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Die Schlangenfrau

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26.02.2011
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Die Schlangenfrau

Es war ein leidvoller Weg der kleinen Bo bis zur großen Belboa, der Schlangenfrau. Ein überharter Vater quälte sie schon früh zu grotesken Verrenkungen, wie sie die kleinen Turnmädchen verbiegen in der Gier nach Gold und Geld. Am Ende konnte die junge Frau sich so geschmeidig bewegen, dass sie zur Attraktion der Varietés rund um den Globus wurde. Frauen beneideten sie, Männer begehrten ihren Leib, wieder andere schüttelten den Kopf.
Belboa, wie sie sich nur noch nennen wollte, lockte Tausende auf den Plakaten in enger Schlangenhaut. Zu ihrer Besonderheit gehörte es, sich kopfüber nur mit Zehen oder Fersen haltend durch ein Gewirr von Seilen und Lianen zu drehen und zu winden. Mühelos wieder nach oben, nur mit zwei Fingern, um erneut nach der Art des Reptils herabzugleiten. Höhepunkt dann immer die Schlangennummer: Boa, die Riesenschlange. Ein drahtiger Artist hielt sich an einem Trapez, und Belboa glitt unter betörenden Flötenklängen an seinem fast nackten, ölglänzenden Körper auf und ab. Dabei bezüngelte sie ihn, als wollte sie ihr Opfer vor dem Verschlingen einspeicheln. Das Publikum raste und forderte Zugaben. Die gab es dann regelmäßig nach der zweiten Pause. Nun erschien die Schlangenfrau in ihrem Lieblingskostüm: Schwarzer Python. Über die Haare hatte sie eine Kapuze gezogen mit draufgestecktem Schlangenkopf. Aus dem Schlund hing eine lange, gespaltene Zunge. In das Kostüm waren hellgrüne Metallblättchen genäht. Fluoreszierende Schuppen. Sie blitzten bei den Bewegungen im grellen Licht der Scheinwerfer.

Die Künstlerin bewohnte eine weitläufige Gartenanlage aus Gewächshäusern und Glaspavillons. Wenn es die Auftritte zuließen, verschwand sie in ihrem grünen Paradies und erholte sich von den Strapazen ihrer Tourneen.
Belboa hatte viele Verehrer. Mit drei Männern war sie verheiratet. Die Gatten verschwanden alle drei nach kurzer Zeit. Hatten sich aus dem Staub gemacht. Hieß es. Den einen ekelte es vor den, langen, dicken, nackten Würmern‘, der andere mochte den ,faulen Urwaldmief‘ nicht ertragen. Der Dritte mied den stummen Diener, den ,wirr gestikulierenden Rattenfänger‘.
Für Belboa keine Verluste. War sie mit der Zeit doch am liebsten allein. Und hatte sie drei Vermögen geschickt an sich gebracht.

Eine Unaufmerksamkeit beendete rasch ihre Karriere. Die linke Hüfte ist nach dem Sturz steif geblieben. Das Publikum verzichtete auf ungelenke Bewegungen mit schmerzverzerrter Miene. Belboa zog sich nun ganz zurück. Es hieß nur, die Schlangenfrau ist menschenscheu geworden. Tatsächlich verkroch sie sich ins Labyrinth ihrer tropischen Gewächshäuser. Sie gab ihr ganzes Vermögen in diese Anlage, gut verborgen vor einer Felswand, zwischen Bäumen und aufgeschütteten Hügeln. Tiefer und halb im Berg schon war eine Grotte angelegt. Von den Felsen herab quoll Wasser, und tropisches Gehölz türmte sich hoch in die Glasgewölbe. Ihr stummer Diener, ein Mitbringsel aus einem aufgelösten Kleinzirkus, tat alles, was ihm die Herrin auftrug und versorgte sie mit dem Nötigsten. Auch gaben die Treibhäuser üppige Kost und nahrhafte Früchte.
Die Bo, wie nur wenige sich noch erinnerten, wurde nicht mehr gesehen. Nie verließ sie ihr Paradies. Papageien und Sittiche lärmten zwischen Palmen und Bananenstauden. Schildkröten bevölkerten die Teiche, handgroße Falter umflatterten Mondkakteen, Kolibris saugten die Süße der Blüten, Echsen huschten über Wege und Steinformationen, Libellen schwirrten über weiße und rote Fische, die träge ihre Bahnen durch weitverzweigte Wasserläufe zogen.

Und natürlich Schlangen. Aber nur die großen, kräftigen Würger: Anakonda, Boa und Python. Favoritinnen, Freundinnen am Ende. Sie hingen fast unsichtbar und meist reglos zwischen Riesenfarnen, Lianen und Efeuranken oder schoben sich über verfaulte Stümpfe und warteten unter feuchtem Laub.

Der stumme Diener hatte zwei Kammern ganz hinten in der halb dunklen, streng verriegelten Grotte. Dort züchtete er Kaninchen und Ratten. Bo empfand größtes Vergnügen, wenn sie kopfüber neben ihren Schlangen zwischen Blättern und Lianen, Stricken und Schlingen hängen konnte. An den Füßen festgebunden jetzt. Dafür bemühte der Diener eine hohe Stehleiter. Die Schlangenfrau schloss dann die Augen und sah Plakate und Scheinwerferlicht, spürte den glatten, athletischen Körper, streichelte ihre Schlangenhaut, hörte Flöten, Applaus, Plätschern und lärmende Vögel und genoss den herben Duft des Urwaldes. Stundenlang konnte sie so hängen und träumen. Bis der Diener sie wieder losmachte und ihr auf den Boden half. Der grinste breit, wenn er seiner Herrin wieder aus dem viel zu engen Kostüm half und sah sich vor, denn er traute den Schlangen nicht.

Einmal vergaß der Stumme, die Glastür sorgsam zu schließen. Eine Python konnte entweichen und versteckte sich zwischen aufgeschichtetem Holz und dem Hühnerstall eines nahen Gehöftes. Es stand sofort fest: ‚Die stammt aus dem Dschungel der komischen Bo.‘
Man fand die Gartenanlage verschlossen. Es half kein Rütteln und Rufen. Nach Tagen endlich entschloss man sich, gewaltsam vorzugehen. Neben Polizei und Ordnungsbeamten waren auch Fachkräfte vom städtischen Zoo und botanischen Garten dabei. Das brachiale Eindringen ließ einige Glaskonstruktionen zusammenstürzen. Blätter wurden gequetscht, Blüten abgeknickt, Stängel gebrochen und Anlagen zertrampelt. Beim Betreten der hinteren Pavillons kam den Eindringlingen ein dumpfer Geruch aus Erde, Moder und allerlei Abgestorbenem entgegen. Die Schlangen und das andere Getier wurden fachkundig eingesammelt und weggebracht. Als sie sich der Grotte näherten, stach ihnen ein unerträglicher Gestank in die Nasen. Es roch nach Verwesung. An Palmen, in Plastiksäcken mit Hautfetzen der Würger überzogen, hingen wie Schmetterlingspuppen drei Leichen. Ihre Männer, wie die Gerichtsmedizin später herausfand. Und noch weiter hinten an einem Riesenfarn die Bo, Belboa, die Schlangenfrau. Noch warm und biegsam mit dem Kopf nach unten, eine feste Schlinge um den Hals gezogen. In ihrem Lieblingsgewand: Schwarzer Python. Und im Licht der Stablampen blitzten eingenähte Metallschuppen.
In einem Erdloch entdeckten sie noch einen verwirrten, stummen Mann mitten unter Kaninchen und Ratten.

 

Hallo vimana

Ich habe deine Geschichte vergnüglich gelesen, die anmutigen Bilder üppiger Vegetation und rankender Reptilienkörper. Gegen den Schluss hin dachte ich, nette Geschichte, aber na ja. Doch dann kam das überraschende Ende. Die Optik der verschmähten, nicht mehr gefragten Diva war ja bald mal transparent, ihre konsequente Handlung mir dann aber doch überraschend, es gab dem Stück nochmals eine effektvolle Wendung.
Was sich mir nicht entschlüsselte, warum der stille Diener sie überlebte, es sei denn, er habe auch da Hand angelegt? Von der Handlung her wäre mir logisch erschienen, wenn er abgestraft worden wäre. So bleibt es meiner Fantasie überlassen, das Geschehen um das Ende in einer mir stimmigen Form abzuschliessen.
Vom Gehalt her hätte die Geschichte wohl auch unter der Rubrik Horror gut gepasst, das skurrile der gezeigten Welt angenehm einbindend.

Die Verlinkung der Geschichte mit deiner Homepage ist so wohl nicht ganz regelkonform. Solches sollte m. E. im ersten Komm. gesetzt werden.

Gern gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo vimana,

ich erkenne in dieser Geschichte das archaische Motiv der schwarzen Witwe, das hast du gut adaptiert. Der runde Erzählton und die gelungene Beschreibungen des künstlichen Dschungels können aber nur wenig entschädigen für fehlende Handlung. Obwohl, nee, Handlung ist ja eigentlich da - aber so distanziert und es gibt keinen Gegenpart, keine Spannung somit, das ist etwas schade.


-- floritiv.

 

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