Mitglied
- Beitritt
- 09.01.2013
- Beiträge
- 3
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Die sicherste Waffe der Welt
„Seit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika sind Waffen ein integraler Teil unserer Gesellschaft. Und wie bereits George Washington, einer der Gründerväter dieses wundervollen Landes, erkannte: 'Wer auf den Krieg vorbereitet ist, kann den Frieden am Besten wahren.' In diesem Sinne sind Waffen nicht Mittel zur Kriegsführung, sondern notwendig zur Wahrung des Friedens.“
Ein zustimmendes Raunen ging durch die aufmerksam lauschende Menge, die vorwiegend aus Presseleuten und Vertretern der Waffenlobby bestand, während Randy Peacesmith auf der Bühne ein Stück zur Seite trat, um Platz für die neueste Erfindung seines Unternehmens zu machen.
In dem mit allen möglichen technischen Vorrichtungen ausgestatteten Konferenzsaal war alles darauf ausgerichtet, den Sprecher wortwörtlich in gutem Licht erscheinen zu lassen. Die Größe des Raumes war genau so bemessen, dass ausreichend Leute Platz fanden, der Redner jedoch ohne Mikrofon auskam. Und während der Referent grundsätzlich im Rampenlicht stand, war der Rest des Raumes in sanftes Halbdunkel getaucht.
Immer wieder erhellten Blitzlichter den Saal für Sekundenbruchteile. Peacesmith kam das sehr recht. Er strebte danach, sich in der Zeitung oder im Fernsehen zu zeigen, besonders wenn es sich um Bilder von ihm in imposanter Pose handelte mit einer dazu passenden beeindruckenden Headline.
Entsprechend war der Madison-Vorfall vor gut zwei Monaten ein Alptraum gewesen. Denn danach hatte es negative Schlagzeilen gehagelt, welche das Grundrecht der Bürger auf Waffenbesitz und den Verkauf von Waffen an Privatpersonen im allgemeinen in Frage stellten. Ganz oben auf der Liste derer, die man für die Situation verantwortlich machte, stand er selbst, Randy Peacesmith, Vorsitzender und CEO der weltweit führenden Waffenmanufaktur Peacesmith Enterprises.
Andererseits jedoch war Madison auch wieder ein Segen. Denn es konnte eigentlich kaum einen besseren Zeitpunkt geben, um die aktuelle Erfindung seiner Firma vorzustellen. Heute Abend würde er dieses Desaster in einen Vorteil für die gesamte Industrie umkehren. Dessen war er sich sicher.
„Um auch in Zukunft den Frieden und die Sicherheit aller Amerikaner zu wahren“, fuhr der erfahrene Unternehmer und Multimilliardär daher gelassen fort, „arbeitet Peacesmith Enterprises, wie Sie sicher wissen, unermüdlich an neuen und besseren Waffen. Und ich denke, dass uns jetzt ein Meilenstein in der Geschichte der Waffenentwicklung gelungen ist. Etwas, das selbst den hartnäckigsten Kritiker verstummen lassen dürfte.“
Damit meinte er natürlich all jene Narren, die bei jeder unbedeutenden Schießerei, gleich nach einem allgemeinen Waffenverbot schrien. Dies waren die selben Leute, die noch immer nicht begriffen hatten, dass es nicht Waffen waren, die Menschen töteten, sondern dass es immer andere Menschen waren, die Menschen töteten.
Mit theatralischer Geste deutete Peacesmith in die linke hintere Ecke der Bühne, aus welcher nun ein kleines Tischchen hereingerollt wurde, und verkündete in dazu passend dramatischem Tonfall: „Meine Damen und Herren, die sicherste Waffe der Welt!“
Augenblicklich richtete sich die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf den kleinen, mit einem Tuch abgedeckten Tisch, welcher nun in der Mitte der Bühne von einem Bühnenarbeiter abgestellt wurde. Der Tisch stand da wie das Utensil für einen geheimnisvollen Zaubertrick.
Gemurmel erhob sich in den Zuschauerreihen. Spekulationen und Vermutungen wurden ausgetauscht, während Randy Peacesmith fast regungslos an der Seite der Bühne stand und offenbar das Gefühl genoss, als einziger im Saal zu wissen, was sich unter dem seidenen Tuch befand. Er wartete noch bis der Bühnenarbeiter wieder verschwunden war, trat dann an den kleinen Tisch heran und griff sich eine Ecke des Tuches.
Man konnte förmlich spüren, wie die Spannung im Raum ins Unermessliche stieg. Dennoch ließ sich Peacesmith Zeit. Sein Blick schweifte prüfend über die Menge, wie der eines Predigers, der sicherstellen wollte, dass auch ja alle aufmerksam zuhörten.
„Ich präsentiere Ihnen die Waffe der Zukunft“, verkündete er schließlich und zog mit einem Ruck das Tuch vom Tisch.
Für einen Moment herrschte verblüffte Stille im Saal, ehe sich die Zuschauer erneutem Gemurmel hingaben. Dieses Mal jedoch, um ihrer Überraschung und ihren Bedenken Ausdruck zu verleihen. Denn was dort auf dem Präsentiertisch lag, war eine einfache Handfeuerwaffe.
Randy Peacesmith hatte diese Reaktion natürlich erwartet. Und selbstredend war es nicht die Handfeuerwaffe an sich, mit der er das Publikum zu begeistern gedachte. Und so breitete er in beschwichtigender Geste die Arme aus und fuhr fort: „Sie wundern sich jetzt wahrscheinlich, was das soll. Eine gewöhnliche Pistole, nichts besonderes. Aber bitte, lassen Sie sich davon nicht täuschen. Denn in dieser Pistole steckt jene Technologie, die die gesamte Waffenproduktion revolutionieren wird.“
Jetzt wandte sich Peacesmith der Bühnenecke zu, aus der der Tisch hereingerollt worden war und rief den dahinter ausharrenden Assistenten zu: „Bringen Sie ihn rein.“
Im nächsten Augenblick betraten zwei Sicherheitskräfte die Bühne, welche einen Mann in Handschellen und orangefarbener Gefängniskluft vor sich hertrieben. Die Pressevertreter im Raum machten sich geschäftig Notizen. Denn bei dem Mann in dem orangefarbenen Overall handelte es sich nicht um irgendjemanden. Nein, dieser Häftling war Percy McIntosh, der berühmte Massenmörder. Und eben dieser Percy McIntosh wurde nun gebeten, sich in der Mitte der Bühne in Position zu bringen. Randy Peacesmith nahm unterdessen die Waffe vom Tisch und positionierte sich einige Meter von dem bekannten Häftling entfernt.
„Sie kennen sicher alle Percival McIntosh“, kommentierte Peacesmith, während die Presseleute mit offenem Mund dasaßen und McIntosh bestaunten. „Vor fünf Jahren war er der gefürchtetste Mörder Amerikas. Er hat Menschen in vier verschiedenen Staaten umgebracht. Insgesamt 14 Männer und Frauen hat er brutal ermordet und bekam dafür die Höchststrafe.“
Die Höchststrafe, das war natürlich eine Verurteilung zum Tode.
„Es besteht sicher absolut kein Zweifel daran“, beendete Peacesmith nun die Vorstellung des Schwerverbrechers, „dass dieser Mann in höchstem Maße böse und extrem gefährlich ist.“ McIntosh verzog bei dieser Beschreibung seiner Person keine Miene. Die Sicherheitskräfte jedoch behielten ihn mit einigem Abstand und der Hand am Halfter im Auge, bereit, ihn beim geringsten Fehlverhalten niederzustrecken.
Nun hob Peacesmith die Pistole und zielte auf den Brustkorb des Häftlings. Die Zuschauer im Saal dachten, er bluffte nur, und waren ernsthaft erschrocken, als kurz darauf ein ohrenbetäubender Schuss ertönte und Percy keuchend zu Boden sank.
Zunächst glaubten die Meisten jedoch immer noch an eine, zugegebenermaßen überraschend realistische, Vorstellung. Aber als Percy McIntosh auch nach mehreren Minuten noch stöhnend auf dem Boden kniete, machte sich Empörung breit. Die Menge war erschüttert. Rufe wurden laut und die ersten Pressevertreter zückten ihre Smartphones, um die Polizei zu alarmieren. Doch Randy Peacesmith hielt sie zurück.
„Keine Panik, meine Damen und Herren“, ertönte sogleich seine besänftigende Stimme. Und mit diesen Worten wandte er sich dem auf dem Boden kauernden Strafgefangenen zu. „Mr. McIntosh, wenn Sie uns bitte Ihre Brust zeigen würden.“
Noch immer etwas benommen erhob sich McIntosh und wandte sich dem Publikum zu. Einer der Sicherheitsbeamten kam herüber, zog den Reißverschluss des orangefarbenen Overalls auf und offenbarte so eine schusssichere Weste der neuesten Generation. Unter den staunenden Augen der Zuschauer, wurde Percival der Massenmörder nach dieser Showeinlage wieder abgeführt und Randy Peacesmith wechselte von einer Seite der Bühne zur anderen. Er war berühmt für seine pathetische Art. Es hatte allerdings unzählige Trainings und Rhetorikseminare gebraucht, ehe er so erfolgreich vor einem Publikum auftreten konnte. Denn eigentlich hatte er nur wenig Talent dafür. Er wollte immer zur Armee gehen und ins Gefecht ziehen. Er war ein Mann der Tat, kein Mann der großen Worte. Doch einer musste das Familienunternehmen weiterführen. Und sein älterer Bruder, der wirklich Talent und Interesse für große Auftritte gezeigt hatte, war bereits im Alter von 19 Jahren an Leukämie gestorben. Also sah sich nun Randy mit den Anforderungen konfrontiert, die die Position als Gallionsfigur der Waffenindustrie mit sich brachte, während sich seine Begeisterung für die Armee notgedrungen darauf beschränkte, dass er zu jeder sich bietenden Gelegenheit seinen Respekt für die „Männer und Frauen an der Front“ ausdrückte.
„Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe“, entschuldigte sich Peacesmith bei seinem Publikum für den Schock den er ihnen mit dem Schuss auf McIntosh eingejagt hatte. „Aber wir brauchten jemanden wie Percival McIntosh, um zu beweisen, dass die Pistole funktioniert“, erklärte er lächelnd. „Selbstverständlich hat Mr. McIntosh im Vorfeld zugestimmt, an dieser Vorführung teilzunehmen. Und selbstverständlich wird er für seinen Auftritt hier entlohnt.“
Auch wenn ihm das im Knast nicht viel bringen würde. Aber das behielt Peacesmith lieber für sich.
Er lud die Waffe erneut und rief wieder etwas in Richtung Bühnenecke. Dieses mal wurde ein kleines Mädchen hereingebracht und gebeten sich ebenfalls dorthin zu stellen, wo noch vor einer Minute Percy McIntosh gestanden hatte.
„Das“, erklärte Peacesmith und deutete auf das Mädchen. „ist meine Nichte, Emily. Sie ist sechs Jahre alt. Emily, begrüß doch die netten Leute einmal.“
Fröhlich winkte Emily dem Publikum zu, während Peacesmith die Pistole auf seine Nichte richtete und abdrückte.
Klick.
Das Publikum erstarrte. Es dauerte fast eine ganze Minute, ehe die Zuschauer begriffen, dass sich gar kein Schuss gelöst hatte. Und als es ihnen klar wurde, fingen alle an zu klatschen. Allerdings eher aus Erleichterung als um Anerkennung zu signalisieren.
Die kleine Emily, die von dem vergeblichen Schuss gar nichts mitbekommen hatte, freute sich über den Applaus und ließ sich, noch immer winkend, von Randy Peacesmith hinter die Bühne zurückführen.
„Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren!“, verkündete der Unternehmer, als er wieder ins Rampenlicht trat. „Es gibt gleich noch die Möglichkeit Fragen zu stellen. Aber lassen Sie mich zunächst die Grundlagen erklären.“
Und so erklärte der eloquente Multimilliardär, dass es natürlich kein Zufall war, dass die Waffe bei Emily nicht gefeuert hatte. Ganz im Gegenteil. Denn anders als Percival McIntosh sei Emily kein böser Mensch. Eben dies wisse die Waffe. Da sie dank SecureIT zwischen guten und bösen Menschen unterscheiden könne und nur los ginge, wenn es sich bei der Person, auf die gezielt würde, um jemand Böses handle.
„So werden nie wieder versehentlich die Falschen erschossen“, schloss Peacesmith seine Erklärung ab und sofort schossen überall im Publikum Arme in die Höhe und es wurden wild Fragen durcheinander gerufen. Peacesmith nickte, ließ sich einen Stuhl hereinbringen, setzte sich und eröffnete dann die Fragerunde.
„Wie genau soll das funktionieren?“ wollte der erste Journalist wissen, dem das Mikro gereicht wurde. „Ich meine, woher weiß die Pistole wer gut und wer böse ist?“
Für die Beantwortung dieser zu erwartenden Frage hatte Peacesmith extra eine kurze, computergestützte Präsentation vorbereitet, die er jetzt starten ließ. „Nun“, sagte er schließlich, als eine detaillierte Timeline auf der Leinwand hinter ihm erschien. „Seit des im Jahr 2028 eingeführten Persönlichkeitsprofiling zur Einschulung existiert, wie Sie wissen, von jedem Bürger und jeder Bürgerin ein umfassendes Persönlichkeitsprofil. Bereits aus diesem Profil lässt sich genug über eine Person erfahren, um SecureIT möglich zu machen. Doch damit nicht genug. Mit Version 2.0 greift unsere Technologie auch auf die flächendeckende Videoüberwachung, die Daten aus der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung, die verschiedenen Terrorabwehrdatenbanken und nicht zuletzt persönliche Informationen im Internet zu. Aus all diesen Daten kann sich die Software in der Waffe dann ein sehr genaues Bild von der betreffenden Person machen und trifft so, anhand von vorgegebenen Kriterien, ihre Entscheidung.“
Wieder schossen zahlreiche Hände in die Höhe. Was das für Kriterien seien und wer diese festgelegt habe, erkundigte sich der nächste Journalist erwartungsgemäß. Randy Peacesmith lieferte sogleich die vorbereitete Antwort: „Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht um irgendwelche Kriterien. Eine Gruppe von Experten hat jahrelang einen Katalog an Kriterien erarbeitet, die sich universell durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen.“
Ohne seine Erklärung zu unterbrechen, klickte Peacesmith sich zur nächsten Folie weiter. „Diese Kriterien finden sich in so unterschiedlichen Dokumenten wie der UN-Menschenrechtscharta, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, der Bibel, dem Koran, der Tora, der Bhagavad Gita, Verfassungen verschiedener Länder, Gesetzestexten aus der ganzen Welt, den Werken von Gandhi, Martin Luther King, Henry David Thoreau, Mutter Teresa, mündlichen Überlieferungen der Ureinwohner aller Kontinente und so weiter und so fort. Es handelt sich hierbei um einen sehr komplexen Algorithmus. Zum Glück verfügen wir heutzutage aber über Technologien, um eine Fülle an Informationen in kürzester Zeit mit Hilfe winziger Computerchips zu verarbeiten. Welche Kriterien die Expertengruppe genau herausgearbeitet hat, kann ich Ihnen aber nicht sagen. Da müssten Sie sie schon selbst fragen.“
Was denn passieren würde, wenn die Software in den ihr zugänglichen Datenbanken nichts über das Ziel herausfinden könne, wie zum Beispiel bei einem Tier oder einem Gegenstand, erkundigte sich ein anderer Zuschauer.
„Dann schießt die Waffe natürlich nicht“, erläuterte der CEO knapp. „Darum ist sie ja zum Beispiel auch nicht zum Jagen geeignet. SecureIT ist vielmehr für Privatleute gedacht, die Haus und Hof schützen wollen, oder sich selbst vor Übergriffen durch Kriminelle auf der Straße.“
„Ist für andere Zwecke eine Weiterentwicklung von SecureIT vorgesehen?“, fügte der Zuschauer eine weitere Frage hinzu.
„Nun, Sie müssen bedenken, dass dies hier bisher nur ein Prototyp ist“, erklärte Peacesmith, die Pistole in seiner Hand hochhaltend. „Wir werden die Technologie jetzt natürlich zunächst für Handfeuerwaffen und den genannten Einsatz verfeinern, verbessern und marktreif machen. Ob und inwiefern das Verfahren dann auch für andere Einsatzbereiche anpassbar und anwendbar ist, wird sich zeigen müssen. Bis dahin werden Sie für die Jagd auf Ihr gutes altes Gewehr zurückgreifen müssen.“
Einstimmiges Lachen erhellte den Raum. Unter den Zuschauern befanden sich mit Sicherheit einige Jäger. Immerhin besaß inzwischen jeder zweite Amerikaner eine Waffe. Während die Reporter wieder geschäftig Notizen machten, meldete sich ein Mann im hinteren Teil des Raumes zu Wort. Es dauerte etwas, bis das Mikrofon bei ihm angekommen war und er seine Frage stellen konnte, welche eher pragmatischer Natur war.
„Wenn es stimmt, was Sie da sagen und diese Waffe tatsächlich in Windeseile Daten über eine Person, auf die mit ihr gezielt wird, zusammentragen und auswerten kann“, fasste der Mann zusammen, dessen Dialekt ihn als Bewohner New Englands identifizierte. „Dann müsste doch auch eine Art Erkennungstechnologie in der Waffe verbaut sein.“
Randy Peacesmith nickte. „Natürlich. In erster Linie dienen biometrische Charakteristika zur Verifikation der Identität einer Person. Gesichtsmerkmale, die Iris und Retina, Fingerabdrücke, Körperbau und Körpergröße, Handgeometrie und -linienstruktur, Stimme, Bewegungsmuster; diese und weitere unverwechselbare Eigenschaften werden dabei berücksichtigt. Sollten all diese Maßnahmen nicht ausreichen, so kann SecureIT auch noch auf die integrierte Biometriekompensation zugreifen. Dabei handelt es sich um ein von uns entwickeltes Verfahren, für das wir zur Zeit ein Patent anmelden, weshalb ich, wie Sie sicher verstehen werden, im Augenblick nicht mehr dazu sagen kann.“
„Danke für diese ausführliche Erklärung“, antwortete der Neuengländer. „Aber ich hatte eigentlich noch gar keine Frage gestellt.“
Die Pressefotografen im Saal zeigten nun plötzlich Interesse an dem vorlaut wirkenden Fragesteller und das folgende Blitzlichtgewitter galt ihm.
„Meine eigentliche Frage lautet“, fuhr der Mann unbeirrt fort. „Glauben Sie, dass diese Technologie den Amoklauf von Madison verhindert hätte?“
Diese Frage schien den erfahrenen Waffenlobbyisten völlig unvorbereitet zu treffen und irritierte ihn sichtlich.
„Natürlich“, stotterte er nach einer Denkpause. „Und ich würde das liebend gerne mit Ihnen ausdiskutieren. Aber leider ist die Zeit für die Fragerunde jetzt abgelaufen. Vielen Dank für Ihr Interesse. Alles Weitere und eine Zusammenfassung der genannten Fakten finden Sie, wie immer, in der Pressemappe. Ich wünsche noch einen schönen Abend.“
Und mit diesen Worten verschwand Randy Peacesmith hinter der Bühne.
Der vorlaute Fragesteller hatte sich jedoch nicht umsonst die ganze Zeit über im hinteren Teil des Saals aufgehalten. Hinter all den Leuten, war er von der Bühne aus nicht zu sehen und nahe der Tür stand er strategisch günstig, um als einer der Ersten den Raum verlassen zu können. Eben dies tat er nun und machte sich sogleich auf in Richtung Chefetage.
Zum Glück war der Konferenzsaal, in dem die Vorführung stattgefunden hatte, nur ein Stockwerk darunter. Peacesmith würde vermutlich einen kleinen Vorsprung haben. Aber er hoffte ihn dennoch auf dem Weg in dessen Büro abfangen zu können, indem er die Treppe nahm, anstatt auf den Fahrstuhl zu warten.
Es war zu erwarten gewesen, dass der Unternehmer die Beantwortung jeglicher Fragen zu seiner Verantwortung in Sachen Madison verweigern würde. Doch Peacesmiths Verfolger war fest entschlossen diesen Bastard hier und heute zu einer Stellungnahme zu bewegen. Das war er seinem kleinen Mädchen schuldig. In der Therapie hatte er keinen Frieden finden können, vielleicht konnte ein Eingeständnis des Waffenherstellers ihm diesen geben.
Im nächsten Stockwerk angekommen, suchte der Unbekannte schnellen Schrittes die Gänge auf dieser Etage des Gebäudekomplexes ab, bis er den selbsternannten Friedenswahrer um eine Ecke gehen sah. Er wollte hinterher hasten, doch da tauchte ein Wachmann auf, der offenbar gerade seine Runde drehte. Der beeindruckend muskulöse Sicherheitsbedienstete verwickelte Peacesmith in ein kurzes Gespräch. Dessen Verfolger blieb derweil hinter der Ecke zurück, bemüht, die beiden im Auge zu behalten. Doch es war schwierig das Paar zu beobachten und gleichzeitig unentdeckt zu bleiben. Und so verpasste er das Ende der Konversation und verlor Peacesmith. Denn während der Neuengländer hinter der Ecke ausharren musste, bis der Wachmann in einen vom Hauptflur abzweigenden Gang abgebogen war, verschwand der CEO in sein Büro. Sobald die Luft rein war, eilte der Unbekannte jedoch hinterher. Er blieb vor der Tür stehen und richtete seine Krawatte. Dies war der Moment auf den er gewartet hatte. Der Moment, den er in den letzten Wochen immer wieder in Gedanken durchgespielt hatte; Eine Begegnung mit Randy Peacesmith. Was sollte er zur Begrüßung sagen? Wie sollte er sich vorstellen? Diese und andere Fragen waren ihm während der letzten Sitzungen mit seiner Therapeutin ständig durch den Kopf gegangen. Ja, der Mann mit dem Waffe war tot, er hatte sich nach der Tat selbst gerichtet. Ihn konnte er also nicht mehr zur Rede stellen. Aber den Waffenhersteller gab es noch.
Gerade als Peacesmiths Verfolger an dessen Tür klopfen wollte, ertönte ganz in der Nähe eine tiefe Stimme.
„Hey Sie da“, rief der Wachmann, zielstrebig auf ihn zukommend. „Was machen Sie denn hier?“
„Ich?“, erwiderte der Unbekannte übertrieben begriffsstutzig.
Der Muskelprotz entdeckte den Konferenzausweis am Sakko des Mannes und erklärte ihm sogleich den Weg zum Konferenzsaal.
„Ich muss aber mit Mr. Peacesmith sprechen.“, winkte dieser ab.
„Nun, das geht aber nicht.“
„Warum denn nicht?“
„Weil Sie sich hier oben gar nicht aufhalten dürfen.“
Der Wachmann wurde sichtlich ungeduldig.
Aufgehalten zu werden hatte der Neuengländer in seinen unzähligen Gedankenspielen natürlich berücksichtigt und sich eine Ausrede für seinen Besuch ausgedacht. Und so erklärte er nun, dass er dem Unternehmenschef ein Angebot machen wolle, dass dieser keinesfalls ausschlagen könne.
„Dann vereinbaren Sie einen Termin“, konterte der Mann vom Sicherheitsdienst die Stimme hebend.
„Aber ich will es ihm jetzt unterbreiten.“
„Hören Sie...“, begann der durchtrainierte Wachmann aufgebracht, wurde jedoch unterbrochen, als die Tür zu Peacesmiths Büro aufging und der CEO höchstpersönlich vor Ihnen stand.
„Was ist denn hier los?“, erkundigte der sich genervt.
Sogleich erzählte der Wachmann, wie er den Eindringling hier vorgefunden und gebeten hatte, zu gehen.
Der Beschuldigte blickte arglos zu Peacesmith und beteuerte, dass er ihm nur einen tollen PR-Stunt habe vorschlagen wollen.
„So? Inwiefern?“, hakte der Unternehmer semi-interessiert nach.
„Was würden Sie davon halten, sich mit den Eltern eines der Opfer des Madison Amoklaufs ablichten zu lassen?“
Peacesmith dachte einen Moment darüber nach. Das wäre in der Tat ein toller PR-Stunt. Es gab nichts überzeugenderes, als die emotionalen Geschichten Hinterbliebener. Und ein gemeinsames Foto mit Ihnen würde signalisieren, dass sie Peacesmith Enterprises vertrauten und dass Peacesmith Enterprises den Vorfall nicht einfach ignorierte. Solche Gefühlsduselei kam immer gut an.
„Warum kommen Sie nicht einen Moment in mein Büro?“, bat Peacesmith den Neuengländer, einen geschäftlichen Tonfall annehmend.
„Aber Sir“, mischte sich der Wachmann verdutzt ein, wurde jedoch von dem Unternehmer abgeschnitten.
„Ist nur für einen Moment“, beruhigte dieser den Bediensteten. „Sie können ja solange vor der Tür Wache stehen.“
Das Büro des exzentrischen Multimilliardärs spiegelte perfekt dessen Ego wider. Die Wand war gespickt mit Fotos, die ausnahmslos ihn mit den berühmtesten Persönlichkeiten der Welt zeigten; darunter der 53. Präsidenten der Vereinigten Staaten, welcher zum Zeitpunkt der Aufnahme, nach dem Alter Peacesmiths zu urteilen, selbst viel älter gewesen sein musste. Aber auch andere Fotos enthielten, bei genauerem Hinsehen, einige Ungereimtheiten. So wirkte der Hintergrund bei zwei der Bilder irgendwie künstlich und auf einem Foto schien Peacesmith beinahe zu schweben. Alles in allem sahen die Fotos größtenteils gefälscht aus. Neben den Fotos erspähte der Besucher außerdem sofort die Pistole von der Vorführung, die nun neben dem Telefon auf Peacesmiths großem Ebenholzschreibtisch lag. Der Neuengländer setzte sich auf einen für Besucher vorgesehenen Stuhl vor dem Schreibtisch, während der CEO hinter selbigem platz nahm.
„Also, was genau können Sie einrichten, Mr. ...“
„Blake. Naja, um ehrlich zu sein, glaube ich kaum, dass sich irgendjemand der Betroffenen mit Ihnen fotografieren lassen würde.“
Der CEO war sichtlich verwirrt. „Aber Sie sagten doch, dass...“
„Ich weiß. Das war nur ein Vorwand.“
Peceasmith sprang augenblicklich auf und torpedierte seinen Gegenüber mit Blicken die von entsetzt bis vorwurfsvoll reichten. Blake bemerkte, dass der milliardenschwere Erbe des Peacesmith Imperiums drauf und dran war, den Wachmann herein zu rufen. Und so griff er sich kurzerhand die Pistole.
„Hey“, fauchte Peacesmith. „Legen Sie das sofort wieder hin.“
„Oder was?“, spottete Blake und richtete den Revolver auf den CEO.
„Wie ist es“, fuhr Blake dann fort. „Wenn man auf der anderen Seite des Laufs steht?“
Der Angesprochene schwieg. Vermutlich sandte er jetzt Stoßgebete gen Himmel und wünschte sich all sein Geld eintauschen zu können, wenn er nur heil aus dieser Situation heraus kam.
Ein seltsames Gefühl innerer Genugtuung erfüllte Blake.
„Wissen Sie“, meinte er, während Peacesmith hoffentlich die in seinem Namen geschehene Produktion unzähliger Mordwerkzeuge bereute. „Ich hoffe, dass meine kleine Ruby diese Erfahrung nicht alleine machen musste. Es gibt keine Augenzeugenberichte, da alle Anwesenden von diesem Verrückten erschossen worden sind. Aber uns wurde gesagt, dass Rubys Lehrerin zusammen mit ihren Schülern im Klassenzimmer gefunden wurde.“
Blakes Stimme zitterte während er sprach: „Ich möchte glauben, dass Ruby in ihren Armen starb, das Gesicht in ihren Schultern vergraben, so dass sie den Täter und das Gewehr nicht sehen musste.“
„Wovon reden Sie denn?“, stotterte Peacesmith ernsthaft verwirrt. Doch dann ging ihm ein Licht auf.„Jetzt weiß ich's. Sie sind der Kerl von der Pressevorführung. Der mit der Madison Frage.“
„Ganz recht“, bestätigte Blake. „Eine sehr aufschlussreiche Vorführung muss ich sagen. Mir hat besonders der Teil gefallen, wo Sie mit der Waffe auf das Kind geschossen haben.“
Der höhnische Unterton war kaum zu überhören.
„Das war absolut sicher.“, konterte der Waffenhersteller. „Es konnte gar nichts passieren. Sie brauchen sich wegen Emily wirklich keine Sorgen zu machen, glauben Sie mir. Und was da in der Schule in Madison passiert ist tut mir leid. Aber das war ein durchgeknallter Irrer, ein Einzelfall. Wenn der kein Gewehr gehabt hätte, hätte er eine Axt genommen, oder ein Küchenmesser.“
Blake beobachtete interessiert, wie sein Gegenüber versuchte, die eigene Verantwortung in dieser unübersehbar fatalen Kette von Ereignissen herunterzuspielen. Dabei erschien alles was er sagte einstudiert und die überschwängliche Gestik, die auf der Bühne so imposant wirkte kam Blake nun reichlich gespielt vor. Abseits des Blitzlichtgewitters machte der berühmte Unternehmer einen weit weniger erhabenen Eindruck.
„Ob die Eltern der Kleinen das wohl genauso sehen?“, gab der Neuengländer zu bedenken. Blake war selbst jahrzehntelang Waffenbesitzer gewesen―hatte seine Meinung dazu aber rigoros überdacht, nachdem dieser Wahnsinnige mit einer Schrotflinte, des exakt selben Modells wie er es besessen hatte, seine kleine Ruby kaltblütig ermordert hatte.
„Hören Sie“, versuchte Peacesmith seinen Angreifer zu beschwichtigen. „Das mit ihrer Tochter tut mir wirklich leid. Aber verstehen Sie denn nicht? Genau solche Dinge versuchen wir mit SecureIT zu verhindern. Sobald sich diese Technologie etabliert hat, wird nie wieder ein unschuldiger Mensch sein Leben lassen müssen, nur weil ein armer Irrer den Verstand verliert.“
Blake war inzwischen vollends überzeugt, dass Peacesmith nie erkennen würde, welches Unheil er und sein multinationaler Konzern über die Gesellschaft brachten.
„Wenn Sie ein solches Vertrauen in Ihre Entwicklung haben“, entgegnete er daher und entsicherte den Revolver. „Wird Ihnen das hier ja wohl nichts ausmachen.“
Peacesmith zuckte unwillkürlich zusammen.
„Was wollen Sie denn bloß von mir?“ erkundigte sich der CEO sichtlich nervös. Doch Blake schien ihn gar nicht zu hören.
„Glauben Sie, dass Sie ein guter Mensch sind?“, wollte er stattdessen von Peacesmith wissen.
„Ich glaube“, entgegnete dieser bestimmt. „Dass Sie die Waffe jetzt lieber weglegen sollten.“
„Warum denn? Wenn Sie ein guter Mensch sind, kann Ihnen doch gar nichts passieren. Absolut sicher, das haben Sie selbst gesagt.“
Peacesmith stand nur so da, während Blake seinen Gedanken freien Lauf ließ und laut darüber sinnierte, ob die Entwicklung von Waffentechnologien und der Handel mit Selbigem etwas Gutes oder Schlechtes waren.
„So wie ich das sehe“, schloss Blake seine Überlegungen ab. „Verdienen Sie ihr Geld mit dem Tod anderer Leute. Und das dürfte Sie zu einem ziemlich bösen Menschen machen, meinen Sie nicht?“
Keine Antwort. Doch in Blakes Verzweiflung wirkte Peacesmiths Schweigen wie eine Herausforderung.
„Ich denke“, schlussfolgerte der Neuengländer daher. „Es gibt nur einen Weg das herauszufinden.“
Dann betätigte er den Abzug.
Wie zuvor bei Emily, gab es keinen Schuss. Ein leises Klick war das einzige Ergebnis. Blake war reichlich verwirrt, während Peacesmith aufatmete. Der Neuengländer probierte es erneut, doch das Resultat war das gleiche. Wie konnte das möglich sein? Hatte der Revolver etwa einen eingebauten Sicherheitsmechanismus, der es unmöglich machte, seinen Schöpfer zu erschießen? Konnte die Software in den gängigen Datenbanken nichts über den CEO finden? Wie besessen drückte Blake wieder und wieder ab. Randy Peacesmith nutzte die Gelegenheit, um den Sicherheitsdienst zu rufen.
Im Nu stürzte der Wachmann von vorhin herein, um den Eindringling zu überwältigen. Gegen den imposanten Muskelprotz hatte der schmächtige Blake keine Chance. Kurz darauf kam auch noch ein zweiter Sicherheitsbediensteter hereingerannt. Und so gab er die Gegenwehr schnell auf. Während einer der Beamten Blake schließlich abführte, machte sich der andere daran, die Pistole zu entladen.
Peacesmith war noch immer furchtbar erleichtert. Er war also kein böser Mensch. Jetzt hatte er sogar den Beweis. Zudem würde diese Sache hervorragende PR abgeben. Vor seinem geistigen Auge sah er schon die Schlagzeilen:
Die eigene Technologie rettet Peacesmith CEO das Leben!
Vorfall beweist: Peacesmith Enterprises entwickelt tatsächlich sicherste Waffe der Welt!
Natürlich würde er seine Version der Geschichte etwas ausschmücken, mit Details darüber, wie er sich dem Angreifer heldenhaft entgegengestellt hatte. Und wie er ihn anfangs beinahe mit Hilfe bestechender Argumente überzeugt hätte, dass...
„Hier bitte ihre Waffe, Sir.“, unterbrach der Sicherheitsbeamte Peacesmiths Gedanken. „Sie haben Glück, dass das Ding nicht geladen war.“