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Die Seance
Das Zimmer war mit Jalusien abgedunkelt worden, der Geruch aus einer Mischung von Lavendel und Moschus hing in der Luft. Ich war etwas später angekommen und hatte noch die Hektik des Autoverkehrs im Nacken, so dass ich eine Weile brauchte, um zur Ruhe zu kommen.
Meine drei Freundinnen hatten sich um den Tisch versammelt, der in der Mitte des Wohnzimmers stand.
“Heute klappt es! Ich habe ein gutes Gefühl!” sagte Britt, die älteste aus der Gruppe, und liess sich am Kopf des Tisches auf den hochlehnigen Stuhl plumsen. ”Das sagst Du doch jedesmal, du Optimistin!” Katrin, die im krassen Gegensatz zu Britt fast dürr war und manchmal ein bisschen durchscheinend wirkte, benutzte den Ausdruck `Optimistin` gerne als Schimpfwort, da sie selber lieber der Pessimistenfraktion angehörte. “Wir werden es ja sehen.” sagte ich, mit einem heissen Kaffee gestärkt, stand auf und brachte mich am Tisch in Positur, in Erwartung auf ein bisschen Nervenkitzeln, dass wir uns alle von diesem Experiment erwarteten.
Wir vier hatten uns bei einem Kongress der “Hexen der weissen Magie” kennengelernt, hatten alle eine fundierte Ausbildung in Kräuterkunde und Zauber aller Art, waren vereidigt und wussten eigentlich ganz genau, mit welchen Kräften man lieber nicht spielen sollte. Vor einiger Zeit hatten wir uns allerdings nach einigen Gläsern Rotwein bei Cordula zuhause, die in einer umgebauten Windmühle wohnte, gestanden, dass das Geschäft mit der weissen Magie zwar recht einträglich war, allerdings machten Liebeszauber, Kinderwünsche, Kartenlegen und Zubereiten von Salben gegen alles, nicht immer so viel Spass. So wurden wir uns schnell einig, einmal einen Ausflug in die schwarze Abteilung zu wagen, an Geister glaubte sowieso keiner von uns. Die Informationen über das Ritual waren streng geheim und nachdem wir sie mit viel Mühe und einiger krimineller Energie beschafft hatten, wussten wir nicht, ob sie richtig waren. Wir hatten uns geeinigt eine Geisterbeschwörung zu veranstalten, ganz geheim und verschwiegen, denn wenn das rauskam, liefen wir Gefahr aus der Vereinigung der weissen Hexen ausgeschlossen zu werden. Britt hatte alles vorbereitet, erzählte uns allerdings, dass der alte Mann , von dem sie die enscheidenden Informationen bekommen hatte, sie eindringlich gewarnt hätte, spiritistische Sitzungen abzuhalten, man solle die Toten ruhen lassen. Und wahrscheinlich war es genau das, was uns so reizte. Aber im Grunde gingen wir davon aus, dass sich sowieso nichts ereignete.
Ich liebte zwar die Esotherik und alles was damit zusammen hing, verdiente auch nicht schlecht an gläubigen Kunden, hatte aber einen klaren Verstand mit verbissener Logik und litt mit Sicherheit nicht an Wahrnehmungstrübung.
Also versuchten wir es heute zum vierten Mal eine richtige Seance abzuhalten, das heisst abgehalten haben wir sie schon, - passiert ist allerdings nichts!
“Auf ein Neues!” Cordula, die dritte im Bunde seufzte, biss noch einmal in ihr Butterbrot, packte es wieder ein und legte die gepflegten schlanken Hände auf die schwarze blankpolierte Tischplatte. Unsere Hände berührten sich mit den Fingerspitzen, wir konzentrierten uns auf uns und auf Britts murmelnden Singsang und auf das, was da kommen sollte. Als ich gerade so bei mir dachte, dass es doch wieder nicht klappt, begannen meine Fingerspitzen wie elektrisiert zu kribbeln. Schlagartig begannen `tausend Husaren mit Säbeln`in meinem Magen zu tanzen und mir wurde fast übel vor Schreck. Ich riss die Augen auf und nahm zu meinem Entsetzen wahr, dass Britt in allerhöchste Trance gefallen war, ihre Augen waren verdreht und sie sah aus wie eine Irre. Vergeblich versuchte ich meine Hände vom Tisch zu ziehen, um den Kreis zu durchbrechen, doch sie reagierten nicht auf den Befehl meiner Muskeln. Schweiss begann mir aus den Haaren in den Ausschnitt zu laufen, Cordula und Katrin starrten genau wie ich auf Britt und verfielen zusehens in Panik. Als ob ich in einem schlechten Gruselfilm wäre, schlich sich urplötzlich eine eisige Kälte ins Zimmer, die zuerst unsere Füsse berührte und sich dann schnell im Raum ausbreitete. Als Cordula schrie, hatte ich es im gleichen Augenblick auch gesehen, eine Gänsehaut machte sich auf meiner Kopfhaut breit. Katrin ruschte an die äusserste Kante ihres Stuhles, ihr Gesicht war kreidebleich und schweissüberströmt... “Nein...!” brach es aus ihr heraus, “Nicht...!” Sie starrte auf die Gestalt, die wir alle sahen und die sich langsam aus der Dunkelheit der Diele löste, um kurz darauf in der Mitte des Wohnzimmers auf halber Höhe in der Luft zu schweben. Der Geruch nach Moder und Erde raubte uns fast die Luft, ich hatte panische Angst und wollte nur weg hier, aber ich war unfähig auch nur den kleinsten Zeh zu bewegen. Britt wiegte sich währenddessen mit geschlossenen Augen völlig ruhig wie ein kleines Kind hin und her und summte eine Melodie, die ich noch nie gehört hatte. “Was tun wir hier?” schoss es mir durch den wirren Kopf, “mach doch einer, dass es aufhört...” Codula konnte es vor Angst kaum noch aushalten, sie wimmerte und bettelte: “Geh weg, lass uns...!” Wie aus blankem Hohn begann die Erscheinung, die aus durchsichtigem wabernden Nebel zu bestehen schien, - und es war eindeutig kein guter Geist, der da wie im Angriff auf uns zuschoss - die Einrichtung, der Tisch, die Stühle zitterten, als ob die Erde bebt, die Luft war zum Ersticken dick, und hätte mir wirklich in die Hose gemacht, wenn ... ja wenn nicht das Telefon geklingelt hätte, der Anrufbeantworter ansprang und die quengelnde Stimme von Britts Mutter auf das Band sprach: ” Britt! Wo bist du nur wieder?! Du musst doch zuhause sein, geh doch mal ran, ich brauche doch das Rezept für das Tsatsiki für meine Grillparty...!!!Brihitt!” Fast übergangslos schlug Britt die Augen auf, völlig apatisch sagte sie: “Ja, Mama.” blieb aber sitzen. In der gleichen Sekunde war der Spuk vorbei, der beissende Modergeruch und die Kälte liessen nach. Obwohl wir unsere Hände wieder bewegen konnten, waren sie steif und schweisskalt. Katrin war völlig in sich zusammen gesunken, Cordula starrte mit leeren Augen vor sich hin und murmelte wirres Zeug. “Das - das war ja wohl Rettung in letzter Sekunde...!” stammelte ich und versuchte die kalte Panik abzuschütteln. “Was war denn los?” Britt sah mich aus trüben Augen an; sie wirkte uralt und völlig erschöpft. Mit einem Ruck sprang Katrin auf: “Es hat funktioniert!” schrie sie wie von Sinnen und rannte von Furien gejagt durch das Zimmer. “Ich habe einen Geist gesehen...!” Ihre schrille Stimme überschlug sich beinahe, “einen Geist...” “Mein Gott, war ich das?” Britt rieb sich die schmerzenden Hände, “Es hat also wirklich geklappt?” Doch bevor sie anfangen konnte sich zu freuen, schnitt ich ihr entschlossen das Wort ab und bestimmte mit eindringlicher Stimme: “Nie wieder werden wir so etwas tun! Er hätte uns fast erwischt und weiss der liebe Himmel, was dann geschehen wäre. Ich wäre fast gestorben vor Angst. Wir hätten die Warnung beherzigen sollen, du meine Güte, was haben wir uns bloss dabei gedacht...?! Wenn das Telefon nicht gewesen wäre...!” Mein Herz raste noch immer heftig, ich hätte nie gedacht, dass ich mal soviel Angst haben würde, dass man es riechen kann. Ich glaube, wir alle hatten nach diesem Experiment eine Dusche nötig, und als ich zuhause viele Stunden später mit nackten Füssen über den dichten Teppich lief, hatte ich noch immer das Gefühl, ich könne die Kälte spüren und hörte ganz leise eine Melodie, die ich jetzt kannte.
Einen weiteren Versuch hat es nie gegeben...