Die Spinne und der Wurm
Raus aus dem Regen betrat er die Bar. Es war ein plötzlicher Regen, kurz zuvor schien noch die Sonne. In der Bar war eine angenehme Wärme, nur ein bisschen muffig roch es. Sein langes schwarzes Haar glänzte durch die Wassertropfen. Er hatte seine Kapuze nicht rechtzeitig über den Kopf ziehen können.
Etwas seltsames durchdrang diese Bar, wie ihm durch eine kleine Observierung auffiel. An dem Tresen saß eine junge Frau und nippte an ihrem Gin Tonic, während der Barmann seine Zahlen durchzugehen schien. Ein Tisch in der Ecke wurde durch ein spärliches Licht beleuchtet, wo ein junges Ehepaar saß. Sonst war kein einziger weiterer Gast anwesend. Die Wände, einst in einem kräftigen Rot gestrichen, blätterten nunmehr ab. Der Stuck an der Decke verlor sich in Blättergold. Niemand schien ihn zu bemerken. Er war weder besonders geräuschvoll noch auffällig in die Bar getreten, dennoch hatte man deutlich die Tür ins Schloss fallen hören und auch hatten seine Schuhe, bei den zwei Schritten hinein, ein wenig gequietscht. Dennoch drehte sich keiner der Anwesenden zu ihm um oder veränderte die Haltung. Er fühlte sich wie ein unsichtbarer Beobachter. Das Paar saß nebeneinander, an sich nicht besonders merkwürdig, jedoch taten sie dies relativ steif und ihre Blicke waren nach geradeaus gerichtet. Die Hände von dem Mann waren beide auf dem Tisch, während die Frau ihre geschlossen im Schoß hielt. Würde sich der Mund der Frau nicht leicht bewegen und der Mann nicht in gewissen Abständen nicken, könnte man meinen sie unterhielten sich gar nicht.
Die Stille in der Bar zerschnitt die Luft und er fühlte sich mehr wie ein Eindringling, hatte aber gleichermaßen Angst der Szenerie den Rücken zu kehren und zu gehen. Ganz so als könnte die Frau an der Bar daraufhin mit einem Messer auf seinen Rücken zielen. Ihre Ausstrahlung war aggressiv und gleichzeitig hoch-erotisch, ihre Präsenz beeindruckte ihn. Er konnte nicht länger tatenlos herumstehen. Die Aufmerksamkeit sollte lieber nicht auf ihn gelenkt werden. Rausgehen konnte er auch nicht. Wie in einer normalen Bar verhalten, dachte er sich und schritt langsam Richtung Tresen. Ließ, wie es die Höflichkeit gebot, einen Barhocker zwischen sich und der Dame und räusperte sich.
Die ganze Szene änderte sich schlagartig. Der Barmann schaute von seinen Büchern auf, die Dame richtete ihren Blick ebenfalls auf ihn und die Frau am Tisch hörte mit ihrem kaum merklichen Getuschel auf. Er fühlte sich, als hätte er was Unrechtes getan, sich ungefragt eingemischt oder etwas verursacht, von dem er nicht mal wusste, was es war. Verunsichert beschloss er seinem Räuspern einen Sinn zu geben und um ein Getränk zu bitten. "Ein Whiskey - auf Eis, bitte." Der Barmann nickte kaum merklich, die Frau neben ihm richtetet den Blick wieder auf ihr Getränk und das tonlose Geräusch eines Flüstern hinter ihm begann erneut. Nur diesmal konnte er es verstehen.
"Zeit kann sich drehen, Zeit kann sich ändern. Der Morgen tötet die Nacht, der Abend den Tag. Dreh dich kleiner Wurm, dreh dich. Das Netz der Spinne ist schnell gespannt. Sicher bist du in der warmen Erde, doch verlässt du sie, kann die Spinne dich einfangen. Sie kann dich sehen, sie kann dich riechen, sie hört jedes Atmen."
Der Barmann reichte ihm sein Whiskey, er trank einen Schluck und verstand. Nun war auch er ein Teil dieses Bildes, gefangen in dem Netz der Zeit, wie der Wurm von der Spinne.