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Die schwarze Lilie

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09.02.2011
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Die schwarze Lilie

Die armselige Gestalt saß abseits der Straßenlaternen im Dunkel und schien zu schlafen. Der Körper war in sich zusammengefallen, so als wäre durch das Leben auf der Straße das Rückgrat gebrochen.
Mein Weg führte mich von der Praxis zunächst an den Rand der Stadt bis zu dem alten Kanal, der mich an meine Kindertage erinnerte. Die Uferpromenade war an sonnigen Tagen ein beliebter Wanderweg, doch an diesen eisigen Februartagen zog es lediglich die Hundebesitzer hinaus auf die angrenzenden Grünflächen. Ich ärgerte mich, da ich länger in der Praxis geblieben war, als ich mir vorgenommen hatte. Ausgerechnet heute. Inmitten der Dunkelheit genoss ich die kühle Brise, die mir entgegenschlug und meine Gedanken reinigte. Ich verließ den Kanalweg und bog rechts in die angrenzende Siedlung ein. Die Straßenlaternen setzten leuchtende Kegel in die dunkle Nacht, aber sie standen nicht dich genug, um die Straße mit Licht auszufüllen. Von den Wohnstuben der Siedlungshäuser strahlte mir Licht entgegen, doch die herzliche Wärme, die darin herrschte, ließ sich nur erahnen. Mittlerweile war die eisige Kälte durch meinen Wintermantel durchgedrungen und kühlte meine Glieder aus. Beim Gedanken an meine eigene Wohnstube ließ sich die Kälte ertragen.
Als ich mich dem Mann bis auf wenige Meter genähert hatte, blieb ich stehen. Der Straßenbelag war naß und schien eine unangenehme Kälte auszustrahlen. Ich war erleichtert, als ich sah wie sich der Brustkorb hob. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Mann atmete und lebte. Der Mann schien zirka fünfzig Jahre alt zu sein. Sein Bart und sein Haar verdeckten beinahe sein ganzes Gesicht. Die Kleidung erzählte vom Leben auf der Straße. Der rechte Ärmel seiner Jacke war der Länge nach aufgeschlitzt, so dass das Futter herausquoll. An der Hose klebte trockener Lehm, mehrfach war der Stoff eingerissen und gab den Blick frei auf die nackte Haut. Wie konnte man nur so tief sinken? Die Vorstellung hier draußen in der Kälte übernachten zu müssen, war einfach unerträglich.
Ich zog meine Brieftasche aus meinem Jackett und entnahm eine Münze. Als ich sie in die Pappschachtel vor seinen Füßen legte, schlug mir eine Welle ungeheurer Kälte entgegen. So muss es sein, wenn man einen Kühlraum betritt. Es schien, als wäre der Mann von einer eigenen Kälte umgeben. Wie eine Aura. Es war eine außergewöhnlich kalte Aura von besonderer Qualität. Ich war mir sicher zu erfrieren, wenn ich mich der Kälte noch länger ausgesetzt hätte, daher wich ich schnell zurück in die mir vertraute Kälte der Winterzeit.
Schnellen Schrittes setzte ich meinen Weg fort. Nur noch zwei Blöcke Richtung Norden, dann links in die Stichstraße. Ich sah bereits mein Haus am Ende der Straße in der Dunkelheit mit der hell erleuchteten Stube, als ich Schritte hinter mir hörte.
"Warten Sie!" keuchte eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich drehte mich um und erkannte sofort den zerrissenen Ärmel, aus dem das Futter herausquoll. Am Ende des Ärmels sah ich die geballte Faust. Als der Mann näher kam, riss ich instinktiv die Arme hoch und ging in Abwehrstellung. Mein Herz schlug in meiner Kehle. Der Mann war jetzt so nahe, dass ich wieder seine kalte Aura spüren konnte. Doch es folgte kein Schlag, kein Tritt, kein Versuch mich zu überwältigen und meine Brieftasche zu stehlen. Ich sah in seine verzweifelten Augen, die mich flehentlich anschauten. Wollte er mehr Geld? Er schien keine Waffe zu haben. Als ich bemerkte wie sein ausgemergelter Körper zitterte, legte sich meine Angst. Ich fühlte mich überlegen. Nein, dieser Mann war keine Bedrohung für mich. Wie er da so gebückt vor mir stand, tat er mir wieder so leid wie zuvor als ich ihm eine Münze in seine Pappschachtel gelegt hatte. Mir kam der Gedanke ihm noch eine Münze zu schenken. Doch plötzlich streckte er mir seine Hand entgegen und öffnete seine Faust. Zum Vorschein kam eine sonderbare schwarze Blüte.
Er will mir eine Blume schenken, deutete ich seine Geste und nahm die Blüte an mich. Es war eine Lilie von ungeheurer Schönheit. Doch sie fühlte sich kalt an, jedoch weich und sah so vollkommen aus; die Kelchblätter formten eine perfekte Symmetrie. Der Blick in den Blütenboden offenbarte ein sonderbar schwarzes Loch, was eine seltsame Anziehungskraft besaß. Mehrere Sekunden war ich vom Anblick dieser faszinierenden Blüte gefesselt. Doch dann war ich wieder zurück in dieser seltsamen Situation mit Mann. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick bevor er sich plötzlich von mir abwandte und davon lief. Als ich ihm nachschaute, erkannte ich, dass ich mich verschätzt hatte. Der Mann war nicht älter als ich, vielleicht Mitte dreißig. Mit aufrechter Körperhaltung lief er kraftvoll um die nächste Straßenecke und verschwand in Richtung Kanal. Was hatte ich dem Mann Gutes getan? Als ich die schwarze Lilie in meinen Händen sah, war ich mir nicht sicher, ob es ein gutes Zeichen war oder das Zeichen einer kommenden Katastrophe.
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Ich erreichte endlich meine Wohnung, zog den Schlüssel aus der Tasche und schloss die Haustür auf. Mir fielen sofort die schwarzen Halbschuhe auf, die im Hausflur neben dem schwarzen Slip meiner Frau standen. Den Slip hatte ich ihr zum letzten Hochzeitstag geschenkt. Ich hob ihn auf und bekam ein ungutes Gefühl als mir dabei schweres Männerparfüm in die Nase stieg. Ich folgte den stöhnenden Lauten ins Schlafzimmer.
"Verschwinde einfach", sagte meine Frau. Und ich verschwand.
Ich fand mich in einer Bar am Bahnhof wieder. Der Jack Daniels brannte mir in der Kehle, während ich von Zigarettenqualm und Frank Sinatras größten Hits umnebelt wurde.
Verdammt. Was ist hier eigentlich los?, fragte ich Jack und Frank. Ich erinnerte mich an das Telefongespräch mit meiner Frau, welches ich noch von der Praxis aus geführt hatte.
"Beeil dich, Liebling", hatte sie gesagt.
"Ich schaff's nicht pünktlich aus der Praxis", hatte ich zu bedenken gegeben.
"Du willst dir doch das Essen nicht entgehen lassen." Ich hörte ein leises Kichern am anderen Ende der Leitung.
"Natürlich nicht, insbesondere nicht das Dessert." Ich hatte schmunzeln müssen und freute mich auf den Abend mit meiner Frau.
Wieder und wieder drehte ich die Worte des Gesprächs in meinen Gedanken. Ich fand nichts, was die Katastrophe hätte erklären können. Was hatte ich falsch gemacht? Ich fühlte die Lilie in meiner Tasche, brachte sie aber nicht in Zusammenhang mit dem Geschehenen.
Die Bar stank nach Bier und Zigaretten. Ich fühlte mich unwohl und leerte mein Glas. Dann schmiss ich es mit voller Wucht vor die Wand. Als ich sah wie die Scherben sich über die Sitzbank und den gefliesten Boden verteilten, war ich selbst erschrocken über die impulsive Wut, die sich in mir aufgestaut hatte. Instinktiv sah ich zum bulligen Barkeeper herüber, der bereits sein Geschirrtuch beiseite legte und die Fäuste ballte. Schnellen Schrittes war er bei mir am Tisch. Seine rechte Gerade platzierte er mit voller Wucht an mein linkes Kinn. Die Wucht war so groß, dass ich von meinem Stuhl katapultiert wurde und die Bodenvase mitriss, die mit einem lauten Knall neben mir zerschmetterte. Ein Taubheitsgefühl breitete sich in meinem Kinn aus. Vom gefliesten Boden stieg Biergeruch in meine Nase.
Ich hörte nicht mehr was der menschgewordene Bulle sagte, aber ich verstand es als Aufforderung zu gehen. Der erste Versuch mich aufzurappeln misslang und ich stürzte wieder in die Scherben. Das spitze Glas riss mir die Haut an den Handflächen auf. Der zweite Versuch klappte besser und ich hatte schon fast die Tür erreicht, als mich der Bulle erneut packte.
Immer noch ganz benebelt hörte ich aus seinen fluchenden Worten heraus, dass er Geld wollte. Ich fummelte unbeholfen meine Geldbörse aus meinem Jackett. Hilflos sah ich mit an wie der Bulle sich sämtliche Geldscheine herausnahm und mir die leere Geldbörse in die Jacketttasche zurückstopfte. Als er mich dann grob am Nacken packte, um mich hinaus zu begleiten, schnürte mir mein Hemdkragen die Luft ab. Ich war froh als er mir endlich einen finalen Schlag verpasste und ich ins freie stolperte. Ich flüchtete vor der eisigen Kälte in die gegenüberliegende Bahnhofshalle.
In der Bahnhofshalle war zu der späten Stunde nicht mehr die hektische Betriebsamkeit wie am Tage. Der Kopfbahnhof war ein beliebter Knotenpunkt der Region. Die hell beleuchtete Halle im neoklassizistischem Stil baute sich majestätisch über mir auf. Die Reinigungskräfte hatten gute Arbeit geleistet, denn der Bodenbelag aus chinesischem Granit glänzte in voller Pracht. An Gleis 1 sah ich den glühenden Rücklichtern eines ICE hinterher. Erst jetzt bemerkte ich den großen Glassplitter in meinem Daumenballen. Das geronnene Blut hatte bereits meine Handfläche verkrustet. Während ich weiterging machte ich mich an die schmerzhafte Bergung des Splitters, der sich tief ins Fleisch gebohrt hatte. Ich hätte besser stehen bleiben sollen, denn die Operation erforderte meine ganze Aufmerksamkeit. Und so sah ich nicht das Hindernis, welches mich erneut zu Fall brachte. Der gewienerte Boden der Bahnhofshalle roch zwar nicht nach Bier, jedoch machte die Sauberkeit den Aufprall nicht angenehmer. Durch meinen Schädel schossen Blitze, als mein Nasenbein brach und sich die Knochensplitter in das umgebende Weichgewebe verteilten.
"Pass doch auf du Penner." Der Inhaber des schwarzen Koffers löste sich aus der Gruppe Jugendlicher und verpasste mir einen Tritt in den Magen, den ich schon gar nicht mehr als besonders schlimm empfand.
Mein Schädel brummte. Was ist bloß los mit mir? Ich krabbelte auf allen vieren in die Nische der Eingangstür der schon geschlossenen Buchhandlung. Der dumpfe Schmerz in meiner Magengrube entwickelte sich zu einem Übelkeitsgefühl. Ich empfand Erleichterung als ich mich mehrmals übergeben hatte und der Jack Daniels in kleinen Rinnsalen in den Abfluss lief.
Es vergingen nur wenige Minuten der Ruhe bis mir ein Geruch von billigem Rotwein und Döner in die Nase stieg.
"Wohl neu in der Stadt?"
Als ich aufsah, sah ich in das zerfurchte Gesicht eines Landstreichers. Die gelben, verwitterten Zähne erzählten von einem Leben ohne Zahnbürste und Zahncreme.
"Junge, ich will keine Streit mit dir."
Ich auch nicht, dachte ich mir.
"Das hier ist seit zwanzig Jahren mein Schlafplatz."
Ich nickte widerstandslos und verließ die Nische.
Als ich durch die vornehme Bahnhofshalle hinkte, versuchte ich keinen Reisenden mehr zu nah zu kommen. Noch vier Stunden zuvor saß ich in meiner Praxis und freute mich auf das Abendessen mit meiner Frau. Wie war ich in diese Situation geraten? Und wie kam ich hier wieder raus? Mich überkam der Wunsch zu flüchten und so bestieg ich den Zug auf Bahnsteig drei, dessen Reiseziel ich nicht kannte. Als der Zug anfuhr, wusste ich nicht, dass ich mit der schwarzen Lilie in der Tasche geradewegs in die nächste Katastrophe hinein steuerte.
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"Immer diese Penner." Die tiefe Stimme des Schaffners riss mich aus dem Schlaf. Es fiel mir schwer die Augen zu öffnen, während ich langsam wieder zur Besinnung kam.
"Das Schlimmste ist die Geruchsbelästigung", stimmte ein Mann im schwarzen Anzug weiter vorne im Großraumabteil zu.
Der Schaffner rüttelte grob an meiner Schulter.
"Ja, ja", murmelte ich.
"Den Fahrschein, bitte", besann sich der Schaffner auf die vorgeschriebene Höflichkeit der Bahngesellschaft.
Ich zog meine Geldbörse aus dem Jackett und wollte bezahlen. Die Geldbörse war leer und erst jetzt fiel mir wieder die unsanfte Begegnung mit dem Bullen ein.
Der Schaffner zog die Augenbrauen hoch und zischte verachtend. "Ich dulde keine Penner ohne Fahrschein und ohne Geld in meinem Zug."
Der Mann im schwarzen Anzug nickte wieder zustimmend und bot dem Schaffner seine Hilfe an. Zusammen packten sie mich unter den Armen.
"Lassen Sie mich los", quengelte ich. Ich mobilisierte meine Kräfte, doch mein Widerstand blieb klein. Die beiden Männer schleiften mich durch den Gang zu dem Ausstiegsbereich. An den Fenstern raste die pechschwarze Wildnis vorbei.
Mit seinem Spezialschlüssel und einem kräftigen Ruck entriegelte der Schaffner die Tür. Der Fahrtwind blies in den Waggon und unsere Kleidung surrte im Luftzug wie vor einem Fallschirmabsprung. Die Männer drängten mich zur Tür. Die pechschwarze Wildnis schien mich zusätzlich anzusaugen als wollte sie mich verschlingen. Als ich verstand, was die Männer vorhatten, mobilisierte ich meine letzten Kräfte. Mit durchgedrückten Knien versuchte ich mich gegen die Kräfte zu stemmen, die an mir zerrten und mich zerstören wollten. Ich verkeilte meinen rechten Fuß in der Türschwelle, was mir ein kurze Verschnaufpause verschaffte. Die Fingernägel meiner Widersacher hatten sich mittlerweile tief ins Fleisch meiner Unterarme gegraben. Als der Zug eine Rechtskurve fuhr, ergab sich ein kurzfristiger Vorteil für mich. Mit Hilfe der Fliehkraft drängte ich meine Widersacher wieder ins Waggoninnere. Ich schaffte es mich aus dem Griff des Schaffners zu lösen, und drängte zurück ins Abteil. Doch der schwarze Mann hatte sich wie ein Tier mit seinen Klauen in meinen Unterarm verkeilt. Ich kam nicht los und der Schaffner sprang auf mich. Er nahm mich mit seinem rechten Arm in einen Würgegriff. Als meine Luftröhre unter dem Druck kollabierte, brach mein Widerstand. Durch den Blutstau traten mein Augäpfel hervor. Meine Extremitäten fingen an zu zucken, als der Schaffner mich an den Ausstieg zerrte. Endlich öffnete er den Würgegriff. Ich stand unsicher auf der Türschwelle, vor Schmerzen gekrümmt, nach Luft ringend, hinter mir die vorbeirasende, pechschwarze Wildnis.
Der Schaffner packte mich am Kragen und sah mir in die Augen: "Ohne Fahrschein können wir Sie leider nicht länger mitnehmen." Der tosende Fahrtwind verschluckte seine Worte, aber die waren auch nicht mehr wichtig, als ich den Waggon in voller Fahrt verließ.
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Der Aufprall war hart, aber ich überlebte ihn. Mit jedem Atemzug schmerzte mein Brustkorb. Mich überkam die Angst, dass ich mich beim Sturz aus dem Zug lebensgefährlich verletzt hatte. Vorsichtig ertastete ich die Stelle des Schmerzmaximums am linken Rippenbogen und stöhnte laut auf als ich sie gefunden hatte. Ich fuhr mit den Fingern an den Rippen entlang und war beruhigt, dass sich keine Stufe tasten ließ. Offensichtlich nur eine Prellung. Nichts gefährliches, beruhigte ich mich. Ich hustete ein paar Brocken Blut aus und versuchte aufzustehen. Wo war ich?
In den letzten Stunden hatte sich meine Welt verdunkelt. Jetzt war ich im Schwarz angekommen. In völliger Dunkelheit suchte ich meine Umgebung ab. Schlamm, Steine. Nichts. Mensch, überleg! Oder willst du in dieser verdammten Einöde sterben? Irgendwo mussten die Schienen sein. Du musst die Schienen finden, befahl ich mir. Du musst die Schienen finden, sonst stirbst du.
Auf allen vieren kroch ich in die Richtung aus der ich gefallen war. Das Gras war feucht, aber weich. Für einen kurzen Moment fand das Mondlicht den Weg vorbei an einer schwarzen Wolke. Das fahle Licht fiel über den Bahndamm und ließ in mir Hoffnung aufkeimen. Der Bahndamm lag wie eine langgezogene Düne vor mir. Doch plötzlich durchschnitt ein ziehender Laut die Stille. Was war das? Auf jeden Fall nichts Menschliches. Das Geheul ging mir unter die Haut und richtete mir die Nackenhaare auf. Ich ging automatisch in die Hocke in eine Art Abwehrposition, obwohl ich nicht wusste, gegen was ich mich wehren musste. Sekunden vergingen und schließlich stoppte auch das Geheul. Das Mondlicht blieb hinter der schwarzen Wolkendecke verborgen. Ich fühlte wie der Schweiß mir am Körper entlang lief. Starr vor Angst lauschte ich in die Dunkelheit hinein. Jetzt hörte ich ein tiefes Atmen, nein, eher ein Schnauben, und ein Scharren, schließlich hörte ich das Gras vor mir rascheln, etwas kam mit schnellen Schritten auf mich zu und ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Die stockdunkle Nacht verschlang jegliche visuelle Wahrnehmung der drohenden Gefahr.
Als ich den fremden Atem auf meinem Gesicht spürte und eine nasse Schleimhaut meine Wange berührte, sah ich direkt vor mir in die zwei grünlich schimmernden Augen des Raubtiers. Ich will nicht sterben. Unwillkürlich setzte mein Fluchtreflex ein. Ohne mich nochmal umzuschauen lief ich los. Mich überfiel die Angst von dem Raubtier zerfleischt zu werden. In völliger Dunkelheit rannte ich um mein Leben. Ich kann nicht mehr sagen, wie weit ich schon gelaufen war, als ich völlig unverhofft eine Baumgrenze erreichte. Äste schlugen mir ins Gesicht und gruben tiefe Risse in meine Haut. Ich stürzte über das Wurzelwerk des Waldes, welches den Boden zu einem Stolperpfad machte. Mit dem Knie schlug ich gegen etwas hartes. Ein Stein? Der Schmerz schnürte mir die Kehle zu. Ich biss die Zähne zusammen. Mein Stöhnen übertönte das Knacken der Äste, die unter meinen Schritten zerbrachen, bis ich in völliger Dunkelheit massives Holz auf meine Stirn krachen spürte. Ein Ast auf Augenhöhe musste mich niedergestreckt haben. Der sofort einsetzende stechende Schmerz wich schnell einer dumpfen Benebelung, meine Knie wurden instabil als könnten sie mein Körpergewicht nicht mehr halten. Ich stolperte zur Seite wie ein Betrunkener, war nicht mehr fähig meinen Sturz mit den Händen abzufangen. Die vormals nur geprellte Rippe zerbrach, als mein Brustkorb auf einen herausstehenden Granitstein aufschlug. Der Schmerz gab mir meine Sinne zurück. Erst jetzt merkte ich, dass der Granitstein eine Klippe bildete. Meine Kräfte reichten nicht aus, mich an dem Wurzelwerk festzuhalten. Ich glitt über den Rand der Klippe. Verlor den Boden unter meinem Körper. Der Schmerz wich einer Todesangst. Ich befand mich im freien Fall. Wie lange? Eine Sekunde? Zwei Sekunden? Die Zeit verlor sich in der Dunkelheit. Der Wolf. Der Wald. Alles löste sich auf. Die schwarze Lilie erschien vor meinen Augen und ich fiel in das schwarze Loch, welches von den bezaubernden Kelchblättern geformt wurde.
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Ich weiß nicht wie lange mich die schwarze Lilie in meinen Träumen gefangen hielt. Es mussten Stunden gewesen sein bis die hämmernden Kopfschmerzen Überhand über die Sanftheit des Traumes gewannen und mich aufwachen ließen. Das Laub unter meinem Körper fühlte sich feucht an. Modriger Duft stieg mir in die Nase. Als ich den Kopf vorsichtig anhob fielen mir mehrere Blätter aus dem Haar. Auf meiner Stirn tastete ich verkrustetes Blut auf einer schmerzhaften Vorwölbung. Durch vorsichtiges Betasten stellte ich fest, dass abgesehen von der Wunde auf meiner Stirn, dem gebrochenem Nasenbein und einigen tiefen Kratzern auf meiner rechten Wange mein Kopf intakt war. Ganz anders der Rest meines Körpers. An der Stelle, wo zuvor nur eine Rippenprellung war, fühlte ich jetzt eine deutliche Stufe im Verlauf der Rippe. Mit jedem Atemzug rieben die gebrochenen Knochenenden aufeinander. Das Hosenbein rechts war aufgerissen und gab den Blick auf mein massiv geschwollenes Knie frei. Die Haut war blau unterlaufen und spannte sich schmerzhaft, als ich versuchte das Knie zu beugen.
Wo war ich? Ich drehte mich auf den Rücken, wobei mir ein schrecklicher Ganzkörperschmerz Tränen in die Augen trieb. Erschöpft blickte ich nach oben und sah in den Himmel, der mit schwarzen Wolken behangen war. Es begann die Morgendämmerung. In der Ferne hörte ich grollende Donnerschläge. Ich versuchte mich zu orientieren, stellte aber nur fest, dass ich auf einer mit Blättern bedeckten kleinen Lichtung lag. Hinter mir türmte sich der Granitfelsen auf, der mir beinahe das Leben gekostet hatte. Zu meiner Linken sah ich an meterhohen Tannen hinauf, deren Wipfel sich hoch oben im aufkommenden Sturm bewegten. Zu meiner Rechten standen mächtige Eichen, aus deren Baumkrone sich ein Schwarm schwarzer Krähen erhob und davonflog.
Ich atmete tief durch und fühlte mich unendlich schwach. Trotz meines Bettes aus Laub hatte die Kälte des Waldbodens Besitz von meinen Gliedern ergriffen. Meine steifen Glieder knirschten als ich mich aufrichtete. Ich hatte es gerade in einen aufrechten Stand geschafft, als sich über mir die schwarzen Wolken zusammentaten, um einen sintflutartigen Regen auf mich niedergehen zu lassen. Ich flüchtete unter den Vorsprung unter dem Granitfelsen und schütze mich in einer höhlenartigen Ausbuchtung vor dem Regen. Mit dem Regen kam auch das Gewitter. Ich kniff die Augen zu, hielt mir die Ohren zu. Ich ertrug die rohe Naturgewalt nicht wie sie mit Blitzen und Donnern auf mich niederging.
Die Erde auf der ich saß zuckte ängstlich als sich der Himmel mit einem apokalyptischen Schlag in die große Eiche entlud und diese mit einem Feuerblitz fällte. Die mächtige Eiche war binnen Sekunden nur noch ein lodernder Busch. Der Blitzschlag befreite mich aus meiner Lethargie. Nicht nur die Lichtung war jetzt hell erleuchtet, sondern auch auch mein Geist wurde endlich wachgerüttelt. Warum bin ich nicht vorher darauf gekommen? Ich griff in meine Hosentasche und fühlte die kühlen Blätter der schwarzen Lilie.
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Nach drei Stunden Fußmarsch erreichte ich den Vorort der Großstadt. Mein rechtes Hosenbein hing in Fetzen über meinem geschwollenen Knie. Über meiner gebrochenen Rippe hatte sich die Haut großflächig livide verfärbt. Der Bluterguss auf meiner Stirn pochte krankhaft. Ich schleppte mich am Bürgerhaus vorbei und ließ mich in einer kleinen Gasse nieder. Das feuchte Kopfsteinpflaster brannte die Kälte in mein Gesäß. Aus dem Gullideckel am Ende der Gasse stieg Wasserdampf auf, der die Luft mit dem Gestank des Abwasserkanals anreicherte. Aber ich nahm von meiner Umwelt kaum etwas wahr. In meiner Euphorie waren sogar die Schmerzen erträglich. Ungeduldig strich ich über die Blätter der Lilie.
In den frühen Morgenstunden waren die Straßen menschenleer. Mein Atem kondensierte zu kleinsten Wassertröpfchen. Nach den aufregenden Stunden der letzten Nacht kam mein Puls endlich wieder in normale Bereiche. Seit der Übernahme der Lilie war ich nicht mehr so zur Ruhe gekommen. Ich zwang mich wach zu bleiben. Ich durfte den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen, auch wenn ich mir nicht sicher war, wie ich den richtigen Zeitpunkt erkennen sollte. Bei dem Gewitter im Wald war ich mir sicher gewesen, dass es zwischen der schwarzen Lilie und den Ereignissen der letzten Nacht eine Verbindung geben musste. Jetzt wich meine Sicherheit einer vagen Vermutung. War die Lilie wirklich die Ursache meines Niedergangs gewesen? Oder gab es noch eine andere Erklärung? Ich fiel in einen unruhigen Schlaf. In meinen Träumen lief ich über ein Meer aus schwarzen Lilien. Doch die Lilien blieben stumm und mir eine Erklärung schuldig.
"Geh in eine Kneipe und wärm dich auf." Das Ende meines Traumes ließ mich die Worte des Mannes fast nicht wahrnehmen. Er war bereits einige Meter von mir entfernt, als ich endlich erwachte und mir klar wurde, dass der Zeitpunkt meiner Erlösung gekommen war. Der Mann war um die dreißig Jahre alt. Ein langer Mantel schützte ihn vor der Kälte. Um den Hals trug er einen modischen violett-grauen Schal, der hinter ihm im Wind flatterte.
"Warten Sie", keuchte ich.
Beinahe hätte ich meine Rettung verpasst, doch der Mann blieb stehen. Als ich die schwarze Lilie überreicht hatte, drehte ich mich um und lief dem Sonnenaufgang entgegen. Ich fühlte wie ein ungeheures Wohlbefinden meinen Körper durchströmte. Alles Leiden schien ein Ende zu haben und ich begann den neuen Tag voller Tatendrang.

 
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Hallo Sobotti,

herzlich willkommen hier!

Deine Geschichte steht nicht in der geeigneten Rubrik.

Klickst Du eine Rubrik an, findest Du oben Informationen, was dort hineinpasst, oft auch einen Thread „Was passt in diese Rubrik? Bitte vor dem Veröffentlichen lesen!“ zur weiteren Orientierung.

Bitte teile mir innerhalb von zwei Tagen per PM mit, wohin ich Deine Geschichte verschieben soll. Andernfalls werde ich sie nach „Seltsam“ verschieben.

Gruß

Asterix

Nachtrag:
Auf Wunsch des Autors nach „Seltsam“ verschoben.

 
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Willkommen, Sobotti!

Ich möchte gleich mal vorausschicken, dass es mir nicht möglich war, deine Geschichte in einem Zug durchzulesen. Offen gestanden, weiß ich schlicht nicht, wo ich sie einordnen soll. Aber darüber scheinst du dir selbst nicht recht im Klaren zu sein, da du sie in der Krimi-Rubrik eingestellt hast.

Nur damit das klar ist: Ich will dich, um Himmels willen, nicht runterputzen. Eine Beurteilung fiele nur entschieden leichter, wenn man die Gewissheit hätte, in welche Richtung du mit deiner Erzählung zu gehen gedenkst.

Aufgrund des übernatürlichen Elementes und der undurchschauberen Ereignisse, die auf den Protagonisten einprasseln und ihn überwältigen, würde ich die Story in den Mystery-Sektor verfrachten. Allerdings gewinne ich durch den Schluss den Eindruck, dass sie irgendwie auch ein Gleichnis hätte sein sollen? Lieg ich damit halbwegs richtig?

Wenn ja, hättest du die Lektion, die der Protagonist daraus lernen soll, vielleicht etwas deutlicher herausarbeiten sollen. Oder läuft es im Grunde auf das "Another Day in Paradise"-Prinzip hinaus und die schwarze Lilie ist eine Art 'Gleichmacher', der Klassenunterschiede aufhebt? Ich bitte zu entschuldigen, falls ich an dieser Stelle überinterpretiere.

Für eine spannungsgeladene (wahrscheinlich ist deine Erzählung deshalb in dieser Gattungsschublade gelandet?) Mystery-Geschichte fehlt für meinen Geschmack der Wille, das Rätsel nach und nach zu enthüllen. Der Protagonist selbst kommt viel zu spät darauf, sich zu fragen, was es mit der Lilie nun eigentlich auf sich hat und ob sie die Wurzel allen erlittenen Übels ist.

Vielleicht hättest du den Charakter etwas neugieriger und 'aufmüpfiger' gestalten können. Wieso z.B. lässt er sich ohne Weiteres von seiner fremdgehenden Frau verscheuchen, begehrt an keiner Stelle der Geschichte merklich auf und ist im Grunde immer nur auf der Flucht bzw. dabei zu re-agieren, statt selbst die Handlungsinitiative zu ergreifen?

Stell dir doch mal vor, dir selbst würde so etwas zustoßen. Würdest du es ohne zu murren über dich ergehen lassen? Proteslos hinnehmen, dass dein Leben mal eben von Grund auf umgekrempelt worden ist? Doch wohl eher nicht, oder? Du solltest deiner Hauptfigur dasselbe Maß an Willensstärke, Selbstachtung und -erhaltungstrieb zugestehen wie dir selbst.

Mir sind auf Interpunktionsebene manche Komma-Auslassungen vor Neben- und Relativsätzen aufgefallen, insbesondere bei "als" und "wie". Aber da du's in anderen Passagen wieder richtig gemacht hast, geh ich davon aus, dass es sich um nichts als Leichtsinnsfehler handelt.

Zu manchen Formulierungen, die mir persönlich merkwürdig vorkommen, werde ich mich später noch äußern.

Aber das eigentlich Wesentliche ist ja, dass du weißt, welchen Kurs du mit deiner Erzählung einschlagen willst. Möchtest du belehren oder atemlos unterhalten? Soll dein Protagonist für etwas bestraft werden, will ihm die schwarze Lilie (ich unterstelle mal kühn ein klein wenig Personifikation) eine neue Perspektive aufzeigen oder ist er rein zufällig in den Schlamassel hineingeraten?

Ich bin sicher, wenn du selbst klare Antworten auf Fragen wie diese gefunden hast, kannst du deine Geschichte entsprechend leserfreundlich(er) umschreiben. Denn ich vermute, dass sie jede Menge Potential hat, das nun bloß noch durch handwerkliche Kniffe freigelegt werden muss.


Gruß

ts

 

Hallo Sobotti

Die Geschichte eröffnete sich mir angenehm lesbar, eine sonderbare Begegnung.

Als ich die schwarze Lilie in meinen Händen sah, war ich mir nicht sicher, ob es ein gutes Zeichen war oder das Zeichen einer kommenden Katastrophe.

Zweierlei scheint mir an diesem Satz nicht ganz gelungen. Die Verdoppelung von Zeichen liesse sich mit einmaliger Benennung sicher eleganter ausdrücken. Dass der Prot. hier zwischen einem guten Omen und einer kommenden Katastrophe schwankt, wirkt mir unglaubwürdig. Ich kann keinen plausiblen Grund dafür erkennen. Wenn er sich fragen würde, ob die Lilie ein gutes oder schlechtes Zeichen sei, klänge es weniger übertrieben. Aber Katastrophe …

Mir fielen sofort die schwarzen Halbschuhe auf, die im Hausflur neben dem schwarzen Slip meiner Frau standen. Den Slip hatte ich ihr zum letzten Hochzeitstag geschenkt.

Im ersten Moment dachte ich an einen Vertipper, Slipper statt Slip, also Pantoffeln. Doch im zweiten Satz bestätigt es sich. Das Bild konnte ich mir zwar gut vorstellen, schwarze Halbschuhe neben einem schwarzen Slip. Aber die Szene scheint mir damit nicht glücklich formuliert, es wirkt so zwanghaft geordnet hingestellt. Ich denke einfach mal, der Schuhe entledigte sich der Besucher schnell, der Slip der Frau wurde heruntergerissen und achtlos liegen gelassen.

Ich folgte den stöhnenden Lauten ins Schlafzimmer.
"Verschwinde einfach", sagte meine Frau. Und ich verschwand.

Knapper geht’s nicht. Aber gut, ich deute es als eine fragmentarische Wahrnehmung, die sich durch die überfordernde Situation ergibt.

Als er mich dann grob am Nacken packte, um mich hinaus zu begleiten, schnürte mir mein Hemdkragen fast die Luft ab.

Das fast kannst du m. E. weglassen. Den Moment ohne Luft übersteht der Prot.

Der Kopfbahnhof war ein bekannter Knotenpunkt der Region.

Ich denke du meinst damit, dass sich hier viele Leute treffen. Warum nicht beliebter statt bekannter?

An Gleis eins sah ich den glühenden Rücklichtern eines ICE hinterher.

Hier hätte ich bezeichnend die Zahl 1 gesetzt, wenngleich es in literarischen Texten nicht gern gesehen wird.

Der gewienerte Boden der Bahnhofshalle roch zwar nicht nach Bier, jedoch machte die Sauberkeit den Aufprall nicht weicher.

Dies scheint mir sinnentstellend. Statt weicher vielleicht besser angenehmer oder etwas ähnliches.

… der Eingangstür des schon geschlossenen Buchhandels.

… der Buchhandlung oder des Buchladens?

Aber der Szene in der Bar wurde mir die Geschichte etwas zu langatmig, die Handlungen zu gekünstelt, obwohl ich die Beschreibungen an sich verständlich fand. Es fehlt mir auch eine plausible Erklärung, was es mit der schwarzen Lilie auf sich hat, da es sich so einfach wie eine etwas sonderliche Fantasie liest.

Nicht ungern gelesen, auch wenn es mir mit realerem Hintergrund überzeugender wäre.

Gruss

Anakreon

 

Vielen Dank für die konstruktive Kritik an meinem Erstlingswerk.

Der Hauptkritikpunkt von tutorialslave ist ja, dass man beim Lesen der Geschichte nicht weiß, ob man belehrt oder einfach nur unterhalten werden soll. Eigentlich wollte ich mit der Geschichte den Leser einfach nur mit auf eine sonderbare Begegnung und deren Folgen nehmen, ohne besondere Symbolik, Gleichnisse oder Belehrungen. Dass sich durch die eingebauten überwältigenden Ereignisse und Elemente viele neue Interpretationsmöglichkeiten ergeben, war von mir nicht so geplant. Ich sehe ein, dass dadurch bei dem ein oder anderen Leser ein unbefriedigendes Gefühl hervorgerufen wird, ja, gerade so, als ob ich als Autor mehr erreichen wollte als pure Unterhaltung. Das war nicht meine Absicht. Wenn man genau hinschaut ist der Plot doch sehr einfach und überschaubar: auslösendes Ereignis (Übernahme der Lilie) -> Veränderungen im Leben des Protagonisten (Leid und Schmerz) -> Happy End (Abgabe der Lilie und alles ist wieder gut). Und der einfache Plot war von mir als Anfänger-Autor bewusst so gewählt. Ich bin ja froh, dass ich es überhaupt geschafft habe, eine lesbare Geschichte zum Ende zu bringen. Deshalb freue ich mich auch über den Kommentar von Anakreon ("Die Geschichte eröffnete sich mir angenehm lesbar, eine sonderbare Begegnung"). Immerhin!

Ich nehme mir die Kritik zu Herzen und gelobe Besserung. Im Großen und Ganzen wird die Geschichte aber so bleiben wie sie ist. Die Vorschläge von Anakreon zur Verbesserung nehme ich die nächsten Tage nochmal genauer unter die Lupe. Die Anregungen und Hinweise von tutorialslave werde ich dann aber auf jeden Fall in meinen nächsten Geschichten berücksichtigen.
Vielen Dank nochmal und herzliche Grüße, Sobotti.

 

Hallo Sobotti,

willkommen auf KG.de!
Für Deinen Einstieg finde ich den Anfang (weiter habe ich noch nicht gelesen, ich erkläre gleich warum) ziemlich gelungen. Ich glaube mit ein wenig Übung und einem gewissen Lerneffekt wirst Du es bald recht gut beherrschen KGs zu schreiben.

So, nun zum Kern:
Zuerst einmal hätte ich mir mehr Absätze gewünscht. Der Text ist recht schwer zu lesen. Ein paar optische Einschnitte würden das Ganze erleichtern.

Ich ärgerte mich, da ich länger länger in der Praxis geblieben war, als ich mir vorgenommen hatte.
"länger" ist doppelt

Inmitten der Dunkelheit genoss ich die kühle Brise, die mir entgegenschlug und meine Gedanken reinigte. Ich verließ den Kanalweg und bog rechts in die angrenzende Siedlung ein. Die Straßenlaternen setzten leuchtende Kegel in die dunkle Nacht, aber sie standen nicht dich genug, um die Straße mit Licht auszufüllen. Von den Wohnstuben der Siedlungshäuser strahlte mir Licht entgegen, doch die herzliche Wärme, die darin herrschte, ließ sich nur erahnen. Mittlerweile war die eisige Kälte durch meinen Wintermantel durchgedrungen und kühlte meine Glieder aus. Beim Gedanken an meine eigene Wohnstube ließ sich die Kälte ertragen.

Zwei Dinge:
- die angenehme kühle Brise wird innerhalb weniger Sätze zur eisigen Kälte, das ist komisch.
- Licht und Licht, Kälte und Kälte und kühl und Kälte ... (später mehr dazu, erst noch ein paar Beispiele)

Der Straßenbelag war naß und schien eine unangenehme Kälte auszustrahlen.
Schien? Tut ers oder tut ers nicht? (Und wieder die Kälte!)

Ich war erleichtert, als ich sah wie sich der Brustkorb hebte.
... hob

Der rechte Ärmel seiner Jacke war der Länge nach aufgeschlitzt, so dass die Fütterung herausquoll.
... das Futter (aber das kommt später noch einmal, also wäre eine andere Beschreibung besser!)

Ich zog meine Brieftasche aus meinem Jackett und entnahm eine Münze. Als ich die Münze in die Pappschachtel vor seinen Füßen legte, schlug mir eine Welle ungeheurer Kälte entgegen.
... und wieder die Kälte. Es ist klar, dass diese (durch das "diese" kannst Du z.B. einige Wiederholungen verhindern) Dir sehr wichtig ist. Aber sei bei Deinen Beschreibungen etwas kreativer. Benutzt Du immer das gleiche Wort killt das den Lesefluss und auch -spaß.
Münze wird auch wiederholt.

Nur noch zwei Blöcke Richtung Norden, dann links in die Stichstraße. Ich sah bereits mein Haus am Ende der Straße in der Dunkelheit mit der hell erleuchteten Stube, als ich Schritte hinter mir hörte.
... zwei Block.
... und schon wieder die Dunkelheit und das Licht. Puuuh Kälte, Dunkelheit, Licht. ... ich glaube Du hast es inzwischen selbst gemerkt, oder?

Doch sie fühlte sich sonderbar kalt an, jedoch weich und sah so vollkommen aus; die Kelchblätter formten eine perfekte Symmetrie. Der Blick in den Blütenboden offenbarte ein sonderbar schwarzes Loch, was eine seltsame Anziehungskraft besaß.
... schwarzes Loch, das ...
sonderbar, sonderbar, seltsam. Das soll dem Leser sagen: "Buhu, da ist was gaaaanz komisches - rate mal was!" Wenn Du Deinen Text spannend genug schreibst, brauchst Du solche Effekthascherei nicht.

___________________

An dieser Stelle höre ich auf zu lesen, weil es durch die Wiederholungen leider keinen Spaß mehr macht.
Allerdings würde ich sehr gerne die überarbeitete Version noch einmal Lesen, da mich die Geschichte selbst schon interessiert und ich wissen möchte was es mit der Lilie auf sich hat.

- Mir passiert das mit den Wiederholungen auch oft. Beim mehrmaligen urchlesen danach merze ich diese dann so nach und nach aus. Immer wieder schlüpfen doch ein paar durch, aber es ist ganz ganz wichtig, dass das die Ausnahme ist, nicht die Regel. Sei kreativer was Deine Wortwahl angeht!

- Lass den Text dann mal ein wenig liegen und lies ihn Dir dann mal laut so vor, als hättest Du ihn nicht geschrieben. Dann fallen Dir sicher noch ein paar Dinge auf ...

Bin gespannt auf die Überarbeitung und hoffe Du packst die Geschichte noch mal auf diese Punkte hin an.

Liebe Grüße

elisabeth

 

Hallo Sobotti!

Ich stimme dir zu, du hast es geschafft eine lesbare Geschichte zu schreiben. Es werden viele Details gezeigt und alle Sinne des Protagonisten angesprochen. Die Handlung wird chronologisch erzählt und schreitet stetig voran. Da stecken also schon einige gute Überlegungen drin.

Zunächst zum Plot.
Wie du selbst schreibst, sieht der folgendermaßen aus:
„auslösendes Ereignis (Übernahme der Lilie) -> Veränderungen im Leben des Protagonisten (Leid und Schmerz) -> Happy End (Abgabe der Lilie und alles ist wieder gut).“
Soweit gut. Anzumerken wäre nur, dass der Protagonist auf seinem Weg zum Happyend zu lange in der Opferrolle verharrt. Das ist dann doch ein wenig zu einfach.
Die Geschichte gewänne an Substanz, wenn der Prot. eher auf die Idee käme, sich der Lilie zu entledigen; in der Kneipe, am Bahnhof und im Zug. Was dann jeweils daran scheitert, dass dort niemand Mitleid mit ihm hat, und Mitleid eines Dritten ist notwendig, um die Lilie weiterzugeben, wie es ja auch in der vorliegenden Geschichte der Fall ist.

Der Prot. wäre dann nicht ausschließlich ein Spielball der seltsamen Umstände, sondern er würde (von Anfang an) um eine Lösung seines Konfliktes kämpfen und der Leser mit ihm zusammen rätseln, wie er die Lilie wieder loswerden könnte.
So wie sie dasteht, hat die Geschichte zwar ein Thema: das Böse, sie hat ein Motiv: der verfluchte Gegenstand, nur fehlt ihr eine Prämisse und der Beweis dazu. Gerade Letzteres ist das Salz in der Suppe.

Zur Perspektiv wäre anzumerken:

Die armselige Gestalt saß abseits der Straßenlaternen im Dunkel und schien zu schlafen. Der Körper war in sich zusammengefallen, so als wäre durch das Leben auf der Straße das Rückgrat gebrochen.
Diese Vorwegnahme passt nicht zum übrigen Erzählstil, der chronologisch aufgebaut ist. Überhaupt passt so was eher zu einem auktorialen Erzähler.

Von den Wohnstuben der Siedlungshäuser strahlte mir Licht entgegen, doch die herzliche Wärme, die darin herrschte, ließ sich nur erahnen.
Der Ich-Erzähler kann nicht wissen, ob in den Wohnstuben herzliche Wärme herrscht.
„Von den Wohnstuben der Siedlungshäuser strahlte mir Licht entgegen, ob dort herzliche Wärme herrschte, ließ sich nur vermuten.“ Das wäre eine Möglichkeit.

Ich wünsche dir noch viel Spaß hier!

Gruß

Asterix

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sobotti,

riss ich instinktiv die Arme hoch und ging in Abwehrstellung

Instinktiv sah ich zum bulligen Barkeeper herüber, der bereits sein Geschirrtuch beiseite legte und die

Bei einer solchen langen Geschichte gehört es formal dazu, micht das Wort "instinktiv" zu benutzen, sondern zu zeigen dass die Handlung instinktiv ist.

Aus meiner Sicht sind die Detailbeschreibungen am Anfang zu umfangreich.

Eine "schwarze Lilie" also ein Gegenstand, verkörpert hier einen Fluch, der beendet wird, wenn der Gegenstand weitergereicht wird.

Das Thema mit dem verfluchten Gegenstand ist abgegriffen und langweilig bzw. offensichtlich.

Um einen Leser über einen solchen Zeitraum zu fesseln, bedarf es aber einer
guten Idee, die dahinter steckt. Alternativ könnte die Geschichte kürzer sein

Schwarz sind übrigens auch:
schwarze Blüte.
schwarzes Loch
schwarzen Anzug
schwarze Mann
schwarzen Wolke
schwarzer Krähen

Respekt natürlich für so manches gut ausgearbeitete Detail.

Gruss Hanqw

 

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