Die spiritistische Sitzung
Prof. Scarter hatte das Alionti-Haus nur deshalb so preisgünstig erwerben können, weil es in einem ausgesprochen schlechten Ruf stand. Die Verbrechen von Romano Alionti - der als Würger von Jackstone bekannt geworden war - hatten selbst die geldgierigsten Spekulanten abgeschreckt, da sie kaum mit einem günstigen Weiterverkauf in nächster Zeit rechnen konnten.
Der Professor arbeitete seit geraumer Zeit an einem Buch über praktischen Okkultismus und brauchte dringend einen Ort, an dem er ungestört seine Experimente durchführen konnte. Und dafür war dieses Haus wie geschaffen.
Prof. Scarter hatte uns zu sich gebeten, weil vor kurzem ein Medium sein Interesse geweckt hatte, an dem er ein übergroßes Maß an Sensitivität entdeckt zu haben glaubte und mit dem er eine spiritistische Sitzung abhalten wollte. Es sollten außer dem Medium und ihm daran teilnehmen: der Arzt Dr. Falsent, der Rechtsanwalt Mr. Bretone und ich, William Lenghtborow, von Beruf Journalist.
Wir waren alle zur verabredeten Zeit erschienen. Warum Mr. Bratone eingeladen worden war, ob er beruflich interessiert, oder ob ihn ein freundschaftliches Verhältnis mit dem Professor verband, wusste ich nicht. Von Dr. Falsent hatte ich allerdings gehört, dass er einer der erbittertsten Kritiker der von Prof. Scarter vertretenen Theorien war. Auf mich mochte der Professor durch einen meiner Aufsätze aufmerksam geworden sein, in dem ich mich mit den Methoden der Geistchirurgie auf den Philippinen auseinandergesetzt hatte und der im "Other World", einer Zeitschrift für Grenzgebiete der Psychologie, vor einiger Zeit erschienen war. Ich hoffte Anregungen zu bekommen, die ich journalistisch irgendwie verwenden konnte.
"Okkultum, meine Herren", leitete der Professor ein, nachdem er uns begrüßt hatte, "bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes, das Verborgene. Der Okkultismus ist die Lehre von verborgenen Tatsachen der Natur und des Seelenlebens, die mit unbekannten Kräften und Ursachen verknüpft und häufig an besonders begabte Personen gebunden sind. Man kann sagen, der Okkultismus ist ein Gemisch aus Täuschungen und Tatsachen. Es gibt kaum ein okkultes Phänomen, das nicht auf die eine oder andere Weise nachgeahmt werden kann. Und diese Nachahmungen geschehen deshalb, weil die wirklich echten Erscheinungen äußerst selten sind, aber, und darauf sei mit Nachdruck hingewiesen, tatsächlich existieren.
Ich habe zwar in meiner Einladung an sie bemerkt, ich sei auf ein hoch sensibles Medium aufmerksam geworden, doch kann es auch sein, dass ich einem geschickt angelegten Betrug aufgesessen bin. Um also eine Täuschung bei dieser Sitzung möglichst auszuschließen, möchte ich sie, meine Herren, auffordern, kritisch zu beobachten. Falls sie aber dennoch zu dem Ergebnis gelangen sollten, es handele sich hier nicht um Zaubertricks, sondern um echte okkulte Phänomene, würde ich sie bitten, gemeinsam mit mir ein Protokoll über die Geschehnisse aufzusetzen und dieses durch ihre Unterschrift zu beglaubigen."
Nach diesen Worte verließ der Professor das Zimmer, um aber gleich darauf in Begleitung einer Frau zurückzukehren, die er uns als Mrs. Donelake vorstellte.
Das Medium war eine Person in mittleren Jahren, mit schwacher, leiser Stimme und müden Bewegungen. Ihr Gesicht hatte einen leidenden Zug, der auf Krankheit, nervöse Erschöpfung oder Kummer schließen ließ.
Der Professor führte uns ins angrenzende Schreibzimmer, wo die Sitzung stattfinden sollte.
Das Zimmer war recht groß und hatte zwei Fenster zur Straßenseite hin. Neben dem einen Fenster, in der Ecke, befand sich ein Schreibtisch. In der Mitte des Raumes, gegenüber einer riesigen, mit Büchern vollgestopften Schrankwand, stand auf einem Teppich ein ovaler Tisch. Die Tischplatte wurde von einer massiven Mittelsäule getragen, die in drei Füßen auslief.
Wir setzten uns sogleich um den Tisch; das Medium am Tischende, ich links, gegenüber dem Schreibtisch, Mr. Bratone rechts von mir, der Professor dem Rechtsanwalt gegenüber und schließlich der Arzt rechts vom Medium. Alsdann wurden wir aufgefordert eine Kette zu bilden, die Hände weit ausgestreckt, damit sich unsere kleinen Finger gegenseitig berühren konnten. So war es unmöglich, mit den Fingern oder Handballen gegen oder unter den Tischrand zu drücken. Ein Heben des Tisches war nur durch die Knie oder Füße möglich, doch saß ich immerhin so dicht neben dem Medium, dass sich unsere Beine berührten.
Die Frau erhob sich, um das Licht der Petroleumlampe über dem Tisch herunterzuschrauben. Im ersten Augenblick erschien das Zimmer dunkel. Bald aber gewöhnten sich meine Augen an das Schummerlicht und ich konnte nicht nur die Umrisse der Anwesenden, sondern auch alle Einzelheiten genau erkennen.
Wir saßen lange schweigend und still da, ohne dass sich das mindeste ereignete. Die Stille wurde immer drückender. Ich empfand allmählich Mitleid mit der blassen Frau, die so abgespannt neben mir saß und sich kaum noch aufrecht halten konnte. Simuliert schien es jedenfalls nicht zu sein, ihr Gesicht war leichenblass, ihr Atem ging mühsam. Der Kopf sank langsam auf die Brust herab und ihr Oberkörper lehnte schwer gegen den Tisch. Ich konnte das wachsbleiche Gesicht mit den zusammengepressten Lippen und den geschlossenen Augen genau betrachten.
Das Medium stöhnte mehrmals schmerzlich, nahm sich dann jedoch wieder zusammen und setzte sich zurecht, um aber gleich darauf wieder nach vorn zu sinken.
Plötzlich gewahrte ich ein leichtes Schwanken des Tisches, das rasch in ein ausgedehntes Schaukeln überging. Die Frau saß regungslos, wie im Traum versunken da. Ich konnte absolut nichts Verdächtiges entdecken. Gleich darauf aber hörte die Erscheinung auf und schweigend warteten wir weiter.
"Unter ihrem Stuhl ist Licht", flüsterte der Professor Dr. Falsent zu. Wahrhaftig! Ein mattes diffuses Leuchten umgab den Doktor. Man konnte ihm ansehen, dass er sich nicht recht wohl in seiner Haut fühlte.
Und dann geschah etwas, das mich in noch größeres Erstaunen setzte: Es begann zu klopfen. Das Klopfen klang wie schwere Hammerschläge, trocken und scharf. Sie waren nicht auf dem Tisch und nicht unter dem Tisch, sondern kamen direkt aus der Mitte der Tischplatte, aus dem Holz. Ich fühlte mit meinen Händen deutlich das Vibrieren der einzelnen Schläge.
Das Medium saß regungslos, wie entgeistert da, mit herabhängendem Kopf. Nicht das leiseste Zucken der Hände war zu merken und auch die Knie schienen unbeweglich.
Da hörte ich ein leises, aber deutliches Knacken im Tisch und plötzlich hob er sich mit solcher Gewalt und Schnelligkeit, dass wir alle erschrocken aufsprangen. Der Tisch schwebte nun vor unseren ungläubigen Blicken etwa einen halben Meter über dem Boden. Die Unterbrechung der Kette, die wir gebildet hatten, schien ohne Einfluss auf ihn zu sein.
Ein heiseres Lachen erklang aus der Richtung des Mediums. Ich trat noch einen weiteren Schritt zurück, um besser sehen zu können. Die Frau war nicht, wie wir, zurückgewichen, sondern saß noch immer auf ihrem Stuhl, jetzt jedoch kerzengerade. Die Haut ihres Gesichtes hatte sich dunkel verfärbt und ihre Stirn durchzogen tiefe Linien. Dann begann sie, mit einer Stimme, die völlig verändert klang, beziehungslose, unzusammenhängende Sätze hervorzustoßen.
Entsetzt beobachtete ich, wie sich ihre Züge verkrampften und Schaum vor ihren Mund trat. Die Zähne des Mediums knirschten, bis sich der Schaum auf ihren Lippen mit Blut vermengte. Sie verdrehte die Augen und röchelte; beide Hände hatte sie erhoben, als wolle sie etwas Unsichtbares abwehren.
Spielte uns die Frau etwas vor, dann, das musste man zugeben, war sie eine ausgezeichnete Schauspielerin.
Doch dann geschah etwas Unglaubliches!
Es war, als ob ein leichtes phosphoreszierendes Nebelgespinst sich um ihre Gestalt wob. Sie selbst und ein Teil des Tisches wurden unsichtbar, oder vielmehr wie von einem Schleier durchzogen. Man sah dicht über ihrem Haupt ein schwach leuchtendes Etwas, das einem Kopf mit schwarzen, strähnigen Haaren glich. Ziemlich weit davon entfernt, wurden zwei isoliert schwebende schwielige Hände erkennbar, die sich zuckend dem Hals des Mediums näherten.
Da, plötzlich, schoss der Tisch herab, schräg zu meiner Seite hin, so dass ich mich nur durch einen schnellen Sprung nach hinten vor einer Verletzung bewahren konnte. Er landete mit solcher Gewalt auf dem Boden, dass der eine Fuß abbrach und krachend gegen die Wand flog. So stand er nun schief, nur zum Teil noch auf dem Teppich, in der Nähe der Bücherwand.
In der Aufregung hatte ich nicht bemerkt, dass die Frau zu Boden gestürzt war. Prof. Scarter war der erste, der wieder zur Besinnung kam und sofort, an dem Tisch vorbei, zu dem Platz hinstürmte, an dem das Medium noch eben gesessen hatte.
Die Frau lag mit weit hervorquellenden Augen da. Und als ich genau hinschaute, sah ich die Würgemale an ihrem Hals...
[ 29.06.2002, 15:18: Beitrag editiert von: GKL ]