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Die Stimme des Gewissens
Quaaaak, quaaaak, quaaak.
Der Lärm, der aus dem Teich des Nachbarn in sein Schlafzimmer drang, war für Markus unerträglich. Paarungszeit der Frösche. Er fragte sich, ob es überhaupt erlaubt war, die Viecher im Gartenteich zu halten. Er hatte im Internet gelesen, dass männliche Frösche bis zu 90 Dezibel schaffen konnten, wenn sie um ein Weibchen warben. 90 Dezibel, das ist lauter als ein Presslufthammer!
Er wälzte sich im Bett herum. Es war zu heiß, um das Fenster zu schließen. Das Laken klebte an seiner Haut.
Seine Freundin Miriam lag friedlich schlafend neben ihm. Wie konnte sie bei diesem Lärm überhaupt schlafen?
Was würde Miriam sagen, wenn sie wüsste, was du getan hast? Oh nein, da war sie wieder, die Stimme, die ihm so oft den Schlaf raubte. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn.
Sie würde dich verachten! Er schlug die Decke zurück und setzte sich kerzengerade ins Bett.
Miriam und er waren erst seit ein paar Wochen zusammen. Er mochte sie, nein, er war verliebt in sie. Dennoch wusste er nicht, ob er ihr die Wahrheit über sich erzählen könnte.
Es ist dir doch ernst mit ihr? Dann sollte sie auch alles über dich erfahren.
Er schloss die Augen und massierte sich die Schläfen.
Was bist du bloß für ein Mensch?
„Lass mich in Ruhe!“, entrann es seiner Kehle.
„Markus, was ist los? Hattest du wieder einen Albtraum?“ Miriam blinzelte ihn schlaftrunken an.
Sag's ihr! Jetzt!
„Versuch doch noch ein wenig zu schlafen, okay?“ Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Wenn du wüsstest“, flüsterte er mit brüchiger Stimme.
„Wenn ich was wüsste?“ Ihre großen, brauen Augen ruhten auf ihm. Er zögerte. Würde sie ihn wirklich verstehen?
„Erzähl doch einfach, was los ist, vielleicht kann ich dir helfen.“
„Ich kann nicht!“, jammerte Markus fast tonlos.
Du hast das Leben einer Familie zerstört, du widerlicher Mensch! Also los, zieh jetzt nicht den Schwanz ein.
„Und was ist, wenn sie mich dann verachtet?“, schrie er und sprang aus dem Bett. In seinem Schädel hämmerte es.
„Miriam, die Stimme, sie ist in meinem Kopf!“ Es reichte. Er würde ihr jetzt alles erzählen. Er hoffte, sie würde ihn verstehen und ihm die Last von seinen Schultern nehmen. Vielleicht würde die Stimme in seinem Kopf dann endlich Ruhe geben.
„Ich habe es nicht gewollt, wirklich nicht!“ Er zitterte am ganzen Körper.
„Bitte beruhige dich. So schlimm kann es doch gar sein“, sagte sie ruhig.
Markus atmete tief durch. „Es war heiß an diesem Tag und ich war mit den Jungs am Wolfsee. Wir haben gegrillt und ein paar Bierchen gezischt. Wir kamen mit einem Angler ins Gespräch. Netter Typ so um die 50. Er hatte ein paar Brassen und ein paar Rotaugen geangelt. Das weiß ich noch. Irgendwann wollte ich nach Hause fahren, weil ich am nächsten Tag früh in der Uni sein musste“, fuhr er mit bebender Stimme fort. „Vielleicht war ich ein bisschen zu schnell. Ein kurzer Blick auf's Handy und dann war es auch schon passiert!“ Er riss die Augen unnatürlich weit auf.
„Ich hab ihn überfahren, Miriam! Den Mann mit den Brassen. Ich bin ausgestiegen und zu ihm gerannt. Überall lagen tote Fische. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist das Quaken der Frösche am See. Dann weiß ich gar nichts mehr. Totales Blackout. Ich muss wohl einfach nach Hause gefahren sein. Am nächsten Tag las ich in der Zeitung, dass ein Mann bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Fahrerflucht.“ Tränen rannen sein Gesicht herab.
„Wann?“ Sie war plötzlich kreidebleich.
„Vor ziemlich genau zwei Jahren“, offenbarte er kaum hörbar.
Ein gellendes Kreischen ließ ihn jäh zusammenzucken.
Es war wohl ein Fehler es ihr zu sagen!
„Mein Vater, er kam vor zwei Jahren ums Leben, weil irgendein mieses Arschloch ihn angefahren und einfach liegen gelassen hat!" Sie sah aus, als müsse sie sich jeden Augenblick übergeben. "Das warst du?“, fügte sie mit bebender Stimme hinzu.
Sie sahen sich an. Plötzlich war es absolut still im Raum.
Nur noch das Quaken der Frösche war zu hören.