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Die Schneekönigin

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29.09.2002
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Die Schneekönigin

Laura stand auf der Terrasse, ließ ihren Kopf und die schmalen Schultern hängen. Sie wirkte verloren in der weißen Bluse, die ihrem Gesicht alle Farbe entzog und dem formlosen, dunkelgrünen Rock. Genauso verloren wie das Schneeglöckchen. Seit Tagen versuchte es, sich zwischen neu erblühenden Narzissen und Krokussen zu behaupten und dem Einzug des Frühlings trotzig Widerstand zu leisten. Auch Laura trotzte. Hartnäckig verbarg sie ihre Schönheit und die Beharrlichkeit, mit der sie dies tat, mit der sie sich weigerte, der Welt zu zeigen, wer sie war und was sie war, rührte und erregte ihn zugleich. Bei ihrem Anblick standen seine Gedanken einen Augenblick lang still. Seine Sinne sammelten sich und eine Weile atmete er tief und ruhig, ohne den Blick von der Frau zu wenden, die er schon lange Zeit grenzenlos bewunderte.

Er hangelte sich aus dem Bett, ging barfuß und nur mit dem Schlafanzug bekleidet, über den blank gescheuerten Dielenboden zu ihr. Sie hob den Kopf, blies mit vorgeschobener Unterlippe eine widerspenstige Locke aus der Stirn und schob sie hinter das Ohr. Mondsteinfarben war ihr Haar und nichts hatte es in all den Jahren an Glanz eingebüßt. Er trat hinter sie und unterdrückte den Impuls sie sofort an sich zu ziehen.

Statt dessen fuhr er mit dem Zeigefinger die geschwungene Linie ihres Halses entlang, hielt am tiefsten Punkt inne und strich dann mit den Fingerkuppen über das Leinen ihrer Bluse, bevor er seine Hand auf ihrer Schulter ruhen ließ. Ihr noch immer mädchenhafter Körper straffte sich und während sie sich aufrichtete, heftete sie ihren Blick auf den Punkt in der Ferne, an dem die Welt gläsern und zerbrechlich zu werden schien. Nach einer kurzen Pause setzte seine Hand die Reise fort, wanderte ihren Arm hinab, bis er ihre Hand fand, sie in die seine nahm und ihrer beider Finger sich verschränkten. Seine andere Hand ruhte auf dem Bund ihres Rockes, nur sein Daumen zeichnete sanfte Halbkreise auf dem grob gewebten Stoff.

Eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach. Seine streiften die benachbarten Hinterhöfe entlang, machten vor verhangenen Fensterscheiben Halt, hinter denen er größtenteils unerfüllte Leben, die tagtäglich ihren Sehnsüchten entflohen, vermutete. Laura bedachte ein zänkisches Vogelpaar mit ihrer Aufmerksamkeit. Es flatterte davon und eine Feder sank langsam zu Boden.

Er beugte den Kopf und hauchte kleine Küsse in die Sichel ihres Halses. Dann drehte er sie in einem Schwung zu sich herum und sah sie an. Ihre Augen glitzerten, wie Kiesel nach einem satten Regenguss. Und während ihr warmer Atem seine Wange streifte, schlang sie ihre Arme fest um seinen Hals.

"Du könntest mein Sohn sein."
"Du hast bereits Söhne."
"Auch eine Tochter."

Sie lachte. Er zupfte ihre Bluse aus dem Rockbund, erst rechts, dann links, schob seine Hände darunter und begann sie zu streicheln. Kein Gleichklang der Herzen, nichts dergleichen nahm er wahr, verlor nur, umgarnt von Wärme und Weichheit, jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Weder stand ihm der Sinn danach taktvoll zu sein, sollten die Nachbarn doch denken, was sie wollten, noch hatte er länger Lust sich zu beherrschen. Zögernd gab sie nach.
Er suchte ihren Mund, fand ihn nicht gleich, ließ sich nicht aufhalten. Nasenflügel, Haut, Wimpern, der Mundwinkel. Dann erst erhielt er seinen Lohn. Ihr Kuss war zurückhaltend. Ihre Hand in seinem Haar zerzauste Gedanken.

Er hob sie hoch, trug sie ins Haus, legte sie auf das Bett, nestelte hastig an den Knöpfen ihrer Bluse herum, ohne den Kuss zu unterbrechen. Ihre Liebkosungen wurden verschwenderischer, sie verschenkte, was sie besaß. Und als sie schließlich unverhüllt unter ihm lag, helle Haut und dunkle Höfe, glich sie einer Schneekönigin. Beinahe bekam er Angst. Sie könnte vor seinen Augen dahin schmelzen, wenn er sie weiter hielt, aber nichts dergleichen geschah und als sie sich aufeinander zu bewegten, war alles im Fluss. Er fand ihre Mitte und vergaß sich noch einmal.

Vollständig bekleidet stand Laura auf der Terrasse und ließ den Kopf und die schmalen Schultern hängen. Nun glich sie dem Schneeglöckchen, das seinen Kopf tief in Richtung Boden neigte, sich verbeugte und von einem langen, einsamen Winter Abschied nahm.

 

hey annChristin,
wow, schon die dritte ziemlich gute geschichte heute, die ich von junior-autoren lese. wenn das so weiter geht, kann ich mich mit meinen geschichten verstecken.
du hast die kleinen sachen und details echt wunderbar beschrieben und die romantik gut umgesetzt. die feinheiten in der kurzgeschichte hast du echt genial balanciert und fließen lassen. die stimmung ist bei mir echt super rüber gekommen, nur schade, daß sie sich da vom winter verabschiedet und wir ihn erst einmal begrüßen müssen:D .
naja, zu meckern gibt es nur im ersten teil.
der satz mit den krokussen, da ist ein tippfehler. dann solltest du, meiner meinung nach, den satz umändern, in welcher du ihren stolz gegenüber ihrer schönheit und seiner faszination dafür beschrieben hast.
ich denke mal, da hast du dich vertan, oder war es absicht, daß es so ein wirrwar wird? bin da erst nach 5 mal lesen, schlau geworden, was du da wolltest.

ansonsten, gut gemacht.
DAigz:)

 

Hallo Daigoro und Kristin,

Vielen Dank für eure Rückmeldungen und das Lob. *freu*
Kristin? - Die 'Dame' nehm' ich mal als Kompliment. *g*

Jaaa, dieser eine Satz und die verflixten Kommas. Manchmal falle ich selber fast ins Koma, wenn ich sehe, was man sich so zusammentippen kann ...
Ich hätte gerne einen unsichtbaren Lektor, der mir auf Schritt und tritt mit einem Körbchen voll dieser kleinen, schwarzen 'Biester' folgt und immer da eins hinwirft, wo es hingehört. ( Dabei muss ich mir eigentlich nur ein bißchen mehr Zeit lassen. ...)

Zur Geschichte: Der von Euch beiden zurecht bemängelte Satz lautete im Original wie folgt:

"Sie wirkte in der weißen Bluse, die ihrem Gesicht alle Farbe entzog und dem dunkelgrünen, formlosem Wollrock genauso verloren, wie das Schneeglöckchen, dass sich seit Tagen zwischen den täglich neu erblühenden Krokussen und Narzissen behauptete und dem Einzug des Frühlings trotzig Widerstand leistete."

Das ist auch nicht besser, oder?

Ich denke, ich warte jetzt mal noch ein bißchen ab und mach mich etwas später ans Korrigieren. Wer weiss, vielleicht hat ja noch jemand die rettende Idee. Im Moment seh' ich den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Tschüss ihr Beiden. Habt einen schönen Tag.

Ann-Christin

 

Hallo AnnChristin,

auch mir gefällt deine geschichte sehr gut... verträumt und etwas geheimnisvoll zu beginn..sehr schöne bilder - ohne dass du es übertreibst... irgendwie fand ich den stil..sehr melancholisch...so dass ich beim ende zuerst dachte...dass sie gleich dem schneeglöckchen von ihm abschied nahm...während ich beim zweiten lesen dachte..dass sie von der einsamkeit abschied nimmt.. und "ihn zulässt".... welche interpretation ist denn richtig??

meine neugier hast du allerdings mit dem text nicht stillen können: er soviel jünger als sie?..wieso weshalb warum??..*smile*..habe in der ersten hälfte den eindruck gehabt...dass probleme die beziehung der beiden belasten..und dazu hätte ich dann gern in der zweiten hälfte etwas erfahren..

stilistisch sehr schöner text..

lg, streicher..

 

Hallo Bo, Hallo Streicher,

Vielen Dank für eure Rückmeldungen.

Sie nimmt von der Einsamkeit Abschied und lässt ihn zu, ist 'richtig'.

Und tja, die liebe Neugier. Ich habe schon oft überlegt, ob ich den Text 'verlängere' und noch eine Geschichte drumherum schreibe, um die offenen Fragen zu klären. Ich fürchte nur, dann verliert diese Momentaufnahme, (das hat Bo schon richtig interpretiert) und mehr sollte es auch erst einmal nicht sein, ihren 'Zauber'.
(Ich fand es so schon nicht ganz einfach die 'richtige' Stimmung zu transportieren)

Thanks :)

Ann-Christin

 

Hallo AnnChristin,

auch mir hat das Stimmungbild, das du mit deinem Text gezeichnet hast, gut gefallen. Ich bin zwar auf dem Gebiet der Poesie nicht unbedingt zuhause, aber diese Story hat für mich was Poetisches.

„Ihre Hand in seinem Haar zerzauste Gedanken“ ist zum Beispiel ein Bild, das für mich eher Poesie ausdrückt als tatsächliches Handeln, weil sich das tatsächliche Handeln dem übertragenen Sinn unterordnet.

Eine „Geschichte“ ist es meinem Verständnis nach nicht unbedingt, sondern eher eine (sehr schöne) Momentaufnahme. Wenn du ein bisschen was drumherumbasteln würdest, müsste diese Stimmung nicht zwangsläufig verloren gehen. Im Gegenteil, sie könnte durch einen entsprechenden Hintergrund noch an Intensität gewinnen, finde ich.

und Krokussen zu behaupteten und dem Einzug
“zu behaupten“
Eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach. Seine streiften die benachbarten Höfe entlang
Hier bin ich beim Lesen hängen geblieben, weil Gedanken zwar abschweifen können, mir das Bild, dass sie an Höfen entlang streifen, aber nicht sofort zugänglich war.
Es flatterte davon und eine Feder sank zu Boden.
Evtl. „Als es davonflatterte, sank eine Feder...“
Er hob sie hoch, trug sie ins Haus, legte sie auf das Bett, nestelte an den Knöpfen ihrer Bluse herum, ohne den Kuss zu unterbrechen.
Schwierige Übung, oder? :D

Viele Grüße

Christian

 

Hallo AnnChristin,

Deine Schneekönigin kenne ich ja noch als "Verspätete" aus dem Mailenstein... Für mich ist der Text auch eher eine Momentaufnahme, als eine Kurzgeschichte, aber in seiner jetzigen Form ist er auf jeden Fall "rund". Wenn es meiner wäre, würde ich vielleicht noch eine KG-Variante schreiben...
Vom Stil sehr poetisch, für meinen Geschmack allerdings manchmal etwas zu "blumig", wobei mir die Schneeglöckchen-Analogie recht gut gefallen hat. Auch die Stimmung, die du vermittelst, diese sehr behutsame Erotik, die Selbstverständlichkeit, mit der beide mit dem großen Altersunterschied umgehen, trifft sehr meinen Geschmack.

Du könntest mein Sohn sein."
"Du hast bereits Söhne."
"Auch eine Tochter."

Sie lachte.

Den Dialog fand ich sehr gelungen! In seiner alten Fassung gefiel mir

"Auch eine Tochter.", lachte sie.
besser. Das "lachte sie" klang beiläufiger, mehr zu dem Inhalt des Satzes gehörend. Das "Sie lachte." ist mir persönlich ein zu harter Bruch. Ist natürlich Geschmacksache.

"Du könntest mein Sohn sein."
"Du hast bereits Söhne."
"Auch eine Tochter.", lachte sie.

Das wäre meine Variante. (Obwohl ein "reines" Dialogpäckchen natürlich auch was hat).

lg Petra

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ihr zwei, :)

Hi Criss,
Zitat:
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Er hob sie hoch, trug sie ins Haus, legte sie auf das Bett, nestelte an den Knöpfen ihrer Bluse herum, ohne den Kuss zu unterbrechen.
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Schwierige Übung, oder?

- Ich falle zwar gerade vor Lachen fast vom Stuhl ... werde mich aber weder in die Aktivitäten meiner beiden Figuren einmischen, noch Geheimnisse ausplaudern ...
:sealed:

Hi Petra,

Siehste, jetzt weiß ich auch, warum mir Deine Geschichten so bekannt vorkommen. ;)

Ich glaube, ich habe schon zu allen meinen Senf dazugegeben, will aber demnächst mal Dein 'Stück Fell' lesen. Versprochen!

Über Deine Rückmeldung freue ich mich und ich glaube, ich werde Deinem Vorschlag bzgl. des Dialogs folgen.
Übrigens a pro po zu 'blumig'. :)
So gings mir auch... (Wirklich!)
Aber die Kurve hab ich ja dann noch gekriegt. Das war eine gute 'Erfahrung'. Man kann auch einen Stil durchhalten, der einem fremd oder gar nicht so sehr das eigene Ding ist.

Was die längere Version angeht. Ich überlege das seit 'damals' und verwerfe es dann jedesmal wieder. Die Gründe sind banal.
Wenn ich die Story verlängere, brauchen meine beiden Hübschen eine Vorgeschichte und dann gibts ja vielleicht auch eine 'Nach'geschichte (zumindest in meinem Kopf)...
Genau darüber mag ich mir aber (zur Zeit) keine Gedanken machen. So etwas fällt im richtigen Leben oft so traurig aus und 'Momente' die ein bißchen so sind, wie die da oben ;) sind schnell vergessen.

Und ich wollte wirklich nur einen solchen 'Moment' einfangen bzw. festhalten.

LG zurück. Bis dahin.
AC (der zur Zeit gar nüscht Neues einfällt. Hast du schon eine Idee?)

 

Hallo AC,

Für fw fällt mir leider im Moment auch nüscht ein, aber ich sitze dafür an zwei anderen, längeren Geschichten. Hatte in letzter Zeit viel an einem Wettbewerbsbeitrag (Ersatzkanüle) gearbeitet und grübel gerade über den Agatha-Christie-contest nach, aber mir fallen keine "letzten Worte" ein. Vielleicht inspirieren dich Wettbewerbsvorgaben auch? Mich jedenfalls sehr, krieg den A... sonst nur schwer hoch.

lg Petra

 

Hallo AnnChristin,

die "schwierige Übung" bezog sich auf den durchgehenden Kuss. Dabei sieht er doch nix und stolpert :fluch: im echten Leben über ne Stufe oder ein Kabel oder die Katze ...

Du musst ja gar nicht aus dem Nähkästchen plaudern :sealed: Schreibs doch einfach auf :comp: ... :D

Grüße

Christian

 

Hallo Petra,

Hmmm, letzte Worte:

.............................

Aber da wäre ja auch erst mal die Frage zu klären, wessen letzte Worte. :)
Die des Opfers, die des Täters, oder die des Detektivs, der den Fall erfolgreich abgeschlossen hat.*gf*

Oder Du suchst Dir ein schönes Schlusswort von Agatha
'Gott hab sie selig' höchstpersönlich ...( Wär ein schöner Test, um zu schauen, ob die Jury ihr großes Vorbild und seine Werke auch kennt. :-)))))) )

Ansonsten fallen mir im Moment nur ketzterische Sprüche
ein, ich hab' mir nämlich gerade Criss 'Weihnachtsgeschichte' durchgelesen ... :baddevil:


OK. Bevor mich der Webmaster oder andere erboste Abonenten morgen in den Chat verbannen, gelobe ich Bessserung und sage 'Gute Nacht.'

Jetzt weiß ich ein Schlusswort:
'Ist es wirklich schon so spät .... ?' :eek:

Bis dahin
AC

 

Hallo AnnChristin,

Deine Geschichte ist sehr gut gelungen. das Schneeglöckchenbild am Anfang, der Vergleich zum Schluß. Deine dezenten (sensiblen?) Vergleiche „Mondsteinfarben war ihr Haar“ , „fand ihre Mitte“, zeigen, daß man dem Leser nicht unbedingt mit der Holzhammer-Methode Dinge klar machen muß, und es noch unverbrauchte romantische Ausdrücke gibt.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

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