauschen?“, fragte ich heiser.
„Oh ja, das würde ich wirklich gern. Ehrlich!“, sagte er voller Begeisterung. „Nichts würde ich lieber tun“, fügte er leise hinzu.
„Aber ich muss dich warnen. Mein Leben ist gefährlich. Ich bin nie lange an einem Ort. Und ich kann mir meine Freunde nicht immer aussuchen“

Und so beschlossen wir zu tauschen, aber bevor es so weit war, wurde er an seinen Leinen weggezerrt, so sehr er sich auch wehrte und so sehr ich ihn auch festhielt, wir hatten keine Chance. Eine kräftige Bö hob ihn in den Himmel. „Ich komme wieder!“, rief er. „Ich verspreche es!“ Er drehte am Himmel die schönsten Pirouetten, die ich jemals sah. Ich hörte ihn vor Freude schreien. Er sauste über mich hinweg, hin und her, und er schrie es laut in die Welt:

„Strandrose! Ich komme wieder! Ich bin frei!"

Dann riss die Leine. Er stürzte wie ein Stein. Und bevor er aufschlug, wusste ich es. Er starb vor meinen Augen.

Es wurde ein schrecklicher Winter. Freunde starben. Sogar die Steine haben gefroren. Das Meer wurde zu Eis, das die Stürme meterhoch aufschichteten. Keine Schiffe kreuzten am Horizont. Kein Vogel am Himmel. Nichts. Nichts. Nichts.

Der Frühling begann, wie der Winter endete. Mit Sturm. Drei Tagen schlug das Meer unablässig mit aller Kraft auf meine Steilküste, grub sich in die Erde und zerstörte, was die Winterstürme noch nicht zerstört hatten, bis das Land nachgab und mit allen, die von uns noch übrig geblieben waren, ins tosende Wasser stürzte. Die Steine und ich, wir klammerten uns in Panik aneinander, rutschten, rollten, wurden umher gewirbelt, schlugen auf und gingen unter. Es war fürchterlich.

Als das Meer sich endlich beruhigt hatte, lag ich auf dem Strand und konnte mich kaum bewegen. Der Große Stein lag auf mir und entschuldigte sich pausenlos, obwohl er gar nichts dafür konnte. Dann sah ich die Kinder am Strand und ich erkannte, dass sie nach Steinen suchten.
Mir kam ein Gedanke.

„Willst du immer noch tauschen?“, fragte ich und tat ganz harmlos.
„Ja. Warum nicht?“ , antwortete der Große Stein.
„Gut!“, sagte ich. „Dann sofort. Du bist eine Strandrose und ich bin ein Stein. So soll es immer sein!“. „Das reimt sich“, kicherte der Stein, der jetzt eine Strandrose war.
„Ich war ganz schön schwer, als ich ein Stein war. Du drückst mich total platt!“
„Tut mir leid“ murmelte ich.
Ich war viel zu aufgeregt, um mich zu unterhalten. Als eines der Kinder mit aufhob, wusste ich, dass ich am Ziel war. Ich würde eine Reise machen! Ich schämte mich aber auch. Kam mir vor wie ein Dieb. Aber nur ganz kurz. Als der Wind die Strandrose erfasste und sie mit sich über den Strand wirbelte, hörte ich sie jubeln vor Glück.

Mir aber kamen Bedenken. Was, wenn ich den Kindern zu schwer werden würde? Was, wenn sie einen noch schöneren Stein finden würden? Was, wenn sie mich zurück ließen? Ich war krank vor Angst. Und so konnte ich die einzige Reise meines Lebens nicht einmal genießen.

Die Kinder brachten mich zu ihrem Garten, wo ich zusammen mit vielen anderen Steinen als Begrenzung für ein Rosenbeet gebraucht werde. Meine Aufgabe besteht darin, das Unkraut von den Rosen fernzuhalten. Die Rosen beachten mich gar nicht. Dass ich einmal eine von ihnen gewesen bin, wollen sie mir nicht glauben. Und selbst wenn, als Strandrose wäre ich in ihrem Kreis von Edelrosen nicht willkommen gewesen. Es gibt eine Katze im Garten, aber sie dumm und hochnäsig, sie spricht nicht mit mir. Die Schmetterlinge und die Vögel reden manchmal mit mir, aber sie haben ein so kurzes Gedächtnis, dass mir schnell langweilig wird. Möwen kommen nicht in diesen Garten. Ab und zu sehe ich eine hoch oben am Himmel, wenn ich durch die Bäume spähe. Und einmal, wirklich nur ein einziges Mal, habe ich einen wunderschönen Lenkdrachen am Himmel gesehen.

 

Hej Karakum,

das sind so viele Ideen und kleine Wendungen drin, dass bei mir der Eindruck entsteht, weniger wäre mehr.
Eine Strandrose zu vermenschlichen find ich grundsätzlich schwierig.
Hier habe ich aber auch noch das Gefühl, es bedeutet gar nichts Bestimmtes, höchstens: Kann man machen.
Oder: Ich mag halt Strandrosen.

Die Wirkung ist dementsprechend beliebig: Irgendwann wird die Rose krank, aber nicht so richtig, sie will irgendwas, aber nicht so richtig, lernt jemanden kennen, aber nicht so richtig, und zum Schluss hat sie dann, was sie wollte, aber nicht so richtig.

Vielleicht kannst Du Dich ja auf eine Aussage festlegen, die anders (und weniger allgemein klingt als: Steine können weinen.
Und die dann in eine Geschichte verpacken.

Lass Dich jedenfalls nicht entmutigen,

LG
Ane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Ane,

vielen Dank fürs Lesen und für Deine ehrliche Meinung.

Vielleicht wirkt die Geschichte so beliebig, weil sie zu persönlich ist. Da hatte ich sowieso meine Bedenken. Aber ich kann da auch nicht viel ändern,oder ich will es auch nicht, weil die Geschichte mir wie eine alte Freundin ist.
Nur das mit den weinenden Steinen hab ich rausgenommen. Gefällt mir besser.

Gruß
Karakum

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom