Mitglied
- Beitritt
- 08.10.2008
- Beiträge
- 55
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
die Sensenfrau
Shaban und Käpt´n Peng:
PARANTATATAM
etwas möchte von aussen nach innen
etwas möchte von innen nach aussen
PARANTATATAM
ah! es lebe das Leben
auf immer und ewig in Liebe ergeben?
„So, los geht’s!“ Die Stimme des Chefs lässt mich aufschrecken. „Da hindedrübä mäht ihr bitte des ganze Gras dohanna am Rand weg.“ Schnell packe ich mein Handy wieder in die Hosentasche. Meine Kollegen ziehen sich ihre Helme auf, legen die Gurte an, haken ihre Motorsensen daran fest und laufen los. Einen Moment drehe ich noch den Helm in meinen Händen. Ich habe keine Ahnung, wo „hintendrüben“ sein soll. Wir stehen auf einer riesigen Wiesenfläche, die von Gestrüpp und Jungholz durchzogen ist. Doch nun hat der Chef sich schon abgewandt. „Was genau bedeutet hintendrü...“ Meine Kollegen haben ihre Maschinen angeschmissen und die Worte ertrinken im Motorenlärm. Was solls. Rasch ziehe ich nun auch den Schutzhelm auf, hake die Sense ein und folge meinen Kollegen. In den schweren Sicherheitsschuhen komme ich ihnen langsam hinterher. Zu allem Überfluss muss ich aufs Klo. Wirklich dringend. Bei jedem Schritt spüre ich meine volle Blase. Ob ich mich einfach so vor meinen allesamt männlichen Kollegen ins Gebüsch hocken kann? Jeder hat begonnen, eine bestimmte Fläche auf der Wiese zu bearbeiten. Ich kann darin kein System erkennen und stehe ein wenig demotiviert herum. Schließlich klappe ich das Gitter des Helmes vor mein Gesicht und beginne einfach damit, irgendwo das Jungholz zu roden. Jetzt plötzlich, bei dem Motorenlärm und mit diesem Gitter, das mein Gesicht verdeckt, scheinen alle Emotionen aus mir herauszusprudeln. Vielleicht liegt es gar nicht an Marius. Vielleicht ist diese Woche und die neue Arbeit irgendwie einfach zu viel für mich. Vielleicht muss ich aber auch einfach nur viel zu dringend aufs Klo. Auf jeden Fall heule ich los und höre nicht mehr auf. Da das Geheule der Motoren um einiges lauter ist, hört man mich zum Glück nicht. Und da meine Augen von Stahlgittern verdeckt sind, kann auch keiner meine Tränen sehen. Vielleicht heule ich nur, weil ich weiß, dass es ohnehin keiner bemerkt. Plötzlich klatscht etwas gegen meinen Rücken. Vor lauter Schreck höre ich auf zu weinen und stelle die Motorsense ab. Ich drehe mich um und sehe einen Handschuh hinter mir auf dem Boden liegen. Als ich das Stahlgitter wieder hochklappe und aufschaue, steht ein Kollege vor mir. „Hier sollen wir nicht mähen. Dort oben um die Ecke muss noch gearbeitet werden“. Ich nicke und lächle. Dann kämpfe ich mich mit schweren Schritten den Hang hinauf. Oben angekommen schaue ich nochmal schnell auf mein Handy. Marius weiß, dass es meine erste Arbeitswoche hier ist! Sobald ich den Motor wieder angelassen und das Schutzgitter heruntergeklappt habe, geht es von vorne los. Es hört einfach nicht auf. Die Tränen fließen und fließen. Irgendwie hatte ich mir das alles anders vorgestellt. Wem möchte ich hier etwas beweisen? Mir? Oder Marius? Ich wollte mit diesem Job zeigen wie stark ich bin. Stark und unabhängig. Vor meinen Augen flackern bunte Lichter. Bunte Kneippenabende mit Marius. Sie waren wichtiger als alles? Ich versuche, nun besonders energisch Pflanze für Pflanze umzuhauen, während mir die Tränen aus den Augen fließen.
„Hasch du a Allergie?“, fragt mich der Chef auf der Rückfahrt im Transporter. Ich schaue ihn durch aufgequollene Augen an und schüttele den Kopf. „Meine Augen müssen sich nur an die trockene Luft gewöhnen“. Nein, ich bin nicht ungeeignet für diesen Job. Das lasse ich mir nicht weismachen. Nein. Ich habe keine Allergie. Und geheult habe ich erst recht nicht.
In der Wirtschaft kann ich endlich aufs Klo. Da versuche ich auch gleich, Marius zu erreichen. Vorübergehend nicht erreichbar. Weiß die nette Ansage nicht, dass das schon fast ein Dauerzustand ist? Als ich in den Gastraum zurückkomme, sind alle Stühle um den Tisch belegt. Nur auf der Eckbank ist noch ein schmales Plätzchen frei. Neben dem Kollegen, der mir seinen Handschuh an den Rücken geklatscht hat. Ich quetsche mich zu ihm und bestelle ein Wasser. Schallendes Gelächter. Mein Nebensitzer grölt zur Bedienung: „Sie meint ein Feierabendbier“. Ich trinke nur Alkohol, wenn Marius dabei ist. Wenn ich jetzt trinke, vielleicht heule ich dann sofort wieder los. Eigentlich will ich nach Hause. Aber ich habe gar kein richtiges. Schließlich bin ich jetzt selbständig. Stark. Unabhängig. Ich mache etwas, das sonst keine macht. Und es ist ja auch ganz praktisch. Ein Zimmer bekomme ich hier, mit einem Bett und einem Schrank. Aber nichtmal einem Fernseher. Jetzt könnte ich wieder ein Schutzgitter gebrauchen, um es vor meine Augen zu klappen. Die Bedienung bringt mir zum Glück ein Wasser, ich kippe es schnell herunter.
Am Bahnhof weiß ich nicht genau, welche S-Bahn ich nehmen muss, um zu meiner Wohnung zu gelangen. Der Handschuhklatscher steht neben mir. „Da wohn ich direkt daneben, komm einfach mit“. Das hat mir gerade noch gefehlt. Die Bahn kommt erst in zwanzig Minuten. Ich stehe neben dem Handschuhmensch und tippe nervös an meinem Handy herum. Was macht Marius? Mein Kollege räuspert sich. Ich blicke in Mokkafarbene Augen. Habe das Gefühl, auf schwankendem Boden zu stehen. Das liegt sicher an dem ganzen Geheule. „Ist alles in Ordnung bei dir? Die erste Woche ist immer am härtesten. Auch Männer heulen da gelegentlich“. Mir wird es ganz heiß. Macht er sich über mich lustig? „Nein, das ist kein Witz. Ich komm eigentlich aus Dresden, hab den Chef damals noch weniger verstanden als du. Man gewöhnt sich daran. Und wenn du ab und zu Bier trinken würdest, wäre das leichter“. Ich rufe mir in Erinnerung, dass dieser Mensch mir vorhin einen Handschuh an den Rücken gepfeffert hat. Wieso nehme ich das eigentlich so persönlich? Vielleicht ist dieser Handschuhmensch doch nicht so übel. Ist ja auch schon nett, dass er keinen Stein genommen hat. Er zwinkert mir zu. Ich lächle ihn an. „Nächstes mal, versprochen“. Er lacht. „Neee du musst nicht. Aber ich würde dir einen ausgeben“. Unruhig tappe ich auf meinen Füßen hin und her. Ich fühle mich verpflichtet. Verpflichtet gegenüber Marius. Kann ich mich einfach von anderen Männern auf ein Bier einladen lassen? Verpflichtet gegenüber meinem Kollegen, das nächste mal Bier zu trinken. Allen möchte ich es beweisen. Und bin zu allem Überfluss auch noch verpflichtet gegenüber meiner Blase. Ich muss schon wieder wirklich dringend. Zum Glück fährt die Bahn ein. Wir setzen uns gegenüber. Ich habe das Gefühl, meine Blase platzt. Mein Kollege schaut mich seltsam an. Starrt er auf meine Brüste? Vielleicht ist er doch nicht so in Ordnung. Oder gefällt es mir sogar? Ich kann das gerade nicht entscheiden, ich muss einfach nur aufs Klo. Ausgerechnet jetzt klingelt mein Handy. „Schatz“, steht auf dem Display. Ich kann nicht mehr. Kann jemand mir schnell einen Schutzhelm reichen und einen lauten Motor anschmeißen? Nein, diesmal weine ich nicht. Drücke ich Marius jetzt weg? Am liebsten würde ich mich einfach nur auf den Boden hocken und direkt vor meinen Kollegen pinkeln. Mitten in die S-Bahn. Stattdessen versuche ich, fröhlich und augelassen zu klingen.