Die Schleuse
Er atmete heftig, Schweiss rann seinen Körper hinab. Die Schleuse war so wie alle Schleusen. Klein, mit grellem Neonlicht ausgeleuchtet, die Luft abgestanden. Die innere Tür war bereits geschlossen, gleich würde die rote Lampe auf grün wechseln. Nur noch Sekunden. Dann geht die äussere Tür auf.
„Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit“. Die berühmten Worte Neils Armstrong, gesprochen als der erste Mensch einen Fuß auf den Erdtrabanten setzte. Seitdem war eine lange Zeit vergangen und die Menschheit hatte viele weitere Schritte im Sonnensystem getan. Die Planeten wurden erkundet und teilweise besiedelt, die Monde der Gasriesen und jeder größere Asteroid erforscht, analysiert und ausgebeutet. Und jedesmal, wenn ein weiterer Himmelskörper vom Menschen in Besitz genommen wurde, ein weiterer staubiger Fußabdruck von Kameras für die Geschichtsbücher festgehalten wurde, wiederholten die Pioniere die Worte Armstrongs. Im Laufe der Zeit wurde dies eine gute Tradition unter den Raumfahrern. Aber irgendwann wurden die Worte Armstrongs immer seltener gesprochen. Das Sonnensystem war erforscht und alle Himmelskörper, auf denen es sinnvoll erschien, trugen die Zeichen menschlicher Besiedlung.
Mechaniker war sein Job, an Bord war er für die Wasserversorgung zuständig. Er und seine Kollegen, gestern hatten sie noch in der Mannschaftsmesse zusammengesessen und sich gemeinsam über die Lotterie lustig gemacht. Alle 830 Mannschaftsmitglieder sollten gleichberechtigt teilnehmen, einen von ihnen würde der Computer auswählen. Und nun hatte es ausgerechnet ihn getroffen. Beglückwünscht hatten sie ihn, auf die Schultern geklopft und gratuliert. Auch er hatte sich gefreut, war Stolz gewesen auf die Ehre die ihn nun erwartete. In der letzten Nacht an Bord hatte es keinen Schlaf gegeben, alle waren aufgeregt und letzte Instruktionen wurden erteilt. Als er dann endlich die Schleuse betrat, hatte er ein gutes Gefühl, er fühlte sich bereit. Dann, als die innere Tür sich schloß, schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Auf alle erdenklichen Eventualitäten hatte man ihn vorbereitet. Seine Ausrüstung war perfekt und alle Aussenkameras und Mikrofone des Schiffs würden ihn bewachen. Aber auf eine Kleinigkeit hatte man ihn nicht vorbereitet. Er schaute auf die klobigen Schuhe an seinen Füßen, noch waren sie strahlend weiss und ohne den geringsten Flecken. In wenigen Minuten würden sie den Staub einer neuen Welt berühren und ihre Sauberkeit schnell verlieren. Abdrücke würden sie hinterlassen, wie so viele Pionierstiefel vor ihnen. Kameras würden diese Abdrücke aus allen Winkeln filmen und die Bilder in die Geschichtsbücher einfügen. Aber diesesmal würden die ersten menschlichen Schritte auf einer fremden Welt nur eine Randnotiz sein. Und damit auch Armstrongs berühmten Worte - sie passten nicht. Dies war die Kleinigkeit auf die man ihn nicht vorbereitet hatte. Und viel zu schnell wechselte nun das Licht an der Außentür von rot auf grün. Das Schott hob sich abrupt und die Athmosphäre des fremden Planeten strömte in die Schleuse. Schnell füllte sie den gesamten kleinen Raum aus und vertrieb die abgestandene und gefilterte Luft des Raumschiffs. Die Nervosität hatte seinen Atem beschleunigt und so kam es, dass nur Sekunden nach Öffnen des Aussenschotts zum ersten Mal in der Geschichte eine nicht irdische, fremde Athmosphäre eine menschliche Lunge mit Sauerstoff versorgte. Noch immer fand er keine Worte und die hochsensiblen Mikrofone des Raumschiffs nahmen nichts weiter als das heftige und schnelle Atmen eines Menschen auf.