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Die Stille
Es sind nicht die Plätze die ihr Angst machen.
Ganz im Gegenteil, wenn sie hier, aus ihrem kleinen, dunklen Wohnzimmer heraus daran denkt – sie liebt sie. Doch nun ist sie schon lange nicht mehr dort gewesen.
Sie erinnert sich noch daran als wäre es gestern gewesen. Sie hatte den Eiffelturm gesehen, bei Nacht, und er war so schön gewesen. Sie hatten auf der obersten Etage gestanden, es war schon dunkel gewesen und ganz Paris erstrahlte in hellem Glanz unter ihnen. Stunden verstrichen, ehe er sie überreden konnte, wieder zu gehen.
Und Jahre würden vergehen, bis sie es vergessen könnte.
Sie war in Rom gewesen, und für sie war es die schönste Stadt der Welt gewesen. Aber um keinen Preis der Welt würde sie wieder dorthin zurückkehren.
Es sind nicht die Orte die ihr Angst machen. Auf gar keinen Fall.
Sie waren in Berlin gewesen, hatten den Reichstag besichtig. Sie hatten sich den Kölner Dom angeschaut und den Vatikan besucht.
Es war alles so wunderbar gewesen.
Sie erinnerte sich an all die Stände, all die Straßenverkäufer, all die Menschen die ihren Urlaub dort verbracht hatten, genau wie sie beide. Und die glücklich gewesen waren. Genau wie sie beide.
Und wo war er jetzt? Was machte er, was dachte er?
Es war auch nicht er gewesen, der ihr Angst machte. Nicht im Entferntesten.
Sie hatten sich so sehr geliebt. Sie waren eins gewesen. Eine Seele, ein Geist. Aber das war vorüber. Sie vermisste ihn so sehr. Sie sehnte sich nach seinem Duft, sie sehnte sich nach seinen Berührungen.
Aber um keinen Preis der Welt würde sie ihn wieder haben wollen.
Langsam öffnet sie ihre müden Augen, aber es macht keinen Unterschied. Sie sieht nicht mehr als davor, alles ist genauso dunkel wie mit geschlossenen Augen.
Es ist nicht die Einsamkeit die ihr Angst macht. Sie war schon immer gern allein gewesen. Sie war immer gern für sich und leicht zurückgezogen von allen Freunden und Verwandten.
Sie genießt es, einfach nur da zu sitzen, einfach auf die Stille zu horchen und nichts zu tun. Kein Lärm, kein Auto, keine Musik, keine spielenden Kinder, keine Flugzeuge, keine kreischenden Babys, kein Geräusch, kein Gespräch.
Es sind nicht die Plätze die ihr Angst machen, es sind nicht die Orte. Er ist es nicht. Die Einsamkeit ängstigt sie nicht.
Die Menschen tun es.