Die Stadt: Bloodshed Blues
Bloodshed Blues
Etwas veränderte sich. Die dunklen Umrisse verwandelten sich langsam in verschwommene Formen. Teilnahmslos ließ sie die Bilder eindringen und irgendwann kehrte die Dunkelheit zurück. Dieser Vorgang wiederholte sich noch einige Male bis der Nebel sich endgültig lichtete.
Die Berge aus Stahl und Plastik hoben sich nun klar vom feuerroten Morgenhimmel ab und weit in der Ferne vernahm sie das Bellen eines Hundes.
Gonzo zog an der Leine.
„Hey Junge, was hast du denn jetzt gefunden?“
Jeff versuchte, den großen Bernadiner zu halten, doch dieser zog den schmächtigen Jungen einfach mit. Schlussendlich ließ er ihn laufen und rannte ihm hinterher. So benahm sich der Hund normalerweise nur, wenn er etwas wirklich Lohnendes witterte. Erst mehrere hundert Meter weiter, in einer Senke zwischen zwei Schrottbergen machten sie Halt. Jeff war enttäuscht.
„Deswegen hast du mich hergeführt? Da fehlt doch die Hälfte. Das lohnt den Aufwand nicht. Und der Rest ist wahrscheinlich schon verfault.“
Schon wollte er sich umdrehen und weitergehen, als er ein leises Flüstern hörte. Er schaute sich das Mädchen mit den abgetrennten Armen und Beinen noch einmal genau an.
Sie hatte glattes, schwarzes Haar, das ihr ins Gesicht gefallen waren. Fast darunter verborgen konnte er ihre kleine Stupsnase und die weit aufgerissenen Augen erkennen, die stumpf ins Leere starrten und aus denen Blut gelaufen war, das nun wie dunkelrote Tränen im Gesicht klebte.
Nach einem kurzen Moment riss er sich zusammen und wendete sich den relevanten Dingen zu:
Soweit er erkennen konnte waren die Schnittstellen mehr oder weniger sauber von Laserskalpellen verbrannt worden und deswegen es war durchaus möglich, dass sie noch lebte. Allerdings waren die Preise für innere Organe dermaßen im Keller, dass sich das Herausschneiden und vor allem die Aufbewahrung nicht lohnen würden. Allerhöchstens waren Augen noch was wert, allerdings konnte er diese wohl kaum unbeschädigt herauslasern. Da könnte er genauso gut versuchen, mit einer Heckenschere und einer halben Rolle Klebeband einen Bypass zu legen. Sein Laserskalpell war wohl eher für das Teilen von Stahlplatten und das Abtrennen grober Körperteile geeignet. In Gedanken machte er sich eine Notiz, nächste Mal auch das Feinwerkzeug mitzunehmen.
Sein mentales Ich wurde allerdings durch einen doch recht unhöflichen Tritt in den Hintern beim Schreiben unterbrochen. Dieser kam von einem kleinen Kerl namens Gewissen, der etwas isoliert von den anderen Teilen des Verstandes lebte und haufenweise geistige Antidepressiva nahm. Dennoch bekundete er oft, meistens in umpassenden Momenten seine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation.
Fluchend hob er den Körper des Mädchens auf und schwor sich dabei, diesem kleinen Quälgeist demnächst ein für alle Mal den imaginären Hals umzudrehen. Dann würde das Geschäft auch besser laufen.
Sie schlug die Augen auf. Vor ihr erblickte sie das Gesicht eines Jungen mit öligen Haaren, die ihm über seine blauen Augen fielen. Nur noch wenige blonde Strähnen verrieten die ursprüngliche Haarfarbe.
„So, da hätten wir dich wider hingekriegt. War gar nicht so einfach, kannste mir glauben. Sei froh, dass ich noch eine Kunstlunge in deiner Größe rum liegen hatte. Im rechten Flügel war so viel Blut, dass ich sie nur über einem Messbecher ausdrücken brauchte um das Volumen zu bestimmen.“
Unwillkürlich wollte sie sich an den Brustkorb greifen, bekam aber von ihrem Körper die Rückmeldung, dass für so einen Aktion Arme durchaus vorteilhaft wären. Erschrocken schaute sie auf die verkrusteten Stummel und schrie laut auf. Der Junge lachte.
„Oh Yeah! Wenn ich gewusst hätte, dass die Lunge noch so gut ist, dann hätte ich sie verkauft anstatt sie dir einzupflanzen. Aber keine Sorge, ich lasse sie vorerst drin, bin ja kein Unmensch. Arme und Beine bekommst du auch noch, wenn der Gebrauchtmarkt wider etwas hergibt. Nächste Tage bringe ich dich zum alten Doc.“
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:
„Ach Scheiße, hab ganz vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Jeff. Und du?“
„Liz“ antwortete sie mit brüchiger Stimme.
Jeff fand, dass sie ganz schön deprimiert aussah und beschloss, sie ein wenig aufzuheitern.
„Und wie bist du auf den Schrottplatz gekommen? Ein junges Mädchen sollte da nicht rumlaufen.“
Er grinste wie ein Honigkuchenpferd.
„Häh?“
Das Grinsen verwandelte sich in eine entnervte Grimasse.
„Verstehst du nicht? Ich habe gesagt, du solltest da nicht rumLAUFEN. Du kannst nicht LAUFEN, weil dir jemand deine BEINE abgeschnitten hat, verdammt noch mal. Das war ein Wortspiel. Oh Mann, ich glaub deinen Humor haben die gleich mit amputiert!“
Das passierte ihm jedes Mal, wenn er mit einem Kaputten sprach. Irgendwie musste es einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein aller Körperteile und dem Sinn für Humor geben. Deswegen verkniff er sich den Witz, dass sie bei ihm nicht gerade arm dran wäre und sagte:
„Auf jeden Fall werde ich dir jetzt mal mein Zuhause zeigen. Das hier ist mein Wohnraum und hier“ – er hob sie hoch und ging in den Nebenraum – „ist meine Werkstatt.“
Der Raum war voll von Schrottteilen, Gefäßen, in denen sich in Gelee schwebend Körperteile befanden und Werkzeug, angefangen von einer verdreckten Schaufel bis hin zu nur marginal sauberen Operationsbesteck.
Liz hoffte inständig, dass zwischen diesen Gegenständen kein kausaler Zusammenhang bestand.
In der Mitte des Raumes stand ein gefliester Tisch, in allen Rotschattierungen gefärbt. Darüber hing ein großer Scheinwerfer, der in früheren Zeiten wohl zu einer Zahnarztpraxis gehört hatte. Genau wie die Neonröhren an der Decke war er herunter gedimmt und verbreitete ein kaltes Zwielicht. Mit einem verschmitzten Grinsen wischte Jeff mit seinem Hemdsärmel ein wenig angetrocknetes Blut weg.
„Na ja, ich sollte hier wirklich mal wider saubermachen.“
Sie schaute sich mit großen Augen um.
„Was machst du eigentlich?“
„Siehst du doch. Bin Schrotthändler. Manchmal sogar noch mechanischen Schrott, aber seit es hier im Westbezirk unruhig geworden ist, macht man mit diesen Ersatzteilen einfach mehr Geld.“
Dabei zeigte er auf die Behälter, die in der Ecke standen.
„Gute Prothesen kann sich hier kaum wer leisten. Und wer will schon künstliches Gear, wenn man Echtes haben kann? Du bist wohl einem der Hunter in die Hände gefallen. Die machen im Prinzip das gleiche wie ich, gehen etwas rabiater vor. Ich nehm’ meist dass, was sie übrig lassen und noch nicht zu lange tot ist. Gonzo riecht so was 10 Meilen gegen den Wind. Aber meist freut er sich mehr, wenn’s schon länger tot ist, dann kriegt er wieder was zu bei…“
<BOOM> (in ganz großen Buchstaben!)
Die Explosion zerfetzte sowohl die Ruhe als auch das Nebenzimmer. Schüsse peitschten durch den Raum. Instinktiv ließ Jeff sich auf den Boden fallen und versuchte in den Regen aus Scherben seine Tasche zu finden. Da war sie! Er griff hinein, zog eine Fernbedienung heraus und drückte mit aller Kraft einen Knopf.
Das alles kam ihm quälend langsam vor, obwohl nur Bruchteile von Sekunden vergangen waren. Kurz kam ihm der Gedanke, dass die Explosion die Stromleitung zerstört haben konnte, aber dann blitzen die Neonröhren zuckend auf. Das infernalische Gekreische des Maschinengewehrs wurde von einem nicht minder lauten Schmerzenschrei abgelöst. Der Eindringling presste die Hände auf die Augen und sank auf die Knie. Jeff sprang auf, griff nach dem Gewehr und schoss dem Mann den Rest des Magazins in die Brust. Eigentlich hätte bei dem Kaliber auch eine Kugel gereicht, aber heute gönnte er sich den Spaß einfach mal.
Danach regelte er das gleißende Licht wider auf ein erträgliches Maß herunter und hob Liz auf.
„Ich glaube, wir sollten sofort zum alten Doc. Und dann erzählst du mir, was die Hunter von dir wollen. Einen Moment noch!“
Er suchte noch das Laserskalpell aus der Tasche und schnitt dem Mann durch den Hals. Die Wirbelsäule war anscheinend künstlich und ließ sich nicht durchtrennen. Kurzerhand knipste Jeff die Rippen mit einem Seitenschneider ab und riss das Rückrad mit einem Ruck aus dem Körper. Jemand anders mit dem Geräusch wahrscheinlich das Entkorken einer Flasche Wein assoziiert, aber weder Jess noch Liz wären jemals auf die bescheuerte Idee gekommen, eine Flasche Wein auf so unpraktische Weise zu öffnen.
Und so machte er sich, Liz unter dem Arm und das Gewehr auf dem Rücken, auf den Weg. Den abgetrennten Kopf hatte er in einen Plastiktüte gesteckt und Gonzo auf den Rücken geschnallt.
Während sie durch die trostlose Schrottlandschaft liefen meldete sich Liz zu Wort.
„Was hat den Hunter gerade umgehauen?“
„Die Typen gehören zu den wenigen, die sich kybernetisches Material leisten können. Die Augen haben sie eigentlich alle ausgetauscht. Aber auch von denen dann sich kaum jemand die richtig guten Modelle leisten. In meiner Bude war es recht dunkel und der Prozessor hat die Augen weit eingestellt. Als die Neonröhren angingen, ist das Lightgate nicht schnell genug angesprungen. Das nennt sich dann wohl Overdrive. Hat bestimmt ganz gut Schmerzen verursacht – hoff ich auf jeden Fall.“
In Gedanken an das, was passiert war, musste Jeff breit grinsen.
„Und bist du nicht sauer? Erst rettest du mich und wegen mir wird deine Wohnung verwüstet!“
Jeff überlegte einen Moment.
„Ich hab dich mitgenommen, also hab ich auch die Verantwortung für dich. Basta!
Und wegen meiner Wohnung mach dir mal keinen Kopf, allein das Gewehr wäre Entschädigung genug. Das ist `n teures Modell. Und für die Elektronik, die in dem Kopf steckt, krieg ich etwa so viel wie ich jemals besessen hab.“
„Schade, ich dachte schon, der Krempel wäre was wert.“
„Ach, sei ruhig.“
Den Rest der Strecke legten sie schweigend zurück.
Jeff klopfte an die stählerne Tür. Einen Moment später öffneten sich zwei kleine Luken. Durch die eine lugte ein bärtiges Gesicht, durch die andere der Lauf eines großen und in Hässlichkeit ihrem Besitzer in nichts nachstehenden Granatwerfers.
„Haut ab ihr Arschlöcher. Bei mir ist nichts zu holen. – Ach du bist das. Komm rein!“
Die Tür wurde mit einem Quietschen aufgestoßen.
„Sieh mal einer an, wen haste den da mitgebracht? Sieht ja ganz süß aus, aber da fehlt doch was, oder täusche ich mich da? Mit Beinen schaut die bestimmt richtig sexy aus. Hihihi“
Der Mann kicherte in sich hinein.
„Hmm, der gleiche geile Bock wie immer. Lass uns rein. Hunter sind hinter uns her.“
Um seine Aussage zu untermauern zog Jeff den Kopf aus der Tüte.
„Sau mir nicht alles zu, du Wichser. Wenn ihr den Köter draußen lasst, könnt ihr reinkommen. Gib mir mal die Birne, die pack ich erstmal in den Kühlschrank.“
Sie gingen hinein. Staunend betrachtete Liz den Operationstisch in der Ecke und die aufgestapelten Bildschirme in der Mitte, die alle den gleichen, aus gynäkologischer Sicht bestimmt lehrreichen Film zeigten.
Nachdem sie es sich in einer Ecke gemütlich gemacht hatten, kramte der Doc einen Sechserträger Bier unter dem Tisch hervor.
Jeff erzählte was passiert war.
„…und was genau die Hunter von Liz wollten, weiß ich auch noch nicht. Das kann sie jetzt selber erzählen. Auf jeden Fall braucht sie passende Arme und Beine.“
„Ich kann mir recht gut vorstellen, was die von mir wollten. Wahrscheinlich hat irgend so ein Kind von diesen reichen Arschlöchern sich beim Spielen verletzt und braucht jetzt einen neuen Arm oder so. Warum die nachher noch mal wiedergekommen sind, kann ich nicht sagen. Das ergibt für mich keinen Sinn.
Aber ich denke mal, ich erzähle euch mal alles der Reihe nach: Soweit ich denken kann hab ich mit David Malik zusammengelebt.“
Der Doc pfiff anerkennend.
„Mann, die Welt ist klein, den kenne ich. Ist ein verdammt guter Cleaner. Ohne den hätte ich noch ein paar Konkurrenten mehr. Ich dachte aber bis jetzt immer, der würde alleine arbeiten.“
„Da du musst dir jetzt wohl einen andere suchen. Ich hab gar nicht gewusst, dass wir auch für dich was gemacht haben. Er hat mir nie erzählt, von wem die Aufträge kamen.
Auf jeden Fall war er ein guter Nahkämpfer, dafür allerdings der schlechteste Scharfschütze im Umkreis von zehn Kilometern. Einmal hatte er wirklich alles erschossen, nur die Zielperson war noch putzmunter. Das war ihm so peinlich, dass er den Auftraggeber umgelegt hatte. Damit er es keinem erzählen konnte, versteht ihr?
Ab da hatte ich das für ihn gemacht und es hat auch immer gut geklappt. Na ja, bis dann eine Gruppe Hunter auf der Matte stand. David war gerade mit einer Nutte auf seinem Zimmer. Er ist echt nicht zu beneiden. Er ist bei der einzigen Tätigkeit gestorben, die er noch schlechter konnte als schießen.
Mich hatten die mit einem Elektroschock lahm gelegt. Ab da weiß ich nix mehr.“
„OK, ich glaub, wir haben uns genug von unseren Lebensgeschichten erzählt. Jeff, trink auf, wir sollten uns an die Arbeit. Leg die Kleine auf den Operrationstisch!“
Er nahm eine Blutprobe und ließ sie von dem Computer analysieren.
„Mhh, seltene Blutgruppe…Gencode 2P45N3254… Alter etwa 14 Jahre … Größeklasse F. Mal sehen ob wir da was im Lager haben.“
Er hackte auf eine Tastatur neben dem Tisch ein. Auf den Bildschirmen war nun anstatt des Pornos eine Tabelle zu sehen. Grüne und rote Buchstabenreihen tanzten über den schwarzen Hintergrund, zu schnell als das Jeff oder Liz etwas erkennen konnten.
„Doc ist hier der wohl größte Schwarzmarkthändler für Körperteile. Wenn der nix Passendes hat, dann wohl keiner. Hier werde ich auch immer meine Ware los. Außerdem ist er wie ein Vater für mich. Er hat mich großgezogen.“
„Sülz hier nicht rum von wegen Vater und so. Ich hab dich Missgeburt gefunden und aus irgendeinem Grund auch ein paar Jahre behalten. Und das auch nur, weil meine Menschlichkeit es mir verbietet, irgendjemanden einen so jämmerlichen Körper anzudrehen. Ach da haben wir ja schon was. Entschuldigt mich einen Moment. Ach übrigens, da vorne steht eine Flasche Whisky. Jeff, wenn du so nett wärst und ihr was geben könntest, das Betäubungsmittel ist mir ausgegangen.“
„Ihr beide habt echt einen kranken Humor, hat euch das irgendjemand schon mal gesagt?“ schrie Liz dem Doc nach.
Jeff nahm die Whiskyflasche vom Tisch.
„Öhm, ich glaub, diesmal war das kein Witz…“
Eine halbe Flasche später kam Doc wieder.
„Patientin abgefüllt? Dann wollen wir mal. Gib mal die Säge und die Tube Bioskin rüber.“
„Hey, halt! Ich bin noch voll da, dass könnt ihr nicht machen!“
Das fand der kleine Kerl namens Gewissen auch. Nach einer kurzen Diskussion überredete er Jeff, ihren Kopf ein paar Mal fest auf die Tischplatte zu schlagen. Nachdem die Narkose eingesetzt hatte fingen sie an.
„Ich versteh immer noch nicht, warum du keine Laser benutzt? Das macht doch jeder einigermaßen vernünftige Mensch.“
„Mein Junge, das ist immer noch Handwerk. Und ich würde mit ´nem Küchenmesser und ´nem beschissenen Bindfaden was Besseres hinkriegen als du. Mir wird schon ganz schlecht, wenn ich sehe, wie du da die Lunge reingewurstet hast. Wenn du irgendjemanden erzählen solltest, dass du das bei mir gelernt hast, breche ich dir das Genick.“
Nach etwa einer Stunde voller Streitgespräche waren sie fertig.
„So, eine Nacht muss sie jetzt liegen bleiben. Setzt dich zu mir Jeff, jetzt klären wir erstmal das Finanzielle. Für die Augen und die Wirbelsäule von diesem Hunter gebe ich dir tausend Chips. Minus hundertsechzig für die OP wären das dann, einen Moment … Siebenhundertzwanzig bar auf die Kralle. Antispoil für ein halbes Jahr sind natürlich inbegriffen. Einverstanden?“
„Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich? Gib mir die Siebenhundertvierzig und ich bin zufrieden.“
Erst ein wenig verwirrt, dann mit einem leichten Grinsen auf den Lippen schaute er Jeff an.
„Ist ja gut, ist ja gut. Ich hätte mir ja denken können, dass ich dich nicht verarschen kann. Was willst du denn mit der Kohle machen?“
„Ich weiß noch nicht. Das Geld reicht wohl für ´ne Weile. Vielleicht schaff ich es ja doch irgendwann, Genug zu verdienen, um in die Stadt zu ziehen.“
„Was willst du in der Stadt, Junge? Glaub mir, dass passt nicht zu dir. Nur weil du in ein Mädchen verschossen bist, musst du nicht gleich häuslich werden. Ja, schau mich nicht so dumm an. Ich hab längst nicht mehr alle Originalteile, aber sowohl mein Gehirn als auch meine Augen sind seit Fertigstellung drin und funktionieren noch vorzüglich. Du Bastard würdest doch deine Mutter in Einzelteilen verkaufen, wenn du nur wüsstest, wo sie ist. Und die Kleine sammelst du auf, lässt dich von Huntern verfolgen und spendierst ihr dann noch eine Familienpackung Gliedmaßen. Da muss doch was sein!“
„Ach halt die Schnauze. Ich hab keinen Bock, mit dir zu diskutieren.“
Am nächsten Morgen wurde Jeff von Liz geweckt. Sie lief pfeifend in die kleine Abstellkammer, in der er geschlafen hatte.
„Hey, guckt mal, ich kann laufen! Was für ein wunderbares Gefühl! Und es tut schon fast gar nicht mehr weh.“
Sie hüpfte einmal im Kreis und lachte laut auf.
„Mhhh, wie? Was ist los? Ach schön. Ich würde nicht so herumspringen. Die Nervenverbindungen könnten kaputt gehen.“
Verschlafen kämpfte er mit der schmuddeligen Bettdecke, was mit einem Sieg über Zeit in einem Eins zu Null für die Bettdecke endete.
„Geh schon mal in die Küche. Ich komm gleich zum Frühstück.“
Die „Küche“ war ein vor Dreck starrendes Zimmer, in dem sich Essenreste und gebrauchtes Geschirr stapelte. Der Doc saß schon am Tisch und aß geräuschvoll Spiegeleier aus der Pfanne. Dabei schaute er auf den Fernseher, der unter der Decke hing.
„Ach, da haben wir ja unsere Kleine. Wenn du Geld verdienen willst, dann hätte ich was für dich. Ich kenn den Typen, der diese wunderbaren Filme dreht. Mit den Beinen, die ich dir dran genäht hab, wirst du dich bei dem dumm und dämlich verdienen.“
Er lachte schallend und ließ seine Pranke auf ihren Hintern klatschen, wo sie einen großen Fettfleck hinterließ.
Liz schaute angeekelt auf die Szene, die sich auf dem Bildschirm abspielte, fing dann aber ohne Erwiderung an, in der am saubersten aussehenden Pfanne Spiegeleier für sich und Jeff zu machen. Dieser gesellte sich dann auch wenig später zu ihnen. Beim Frühstück teilte Jeff den beiden anderen seinen Plan mit:
„Wir müssen in die Berlins Sicherheitszone hineinkommen. Das dürfte eigentlich kein großes Problem sein. Ich muss nur wissen, welche Wachen im Moment am billigsten zu kaufen sind. Dort kenne ich einen Hacker, bei dem ich noch was gut hab. Mit dem finden wir sicher raus, was die Hunter von Liz wollen. Allerdings müssen wir uns erst noch ordentliche Kleidung kaufen, damit wir nicht allzu sehr auffallen. Das Gewehr und den Hund lass ich erst einmal bei dir. In Ordnung?“
Der alte Doc protestierte lautstark dagegen, Gonzo aufzunehmen und argumentierte dabei mit einer Allergie, diversen Phobien und damit, dass er keine Leiche mehr rum liegen offen lassen könnte. Schlussendlich gab er aber doch nach.
Nach dem Frühstück verabschiedeten sich dann von ihrem Gastgeber.
Jeff führte sie zu Ed, der in der Nähe wohnte und Waren aus der Stadt in die Unsichere Zone schmuggelte. Neu eingekleidet sahen sie aus wie typische Kinder einer typischen Vorortfamilie: Bunt und bemüht hip zu sein, aber trotzdem noch so konservativ, dass man keinen Ärger kriegen konnte. Nur Jeffs Haare hatten sich standhaft geweigert, ihre jahrelange Verbindung mit dem Öl aufzugeben. Kurzerhand setzte er eine Mütze auf.
Bis zur Grenze waren es etwa drei Kilometer. Als dort angelangt waren mussten sie einen Weile an dem vier Meter hohen Elektrozaun entlanggehen, bis den nächste Eingang erreichten. Nachdenklich betrachtete Liz die riesigen Röhren, die hoch oben aus der Stadt hinausführten. Sie zupfte Mike an der Jacke
„Kannst du dir vorstellen, wohin diese Röhren führen?“
Verwundert schaute er seine Begleiterin an.
„Natürlich, in denen sausen Magnetschwebebahnen zwischen den Städten hin und her.“
„Ja, dass weiß ich, aber kannst du es dir wirklich vorstellen? Ich bin mein Leben lang nicht in Berlin gewesen. Immer wenn ich reinkommen wollte, haben sie auf mich geschossen. Aber wenn es andere Städte gibt, dann ist es dort vielleicht schöner. Als ich noch klein war, hab ich ein Buch über New York gelesen. Es lag im Müll und ich hatte es gefunden. Dort stand, dass dort alles möglich ist. Jeder, der Tüchtig ist, kann es dort zu was bringen. Das stand in dem Buch!“
„Meinst du? Ich denke, dass es dort genau die gleiche Scheiße ist. Auch New York muss doch einen Schrottplatz haben. Und wenn es einen Schrottplatz gibt, leben da auch Menschen. Irgendwo hin muss der Abfall hin. Und wir sind Abfall, da können wir machen was wir wollen.“
„Aber wir gehen doch jetzt auch in die Stadt. Wenn du weißt, wie man rein kommt, wie kannst du dann so etwas sagen?“
„Das ist was anderes. Nur weil ich die Möglichkeit hab, für ein paar Tage in die Stadt zu gelangen, heißt das noch lange nicht, dass ich auch dort bleiben kann. Eine Ratte kann sich nicht verstecken, was sie ist. Früher oder später findet einen die Polizei und dann ist man erledigt. Die haben es nicht gerne, wenn man auf ihren blendend weißen Parkbänken pennt und ihre Idylle versaut.“
Mittlerweile waren sie am Tor angelangt und Jeff begann, mit den Wachen zu verhandeln. Tatsächlich ließ dieser sie zu einem relativ günstigen Kurs durch, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sie keine Waffen bei sich trugen.
So gelangten sie in die Randgebiete der Stadt. Hier wohnten die, denen es in der Stadt zu eng war und die sich die teuren Grundstücke leisten konnten. Bäume säumten die pechschwarzen Straßen aus pyrolytischem Graphit, auf denen vereinzelt Levicars vorüberschwebten. Liz grinste.
„Das Ganze sieht ja aus wie `ne amerikanische Vorstadt aus einer dieser billigern Serien. Schau mal, ein Haus wie das andere, alle haben weiße Gartenzäune und alles ist so unnatürlich sauber.“
„Hier wuseln ja auch die ganze Zeit Putzroboter rum. Ich glaub man muss schon ein ganz schöner Kleingeist sein, um hier zu wohnen. Soll halt das Paradies für Familien sein. Aber besser als das Scheißleben auf unserer Müllhalde ist es allemal.
„Und dein Freund wohnt hier?“
„Du wirst ihn kennen lernen. Der wohnt bei seiner Mutter im Keller und kommt nur nach draußen, um sich mit Pizza und Bier einzudecken. Ist ein komischer Kerl, aber auf seine Art ein Rebell - Ach, wir sind schon da.“
Statt zu klingeln gingen sie um das Haus herum betraten es durch die Hintertür.
<piep> <piep> <piep><piep><piep><piiiiiiiiiieeeeeeeep>
Hastig drückte Jess seinen Daumen auf ein Pad an der Wand.
Eine metallene Frauenstimme intonierte:
„Hallo Jess. Fast hätte ich dich in die Luft gesprengt. Das hätte mir unglaublich leid getan.“
„Ich wusste gar nicht, dass Computer neuerdings Gefühle haben. Und wenn, hätte es dir wahrscheinlich sogar noch Spaß gemacht.“
Der Computer sprach zwar mit der neutralen Normstimme, die jedes Modell seit der Auslieferung voreingestellt hatte, aber dennoch kam sie Jess irgendwie verlegen vor.
„Ach, du weiß doch, du machst jedes mal das ganze Haus dreckig und darf mich jedes Mal wieder drum kümmern, dass alles sauber wird. Und außerdem bist du nicht der richtige Umgang für den Jung…“
Den Rest hören sie nicht mehr, weil Jess den Lautsprecher neben dem Pad eingedrückt hatte.
„Dass er an seiner Mutter hängt, wusste ich ja schon, aber dass er ihr Profil in den Hauscomputer geladen hat überrascht mich jetzt schon.“
Über eine Treppe erreichten sie den Keller. Die Wände waren komplett LCD-Bildschirmfolie ausgelegt deren Sinn wohl darin bestand, Epileptiker zu töten. In der Mitte des Raumes saß eine Person mit den Rücken zu ihnen, die, umgeben von einem Berg aus Tastaturen, Eyetrackern und anderer, undefinierbarer Apparaturen aussah wie der Kommandant eines bizarren Raumschiffes.
Jeff ging auf ihn zu und tippte seine Schulter an.
„Mommm...Moment. Ich bin gleich soso weit, M…Mama!“
„Hey, ich bin’s. Jeff. Ich hab Arbeit für dich. Das heißt natürlich, wenn du dein Gehirn noch nicht komplett weggepustet hast. “
Der Hacker drehte sich um.
„Ach Jeff! Du…Du bist das. Was s…soll ich tun? Und wer ist das?“
„Ich stell euch mal vor. Liz, dass ist Emil, besser bekannt unter dem Namen Brighteye. Er ist noch ein Hacker von der alten Schule. Und das, Emil, oh, entschuldige, Brighteye ist Liz. Wegen ihr sind wir hier. Wir brauchen ein paar Infos aus der Auftragsliste der Hunter.“
„Ey, des…deswegen kommt ihr zu mir? Die Sch…Scheißliste ist öffentlich. Da ka…kann jeder ran. W…Wegen dir hab ich verloren.“
Entrüstet zeigte der Hacker auf dem Bildschirmausschnitt vor ihm. Über einer zerfetzten Gestalt erschien eine transparente Tabelle, in der ein rot markierter Name etwa zehn Plätze nach unten sackte.
„Scheiße!“
Er schlug mit der Faust auf eine Konsole und die Tabelle und verschwand.
„A…Aber wenn ihr sch…schon hier seit, dann k…kann ich euch auch helfen.“
Liz zog einen Zettel aus der Tasche.
„Also, schau mal nach, ob ein Auftrag für den Gencode 2P45Nxxxx mit der Größenklasse E, F oder G raus gegangen ist.“
„Warte, da…da haben wir’s schon. Der ist echt spacig. Der hat Pri…Prioritätsstufe Eins mit Ex…Extrabelohnung für größere Übereinstimmung mit dem Ge…Gesamtcode. Außerdem wurde er upgedated. .Er…Erst nur zwei Arme u…und ein Bein und etwa vierzig Stunden später n…noch Rück…Rückenmark. Mich wund...wundert aber, dass trotz der abgefahrenen Belohnung da…das Rückenmarkt immer noch…noch nicht da ist.“
Jeff musste lachen.
„Liz, lass uns deine Wirbelsäule verscheuern. Dann sind wir reich!“
„Ha, ha. Ich wäre jetzt eher an den Namen von dem Auftraggeber interessiert als an schlechten Witzen.“
„Da…Das ist schon eher eine Aufgabe für mich. Da…Dafür muss ich in die Datenbank. Das d…d...dauert einen Moment. Da hi…hinten ist noch Pizza, die k…könnt ihr euch warm machen. U…Und im Kühlschrank ist Bier.“
Die beiden machten es sich gemütlich.
„Liz, was willst du eigentlich mit dem Auftraggeber machen?“
„Ich werde mir das holen, was mir gehört. Was ich dann mit dem Typen mache, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall wird er es bereuen. Hilfst du mir?“
„Hört sich nach einer Menge Spaß an. Ich denk, ich mach mit. Aber wir sollten das Ganze mit ein wenig Überlegung angehen. Wir werden wohl kaum Waffen hinein schmuggeln können. Und hier drin kriegt man keine.“
Jeff wollte noch etwas sagen, wurde aber von dem Hacker unterbrochen, der sich gerade zu ihnen gesetzt hatte.
„Un…Unterbrecht mal eure Mo…Mordfantasien. Ich ha...hab die Adresse, Her…Herbert Krahl. Ist nur ein p…p…paar Straßen von hier. Wo…Wollt ihr noch bleiben? “
Liz versuchte dem Mundgeruch zu entkommen und sagte:
„Später kommen wir vielleicht noch einmal wieder. Aber erst einmal habe ich noch eine Rechnung zu begleichen.“
Nach diesen Worten ging sie hinaus.