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Die Schwarze Sonne
Die Schwarze Sonne v1.2
Er wanderte. Er ging stetig weiter über zerklüftetes Gestein, obgleich seine Beine schmerzten, da ihm die schwarze Sonne den Weg so dunkel leuchtete. Plötzlich erzitterte die Erde und der Boden zerbrach unter seinen wunden Füßen.
Der klaffende Abgrund, der sich nun auftat, riss ihn hinab in ungewisse Finsternis. Er fiel. Er fiel tiefer als jemals ein Mensch gefallen war. Doch er war kein Mensch - er stand jenseits von menschlichem und tierischen.
Hart schlug er auf aschebedecktem Boden auf, der noch härter war, als jener, über den er zuvor gewandert war. Obwohl er hunderte von Metern gefallen war, war er trotz der unerträglichen Härte des Bodens noch am Leben, denn das Leben hatte keine Bedeutung für ihn. Es hatte keine Macht über ihn, der jenseits des Lebens und des Todes stand. Er hob den Kopf und öffnete seine schmerzenden, aschebedeckten Augen. Da erkannte er erst, dass die schwarze Sonne - als wäre nichts geschehen - noch immer voll Hohn sein geplagtes Haupt in Dunkelheit hüllte. Unter ihrem gnadenlosen Schein setzte er also seinen Weg fort. Fort setzte er seinen Weg in eine unbekannte Richtung, über ihm unbekannte Pfade. Als die müden Beine schon fast zusammenbrachen unter der Last des geschundenen Körpers, hörte er hinter sich ein Geräusch. Er sah plötzlich mehrere Gestalten, die ohne ersichtlichen Grund plötzlich aus dem kargen, dunklen Felsboden zu erwachsen schienen. Wahrlich karg war dieser Grund und jede Pflanze wäre sofort an dieser toten, vergifteten Erde zugrunde gegangen, doch jene Gestalten schienen prächtig darauf zu gedeihen. Blass waren sie - und dennoch dunkel. Man konnte durch sie hindurchsehen und kein Licht wollte in ihren Köpfen scheinen. In den starren Gesichtern, die sie hinter einem beinahe durchsichtigen Schleier zu verbergen suchten, zeigte sich keinerlei Regung, als sie sich langsamen, gemessenen Schrittes auf ihn zubewegten. Doch auch in seinem Gesicht zeigte sich keine Regung - diese Gestallten vermochten es nicht, ihm Furcht einzuflößen. Als sie keine zwei Schritte mehr von ihm entfernt waren, stieß er plötzlich seinen Wanderstab in die Erde. Abermals bebte sie und aus dem Fels unter ihm erwuchs ein Sockel, der ihn nun langsam und grollend über die Köpfe dieser Gestalten hinweg hob.
Als sie zu ihm aufblickten, da sprach er: "Cogito ergo Sum! Ich denke also bin ich! Doch Ihr denkt nicht! IHR DENKT NICHT, ALSO SEID IHR TOT! Es ist eine Qual für mich, es ist die schmerzliche Pain des ewigen und ziellosen Umherirrens in diesem von Leichengestank verpesteten Krematoriums des menschlichen Geistes, dessen leere Hüllen wie Untote auf Erden wandeln. Brennen sollt ihr. Brennen soll eure Welt. Eingeschmolzen soll sie werden, um neues daraus zu Formen. Brennen soll sie in der Glut des Zorns. Zerbersten soll sie in den Flammen des Hasses, den sie heraufbeschworen hat. Wie der Phoenix ist sie. Stets erhebt sie sich aus der Asche - zum Guten, wie zum Bösen. SEHT ZU BODEN, IHR GESTALTEN! ALLES IST VOLL ASCHE! Doch noch einmal soll sie brennen. Noch einmal soll sie lodern und geleckt werden von den wollüstigen Zungen des Feuers, auf dass sich erneut der Phoenix erhebt, dessen Rückkehr ich schon viel zu lange erwarte."
Doch noch immer fand keine Regung den Weg in die Gesichter der Gestalten. Sie sahen ihn an, mit ihren kalten, starren Augen, die nicht einmal blinzeln konnten.
Doch zu seiner großen Freude bewegte eine der unzähligen Gestalten plötzlich ihre Lippen und erhob ihren Kopf aus der breiten, dunklen Masse. Mit leiser, heiserer Stimme sprach sie zu ihm: "Stirb mit uns, es wird dir gefallen! Stirb mit uns, denn es macht Spass!"
So stürzten sich nun all diese Figuren mit euphorischem Geschrei auf ihn, um ihn, der in resignierter Demut seinen Kopf senkte, zu töten.
Sie vermochten es nicht, ihm sein Leben zu nehmen, sie vermochten es nicht, ihm das zu nehmen, was er nicht besaß. Als sie dies begriffen und endlich von ihm wichen, und als ihn nun der unerträgliche Schmerz, den ihm die Kreaturen beigebracht hatten, endlich freigab, wandte er sich voll Abscheu und Verachtung ab, stieg von seinem Sockel und ging weiter seines Weges.