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Die seltsame Brücke

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19.08.2012
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Die seltsame Brücke

Ich erwache und finde mich liegend auf einer Brücke. Die Brücke ist sehr schmal, gerade genug Platz für einen Fußgänger bietet sie. Ich spüre den warmen Asphalt und frage mich sofort nach der Ursache dieser Wärme, denn – es ist zwar Tag – die Sonne ist nicht auszumachen; sie ist nicht auszumachen, weil dichter Nebel dies verhindert. Noch nie habe ich einen derart dichten Nebel erlebt, er raubt mir nach wenigen Metern, wie eine weiße Wand, die Sicht. Ich sehe nur eine Blase, in der ich mich bewege und in der ich nur die Brücke sehe. Am Rand der Blase: undurchdringliches Weiß, ein kühler Äther, der den umgebenden Raum füllt und sich trotzdem nicht fassen lässt, ausweichend, folgend. Ich gehe zur Seite, meine Hände umfassen das eiserne Geländer, Eiseskälte umfassen meine Hände. Ich blicke hinab und sehe weiß, ich blicke in die Ferne, weiß, ich blicke gen Himmel, weiß, und weiß, die Wand sperrt mir die Sicht nach überall – nach vorne, nach hinten, in die Weite. Ich weiß nicht, wie hoch die Brücke ist. Sie kann ein Übergang sein, nur wenige Meter über dem Boden stehend, ein lächerlicher Sprung ins Weiße wäre es. Sie kann zwei Berge miteinander verbinden, viele Kilometer hoch, der Sprung ins Weiße wäre der Tod. Als ich merke, dass ich den Sprung fürchte – ich könnte fallen ohne Ende – wende ich mich ab vom Geländer. Ich könnte fallen ohne Ende. Ich blicke in beide Richtungen, in die die Brücke führt: vor und zurück. Allerdings bin ich mir nicht sicher, welche Richtung vorne und welche Richtung hinten bedeutet. Ich entscheide mich, in jene Richtung zu gehen, die für mich vorne bedeutet. Ich gehe eine lange Zeit vor mich hin. Die Brücke ändert sich überhaupt nicht. Ich auf dem schmalen Asphalt, zu beiden Seiten Geländer, überall der Nebel. Wenn doch nur eine Informationstafel auftauchte! So hätte ich wenigstens eine Idee, wo ich mich befinde oder wohin die Brücke führt oder woher sie führt. Vielleicht könnte ich sogar herausfinden, ob ich mich überhaupt auf dem richtigen Weg befinde, vielleicht sollte ich umkehren, vielleicht ist es richtig zurück statt nach vorne zu gehen. Ich bleibe stehen und sehe zurück. Ich sehe nur wenige Meter weit, dann Nebel. Nein, ich führe meine Wanderung nach vorne fort. Es wird schon richtig sein. Obwohl ich nicht ausschließen kann, dass, wenn ich den Weg zurück gegangen, ich vielleicht auch schon nach wenigen Metern am Ziel, am Ende der Brücke gewesen wäre. Natürlich weiß ich es nicht! Aber es kann durchaus so sein.
Ich stehe an einer Kreuzung. Die Brücke trennt sich in verschiedene Richtungen: nach links, nach vorne, nach rechts. Welche Richtung kann die richtige sein? Natürlich gibt es auch noch den Weg zurück. Ich stehe eine lange Zeit mitten auf der Kreuzung, inmitten der nebelfreien Blase. Ich gehe geradeaus weiter. Wieder gehe ich auf der Brücke, die endlos durch den Nebel führt, ich weiß nicht wohin.
Dort ist ein Schild, aus Holz, befestigt an einer hölzernen Stange, die wiederum am Geländer zu meiner Linken fest angebracht ist. Auf dem Holzschild steht „Sie sind hier“. Darunter klebt ein großer roter Punkt auf dem Schild. Nur das. „Sie sind hier“ und der rote Punkt. Daraus kann ich doch keinerlei Information ziehen. Eine Karte befindet sich nicht auf dem Schild, oder ein Plan der Brücke. Nur „Sie sind hier“ und der Punkt, der rote. Dass ich in diesem Moment hier bin, weiß ich selbst, dazu brauche ich kein Informationsschild. Und im nächsten Moment, wenn ich weitergehe, werde ich nicht mehr hier sein. Das Schild vermutlich schon. Mir kommt eine Idee. Ich ergreife das Schild und reiße es von dessen Stange. Ich lehne mich über das Brückengeländer und starre in die neblige Tiefe, bis die Nebelblasenwand mir die Sicht versperrt. Ich lasse das Schild fallen, „Ich bin hier“ fällt herunter. Ich lausche.
Ich setze meinen Weg fort und frage mich immer wieder, wie ich nur hierher gelangt und wo ich vorher gewesen bin. Immer wieder gehen mir diese Fragen durch den Kopf. Aber ich weiß es nicht. In meiner Erinnerung ist es absolut schwarz.
Moment. Ich erkenne links von mir im Nebel eine Silhouette. Ich stütze mich so gut es geht auf das Geländer und spähe in den Nebel. Dort sehe ich eine Silhouette. Es ist eine Brücke. Allerdings steht diese Brücke etwas höher als jene, auf der ich mich befinde. Ich weiß nicht, ob die andere Brücke ein Teil dieser Brücke ist oder ob eine zweite höher gelegene Brücke durch diesen Nebel führt. Es kann sogar sein, dass nicht nur eine zweite, sondern auch eine dritte, vierte, fünfte Brücke hier durch den Nebel ziehen; eine etwas höher gelegen als die andere. Intuitiv sehe ich ein wenig hinab. Dort erblicke ich einen weiteren Umriss einer Brücke.
Ich beschließe, auf das Geländer zu klettern. Ich will auf die höher gelegene Brücke springen, ich könnte das dortige Geländer erfassen und dann auf diese Brücke klettern. Ich stehe auf dem Geländer, bereit zum Sprung zur anderen, höher gelegenen Brücke.
Ich springe. Die andere Brücke erscheint immer deutlicher vor mir. Ich strecke meine Arme aus, bereit das eisige Geländer zu erfassen. Meine Finger berühren es kurz, ich spüre die Kälte, aber ich kann das Geländer nicht umgreifen, ich falle. Die Brücke bleibt oben zurück. Ich falle auch an der tiefer gelegenen Brücke vorbei. Ich winde mich wie ein Wurm, da ich aber in der Luft keinen genügenden Widerstand besitze, kann ich auch nicht die tiefere Brücke fassen.
Ich kann keine der Brücken fassen und falle in die Tiefe des Nebels. Ich stürze. Ich habe doch den Sprung gefürchtet, wieso bin ich gesprungen? Ich stürze tief und ich stürze lange. Ich kann nicht mehr sagen, ob ich falle oder schwebe im Nebel. Aber: Ich bin hier.

 

Hallo Nobukado,

Deine Geschichte kreist um Fragen des Hierseins, des Gehens, der Richtung, des Ankommens. Es ist eine Reflexion über das Rätsel des Räumlichen. Als Hintergrund für einen Text ist das sicher eine Wahl mit vielen Möglichkeiten, aber ich finde, Du machst noch nicht viel daraus.

Ich vermisse den Konflikt, der eine KG spannend macht. Ich vermisse den Haken, der mich als Leser zieht, den Stoß, der mich vorantreibt.

Zwar ist das Szenario rätselhaft, aber das genügt mir nicht. Andere Leser mögen das anders beurteilen.

Mir scheint, dass schreibende Autoren härter arbeiten müssen, um einen Leser bei der Stange zu halten, als Filmregisseure. Mich vom konfliktlosen Geplänkel eines Filmanfangs berieseln zu lassen, empfinde ich nicht so anstrengend, wie das Lesen eines Textes, der mich nicht in sich hineinzieht.

Du verzichtest in Deiner Visionsbeschreibung auch weitegehend auf Handlung. Das macht es ebenfalls sehr schwierig. Und ein dritter Punkt besteht darin, dass Menschen gern etwas über das Verhalten/ Denken/ Empfinden anderer Menschen lesen, Psychologie also. Aber auch da gibt es für den Leser bei Dir nicht viel zu holen.

Meine Empfehlung lautet daher, die philosophische Reflexion als Background zu belassen, die sonderbare Umgebung für die Atmosphäre zu nutzen, dem Protagonisten aber mehr Persönlichkeit und der Geschichte mehr Handlung zu geben.

Gruß Achillus

 

Hallo Nobukado,

Die Idee mit dem Punkt gefiel mir gut, aber ansonsten verfängt sich deine Geschichte bei mir leider nicht. Streckenweise überkam mich auch das Gefühl, eine Liste zu lesen. Gerade den Anfang fand ich ein bisschen holprig. Zu viele Sätze fangen mit „ich“ an. Den Empfehlungen von Achillus kann ich mich nur anschließen.

Viele Grüße
Kroko

 

Servus Nobukado,

gestern las ich deine Katzenfabel und jetzt Die seltsame Brücke.
Das sind zwei so grundverschiedene Texte, müsste ich die blindverkosten, käme ich nie auf die Idee, dass die von ein und demselben Autor stammen. Also das finde ich schon mal interessant und bemerkenswert, wie souverän du von einem Genre zum anderen wechselst und scheinbar mühelos deinen Erzählton zu verändern in der Lage bist, Respekt.
Lobte ich in der Fabel den beinahe klassisch anmutenden Stil, ist es hier das beiläufige und dabei sehr präzise Beschreiben, das mir gefällt.
Und mir gefallen die Assoziationen, die der Text in mir auslöst, ich sehe Bilder von M. C. Escher vor mir und Grafiken bzw. Rauminstallationen des österreichischen Künstlers Peter Kogler, aber, leider: als Geschichte ist mir das etwas zu nebulös, das Ganze ist mehr so ein Reflektieren über Traumbilder, kommt mir vor, sehr stimmungsvoll zwar, aber irgendwie zu wenig.

Hab’s trotzdem gerne gelesen.

offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Nobukado

In deinen Text sind ein paar Widersprüche zu finden, gleich am Anfang heißt es:

Ich spüre den warmen Asphalt und frage mich sofort nach der Ursache dieser Wärme,

Ich gehe zur Seite, meine Hände umfassen das eiserne Geländer, Eiseskälte umfassen meine Hände.

Das erste schwache Bild in mir wurde sogleich wieder zerstört.

Als ich merke, dass ich den Sprung fürchte – ich könnte fallen ohne Ende – wende ich mich ab vom Geländer. Ich könnte fallen ohne Ende.

Ich blicke in beide Richtungen, in die die Brücke führt: vor und zurück.

In deiner Geschichte finden sich sehr viele Wortwiederholungen, die nicht sein müssen. Ganze Sätze könnten gestrichen werden, weil du damit nicht verdeutlichst, sondern den Leser langweilst, indem du ihn immer wieder das erzählst, was er längst weiß.

Ich blicke in beide Richtungen, in die die Brücke führt: vor und zurück. Allerdings bin ich mir nicht sicher, welche Richtung vorne und welche Richtung hinten bedeutet. Ich entscheide mich, in jene Richtung zu gehen, die für mich vorne bedeutet.

Hier könnte »Richtung« durch Synonyme ersetzt, oder durch eine bessere Satzstellung ganz weggelassen werden.

Ich vermisste die Nähe zu deinen Protagonisten und die Spannung, so dass sich der Text für mich endlos hinzog und ich ihn zum Ende nur noch überflog.

Ich kann nicht mehr sagen, ob ich falle oder schwebe im Nebel. Aber: Ich bin hier.

Das Ende hat mir gefallen.

Die Idee ist nicht schlecht, jedoch gefällt mir die Umsetzung nicht.

LG
Nachtschatten

 

Lieber Achillus, lieber Kroko, lieber ernst offshore, liebe Nachtschatten,

aaahh...ich hätte vielleicht direkt nach meiner Geschichte posten sollen, dass Die seltsame Brücke meine Übung zur Atmosphäre ist.
Es klingt ja schon bei allen direkt oder indirekt an, dass zu wenig Handlung einerseits und zu wenig Identifikation mit dem Protagonisten andererseits einige Probleme sind. Ich habe darauf bewusst verzichtet. Ärgerlich ist jetzt natürlich, dass die Geschichte nicht unter diesem Aspekt gelesen wurde. Aber das ist ja meine Schuld.
Außerdem ist das auch meine erste Geschichte in der Ich-Perspektive. Damit wollte ich auch ein wenig experimentieren. Dabei merkte ich, dass ich immer wieder drohte in stumpfe emotionale Zustandsbeschreibungen zu verfallen; also habe ich das entsprechend oberflächlich gehalten. Schwierige Sache...
Ihr habt auch Recht, was das Thema an sich angeht: Es hält als Setting her aber als Geschichte allein zieht sie nicht in den Bann.
Ich danke auch für deine Anmerkungen, Nachtschatten; ich werde das berücksichtigen. Ich neige auch dazu: gern zu wiederholen. Andere stören sich daran. Ich sollte das wahrscheinlich eleganter gestalten, wenn ich so etwas mache.
Ich habe den Versuch zu dieser Geschichte unternommen, weil ich vor kurzem angefangen habe, einige Werke von H.P. Lovecraft zu lesen und er gestaltet die Atmosphäre in seinen Geschichten meisterhaft. Das wollte ich auch (separat) üben. Findet ihr das kann man machen (wenn ja, bestimmt lieber mit Ankündigung...?!) oder sollte man lieber gleich versuchen damit auch eine richtige Geschichte samt Handlung und Konflikt etc. auf die Beine zu stellen?

Ich danke euch!

Viele Grüße
Nobukado

 

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