- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Die Schnecken
Die Schnecken
Ich hatte vor einigen Tagen Schneckenfallen aufgestellt. Diese Biester fressen einfach alles ratzekahl. Schleimspuren, wo man hinschaut, sogar am Fenster. Als Falle habe ich leere Marmeladengläser eingegraben und den oberen Rand etwas erhaben über den Boden stehen gelassen. Rein kommt Bier, natürlich nur billiges Gabi-Bier. Diese Schleimgeister mögen nämlich Bier sehr gern. Sie können es bis zu 100 m Entfernung riechen habe ich gelesen. Also sollte die Entfernung zum Nachbarn gut 100 m betragen, sonst kommen die ja auch noch alle. Ein Säuferparadies für Schnecken!
Jedenfalls war bestes Sommerwetter. Ich mähte den Rasen. Im Sommer kann das ziemlich anstrengend sein, wenn man über vierzig ist.
Unsere Wiese ist ganz schön groß. Hier und da mal ein Ast oder auch ein Stein. Daher klappert der Rasenmäher öfter. Aus diesem Grund sehe ich nicht jedes Mal nach, was es war. Klar, auch heute hat er wieder geklappert. Aber immer dieses Bücken und dann nur aufregen über irgend so einen Mist, was im Wege lag. Also Augen zu und weiter, ist ja einfacher. Und warum soll man sich das Leben schwer machen?
Die Arbeit war getan, ich brauchte Ruhe. Nach einiger Zeit, es war immer noch ganz schön heiß, dachte ich mir, dass ich den Sprenger aufstellen sollte. Gesagt, getan. Schlauch raus, Sprenger dran und ein herrlich kühles Nass beträufelte die Büsche und Blumen.
Nur irgendwie stand er nicht ganz richtig. Er müsste etwas höher stehen, um die hintern Pflanzen auch noch zu bewässern. Bei solch einem Wetter läuft man natürlich barfuss. Vom Rasenmähen ausgeruht laufe ich in fröhlich lockerem Schritt zum Sprenger, nehme ihn hoch und will ihn vor mir auf einer Bank absetzen. Mit dem linken Fuß war ich schon auf der Bank, der rechte trug mein volles Gewicht. Plötzlich merkte ich einen seltsamen Druck unter meinem rechten Fuß und es wurde warm.
Ganz vorsichtig setzte ich mich, nahm den Fuß hoch und schaute ihn mir an. Nun wusste ich es: Ich hätte das „Klappern“ beim Rasenmähen doch beachten sollen. Ich hatte eine Schneckenfalle fein säuberlich abgemäht. Ich trat auf ein Glas ohne Rand, dafür mit ziemlich scharfen Ecken. Einen fast kreisrunden Schnitt hatte ich jetzt unter meinem Fuß. Das Blut pulsiere unaufhaltsam heraus. Fein, da hast du ja jetzt was fürs Leben und irgend so eine Ader habe ich auch noch voll erwischt.
Ich hielt beide Hände fast krampfhaft um meinen jetzt so demolierten Fuß. Nur ruhig bleiben. Ist denn keiner in der Nähe? Soll ich um Hilfe schreien? Bloß nicht, dann habe ich womöglich sämtliche Nachbarn hier bei mir. Also: Laura!... Laura... Lauuuuraaaa! Keiner hört mich! Verdammter Mist, soll ich hier verbluten? Lauuuuuraaaaaa! Hilf mir doch. Keine Sau hört mich. Hier kannst du verrecken, während drinnen bei Thimo die Diskomusik ertönt. Dieses Pack, sie feiern und ich bin hier am Austrocknen.
Was soll´s. Eine Hand unterm Fuß und im Schweinsgalopp erst mal bis zur Terrasse. Muss urig aussehen, eine völlig neue Gangart. Ich sitze auf der Terrasse und schreie aus vollem Halse: Lauuuuraaaa. Irgendwie höre ich ein Gemurmel da drinnen. Die Musik wird leiser. Aha eine Reaktion. Aber nicht die richtige, es kommt keiner. Ich krieche bis zur Terrassentür. Die steht auf. Lauraaaa. Endlich:
„Ja, ich hab Thimo schon gesagt, dass er die Musik leiser machen soll.“
„Was hast du?“
„Was ist denn? Ihhhhhhhhhh, was hast du denn gemacht? Thimo komm mal schnell.“
Beide stehen sie staunend vor mir und schreien wirres Zeug.
„Ich ruf einen Krankenwagen“.
„Nun mal langsam. Wäre schön, wenn du mir mal einen Eimer mit Wasser bringen könntest. Muss erst mal sehen, wie tief der Schnitt ist“.
„Eimer? Wasser? Ja, sofort.“
„Thimo, wenn du genug gestaunt hast, könntest du mir bitte mal Verbandszeug holen?“
Nachdem ich den Fuß abgewaschen hatte, sah ich einen tiefen Schnitt.
„Ich ruf einen Krankenwagen.“
„Nein, du fährst mich ins Krankenhaus.“
„Ich? Nein. Ich ruf einen Krankenwagen. Mit dir fahr ich nirgendwo hin, ist mir viel zu gefährlich. Sieht wirklich nicht gut aus.“
Erst mal einen Druckverband anlegen. Kann das einer von euch? Nur große fragende Augen. Schon gut, krieg ich auch noch hin. Gib mal her. So, jetzt ne ganze Binde drauf, noch ein paar Wicklungen, noch ne Binde drauf. Das muss doch endlich aufhören zu bluten. Noch ne Binde drauf und noch ein paar Umdrehungen. Endlich es fließt weniger schnell, aber es färbt sich immer noch rot.
„Also gut, ruf den Krankenwagen an.“
Laura geht zum Telefon. Notarzt?
„Kein Notarzt - Krankenwagen!“
„Gleich kommt der Notarzt!“
Schreck - gleich weiß das ganze Dorf, dass hier was los ist. Schnell noch ein sauberes T-Shirt und eine andere Hose anziehen. Da kommt er schon: Martinshorn und Blaulicht, nicht zu überhören.
„Was wollen sie wissen, wie viel Blut ich verloren habe? Woher soll ich denn das wissen? Schätze einen viertel Liter.“
„Bei der Spur muss das mehr gewesen sein.“
„Ach was, das sieht nur so aus, mir geht´s ja noch ganz gut.“
„Liegend transportieren, ohne Blaulicht.“
War eine holprige Fahrt. Ein Arzt im Praktikum, der hatte übrigens die Ruhe weg, nähte meine klaffende Wunde zu. Erst einen Unterfaden dann einen drüber.
„Leider auch einen Unterfaden, wo eigentlich keiner mehr hin gehörte“, so mein Hausarzt.
Vorsorglich gab er mir auch gleich eine Tetanusspritze in den Bauch.
„In den Bauch spritzt man schon lange nicht mehr und übrigens hätte Sie eine 3-fach Dosis erhalten sollen“, sagte später mein Arzt.
Ich war halt ein Versuchskarnickel und der angehende Arzt übte noch. Solche Patienten braucht man hin und wieder.
„So, Sie können wieder nach Hause gehen.“
Gehen, wie das denn? Der Eingang vom Krankenhaus war eine einzige Baustelle. Im strömenden Regen musste ich da durch. Jetzt bloß nicht ausrutschen, wenn der auch noch meinen Kopf nähen muss, wer weiß, was dann noch alles passieren kann. Wie ein angeschossenes Wild begab ich mich ganz vorsichtig in den Wagen. Zu Hause saß ich am Tisch und nach und nach wurde mir bewusst, was passiert war. Plötzlich hallten die Stimmen wie durch einen Tunnel zu mir und wurden immer leiser. Was ist nun los? Ich hatte das Gefühl, als müsste ich nun die Löffel ablegen. Ich konnte mich gerade noch bemerkbar machen, dass mir schlecht wurde. Ich legte mich ins Bett und fing an zu zittern. Nach kurzer Zeit ging es mir wieder besser. So schnell kriegt ihr mich nicht! Muss wohl doch mehr als ein viertel Liter Blut gewesen sein. Ob sich jetzt genüsslich die Schnecken daran laben?
Wie auch immer, ich krieg euch noch, alle, jetzt erst recht!