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Die Sau. Eine Geschichte über Zweckgemeinschaften.
Ihre Zunge ist ein warmes Spiel, auf das Tiere im Männerwahn gerne ihr Gemächt legen.
Ganz weit muss sie ihre Höhle aufmachen, ihnen das Spiel mit der Macht gewähren. Zwischen klebrigem Schamhaar muss sie mit den Lippen nach den versteiften Schrecklichkeiten suchen. Wer sucht, der findet. Hier muss sie finden. Wehe, wenn nicht. Wehe, wenn sich ihre Tränen im Gestank des gekräuselten Haares verirren.
Keine Tränen, sagt der Eine, wenn er dabei seine Hiebe gleichmäßig auf ihre Ohren verteilt. Wenn doch welche kommen, werden die Hiebe kräftiger und er schreit ,Schlucken, du Sau.’ Aber was soll Gabi sonst machen?
Es war doch die Liebe, die sie so weit kommen ließ. Also schluckt sie und gleich auch die Tränen hinunter, weil sie weiß, dass es ein Akt seiner Verzweiflung ist, wenn er ihr danach einen Geldschein vor die Füße wirft. Geldscheine sind wie Männer. Auch umgekehrt ist es richtig. Der Eine ist wie die Anderen und ohne einander sind sie wertlos.
Obwohl sie ihm gehört, bezahlt er sie dennoch.
Nur: Den Einen mit den unverblümten Worten hat sie einmal geliebt. Sie dachte an Kinder mit ihm, dachte ans Kuchenbacken für den Sonntagsbesuch, dachte auch an eine größere Wohnung am Rand der Stadt. Die erste Zeit war schön gewesen, auch wenn sie nur ein paar Tage gedauert hatte. Auch auf die ersten Schläge hat sie nicht länger warten müssen.
Gabi hat viel geweint in der dunklen Zeit, nach den schönen Tagen mit ihm. Wenn die Schläge vorbei waren und das, was denen folgte, hat sie die Schlagerparade im Radio gehört, weil in den Liedern, die darin gespielt wurden, alles zu einem glücklichen Ende gesungen wird.
Jetzt darf sie in der größeren Wohnung am Rand der Stadt atmen und er sagt Sau zu ihr, wenn ihm danach ist. Nach der ersten Zeit, die schön gewesen war, ist ihm nicht mehr anders. Seiner kleinen Sau kauft er Kleider, Schuhe, Unterwäsche. Er nimmt sie, wann immer er will. Schön ist es für ihn, wenn er vom Kaffeehaus kommt, vom Kartenspiel, wenn er den Geruch von Cognac zu Gabi trägt, wenn sie den Geschmack seines abgestandenen Urins auf der Hose kosten darf, wenn er ihren Schädel tief zwischen seine Beine presst.
Er sieht Gabi als eine Investition, die sich zu rechnen hat. Er hat die Schlüssel der Wohnung und er hat Freunde, die von überall her kommen, um mit Gabi zu spielen.
Das sind die anderen Männertiere.
Er nennt sie Freunde, weil er diese Zweckgemeinschaften nicht anders erklären kann.
Denen hat er von Gabi erzählt und die Neugier geschürt, was denn alles mit ihr anzufangen wäre, welche Spiele gespielt werden könnten. Auch den schönen Blick aus den Fenstern hat er beschrieben. Wenn ihm - was dann passiert, wenn Gabi krank ist - die Geldscheine beim Pokerspiel ausgehen, dann ist Gabi sein Einsatz. Trotz ihrer Fieberschübe, ihren Bauchschmerzen, dem Brennen im Unterleib. Jetzt geht’s um die Sau, ruft er dann und die Freunde grölen und bestellen noch eine Runde, weil sie Bescheid wissen und irgendwie Alle sich alles sehr lustig vorstellen können mit Gabi.
Doch auch einen Vorteil hat Gabis neuer Lebensabschnitt, der so nackt hinter zugezogenen Vorhängen gar nicht ist. Gabi muss nicht mehr in den Frisörladen arbeiten gehen. Sie durfte noch was Gescheiteres finden. Sie muss nicht mehr von früh bis spät auf Beinen stehen, die für was anderes besser taugen. Sie muss nicht länger das gebleichte Haar alternder Frauen waschen und auf Lockenwickler drehen. Gabi darf liegen und sich öffnen nach allen Richtungen, darf schlucken, darf sich die Ohren rot schlagen lassen, seit sie Mike kennen gelernt hat. Mike heißt also der Eine.
Jetzt ist es heraus.
Die Anderen, wie gesagt, kommen aus allen Himmelsrichtungen.
Gleich Mückenschwärmen stehen sie vibrierend über dem Gabisumpf und hecheln ihren Speichel in Gabis Nacken, auf dem sich die Haare schon lange nicht mehr dagegen sträuben. Gabi hatte einmal eine Seele und darin hatte sie Vertrauen gehortet. Dann kam Mike und hat ihr mit seinem Blick und den muskulösen, zärtlichen Armen innerhalb weniger Tage die Seele zerschlagen. Nicht ein Stück blieb davon übrig. Groß hatte sich die Liebe statt dessen in Gabi eingerichtet, sich wartend auf das Sofa des Vertrauens gestreckt und damit gleich die ganze Einrichtung an den grinsenden Mike verschenkt. Dann begann Mike anders zu reden, dann kamen die Schläge wie erste Warnschüsse vor den Gabibug, später in deren Unterleib. Irgendwann hat Mike ihren Namen nicht mehr erwähnt und ihr statt dessen eine Bezeichnung angedeihen lassen, die sich flott rufen oder auch nur zackig flüstern lässt.
Es ging schnell. Die Investition wurde zur ständigen Einrichtung. Und diese zu einer Zweckgemeinschaft, der sich Mike in den Nächten erfreut. Wenn er ausgenüchtert ist, dann auch schon vormittags.
Gabi weiß nicht, dass es Monate her ist, seit sie hier für Mike die Sau machen muss. Wenn die Letzten der Freunde mit schlaffen Säcken aus der Wohnung getorkelt sind und Mike beim Geldzählen fast einschläft, spült sich Gabi den Mund aus, wäscht die Tierspuren von den Innenseiten ihrer Schenkel und holt das Bild ihres Vaters aus der Handtasche hervor. Sie sieht ihn, auch ohne das Bild betrachten zu müssen, ständig vor sich, denn er war der erster Mann, der ihr was von Liebe beibringen wollte, während Mutter im Krankenhaus mit dem Tod ein schnelles, kurzes Treffen hatte.
Mach’ was Gescheites, hatte er gesagt, als sie die Mutter begruben.
Gabi hat wunderbar lange Beine. Die hatte auch der Pfarrer als solche erkannt und dem Vater für Gabis Beine Geld zugesteckt. So ging das immer weiter, bis Gabi davonlief und eine gescheite Frisörlehre begann. Dann kam Mike in den Laden, ließ sich die Haare schneiden und eine Telefonnummer für Gabi zurück. Gabi war in Sachen Liebe unerfahren, weil es mit dem Vater und dem Pfarrer und dem Bäckermeister und dem Kohlenhändler nur weh getan hatte und von Liebe keine Spur zu merken war.
Doch über das Thema Liebe, das auch allgegenwärtiges Thema im Frisörladen war, wollte Gabi viel erfahren. Um nicht zu sagen alles. So hatte sie eben, hoffnungsvoll und neugierig sowieso, an einem verregneten Augusttag den Zettel mit der Nummer hervorgekramt und angerufen.
Ja, ja, er könne sich erinnern, sagte eine angenehme Stimme, du bist die Kleine mit den langen Beinen aus dem Frisörladen. Klar habe ich Zeit.
Dann hatte er ihr einen Treffpunkt genannt und Gabi begann sich zu bemalen, so, wie Mutter es für Vater immer getan hatte, als sie noch eine kleine Familie waren und an den Wochenenden Ausflüge in die Umgebung machten. Vor dem Krebs der Mutter und den Händen ihres Vaters. Als sie Papa zu ihm sagte, wenn er sie auf das hölzerne, bunt bemalte Pferd des Karussells hob und beide, Mutter und er, winkend auf einer Bank saßen und das Ende der Fahrt abwarteten. Mutter hatte lange Beine, in die sich ihr Vater verguckt hatte. Gabi sollte nach der Mutter geraten. Mutter sollte danach nicht mehr lange zu leben haben.
Wie gesagt.
Gabi fand sich hübsch, so wie sie damals Mutter hübsch fand, als diese den Brief vom Arzt erhielt. Ein Brief, in dem irgendwie zwischen den Zeilen auch was von Gabis Zukunft zu lesen stand. Die Zeilenabstände waren zu gering und so ging das Ungelesene darin verloren.
Ich heiße Mike, hatte er gesagt und ihr gefiel der Klang seines Namens.
Sie hatten gegessen, danach einen Kaffee getrunken, waren in Gespräche versunken und der Abend verging wie im Flug. Wenn sie in der Handtasche kramte, zur Toilette ging und er sie dabei unbemerkt beobachten konnte, stierte er auf ihre Beine, tastete er mit Blicken den Ausschnitt ihres Kleides ab. Einmal ertappte sie ihn dabei. Vielleicht gefalle ich ihm, dachte sie und eine flüchtige Röte überzog ihre Wangen.
Vielleicht hab’ ich Glück mit ihm, dachte sie auch.
Mike tat alles, um sie verrückt zu machen. Er bezahlte das Essen, lief mit ihr barfuss durch den warmen Regen und verteilte auf ihren Schultern die zärtlichsten Küsse, die sie jemals gespürt hatte. Das ging auch die nächsten Tage und dann zeigte ihr Mike seine Wohnung.
Komm zu mir, sagte er. Hol’ deine Sachen von der Freundin und komm.
Wir haben Platz hier. Auch für mehr.
Du Sau, dachte er dabei und wusste, was er machen würde.
Doch das Mehr hat unterschiedliche Zugänge. Sie ahnte nichts, weil sie meinte, die Liebe gefunden zu haben. Doch das Mehr würde für Gabi im wahrsten Sinn der Worte ein dehnbarer Begriff werden.
Gabi glaubte hinter diesem Mehr einen Kinderwunsch Mikes zu spüren. Auch für mehr, hat er gesagt, auch für mehr, dachte sie immer wieder und sprach die Worte leise vor sich hin, wenn sie abends den Fußboden des Frisörladens kehrte. Gabi begann zu glauben. Sie begann verbissen an eine Zukunft zu glauben. Liebst du mich, Mike? fragte sie ihn Ende August, denn die halbe Miete bei ihrer Freundin wurde fällig.
Ja, Gabi, ja, gab Mike zur Antwort.
Und so war sie zu ihm gezogen, um ihrer Meinung, die Liebe gefunden zu haben, gerecht zu werden.
Die erste Nacht war glühend heiß und Mike betrank sich fürchterlich.
Am nächsten Tag waren die Schlösser der Wohnungstür getauscht und das Telefonkabel hing durchschnitten aus der Wand. Mike, rief Gabi, Mike. Die Schreie prallten auf ihr Echo und gegen die Scheiben der versperrten Fenster, bis sie darin erstarben.
Später kam Mike und brachte Freunde mit.
Lange nach Mitternacht haben sie Gabi neu getauft.
Die Neubauwohnung liegt im letzten Stockwerk. Der Blick aus den Fenstern reicht bis an den Rand des Waldes, der sich hier aus allen Richtungen gegen die Außenbezirke der Stadt schiebt. Für Gabi wurde das Blickfeld regenbogenfarben, weil drum herum immer etwas geschwollen war. Nichts half mehr ab diesem Zeitpunkt. Mike schlug sie in den Bauch, in den Unterleib, drosch ihre Stirn immer wieder gegen die steinerne Arbeitsplatte der Designerküche.
Gabi ist der Begriff Zeit abhanden gekommen. Sie bedient seit Monaten in unregelmäßiger Reihenfolge seine mitgebrachten Freunde, ist ein Spielball für die niederen Instinkte derer geworden, ist die Sau, die schlucken und die vollgewürgten Schüsseln, die angepissten Unterhosen ablecken darf.
Es geht jetzt besser, weil Gabi nicht mehr merkt, ob es Nacht ist oder Tag. Gabi hat die Schmerzen besiegt und achtet nicht mehr darauf. Regelmäßig bringt ihr Mike den Stoff, aus dem sie ihre Zukunftsträume hinter wabernden Nebeln auferstehen lassen kann. Kuchenbacken riecht sie darin und über Kinderspielzeug stolpert sie. Wenn sie sich zwischen all dem ausbreitet und ihre langen Beine sie kaum noch tragen, dann hört sie Mike manchmal ihren Namen rufen, riecht sie den Augustregen von damals.
Gabi, ruft Mikes angenehme Stimme, Gabi........
Oder ist es die Stimme des Vaters? Nein, nicht die des Vaters, die kann es nicht sein.
Vom Vater ist sie weggelaufen. Doch sie hat ihren Vater geliebt, als sie noch Papa zu ihm sagte und Mutter an den Wochenenden den besten Kuchen der Welt für sie und Papa zubereitet hatte. Aber: Gabi hätte was Gescheites machen sollen und hat wieder versagt.
Ich Sau, spricht Gabi zu sich.
Eines Tages wird sie mit kräftigen Flügelschlägen rüber zum Rand des Waldes fliegen, weil ihre Mutter, die dort winkt und auf sie wartet, wissen soll, dass Mike sie geküsst hat wie niemand es zuvor vermocht hatte.
Ein paar schöne Tage lang.