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Die sieben Weisen und ihr Sündenbock
Nobody schluckte schwer, als er die Nummer des Captains wählte. Das Telefon drohte durch seine schwitzigen Finger zu rutschen, denn noch niemals hatte jemand die Notrufnummer des Captains genutzt, doch nun musste er es wagen. Um fünf Uhr morgens. Er beruhigte sich damit, dass der Anlass keinen Aufschub duldete. Der Captain würde ihn schon nicht umbringen. Und falls doch, dann würde er es wenigstens schnell und schmerzlos machen. Das Telefon gab das Freizeichen und bereits nach dem ersten Tuten meldete sich die raue Stimme im gewohnt zackigen und ungeduldigen Ton.
„Ja?“ Die Stimme des Captains klang keinesfalls müde, als hätte er die ganze Nacht nur auf diesen Anruf gewartet.
„Captain, Sir? Wir haben ihn“, gab Nobody mit aufgeregter Stimme zurück.
„Wirklich? Keine Zweifel, dass er es tatsächlich ist?“
„Keine Zweifel, Sir.“
„Ich bin in zwanzig Minuten da“, entgegnete der Captain und legte den Hörer auf. Nur zwanzig Minuten später betrat er die Militärbasis und öffnete die Tür zum Konferenzraum. Es waren fünf Männer anwesend, die sich bei seinem Eintritt erhoben und salutierten.
„Weitermachen“, gab er zackig zur Antwort, nachdem er ebenfalls salutiert hatte. „Bringen sie mich auf den neusten Stand, Nobody.“
Der junge Mann erhob sich und zeigte auf eine Karte. „Um 2100 haben wir einen Anruf von unserem Kontakt in Frankreich erhalten. Er sagte, dass sie eine heiße Spur hätten.“
„Frankreich? Ich dachte er wäre im Irak?“
„Unsere Vermutungen waren falsch, Sir. Er hatte das Land bereits vor zwölf Jahren verlassen. Er lagerte südlich von Paris und wollte in nächster Zeit nach Deutschland fliehen.“
„Oh Gott, nicht schon wieder“, der Captain setzte sich fassungslos. „Sie wissen, was das letzte Mal passiert ist, als wir ihn dort vermutet haben.“
„Keine Sorge, Sir. Wir konnten ihn festsetzen und um 2200 war er bereits in Gewahrsam“, erklärte der junge Mann und versuchte sich ein triumphales Lächeln zu verkneifen.
Der Captain überlegte einen kleinen Moment und blickte dann nervös auf seine Uhr. „Wann wird er hier sein?“
„Sir, er ist bereits um 0500 bei uns abgeliefert worden. Wir haben Sie sofort davon unterrichtet.“
„Wir haben ihn“, fuhr der Captain nachdenklich fort. Ein Lächeln stahl sich für den Bruchteil einer Sekunde auf sein Gesicht. „Nach über 400 Jahren Suche haben wir ihn endlich festgesetzt. Gibt es keinen Zweifel, dass es sich um den Teufel handelt? Ich will nicht wieder so ein Doppelgängerfiasko.“
„Keine Sorge, Sir, wir haben einen Hornabgleich gemacht. Sie können sicher sein: Er ist es!“
„Wer verhört ihn?“
„Second Lieutenant Guanta, Sir“, merkte nun ein zweiter Mann an und schaute dabei kritisch in die Runde.
„Ich hoffe, er hat sich dieses Mal im Griff. Ich will nicht schon wieder einen Gefangenen verlieren, weil er gegen die Genfer Konventionen verstößt“, erwiderte der Captain.
Ein dritter Mann mit schwarzem Bart räusperte sich vorsichtig und ergriff danach das Wort. „Ist es nicht seltsam, dass wir den Teufel bereits nach 400 Jahren finden, obwohl wir nach Gott nun schon seit 1200 Jahren suchen und keine Spur von ihm haben?“
„Wir fangen nicht noch einmal diese Diskussion an, First Lieutenant Nietzsche“, versuchte der Captain einen Riegel vorzuschieben.
„Ich meine ja nur, dass wir vielleicht endlich der Wahrheit ins Auge sehen sollten. Gott ist…“
„… abgetaucht!“ fiel der Captain ihm nun deutlich härter ins Wort. „Und ich kann es ihm nicht verübeln.“
„Andererseits gibt es keinen tatsächlich greifbaren Beweis für seine Existenz“, führte ein vierter Mann an. „Bei der langen Suche hätte man doch mal etwas finden müssen. Zumindest ein Indiz.“
„First Lieutenant Locke, wir führen diese Diskussion nicht erneut. Schon gar nicht heute. Dies ist ein denkwürdiger Tag. Wir haben endlich den Teufel gefasst. Können Sie sich denn nicht die Zukunft ausmalen, die uns nun bevorsteht?“
Nietzsche legte die Stirn in Falten und lehnte sich wichtig auf den Tisch vor. „Ich fürchte, dass wir in Zukunft arbeitslos sein werden… Jetzt, da wir den Teufel haben… Und nicht nur unsere Abteilung, sondern auch die anderen Menschen, die betroffen sind. Denken Sie doch nur mal an all die Polizisten, die Richter, die…“
Ein Klopfen an der Tür ließ alle herumfahren.
„Second Lieutenant Moe Guanta meldet sich, um die Ergebnisse aus den Verhören vorzustellen, Sir“, schmetterte der Neuankömmling den Anwesenden entgegen. Die übrigen Männer schürzten die Lippen und betrachteten den Second Lieutenant mit abschätzigen Blicken. Moe Guanta war in der Abteilung nicht sehr beliebt. Er war einfältig, steif, laut und er hatte den Ruf, sich einen Dreck um die bestehenden Konventionen zu scheren. Außerdem wirkten seine Augen überdimensional groß und man hatte den Eindruck, er würde niemals zwinkern. Ein Raunen und Stöhnen mischte sich in die Runde, doch der Captain hatte keine Lust auf die nächste Grundsatzdiskussion. Zudem war ihm jede Abwechslung von Nietzsches Horrorszenario willkommen. Jetzt hatten andere Dinge Priorität.
„Ruhe, meine Herren. Bitte, was konnten Sie herausfinden, Guanta?“
„Wir haben versucht ihn mit den großen Verbrechen der letzten hundert Jahre in Verbindung zu bringen. Leider hat er bislang ein lückenloses Alibi.“
„Der 11. September?“
„Er hat ein Alibi, Sir.“
„Der Holocaust?“
„Ein Alibi, Sir.“
„Das ist unglaublich“, der Captain ordnete seine Gedanken. „Fangen wir im kleineren Rahmen an. Wie steht es um seine Verbindung zu Mihály Zichy? Gustave Doré? Tintoretto, Boticelli, Blake und Dürer? Verdammt nochmal, alle diese Menschen hatten Kenntnisse über den Teufel und über seine Biographie. Sie müssen Beweise dafür gehabt haben.“
„Was das angeht…“, Guanta zwinkerte plötzlich im Stakkatorhythmus und leckte sich die Lippen. „Sir, er verklagt alle diese Personen wegen übler Nachrede. Er bestreitet, dass er wegen seiner Taten aus dem Himmel gestürzt worden sei. Er behauptet…“, Guanta blickte nun starr an die Wand und mied jeglichen Blick.
„Raus damit!“ zischte der Captain mit schneidender Stimme.
„Er behauptet, er wäre aufgrund seiner roten Hautfarbe ausgestoßen worden.“ Guanta schluckte schwer. „Ich muss wohl nicht extra betonen, dass er ebenfalls abstreitet, für Rassismus, Sexismus und jegliche Form von Diskriminierung verantwortlich zu sein.“
„Er ist ein gerissener Mistkerl. Verdammte Schlange!“ Der Captain schlug mit der Faust ungehalten auf den Tisch.
„Psst!“ Guanta blickte sich panisch um und als er den zornigen Blick des Captains sah, zuckte er zusammen. „Er streitet auch ab, dass er Eva dazu überredet hätte, den Apfel zu nehmen. Wenn er hört, dass Sie ihn damit in Zusammenhang bringen, dann… Ich will nur nicht, dass er Sie verklagt.“
Der Captain kniff seine Lippen so fest zusammen, dass sie weiß anliefen, setzte dann aber nochmals an.
„Der Völkermord in Ruanda? Der Amoklauf in Columbine? Vietnam? Irgendwas müssen wir ihm doch anlasten können, verdammt nochmal?“
„Es tut mir Leid, Sir.“ Der Verhörexperte räusperte sich und blickte geniert auf den Boden. „Sir, er hat gestanden, dass er im Jahre 1806 einer alten Frau in England ein Bein gestellt hat, als sie über die Straße gegangen ist.“
„Wollen Sie mich für dumm verkaufen?“ schrie der Captain ihn an.
„Nein, Sir! Aber mehr konnten wir bislang nicht aus ihm heraus kitzeln. Wir versuchen ihn in eine Falle zu locken. Wenn er gesteht, dass er für das Böse selbst verantwortlich ist, kriegen wir ihn bei allen größeren Unglücken wegen Teilschuld dran.“
„Teilschuld?“ Das Gesicht des Captains lief knallrot an. „Wir haben hier den Teufel! Satan! Er ist der Leibhaftige, also bringt ihn gefälligst für den Rest der Zeit hinter Gitter! Und Sie sollen nichts aus ihm heraus kitzeln, sondern Sie sollen ihn zum Reden bringen!“
„Ich halte es für falsch, dem Satan eine Teilschuld an der Bosheit zu unterstellen“, mischte sich nun auch der fünfte Mann am Tisch ein. „Wir sind beim Satan bislang immer von dem einzigen Wesen ausgegangen das Bosheit nur aus Freude verfolgt. Er ist in gewisser Weise die Bosheit.“
„Mit Verlaub, First Lieutenant Hartmann, aber das war immer nur ihre Meinung. Ich bin der Auffassung, dass Bosheit insgesamt nur eine Konstruktion ist. Es ist höchstens eine Gesinnung, keinesfalls eine Person“, erklärte nun wieder der zweite Mann.
„War ja klar, dass der Herr Kant es mal wieder besser weiß“, raunte Nietzsche über den Tisch und verdrehte die Augen.
„Sie sollten zuhören, vielleicht würden Sie dann noch etwas lernen“, maulte First Lieutenant Kant zurück.
„Vermutungen, nichts als Vermutungen. Kann denn hier niemand etwas beweisen?“, plärrte Locke in das Gemurmel, das sich nun zu einem handfesten Streit auswuchs. Die Stimmen gingen planlos durcheinander.
„Vielleicht hatte er ja einen Komplizen.“
„Das ich nicht lache!“
„Dann wären wir wenigstens nichts arbeitslos.“
„Sie und Ihre Beweise!“
„Sie und Ihre Leichtgläubigkeit!“
„Ruhe!“ donnerte der Captain durch den Raum. „Ist Ihnen allen eigentlich der Ernst der Lage bewusst? Wir haben den Teufel endlich festgenommen und nachdem wir ihm über mehrere tausend Jahre die Verantwortung für die Schlechtigkeit anlasten…“ Kant öffnete den Mund, um etwas beizutragen, wurde aber vom Captain sofort übergangen. „…oder auch nur den Teil einer Verantwortung, erfahren wir, dass er nichts mit den schlimmen Geschehnissen der Vergangenheit zu tun haben will? Was soll ich dem Richter nun sagen?“
Dort saßen sie, die weisen Männer, und überlegten. Sie hatten den Satan gefasst, war das denn nun gar nichts wert? Was sollten sie nun mit dem Leibhaftigen anfangen?
„Ich könnte es mal mit Schneiden versuchen…“, warf Guanta halblaut ein und ergänzte dann: „Mit Schlafentzug haben wir ohnehin schon die ganze Nacht gearbeitet.“
Der Captain legte seine Stirn in Falten. „Wird das denn etwas bringen? Ich will mich nicht wieder mit Amnesty International rumschlagen müssen.“
„Wir haben mit verschiedenen Foltermethoden gute Ergebnisse erzielt. Schneiden führt schnell zum Ziel. In einer Kombination mit Schlafentzug und vielleicht einigen Schlägen, könnten wir ihn morgen geknackt haben. Wir könnten auch Drogen einsetzen, um seine Zunge zu lockern.“
„Also gut, Guanta, tun Sie, was Sie tun müssen. Ich will ein umfassendes Geständnis.“
„Jawohl, Sir“, gab der Second Lieutenant zackig zur Antwort und verließ den Raum. Der Captain richtete sich schließlich wieder an die fünf Weisen. „Wurde der Major bereits informiert?“
„Natürlich, Sir“, gab der erste Mann wieder zum Besten. „Wir haben zuerst Sie und dann ihn informiert. Er müsste bald hier sein, seine Maschine ist gerade gelandet.“
„Sehr gut, er wird wissen, was zu tun ist“, seufzte der Captain erleichtert. „First Lieutenant Nobody, ich bin froh, dass Sie so schnell gehandelt haben. Ich wusste, dass Sie unseren Mann irgendwann finden würden. Außer Ihnen, hätte das sicher niemand geschafft.“
„Danke, Sir“, erwiderte Nobody und lächelte etwas beschämt.
Die Tür schwang plötzlich voller Elan auf und herein kam ein schneidiger Mann, der ein wissendes Lächeln auf den Lippen trug.
„Major Deus“, schleuderte der Captain dem Neuankömmling überschwenglich entgegen und salutierte. „Wir haben den Satan festgesetzt, aber wir können ihm irgendwie nichts nachweisen. Haben Sie da eine Idee?“
Deus blickte in die Runde und schüttelte lächelnd den Kopf. Während er den Raum wieder verließ, winkte er süffisant und sprach einen letzten Satz:
„Macht Euren Scheiß doch alleine.“