- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Die Silberhufe
In einem weiten Kreis kauern dunkle Gestalten um ein Feuer. Es duftet nach gebratenem Fleisch. Die Laute der Männer ähneln eher Tiergeräuschen denn menschlichen Sprache. Ihre Bewegungen und Gesten sind wild und unkontrolliert. In schwarz bemalte Gesichtern flackern unheimlich Schatten der Flammen und lassen ihre Gesichtsausdrücke geisterhaft wirken. Jeder Jäger trägt Tierknochen und Federn als Schmuck und Felle, Werkzeuge und Waffen an seinem Körper.
An ihren Beilen, Sperren und Klingen trocknet das Blut von der Jagd des Tages. Die erfolgreiche Jagd endet hier in einem Fress- und Saufgelage.
Einer der Männer erhebt sich. Er trägt ein dickes Tierfell über seinem Körper und hat mächtige bärenartige Hände. Aus dem schwarzen Gesicht, blitzen zwei mächtige Augen hervor und tasten sich durch das Chaos des Festes. Als er sich einen Überblick verschafft hat, hält er den Tierkopf eines weißen Hirsches am Geweih hoch und zeigt ihn in die Runde. Mit einem tiefen Grunzen erzwingt er ein plötzliches Schweigen der Männer. Die Blicke aller Versammelten vereinen sich auf dem abgeschlagenen Tierkopf in der Hand des Anführers. Eine schreckliche Geräuschkulisse von Angstschreien bringt das Feuer zum Flackern und die Erde zum Zittern. Der Tierkopf scheint die Männer zutiefst zu änstigen.
Die Hunde, die im Umkreis der Lagerstelle umherstreunen, schleichen sich winselnd immer näher um das Feuer. Unauffällig nähert sich die Dunkelheit den Angsterfüllten Hunden und Jägern. Zur Erde gedrückte Grashalme zittern und werden von dem unsichtbaren Atem der Finsternis in Bewegung versetzt. Kraftvolle, Tierfett verschmierte Hände umklammern krampfhaft die Jagdwaffen.
Die Finsternis bewegt sich auf das Feuer zu und teilt sich in viele dunkle flinke Schatten, die sich auf die überraschten Männer am Feuer stürzen. Mit Fackeln und ihren Jagdwaffen versuchen die Männer sich zu verteidigen. Das Geschrei der Verletzten, Sterbenden, der jammernden Hunde und das Pfeiffen der Klingen, die Luft durchschneiden schreien ein erschütterndes Echo in den Wald hinein. Dicke Tannenstämme bringen dem Schlachten stumme Aufmerksamkeit entgegen.
In dem undurchsichtigen Kampfgetümmel fliegt ein glänzender Silberreif durch die Luft. Einer der verzweifelten Jäger fängt den faustgroßen Silberreif mit der Spitze seines Sperres auf. Es gelingt ihm aus dem Kriegsschauplatz seiner sterbenden Gruppe zu entkommen und im dichten Gestrüpp der angrenzenden Wäldern Zuflucht zu finden. Sein Herz pocht, er kniet und schaut schaubend auf das Schmuckstück.
Angstschweiß beschleunigt seinen tierischen, röchelnden Atem und eine tiefe Schnittwunde am Bein erschwert seine Flucht. Trockene Zweige knacken. Er vermutet und fürchtet die ihn verfolgenden mörderischen Schatten. Blut tropft auf den Waldboden und legt seinen Verfolgern eine Fährte. Überstürzt hastet er durch die dichten Wald, stolpert und er spürt wie der Verlust des Blutes seinen Körper schwächt.
Mit seinen Blut verdreckten Händen biegt er Äste zur Seite. Es öffnet sich ein Blick auf schwache Feuerpunkte eines Dorfes, das sich auf einer Lichtung vor ihm ausbreitet. Das Geschrei eines Kinder kommt aus einem der eng beisammen stehenden Lehmhäuser.
Bevor er auf das Dorf zuläuft, schaut er noch einmal auf den Silberreif. Er leuchtet und legt eine angenehme Wärme auf die Hand des zu Tote Gehetzten, der während der Flucht unermessliche Kräfte entfaltet hat und inmitten des Dorfes tot zusammenbricht. Blut läuft aus seiner Nasen und seinen Ohren.
Die Frauen im Dorf finden den Toten am nächsten Morgen. Eine böse Ahnung schleicht sich in die Herzen der Frauen. Jeder der Frauen verspürt den Schmerz, sie wissen dass ihre Männer tot sind. Schweigend verschanzen sie sich in ihrne Häusern.
Am selben Tag humpelt eine kleine bucklige Frau den Weg zum Bach entlang, um ihre Tierhäute mit frischen Wasser zu füllen. Sie entdeckt ein kleines Rinnsal rotes Wassers im Bachbett. Die Farbspur führt sie flussaufwärts. Nach wenigen Bachbiegungen beugt sie sich zu einer Leiche im Fluss, aus deren Ohren und Nase Blut in den Bach entrinnt. Ein zweiter toter Jäger, der vor der heranrückenden Finsternis floh und ohne dass Wissen, dass ein anderer Jäger seiner Gruppe mit einem gleichen Silberreif der tötenden Schatten enkam. In seiner starren Hand glitzert ein faustgroßer Silberreif. Die Starre des Toten gibt den Reif nicht frei. Voller Habgier schneidet die gierige Frau die ganze Hand ab und nimmt den Reif an sich.
Im Dorf wird die gefunden Leiche auf der Dorfstraße auf einem Feld verbrannt. Der Silberreif trotze den Flammen und die bucklige Frau sieht ihn bei ihrer Rückkehr vom Wasserholen in der schwarzen Asche glitzern. Mit der Gier einer Elster nimmt sie den zweiten Reif an sich. Beide bewahrt sie in einer festverschlossenen Truhe auf. Mit ihren langen Fingernägeln kratzt sie auf dem glatten Silber des Reifes und erschauert vor dem heulenden Geräusch der Silberreife..
Außer der buckligen Frau weiß niemand von der Existenz der beiden Silberreife.
Niemand spürt die Schatten, die Dunkelheit die selbst an sonnigen Tagen sich immer mehr dem hilflosen Dorf nähert.
Die beiden Silberreife wurden dem weißen Hirsch entwedet, es waren seine Hufe, die von den Jägern entfernt als Trophäe wurden.
Die Entsetzlichkeit der beiden Silberreife, macht die alte bucklige Frau zu einer sich selbsthassenden bösartigen und giftigen Alleingängerin. Der näher kommenden Schatten haben ihr Herz längst erobert. Ihre Angst vor dem Unbekannten Dunkel kommt zu spät. Sie ist längst zu einem Spielzeug des Bösen geworden.
Unter Anstrengugen ersteigt sie den höchsten Hügel der das Dorf umgibt und schleudet unter dem Schrei einer Sterbenden die beiden Silberreife in den Wald.
Die beiden Silberreife waren die Hufe des getöteten Hirsches. Die Jäger haben dem wald den weißen Hirsch genommen, der ihnen nicht zusteht. Die Racheknechte des toten Hirsches hüllen sich in bitter schwarze Schattengewänder.
Die Seele der Buckligen ist tot, nur ihr Körper wandelt noch verloren auf dem Hügel umher.