Die Segelpartie
Die Segelpartie
Lutz freute sich über die Sonne, die morgens in sein Bett schien und ihn mit ihren Strahlen weckte. Er duschte, frühstückte und radelte gut gelaunt durch den Wald zum Segelhafen. Mit Leichtigkeit nahm er heute die Steigungen und schaffte die sechs Kilometer in weniger als 20 Minuten. Die Sonne hatte das Boot vom Tau getrocknet, es lag erwartungsvoll im Hafenwasser und schaukelte leicht im Wind. Lutz entfernte die Persenninge und setzte das Ruder mit der Pinne ein. Er zog die Schwimmweste an und löste die Leinen. Mit dem Bootshaken stakte er die weißblaue Jolle vorbei an den anderen vertäuten Schiffen zum letzten Pfahl der Steganlage und befestigte die Vorleine ordnungsgemäß an Pfahl und Schiff. Nun senkte er das Metallschwert ab und hisste das Großsegel. Der Wind drehte das Boot und ließ das Segel hin- und herflattern. Lutz verschloss die Kajüte, löste die Vorleine und kletterte schnell nach hinten an die Pinne. Der Wind drückte das Boot in den Hafen, aber mit Schot und Pinne gelang es Lutz, eine Wende zum See hin auszuführen Nun konnte der Spaß beginnen. Mutig rollte er die Fock aus, setzte sich auf die Bootskante, lehnte sich hinaus und stemmte sich gegen die Krängung des Bootes, indem er die Füße unter das dafür vorgesehene Band klemmte. Er beschloss, zunächst mit dem Wind nach Süden zu segeln. Das ging flott und verlangte nur wenig Anstrengung von ihm. Er passierte den dunklen Wald, durch den er gerade mit dem Fahrrad gekommen war, und erreichte das Paradies, eine kleine Badebucht, in der so früh am Morgen aber noch niemand in der Sonne lag. Nach einer Viertelstunde erreichte er das Südende des Sees und musste mit den böigen Winden kämpfen, die hier plötzlich über den Berg einfielen. Eine Bootslänge vor dem Fahrgastschiff, das am Anleger gerade Passagiere aufnahm, gelang ihm schließlich die Kursänderung nach Osten. Er steuerte auf den Dom zu und musste einigen Booten der Segelschule ausweichen, die gerade abgelegt hatten und immer unberechenbar manövrierten. Er segelte in den kleinen See hinter der Dominsel, wobei er wieder vor den Wind kam. Bald hatte er den äußersten Winkel des Sees erreicht und legte an. Auf der Terrasse des Eiscafés gönnte er sich einen Cappuccino und ein Stück hausgemachte Erdbeertorte. Eine junge Frau bediente ihn, sie war fröhlich und sehr attraktiv. Lutz überlegte, wie er ein Rendezvous arrangieren könnte. Als Sie die Rechnung brachte, fragte er, ob sie Lust auf eine Segelpartie hätte. „Derzeit muss ich ja arbeiten“, meinte sie, „aber an einem anderen Tag bei gutem Wetter können Sie gerne wieder nachfragen, Sie wissen ja, wo ich zu erreichen bin.“ „Nein“, antwortete er rasch, „wenn Sie nicht arbeiten, weiß ich ja nicht, wo ich Sie finde.“ – „Dann geben Sie mir eine Handynummer, vielleicht melde ich mich.“ Er schrieb die Nummer auf die Rückseite des Kassenzettels und lächelte. „Danke, dann schauen wir mal“, sagte sie freundlich. Lutz erhob sich nachdenklich, er konnte seine Chancen kaum einschätzen.
Er musste zurückkreuzen, denn nun kam der Wind vorwiegend von vorn. Beim Wiedereintritt in den großen See musste er eine flache Uferstelle umsegeln, die schon manch einem Segler zum Verhängnis geworden war, doch er passierte sie ohne Probleme. Der Wind frischte auf. Als er die Mitte des großen Sees erreicht hatte, musste er sich weit hinauslehnen, um einerseits den Kurs zu halten und andererseits das Kentern zu verhindern. Immer wieder musste er die Schot öffnen oder anluven, um eine zu starke Krängung zu vermeiden. Er brauchte alle Konzentration und Kraft, er durfte keinen Fehler machen. Außerdem musste er öfter wenden, was jedes Mal ein Risiko darstellte, weil er die Pinne festhalten, die Fock auf die andere Seite ziehen und gleichzeitig seinen Platz auf dem Bootsrand verlassen und auf die andere Seite wechseln musste. Einmal schwappte dabei eine Welle ins Boot, sodass er nun mit nasser Hose weitersegeln musste. Für die Rückfahrt brauchte er unter diesen Bedingungen etwa eine Stunde. Etwas entkräftet und immer noch angespannt erreichte er die Reetwiese vor der Hafeneinmündung. Nun sprang der Wind um. Direkt über ihm hatte sich eine Gewitterwolke zusammengezogen. Er versuchte die Fock einzurollen, was ihm bei dem starken Wind aber nicht gelang. Immerhin hatte er nun die Höhe des Hafens erreicht und konnte mit halbem Wind einlaufen. Plötzlich verklemmte sich aber der Pinnenausleger an der rechten hinteren Klampe und das Boot nahm eine Kreiselbewegung auf. Der Aluminiumbaum schlug ihm an den Kopf und an Kurshalten war nicht mehr zu denken. Nach einer ganzen Runde bekam er die Pinne frei und steuerte wieder auf den Hafen zu. Da erfasste eine mächtige Böe die Segel und schob das Boot mit großer Geschwindigkeit vor sich her. Nun hätte Lutz die Segel einholen müssen, aber dazu kam er nicht. Bei einer ungeschickten Bewegung kippte er rückwärts über Bord und spürte, dass das Wasser Anfang September schon relativ kalt war. Die Weste trug ihn, der Kopf blieb oben, sodass er beobachten konnte, wie sein Schiff ungebremst auf den südlichen Steg zusteuerte und eines der anderen Schiffe am Heck traf. Es gab erst einen Rums und dann ein knirschendes Geräusch. Sein weißblaue Schiff drehte mit dem Heck nach rechts ab und wurde erst gebremst, als das Schwert sich in den Grund bohrte. Die Segel schlugen heftig um sich. Lutz schwamm hinzu und versuchte hineinzuklettern, was ihm aber nicht gelang. Die Kleidung war zu schwer geworden. Er musste an Land waten und die Schwimmweste ablegen sowie die Segeljacke. Dann konnte er zum Schiff zurück, die Segel herunternehmen und den Bootshaken aus der Kajüte holen. Das Schwert konnte er hochholen, aber das Boot konnte er mit dem Bootshaken nicht bewegen, der Wind war zu stark. Er schob es ans Ufer, bis der Bug auf dem Land halt fand. Nun zog er die lange Hose aus und versuchte das Boot im Wasser watend mit der Hand zu seinem Liegelatz zu ziehen. Das gelang nach einer Weile, er musste einiges Schilf umfahren, das den Hafen in zwei Teile teilte. Endlich lag die Jolle an den Leinen fest. Er besichtigte die Schäden an beiden Booten und schätzte die Kosten in der Werft, zum Glück hatte er eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Der Schaden am eigenen Boot war nicht messbar, denn es gab einen Gummischutz rund um die Oberkante des Rumpfes. Missvergnügt klarte er sein Schiff auf und erkundigte sich, wem das beschädigte Boot gehöre. Einige Segelfreunde, die inzwischen eingetroffen waren, gaben ihm Auskunft und viele gute Ratschläge, wie man es hätte besser machen können. Darunter litt er jetzt am meisten und schlich sich zu seinem Fahrrad davon. Mit nasser Hose, Unterhose usw. radelte er im jetzt beginnenden Wolkenbruch nach Hause. Er merkte den Regen kaum noch, umso mehr aber die folgende Erkältung, die ihn eine Woche ans Bett fesselte. Seine Karte für das Gastspiel der Berliner Philharmoniker mit Sir Simon Rattle am Dirigentenpult musste er verschenken. Aber da kam ihm eine Idee, für die er allerdings noch einen Boten finden musste.
Glossar
Persenning: wasserfeste Abdeckung
Pinne: Hebel für die Bedienung des Ruders
Jolle: formstabiles Schwertboot
Schwert: anstelle eines Kiels angebrachte, versenkbare Platte zur Stabilisierung
Schot: Leinen zur Bedienung der Segel
Fock: Vorsegel
Krängung: Seitenneigung
Anluven: mit dem Bug in den Wind drehen
Halber Wind: seitlicher Wind
Klampe: Vorrichtung zum Befestigen von Leinen