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Die Sinnlosigkeit des gemeinsamen Zeitungslesens

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17.12.2002
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Die Sinnlosigkeit des gemeinsamen Zeitungslesens

Die Sinnlosigkeit des gemeinsamen Zeitungslesens
(Die Namen wurden vom Verfasser bewusst verändert)

Morgens halb elf in Deutschland am Wochenende. Tatort: Esszimmer. Ich sitze mit meinen Eltern scheinbar gemütlich am gemeinsamen gedeckten Frühstückstisch beim Frühstück. Die Brötchen sind geschmiert; der Kaffee ist trinkfertig und wartet nur noch darauf, tassenweise zur allgemeinen Ermunterung den Rachen hinabzufließen. Alles ist soweit in Ordnung, harmonisch; nur eines fehlt noch: Die allmorgendliche Lektüre, die Tageszeitung. Meine Mutter wendet sich noch leicht schlaftrunken, mehr fordernd als fragend, an meinen Vater:
„Gunnar, holst du mal die Zeitung aus dem Briefkasten?“
Mein Vatertier begibt sich auf seinen gewohnten Marsch Richtung Postbehälter und erreicht drei Schlücke Kaffee später wieder den Umschlag-Platz der Morgenorgie, die Zeitung in der Hand. Nun gibt es da aber da eine kleine Problematik. Wir drei lesen alle recht gern die Zeitung. Für mich persönlich darf das Zeitungslesen für den Start in den Tag nicht fehlen. Leider hat unsere Zeitung, die Schwäbische, nur zwei Teile. Das heißt, zwei können lesen und sich um die beiden Teile streiten, und einer muss warten. Den Anfang dabei kann meistens ich machen.
So nimmt die Katastrophe dann ihren Lauf. Mutter an Vater:
„Gibst du mir mal den Hauptteil?“
Vater:
„Den wollte ich aber zuerst lesen. Nimm du doch erst einmal den Landesteil.“
Meine Mutter ist entrüstet:
„Warum soll ich immer als erstes den Landesteil nehmen? Nimm du ihn doch mal!“
Mein Vater gibt sich geschlagen und überreicht das Objekt der beidseitigen Begierde. Ich werde dabei als Sohn im Korb natürlich nicht nach meinen Leseinteressen gefragt; mir bleibt die Rolle des
Nur-Früstückers überlassen; für die Zeitung stehe ich vorerst auf der Warteliste. Ich nehme die Rolle widerwillig an und schaufle schweigend meine Frühstücks-Komponenten in den Bauch. Keiner sagt ein Wort. Ich hätte genauso alleine frühstücken können.
Zehn Minuten darauf folgt die nächste Stufe:
Der Vater hat, wenn auch nur flüchtig, den Landesteil abgeschlossen. Er bittet um einen Austausch. Mutter, die gerne etwas intensiver liest, hat damit ein kleines Problem.
„Könntest du bitte warten, bis ich mit meinem Teil fertig bin?“
„Aber vorher wolltest du doch unbedingt gleich den Hauptteil haben!“, meint mein Vater energisch.
„Inzwischen hab ich aber im anderen Teil etwas Interessantes entdeckt!“
Vater wartet ungeduldig. Nach weiteren fünf Minuten wechseln die Teile den Besitzer. Ich gehe wieder leer aus. Allmählich tritt eine Erweiterung in diese Szene: Die ersten Gesprächsfetzen, die sich nicht auf den Zeitungswechsel beziehen, fallen.
„Stell Dir vor“, leitet Mutter ein, den Mund voll Brot, „jetzt wollen die doch glatt die Rentenbeiträge erhöhen.“
„Hmhm,“, gibt Vater nur von sich.
„Was meinst du eigentlich dazu? Erhöhen oder erniedrigen?“
„Ja, du hast schon recht.“, gibt der Vater zusammenhangslos von sich.
Mutter packt härter an:
„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“
„Natürlich. Ja ja, die Rentenbeiträge. Ist ja schon so ne Sache.“
„Das war aber jetzt nicht die Antwort auf meine Frage.“
„Du Maria, nimms mir nicht übel, aber ich möchte erst diesen Artikel hier fertig lesen.“
Mir wird es schon langsam zu ungemütlich, zumal die beschriebene Szenerie nicht selten in Erscheinung tritt.
Beide sind nun wieder fest in zwei völlig verschiedene Artikel vertieft. Nach einer gewissen Zeit ist Vater mit seinem Artikel fertig; er dreht den Spieß um und löchert die Mutter:
„Stell Dir vor, jetzt haben sie wieder eine neue Raumfähre ins All geschickt.“
Mutter entgeistert:
„Würdest du mich jetzt bitte in Ruhe lesen lassen?!“
Langsam aber sicher ist mir die Lust auf die Zeitung sowie auf weiteres gemeinsames Frühstücken gründlich vergangen. Trotzdem nehme ich wenige Minuten später die komplette Zeitung kommentarlos entgegen. Das Warten soll sich ja zumindest gelohnt haben. Ich durchblättere das große Ding, entdecke ein paar lesenswerte Zeilen. Meine Laune hat sich bereits wieder um einige Grad gehoben, als sich auch schon das nächste Problem anbahnt:
Meine Eltern kommen ins Gespräch. Ich versuche, mich nicht ablenken zu lassen und bleibe zielstrebig an den Zeilen dran:
‚Die Bundesregierung plant, die Rentenbeiträge auf 19,5 % zu...’
Meine Eltern beginnen nun, von beiden Seiten auf mich einzureden
„Was hast du denn heute noch so alles vor, Michael?“ (Mutter)
„Wie läuft es denn bei dir so bei der Arbeit, Michael?“ (Vater)
Ich gebe eine möglichst knappe Antwort von mir, um gleich weiterlesen zu können.
„Alles mögliche.“ (an Mutter)
„Geht schon.“ (an Vater)
Meine Eltern geben sich erstaunlicherweise mit der Antwort zufrieden. Es geht weiter.
‚...erhöhen. Finanzminister Eichel hat dagegen eingewendet, dass...’
„Sag Michael, wie geht es Horst denn so?“
Ich nur:
„Gut, gut.“
‚...diese Erhöhung für den normalverdienenden Staatsbürger nicht...’
„Und was macht er jetzt beruflich?“
Nun reicht es mir endgültig. Sie mögen mich zwar jetzt als penibel bezeichnen, aber ich muss beim lesen einfach so weit wie möglich meine Ruhe haben, und wenn ich auch noch eine knappe halbe Stunde lang auf die Zeitung warte, mir dabei ein sinnloses Gezanke um dieselbe mit anhören muss, um mich dann auch noch volllabern zu lassen, wenn ich sie endlich lesebereit habe, dann entspricht das einfach ganz und gar nicht meiner Vorstellung von einem gemütlichen und ruhigen Frühstück. Ich gebe eine letzte Antwort
„Mutter, das erzähl ich Dir später. Ich muss noch was erledigen“,
packe die Zeitung, verlasse den Tisch und verziehe mich nach oben in meine Wohnung. Hier habe ich endgültig meine verdiente Ruhe und kann mich letztendlich doch noch auf die Zeitung konzentrieren. Jetzt sollte man nur noch etwas zum Frühstücken haben. Macht auch nichts aus. Hauptsache Ruhe. Ich setze den Leseblick wieder auf:
‚...vorteilhaft ist.’
„Vorteilhaft ist? Worum ging es in diesem Artikel eigentlich noch mal? Macht wohl keinen Sinn, nur weiterzulesen. Ich setze wieder ganz vorne an:
‚Die Bundesregierung plant, die Rentenbei...’
„Michael, Horst ist am Telefon!“
Das war’s dann wohl vorerst.
Was bleibt unterm Strich übrig von diesem Morgen? Mir wurde das Frühstück vermasselt und ich hab lediglich vier Zeilen in der Zeitung gelesen. Der Tag ist gründlich im Eimer.

 

Hallo franky36!

Eine nette Familienidylle, die Du da beschreibst. :lol:

Ich fand Deine Geschichte ganz gut zu lesen, obwohl Du am Stil schon noch etwas feilen könntest. Etwa hier:

Ich sitze mit meinen Eltern scheinbar gemütlich am gemeinsamen gedeckten Frühstückstisch beim ebenso gemeinsamen Frühstück.
Daß Du das "gemeinsam" hervorheben willst, ist mir klar, aber es wirkt so künstlich betont, das sollte unabsichtlich wirkender gehen...

Den Inhalt fand ich lustig und nachdenklich machend zugleich, eigentlich ist es schon eine Satire.
Es gibt ja viele solcher Familien und manchmal ist es auch der Fernseher, der das miteinander Reden verbietet...

Ein paar Anmerkungen hab ich noch:

Tassenweise
- tassenweise
überreicht das beidseitige Objekt der Begierde.
- würde schreiben: das Objekt der beidseitigen Begierde - oder der gemeinsamen Begierde
Sohn im Korb
- hat mir sehr gefallen der Ausdruck :lol:
Ich hätte genauso alleine frühstücken können.
- "genausogut" fände ich besser
10 Minuten
- zehn Minuten - Zahlen bitte ausschreiben, solange sie keine Wortungetüme ergeben. ;)
wechseln dir Teile den Besitzer
- die Teile
den Mund voll Brot „jetzt wollen die ..."
- Brot, "jetzt
-„Hmhm,“, gibt Vater nur von sich.
- "Hmm", gibt Vater ... - Die Striche am Beginn der Zeile beim Dialog kannst Du Dir sparen, da Du ja ohnehin eine neue Zeile beginnst, was sowieso die beste Lösung ist. ;)
meine Laune hat sich bereits wieder um einige Grad gehebt, als sich auch schon das nächste Problem anbahnt:
- gehoben, anbahnte
„Mutter, das erzähl ich Dir später.“,
packe die Zeitung
- ohne Punkt in der direkten Rede, der Zeilenwechsel ist hier unnötig
Ich setze den Leseblick wieder an:
- wieder auf

Diese Zeilen...
Das war’s dann wohl vorerst. Resultat: Mir wurde das Frühstück vermasselt und ich hab insgesamt lediglich vier Zeilen in der Zeitung gelesen. Der Tag ist gründlich im Eimer.
...sind zu viel. Der Schluß macht sich besser, wenn sie nicht da stehen. Du hast uns die Geschichte ja erzählt, Du brauchst sie nicht am Ende zusammenfassen...;)

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Häferl

Danke für deine Tipps. Ich werde sie beherzigen.
Na ja, Idylle kann man diese Situation ja nicht gerade nennen, aber ansonsten ist bei uns in der Familie alles in Ordnung.
Ich denke auch, dass so was in mehreren Familien vorkommt. Mit dem Fernseher ist das Ganze natürlich noch schlimmer. Wenn man zu zweit davor sitzt, dann ist es so, als säße man alleine davor.

Schöne Weihnachten,
Gruß Frank

 

Hallo Kristin

Danke für Deine konstruktive Kritik. Du hast vollkommen Recht: Da lässt sich noch einiges verbessern. Ich werde das baldmöglichst tun.
Mir ist gerade aufgefallen, dass es bei Euch auch noch eine Sparte Alltag gibt. Ich werde die Geschichte mal dort "einpflanzen". Wie mache ich das am besten, ohne die bisherige Kritik zu verlieren?

Gruß, schöne Weihnachten,
Frank

 

Hallo Kristin

Danke vielmals für dieses Quasi-Weihnachtsgeschenk.

Mfg Frank

 

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