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Die Saga vom Specksteinkopf

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16.05.2013
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Die Saga vom Specksteinkopf

Die Saga vom Specksteinkopf


Brattahlid, Grönland, A.D. 1000
„Odin sei Dank“, knurrte Eirik mit erschöpftem, brütendem Blick auf das Schlachtfeld. „Ehre sei Thor“. Seinen Gefallenen sprach er einen Skaldensang für die letzte Reise:

„Die Mannhaften mögen
nach Walhall finden,
Frohmut im Herzen
statt Not und Verzweiflung,
zu Tische sitzen
an Odins Tafel.“

Mehr als alles andere wünschte sich der Alte, sein Weib, das sich dem neuen Gott zugewandt hatte, könne es hören. Mochte Thjodhild glauben, woran sie wollte – dort drüben hatte sie sogar eine kleine Kirche aus Torfsoden erbauen lassen. Was ihn ärgerte, war der Umstand, dass Thjodhild sich ihm ganz einfach verweigerte, solang er sich ihrem Kult verschloss.
Eirik hinkte zwischen den Leichen, den Verwundeten, den bei ihnen kauernden Männern und Frauen hindurch. Hielt sich den blutenden Arm. Schwindelschatten trübten die Bilder vor seinen Augen. Die gestauchte Schulter und die wieder angewachsene Rippe schmerzten. Keine Kampfverletzung, sondern ein Sturz vom Pferd. Dennoch war das vermutlich seine letzte Schlacht gewesen – vor seinem eigenen Hof Brattahlid.
Tödliche Nachbarszwiste hatten seine Eltern von Norwegen nach Island, später ihn selbst an diese unbewohnte Küste geführt, die grün genug war, einer großen Menge Volks die Ausreise von der dicht besiedelten Insel schmackhaft zu machen. Die ihn wegen Totschlags für drei Jahre geächtet hatten, waren ihm schließlich gefolgt. Aber heute hatte er, in seinen hohen Jahren, noch einmal seinem Spitznamen Ehre gemacht, den er nicht nur seinem einst kupferblonden Haar verdankte: „Der Rote“.
Man solle eine Grube für die Kadaver dieser Lumpen ausheben, hörte Eirik sich müde sagen. Drüben, südlich des Kirchhofs.
„Das wird euch alle verfolgen…“
Die mühsam hervor gepresste Stimme kam mit blutigen Speichelfäden von dem Mann, der vor seinen Füßen lag. Immer noch stemmte sein Atem das steckende Messer empor.
„Keine Ruhe sollen deine Männer finden“, unterschied Eirik. „Für – jeden – von uns – eine Seele – die nach dem Tod – umher irrt – an den nächsten weiter gibt…“ Jäh erstarrten die weißen, von Mücken heimgesuchten Züge. Unmerklich waren die Augen gebrochen.
Etwas Hartes drückte in Eiriks Schuh. Beiläufig sah er einen winzigen, hautfarbenen Steingegenstand, der neben der Hand des Toten in der zerwühlten Grasnarbe stak.
Plötzlich fühlte er ein kaltes Kribbeln im Leib, als würde die Seele ihm mit Sand und Seifenlauge vom Fleisch geschmirgelt wie Milchfett aus einer Holzschale. Vor ihm gähnte ein nebelhafter Abgrund.
Als er sich zitternd wieder unter Kontrolle hatte, rief er einen Sklaven, wies mit dem Kopf auf den Leichnam und nickte zu Thjodhilds Kirche hinüber. Das kreisrunde Torfmäuerchen umarmte die ersten Ruhestätten Getaufter.
„Begrabt auch ihn dort“, sagte er mit rauer, unsicherer Stimme.

Hvalsey, A.D. 1300
Sunniva stieg zur Kirchenbaustelle hinan. Von fern schon konnte sie Arnald erkennen, ihren Mann, der dem Bau vorstand und Blocksteine auf die rechteckige Mauer zu setzen half. Die Sonne blitzte auf dem tiefblauen Fjord, flimmernde Wärme erbrütete einen Geruch nach Erde und Gras, trotzdem hatte Sunniva den hellblauen Wollmantel um sich geschlungen. Ihr rostrotes Kleid raffte sie hangaufwärts stapfend von den Lederschuhen hinweg, die um ihre nackten Fußrücken und Knöchel geschnürt waren.
Arnald ließ sich vom Gerüst herunter gleiten, wischte sich die nasse Stirn und bog den fahlblonden Kopf unter seiner Trinkflasche zurück. Sacht berührte er seine Frau an der Schulter. „Wie geht´s dir, Sunniva?“
„Gut, lieber Arn. Ich habe die Bewässerungsrinnen der Felder vom Unrat freigeharkt und jetzt bringe ich dir dein Essen. Aber mir scheint, dir geht es gerade nicht so gut? Du siehst leidend aus. Ist es wegen letzter Nacht…“
„Was meinst du?“
„Der Traum. Du hast dich hin und her geworfen. Du hast schlecht geträumt, ich konnte selbst kaum schlafen. Und du hast merkwürdige Sachen gesagt.“
„Ach. Den ganzen Vormittag Steine hieven.“ Er sackte gegen einen der großen, flachen Blöcke und nahm die Schale Roggenbrei, die Sunniva aus ihrem Weidenkorb geholt hatte. Sie setzte sich neben ihn. „In der Hitze. Und dieser laue Wind! In meinem Schädel zieht der Schmerzfluss, mein Magen fühlt sich an, als wäre er zu.“
Die junge Frau nickte mitfühlend. Gut genug wusste sie, wie sehr Arnald an manchen Tagen unter dem trockenen Wind litt, der von den Eiswüsten Grönlands zur Küste floss. Wenn der Gletscherföhn seine glänzende Reinheit in die Luft blies, schien er das Licht kaum zu ertragen. Dass auch sie selbst sich heute etwas leidend fühlte, mochte vom Föhn verstärkt sein. Die wahren Ursachen lagen woanders. Im eigenen Leib.
Zufrieden sah sie zu, wie ihr Mann den Löffel in den Brei stieß und den ersten Batzen aß.
„Ist Fleisch drin“, mummelte er ebenso genüsslich wie misstrauisch. „Ein ganzes Lamm? So viel können wir hier nicht dauernd beanspruchen. Dafür gibt´s Klippfisch reichlich.“ Zähnebleckend zerpatschte er Mücken auf seiner Wange.
„Du brauchst ein kräftiges Essen als Hausbauer. Für einen Tag Dienst werden dir die Leute öfter ein Schaf geben. Gute Münze ohnehin. Außerdem, dein Vater ist kein armer Mann, und dein Großvetter Gunnar ist so knauserig als Gastgeber auch nicht. Wo er dich doch beauftragt hat. Und der Robbenjäger, müsste bald zurück sein.“
„Hoffentlich mit reichem Fang.“
Vielleicht war er das schon, das Schiff, das unter gesetztem Rahsegel den Einarfjord hinan glitt. Sunniva blickte auf die Bucht hinaus, auf scharfkantig gebrochene Eisberge. Das Türkisgrün ihrer weiten Unterwasserhöfe linderte ihr blendendes Weiß, das von grauschwarzen Streifen Gletscherschutts durchzogen war. Vor dem hellgrauen Kiesstrand hatte Wellenschlag die Eistrümmer zu einer scharfen Linie aufgereiht. In sicherem Abstand zu den treibenden Untiefen näherte die Knörr sich rasch dem Ufer. Doch mit ihrer Fahrt stimmte etwas nicht. Der Wind kam von der Landseite –
„War nicht bös gemeint, Sunni. Hast du dir nichts mitgebracht? Hier.“
„Nein, nein, iss alles, Lieber. Ich bin – nicht hungrig.“ Jetzt war ein Zeitpunkt, Arn zu eröffnen, was er hoffentlich schon ahnte und was ihr inzwischen Gewissheit war.
„Eigentlich vertrage ich schon den ganzen Morgen keinen Bissen.“
Er sah sie an, fragend, ahnend, dann wieder verschlossen und verwirrt. Wehrte sich gegen das Begreifen, das doch unerbittlich aufstieg. Sunniva spürte ihr Herz in der Kehle schlagen. Er rieb sich mit dem Daumen gelbe und weiße Abdrücke in die sonnenroten Schläfen. Entschlossen keilte sie ihre Finger in seine:
„Arnald, ich weiß, dass wir mit unseren Vorräten haushalten müssen. Zumal wenn wir beide um einen mehr sind.“
Er hatte die Schale und den Krug Molke beiseite gestellt. „Dann ist es wirklich wahr? Du bist – „
Nun stand es ausgesprochen in ihrer Mitte. Bangigkeit, Freude, Hoffnung. Dies Neue, das in ihren Bund hinein wuchs, Sunnivas Leib in den nächsten Monaten runden, aber auch Arnalds Stand als Ehemann verändern würde.
„Das erste“, sprach er ihre Gedanken aus. Dann beugte er sich zu ihr hinüber, zog sie an sich und küsste sie.
Eine prickelnde Wärme durchschauerte Sunniva. Der salzige Geruch seines Schweißes umhüllte sie, der dunkle Körperabdrücke in seinen Kittel und seine Hosen getränkt hatte. Vor allem aber sog sie den Geruch eines guten, starken, geschickten und fürsorglichen Mannes ein. Unwillkürlich fuhr ihre Hand durch seinen verklebten Schopf. Er streichelte ihr Haar, das so schwarz war wie die Augen eines Seehunds und als schlichter Knoten auf den Muskeln ihres Nackens lag. Kein anderes Mädchen am Einarfjord hatte so dunkles Haar. Sie wusste, er mochte es von jeher.
Gewiss, die Heirat hatten ihre Väter bestimmt. In diesem Augenblick aber spürte Sunniva, wie sich ihre Zuneigung vertiefte und sie über dem Keim des Neuen, Dritten zu einer unverbrüchlichen Gemeinschaft zusammen schweißte. Überall hin würde sie mit ihrem angetrauten Herrn gehen. Für die Zeit des Kirchenbaus lebten sie nun auf Hvalsey, dem Hof von Arnalds Großvetter Gunnar. Der hatte das neue Gotteshaus in Auftrag gegeben. Ein steinernes. Dergleichen gab es nicht viele in Grönland, weder in Eystribgyggd noch im ohnehin ärmeren Westland, nordwärts die zerschnittene Küste hinauf.
Von den Gerüsten, die aus norwegischem Importholz gezimmert waren, klapperten die Stimmen der Arbeiter herüber. Als Arnald sich von Sunniva löste und gegen die Mauer lehnte, waren sowohl der freudige Schreck wie seine liebevolle Bewegtheit aus seinem Gesicht verschwunden. Auch Sunniva legte sich ein jäher Angstschatten über die Erleichterung, die nach der Mitteilung in ihr geleuchtet hatte. So sorgenvoll und kränklich wirkte das Gesicht ihres Mannes mit einem Mal wieder.
„Sunni, wie viele Monde dürften es wohl schon sein?“
„Der dritte. Silfa ist ziemlich sicher. Sie hat viele Kinder zur Welt gebracht und auch Gunnars beiden Söhnen ins Leben geholfen.“
„Also wird es ein Winterkind. Geburt bei Eis und Schnee…“
„Konnten wir die Stunde ganz allein bestimmen?“ Die Dämmertage, an denen Eis die Schiffswege verstopfte, streckten ihr Unbehagen auch nach ihr aus. Sie wäre es dann, die ihren sehnigen jungen Körper bei Kräften und seine Säfte für ein gierig heranwachsendes Leben im Fluss halten musste. Der im flackernden, rauchgebeizten Halbdunkel die Wehen bevor standen: nicht abschätzbare Schmerzangriffe auf ihr Leben. Dennoch war sie enttäuscht, dass ihr Mann diesem Augenblick, in dem sie fraulich aufgehen wollte, im Geist schon so weit vorauseilte.
Aber seine Sorgen kreisten in Wahrheit um etwas anderes als den Zeitpunkt der Niederkunft… etwas, das sichtlich an ihm zehrte. Mit Beklemmung stellte sie fest, dass der unsichtbare Schatten sein Gesicht zu verfremden begann.
„Es ist der Traum, nicht wahr? Bitte, erzähl ihn mir. Sonst habe auch ich keine Ruhe.“
„Lass uns ein paar Schritte gehen“, sagte er nach einer Weile pochenden Schweigens und half ihr auf. Er winkte einem Vorarbeiter, der verständnisvoll nickte. Sunniva griff den Korb, schob den Arm unter seinen und ging mit ihm auf die Häuser von Hvalsey zu. Die lagerten unter ihren Grasmatten wie riesige Tiere in grünzottigen Fellen. Rauch wölkte vor dem steilen Felsrücken gen Himmel.
Der hatte plötzlich seinen weißen Glanz verloren.
Schnell konnte das Wetter umschlagen. Doch was sich da über die Bucht breitete, hatte nichts mit einem gewöhnlichen Umschwung zu tun. Meer und Land nahmen ein unwirkliches graues Aussehen an. Die Kälte fuhr nicht aus der Luft daher – kein Grashalm, keine gelbe Mohnblüte schaukelte im Wind. Sie stieg aus Sunnivas Innerem auf und hinterließ eine Leere, als wiche die Lebenswärme selbst aus ihr. Instinktiv schlang sie den Arm um ihren Bauch und schmiegte sich an Arnald. Doch der ließ nur die Arme baumeln, während er auf die gespenstisch fahle Bucht hinaus starrte.
Das einzige, was sich auf dem ins Neblige verschwimmenden Wasser noch regte, war das Schiff. Die Knörr war aber nicht Tores Robbenkutter. Ein fremdes Schiff, das ebenso wenig zu dieser Welt zu gehören schien wie das Meer, die stehende Luft, die ganze Umgebung. Kein Wind konnte es mehr auf das Ufer zu treiben. Nicht mehr diese Wellen, deren dünner weißer Schaumrand nur noch mit traumgleicher Langsamkeit zurück rollte.
Klagende Stimmen wehten vom Fjord heran. Oder kehlten nur die Möwen ihre geschraubten Schreie? War es das hohle Rufen der Eiderenten? Unbeeindruckt schoben sich die Sprenkel der Schafe und Rinder über die Weiden. Ein Mann beschattete seine Augen, als blickte er in die helle Sonne.
„Komm“, sagte Sunniva. Mütterlich und zugleich verängstigt wie ein kleines Kind. Sie zog Arnald an einer sanften Hangstufe zu Boden und kauerte zu seinen Füßen nieder. Zum ersten Mal sah sie, dass er einen Halsanhänger durch den blau-rot bestickten runden Hemdausschnitt gezogen hatte. Ein Specksteinköpfchen, rosig, kaum größer als eine Kinderfaust. Das Gesicht eines Mannes mit Spitzbart und Kapuze. Durch deren Spitze war ein Loch gebohrt, Aufhängung für das Sehnenband, das Arnalds Finger fiebrig zwirbelten.
„Er kommt“, murmelte er dumpf. „Er, dem dieser Anhänger gehört. Er holt mich. Ich weiß es.“
„Den… habe ich noch nie gesehen.“ Bei dem Versuch, sie beide abzulenken, brachte Sunniva sogar die Zuckung eines Lächelns zustande.
„Nein“. Er lächelte schwach zurück. „Ich hab ihn auch erst seit… letzter Nacht.“
„Bitte, Arn, erzähle. Bestimmt hilft es dir.“


„Wir waren auf der Fahrt nach Island. Du kennst ja meinen Wunsch, Eystribyggd zu verlassen. Kürzere Seeverbindung nach Norwegen – zuverlässigere Bauholzlieferungen – ein fruchtbarerer Boden, bessere Weiden und mildere Winter, besonders in der Ebene um Reykjavik. Keine Mücken, jedenfalls keine stechenden. Nach Osten sind die Meere das ganze Jahr über frei. Gunnbjörn will noch diesen Sommer mit seiner Familie hinüber fahren und auch um Land für uns ersuchen.“
„Wenn wir alle kommen, wird sich der Boden auch nicht vermehren.“ Sunniva brachte ihren Einwand nur zerstreut. Ihre schmelzend dunklen Augen drangen in ihn. „Sind wir in Deinem Traum angekommen?“
Seine Stimme wurde schwer, seine Augen rollten unter die schräg herabgezogenen Brauen. Schwach klammerte er sich an die Hand seiner Frau, die ihren festen, sommersprossigen Arm auf seinem Knie ruhen ließ. Ohne unmittelbar auf ihre Frage einzugehen, fuhr er fort: „Niemand auf Deck und auf den Ruderbänken sprach. Überhaupt fiel kaum ein Wort oder es kam aus einer… nichtmenschlichen Ferne, so beiläufig wie das Plätschern der Wellen, das Streichen des Windes oder der Schrei eines Vogels. Kalt und leer starrten die Augen der Männer vor sich hin, und doch war in ihren bleichen Gesichtern ein Ausdruck von solcher Verzweiflung und Verlassenheit, dass es auch mir alle Wärme aus dem Herzen zog. Vor mir drehte sich ein Mann um. Er war etwa in meinem Alter. Um seinen Hals hing dieses Köpfchen aus rosa Speckstein.“
Der Anhänger glitt aus den Fingern seiner freien Hand, tänzelte auf seinem Hemd und warf leere Blicke aus seinen steinernen Augen hin und her. Immer mühsamer stieß Arnald seine Worte hervor, während er seine Sinne schwinden fühlte.
„Nun trieb das Schiff auf eine Küste zu. Ja, es trieb. Kein Ruderschlag war zu hören oder zu sehen… kein Wind blähte das Segel, das immer wie eine glatte Wand vor dem Mast hing. Eisberge glitten beiseite und gaben den Blick auf steiniges Gelände frei. Alles – war grau – nur die dichteren Grasfluren in Senken, Furchen, an Geländekanten – mischten eine grüne Schattierung hinein.
Auf dem Hangabsatz standen Wohnhäuser, Stallungen, eine kleine Kirche aus Torf. Ein Mann trat durch die Pforte des Mauerkreises, schritt auf uns zu und ragte zuletzt riesengroß in den steingrauen Himmel auf. Das Schaurigste war das Messer, das in seiner Brust stak. Murren erhob sich im Schiff bei seinem Erscheinen, anklagendes, feindseliges und verzweifeltes Wüten wurde laut, doch die Wunde begann nur frisches Blut zu verströmen. Da wies der himmelhohe Mann auf den Mitreisenden vor mir, und es war so still wie in einer steinernen Halle… und nachdem sich der Passagier den Specksteinkopf vom Nacken gestreift hatte, konnte ich nichts anderes tun als das Ding zu nehmen – mir selbst umzulegen… obwohl ich wusste, dass ich die Verdammnis des anderen übernahm. In diesem Augenblick sprach hinter mir eine Stimme, eine helle, leicht spröde, wie wenn die Stimme eines Knaben mit der Mannbarkeit in Bruch kommt. Vielleicht war es aber auch der kräftige Ton eines heranwachsenden Mädchens, der sich wohl einmal knabenhaft eindunkeln kann, wie deine Stimme, wenn du bestimmt redest… ´Du hast den Bann genommen´, sagte die Stimme. ´Nehmt ihn beide auf euch, dass ich ihn löse.´ Ich wollte mich umdrehen, aber wer da sprach, blieb hinter all den schrecklichen Gestalten verborgen.“
„Arn“, hörte er noch Sunnivas Stimme, „war ich auch auf dem Schiff? War ich bei dir?“
Ein letzter Sonnenstrahl beschien den seidigen Flaum ihrer Wange und fing sich in der roten Kleiderfalte, die ein letzter Windstoß unter ihren Knien fächelte wie ein Segel.
„Ja“, hauchte er. „Du warst bei mir. Aber – du – warst – „
Als Letztes spürte er ihre Arme, die ihn aufzufangen versuchten. Ehe er mit dem Gesicht zur Erde schlug, merkte er, dass er sich wieder erhob. Er ließ seinen herabsinkenden Körper zurück. Einen Herzschlag lang überwältigte ihn sengender, prickelnder Schmerz. Hilflos sah er, wie Sunniva an ihm rüttelte, seinen Kopf in ihren Schoß bettete, sich hilfesuchend in alle Richtungen wandte. Ihr Mund formte seinen Namen, ohne dass er ihre Schreie hören konnte. Lautlos gellten die Rufe der Arbeiter, die gelaufen kamen, sich über ihn beugten und ihn schließlich aufluden.
Dann zog eine unerbittliche Macht ihn fort. Noch haftete er an seinem Körper, an seinem schlagenden Herzen. Doch seine Beine – oder was er als solche noch zu fühlen glaubte – bewegten sich schon auf das Schiff zu.

„Es ist also wahr. Es gibt den Fluch. Eine Seele sucht nach der nächsten, die für sie durch die Verdammnis irrt.“
Sunniva war Gunnar Grimsson, dem Hofherrn, zutiefst dankbar, dass er redete und sie von der klammernden Todesangst um ihren Mann ablenkte. Sie saß neben dem reglos daliegenden Arnald auf der Schlafbank, und eine Weile hatte auch sie ihn nur mit befremdeter Scheu ansehen können. Einen Moment lang fanden ihre Gedanken Halt an dem Wandteppich, der im Rücken des Witwers hing. Auf dem französischen Gobelin rannten Ritter gegeneinander an oder reichten fantasiehaft gewandeten, lieblich blassen Damen eine Frucht.
Die vornehme Einrichtung war kein Trost gegen das Grauen, das über allen Dingen brütete. Doch schien nur noch sie selbst es wahrzunehmen. Gunnar war vom Schrecken über Arnalds Zustand erfasst, was allerdings genügte, klamme Seelenängste aufsteigen zu lassen.
„Liebes Kind, erzähle“, sagte Gunnar. „Was hat mein Vetter dir von seinem Traum erzählt?“
Mit mürber, würgender Stimme gab Sunniva alles wieder.
„Was geht dort um? Um Himmels Willen, sag mir was du weißt, Gunnar!“
„Arnald hat den Thjodhildskirchhof gesehen“, erwiderte Gunnar dumpf. „Der Mann mit dem Messer in der Brust war Einar Blutschuh. Es hat sich nach seinem Tod nicht aus seiner Brust ziehen lassen. Von denen, die daran zogen, waren einige in den folgenden Tagen wie vom Blitz gerührt verstorben oder ihr Geist hatte greisenhafte, vor sich hin dämmernde Leiber zurückgelassen. Und nachdem Einar auf dem Friedhof bestattet worden war, soll Blut unter dem Kreuz hervor gesickert sein. Niemand hätte sich getraut, den Leichnam auf dessen Land zu überführen. Eirik hat sich auf dem Sterbebett noch taufen lassen, seiner Frau zuliebe – heißt es immer…“
Sunniva schluckte. Auch sie hatte die Geschichte als Kind gehört, weigerte sich aber noch immer, an deren Wahrheit zu glauben. „Was hat es mit dem Fluch auf sich?“
„Wie es dazu kam, wird in keiner der Sagas erzählt, die wir bei Festen oder an Winterabenden weiter geben. Der alte Hrafni aus Gardar hat es mir einmal erzählt, wer weiß, woher er es hatte. Einar, selbst ein streitlustiger Mann, wollte später seinen Onkel Thorgest rächen, den Eirik im Zorn an Islands Hornstränden erschlagen hatte. Aber ich glaube, dem noch jungen Mann ging es weniger um die Wiedergutmachung eines persönlichen Verlusts – ohnehin hatte ja das Althing den Missetäter mit dreijähriger Ächtung bestraft, den Fall bereinigt, Einar hätte sich selbst eines Verbrechens schuldig gemacht. Vermutlich gab es bei der Landnahme Unstimmigkeiten über die Verteilung des Grundes. Außerdem war Einar ein geradezu fanatischer Verfechter des Christentums gewesen – aber wohl eher, weil er ihm einfach mehr Macht zutraute. Ich denke, er hatte ganz einfach versucht, Eirik als Goden der Grönländer zu entmachten und seinen eigenen Einfluss zu stärken. Eirik war von einem gesetzlosen, jähzornigen Raufbold zu einem weitsichtigen Mann geworden, und seine bedächtige, sicher auch selbstherrliche Art war Einar zuwider gewesen.
Eines Tages zog er mit zwanzig weiteren Rebellen nach Brattahlid und lieferte Eirik eine Schlacht, die dieser mit seinen Kriegern erbittert gewann. Im Sterben soll Einar seine Gegner verflucht haben. Keine Ruhe sollten sie finden und die Bürde entlang ihrer Vaterlinie weitergeben. Und was Einar im Todeskampf vielleicht nicht einmal beabsichtigtr hatte - der Fluch wirkte tatsächlich! Wer von einer der ruhelosen Seelen etwas annimmt, muss an deren Stelle durch die Zwischenwelt irren, bis er selbst jemanden findet, dem er seinen Fluch abgeben kann. Viele erzählen, der Verdammte begegne seinem Opfer im Traum und händige ihm einen Gegenstand aus. Ein Köpfchen aus Speckstein – wie dieses dort! Stets verstarb der Unglückliche am Mittag nach seinem Traum oder fiel in einen todartigen Zustand.“
Die Miene des Hofherrn sah vor Grauen, Schmerz und Sorge verfallen aus. „Dein Schwiegervater Sigvald Tordsson spricht stolz über einen Ahnen, der ein treuer Gefolgsmann des Roten war? Arnalds Vorfahre war also auch ein Träger von Einars Fluch?“
Sunniva hörte es kaum noch. Sie hatte ein Kerzengefäß aus buntem Glas an sich genommen und schien in das Gesicht ihres Mannes. Das Specksteinköpfchen zeigte ein tieferes Rosa als zuvor. Die Kerben, die den Bart darstellten, kräuselten sich wie wirkliches Haar. Und in dieser keilförmigen Umrahmung begannen unverkennbar Arnalds Gesichtszüge sich auszuprägen.
Überlaut hörte sie den kleinen Herzschlag im Wummern und Rauschen ihres eigenen Pulses. Der Angst, die über sie kam, durfte sie sich nicht ergeben. Nur diesen Augenblick würde ihr Mut andauern. Wenn sie versagte, wäre Arnald verloren und mit ihm vielleicht alle anderen Grönländer – ewig würde der Fluch zurückkehren, sein Pfand weiter reichen.
„Ich will es auf mich nehmen“, sagte sie entschlossen und zerrte an dem Halsband, das sie zuvor nicht hatte abstreifen können. „Betet. Für Arnald. Für alle, die den Fluch in ihre Hände bekommen haben. Und betet vor allem für ihn, der ihn unchristlich ausgesprochen und so viele Menschen damit beladen hat. Betet, dass auch er bei Gott unserem Herrn Gnade finde und Versöhnung mit all den Toten. Erst dann wird der Fluch vergehen.“
Eine aufopferungsvolle, zornige Liebe half ihr das Band zu lösen. Arnalds Kopf sackte auf das tanggepolsterte Bettlach zurück.
„Herr, verschone meinen Mann und die unschuldige Frucht, solange sie nur in mir ist. Kannst du, so gnade auch mir.“
Durch Arnalds geschlossene Lider ging ein unmerkliches Zucken. Die Rückkehr seines Lebens war das letzte, was Sunniva sah, als sie sich das Elfenbeinköpfchen umhing, die Sehne sich um ihren Nacken schnürte und der Schmerz sich bis in ihr Innerstes brannte.


Die Klinkerplanken der Knörr waren weißgrau wie das Treibholz an Vestribyggds Stränden. Eine Wolkenwalze rollte sich aus dem schattenlosen grauen Wasser auf. Dort würde der Segler ihn hinein tragen, sobald er die Hand des Mannes genommen hatte, der über die Landeplanke auf den Strand gestiegen war und ihm langsam entgegen schritt.
In diesem letzten Augenblick war keine Kälte und Seelenlosigkeit mehr in dessen Antlitz. Eine müde Hoffnung belebte die Augen, deren Farbe sich nicht mehr erkennen ließ. Arnald hatte den Speckstein-Anhänger von ihm entgegen genommen. Nun kam jener andere, dessen Namen er nicht kannte, ihn holen, um selbst in der Unendlichkeit des Friedens aufzugehen. Er würde nun erlöst, weshalb auch immer ihm diese Ruhelosigkeit zuteil geworden war, weshalb auch immer es Arnald Sigvaldsson an seiner Stelle ins Nirgendwo rief, fort aus dem stillem Eheglück mit Sunniva Bardardottir.
Die beiden unstofflichen Hände streckten sich einander entgegen.
„Arn! Arnald!“ rief eine Stimme in seine entgleitenden Erinnerungen hinein.
Der Mann, der so alt war wie er selbst, wandte mit einem Ausdruck dumpfen Staunens den Kopf. Die gleiche Regung erfasste die anderen friedlosen Seelen an Bord. Nur noch mit Mühe gelang es Arnald sich umzudrehen. Aus unverwandter Ferne sah er mit Steinsplittern übersäte Hügel, umflort von Sommerlicht. Durch ein Feld Strandroggen lief jemand auf ihn zu. Ein Mädchen, das sein schwarzes Haar zu schlichten, fransigen Zöpfen geflochten hatte. Ernste, tiefbraune Augen in einem Gesicht mit sommersprossiger Stupsnase. Oft hatte er es als Kind gesehen, wenn sie sich auf Familienfesten begegneten.
Als das Mädchen näher kam, war es nicht mehr Sunniva. Und doch kamen die Züge ihm vertraut vor. Eine Verheißung ging von dieser kleinen Gestalt aus, die kostbarer war als aller erhandelte oder in sagenhaften Ländern verborgene Reichtum: die Verheißung, sich selbst in seinem Leben und in seinen Nachkommen zu finden. Arnald spürte, wie das Licht der Erinnerung ihn mit sich zog.
Dennoch musste er sich noch einmal in das Dämmer drehen.
Ein weiterer Mann war auf den Strand getreten. Er sah groß, einflussreich und streitbar aus. Seine Augen blickten voll Traurigkeit und Stolz. Ein Abglanz des Sonnenscheins, der aus Arnalds Rücken kam, zauberte einen kupferroten Schimmer auf sein Haar, den von Schwertnarben gelichteten Bart und das kunstvolle Sterbekreuz, das er um den Hals trug. Er deutete mit einer weitläufigen, huldvoll entlassenden Geste auf das grüne Küstenland. Arnald erkannte die Umgebung von Hvalsey wieder: die grasgedeckten Häuser, die Grundmauern der Kirche. Sein Werk.
Das Mädchen nahm den jüngeren Mann, dessen Namen er niemals kennen würde, bei der Hand, und beide verschwanden vor seinen Geisteraugen in einer Mulde. Derweil merkte Arnald, dass er auf Gunnars Haus zuschritt. Die mehrere Mannslängen starken Wandbacken nahmen ihn zwischen sich auf, die Tür mit ihrem steinernen Sturz wuchs ihm entgegen, er spürte einen reibenden Schmerz, als er sich durch die Fasern der Bretter grub. Sein Körper erwachte, wurde wieder eins mit seiner Seele.
Das erste, was er nach der schmerzhaften Wirrnis der Verschmelzung wahrnahm, war der Föhndruck in seinen Schläfen. Er schlug die Augen auf und sah Sunnivas Gesicht, von Lachen und Weinen geschüttelt. Ihre Hand schmiegte sich um seine Wange. „Da bist du ja wieder“, schluchzte sie. „Du lebst! Du lebst! Dank sei Gott, o Dank!“
Auch ihm steckten die Tränen in der Kehle, während er sich aufrichtete und ihre Handgelenke fasste.
„Was war los? Warum liege ich hier? Warum bin ich nicht auf der Baustelle?“ Er sah seinen Vetter an, dem ebenfalls die Tränen liefen, wieder seine Frau… Eine panische Ahnung schoss ihm ins Herz. Wie Sunnivas Augen ihn anstarrten, aber nicht zu sehen schienen! Ihre vor Angst kalten Hände, die sein Gesicht betasteten, immer wieder betasteten.
Die Erinnerung an seinen Nachttraum durchzuckte ihn. Genauer gesagt an das, was er ihr vor seiner rätselhaften Ohnmacht erzählt hatte. Nur der Schreck brachte ihm die Erinnerung an seine Worte zurück.
War ich bei dir? – Ja, du warst bei mir. Aber du warst –
Blind.
Gunnar nickte betrübt. „Ja. Ich fürchte, sie ist blind. Sie hat das Augenlicht verloren, als sie sich das Specksteinköpfchen umhängte, um dich von dem Fluch zu befreien. Es ist ihr Opfer für dich.“
Weinend drückte er Sunniva an sich. „Ich muss in einem schweren Traum gelegen haben“, stammelte er verwirrt. „Was geschehen ist, ich weiß es nicht mehr. Aber ich weiß, dass du immer da warst und da sein wirst. So werde auch ich immer da sein und dich schützen, wie ich es vor Gott und den Menschen versprochen habe.“

Sunnivas Kind kam an Allerseelen zur Welt, früh in einem unabsehbaren Winter, der die reichsten wie die ärmsten Höfe zur Hungerfalle machen konnte. Arnald hatte seiner blinden Frau, deren Zustand sie rasch zu schwächen begann, die Rückreise auf den Hof seines Vaters nicht zumuten wollen, und sie waren auch nach Ende der Bausaison auf Hvalsey geblieben.
Die zehrende Schwangerschaft gipfelte in einem Sturm aus Schmerzen, Blut und Angst. Unter den Händen der alten Magd Silfa und Gunnars Mutter bäumte sich ihr Leib zuletzt in einem schieren Überlebenskampf, den sie und das Kind miteinander ausfochten… und mit etwas Drittem.
Sie krallte sich in das dichte, weiche Fell der Rentierdecke und schrie. Sie schrie nach ihrem Mann, der aber des Schlafraums verwiesen war, um mit seiner Gegenwart die Körperseelen von Mutter und Kind nicht zu gefährden. Ständig brachten die Wehen neue, verzerrte Bilder in ihr hervor. Die Blindheit war nicht von gewöhnlicher Art: In ihrem Inneren wandelte sich alles, was sie hörte, berührte oder erzählt bekam, in so lebhafte Gesichte um, wie das Auge sie nicht anders liefern konnte.
Vor allem nahm sie Gefühle als wallende Farben wahr.
Meist sah sie Arnalds Treue und Fürsorge, manchmal hatte sie auch seine Zweifel, seine Scheu und seine Scham erblickt. Oft genug waberte auch das abergläubische Misstrauen der Familie und des Gesindes um sie her. Es umgab sie seit dem Tag ihrer Erblindung, an den auch sie sich nur noch schemenhaft erinnern konnte. Fragmente eines dunklen Traums.
Als sie das Kind in einer letzten, überwältigenden Woge der Qual aus ihr zogen, als sie aus einer kurzen Sinnenlosigkeit erwachte, öffneten sich ihre Augen zu doppelter Schau: Sie sah den winzigen Kopf, das schwarze Schöpfchen, das ihrem Haar glich, das in Tücher gepackte Bündel. Sie sah die erste, schreckhafte Verwirrung des kleinen Mädchens, einen Wirbel weißlich-grünen Lichts, aus dem sich ein großer, dunkler Schatten zerrte. Nur die alte Silfa schien etwas bemerkt zu haben. Ihre blanken, hellblauen Augen rollten in den knochigen Höhlen, als folgten sie einer entschwebenden Bewegung.
Dann verwuchs die Seele des Kindes endgültig mit dem neuen Körper. Sein erneuter Schrei leitete ein Leben ein, das allen Schmerz des Vergangenen, den es in sich aufgenommen und durch sein Wachstum gefesselt, an der blutenden Pforte des Mutterleibes wieder abgestreift hatte. Die Kraft des Fluchs verwehte wie Dampf.
Lächelnd wollte Sunniva ihre Hände nach dem Kleinen ausstrecken: Sie hatte die Kraft nicht mehr. Unregelmäßig floss ihr Puls, gleich schwarzen Luftbasen unter einer Eisdecke. Auf Silfas faltigem, abgekämpftem Gesicht breitete sich eine wissende Traurigkeit aus.
„Der Anhänger um deinen Hals“, sagte die Magd nur. „Das Köpfchen, das du immer getragen hast. Es ist weg. – Du kannst wieder sehen, nicht wahr?“
„Ja“, flüsterte Sunniva mit gedunsenen Lippen. „Ich sehe. Ich – erinnere – mich.“

 

Hallo Roger

Herzlich willkommen hier im Forum.

Mit deinem Erstling hier legst du eine intensive und mir sprachlich verschlungen wirkende Geschichte vor. Wobei, ich hatte immer ein wenig Mühe mit nordischer Literatur, da sie mir auf andern Denkweisen basierend scheint. Wenn du dies gezielt so ausrichtetest, könnte es also durchaus authentisch sein. Inhaltlich ist die Geschichte zweifellos ausgereift und liess mich als Leser in dieses frühe Jahrhundert und die mir fremde Kultur mit Interesse eintauchen. Wenngleich, es forderte mir Konzentration ab, da es sich nicht leichtflüssig anbot.

„Ist Fleisch drin“, mummelte er ebenso genüsslich wie misstrauisch. „Ein ganzes Lamm? So viel können hier nicht dauernd beanspruchen.

Im letzten Satz fehlt mir zur klaren Verständlichkeit ein Wort. Eventuell: So viel können wir hier …

Da wies der himmelhohe Mann auf den Mitreisenden vor mir, und es war so still wie in einer steinernen Halle… und nachdem sich der Passagier den Specksteinkopf vom Nacken gestreift hatte, konnte ich nichts anderes tun als das Ding zu nehmen – mir selbst umzulegen… obwohl ich wusste, dass ich die Verdammnis des anderen übernahm.

Bei dieser Szene wäre es flüssiger zu lesen, wenn es sich in verschiedene Sätze gliederte.

Leerschlag vor Auslassungszeichen [Duden K 17]. Ausnahmen sind einzig bei unvollendeten Wörtern gegeben, z. B. Verd…! - Im weiteren Text kommt diese Unterlassung noch mehrfach vor.

Einen Moment lang fanden ihre Gedanken Halt an dem Wandteppich, der im Rücken des Witwers hing. Auf dem französischen Gobelin rannten Ritter gegeneinander an oder reichten fantasiehaft gewandeten, lieblich blassen Damen eine Frucht.

Für Fantasiehaft würde ich eher fantasievoll setzen, da Ersteres eher mundartlich verwendet wird.

Hier war ich etwas überrascht, da es im Jahr 1300 spielt. Die Gobelins gelten als ein altes Handwerk der Franzosen, das im 18. Jahrhundert neuen Aufschwung bekam. Aber das diese Wandteppiche bereits zur in der Geschichte spielenden Zeit hergestellt wurden, hätte ich nicht erwartet. Ist dies einfach fiktiv oder hattest du eindeutige Quellen zu Rate gezogen?

Ein schöner Ausgang, den diese Geschichte nahm. Ich war überzeugt, es würde mit dem Ableben von Sunniva enden.

Auch wenn ich es nicht mit Leichtigkeit gelesen hatte, war es mir doch eindrücklich und lesenswert.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon,

vielen Dank für Deine prompt erfolgte und sehr gründliche Kritik, die ich im Wesentlichen auch ermutigend fand. Eine Frage habe ich nur: Du schreibst - "sprachlich verschlungen" - beziehst Du das auf einen für Dich manchmal umständlichen Satzbau bzw. Sprachstil oder auf die Gliederung, in der ich versucht hatte, einzelne Elemente bzw. auch Schilderungen handlungstragend wieder aufzugreifen? Solche auf einander bezogenen Darstellungen helfen m.E. die Text-Motivik auszubalancieren.

Danke für den Hinweis mit dem Gobelin - hier wusste ich es einfach nicht besser!!! Wieder etwas gelernt. Obwohl, im Nachhinein musste ich auch an diese barocken Teppichschinken denken, die z.B. auf der Burg Trausnitz oder in der Münchner Residenz im Herkulessaal hängen - grauslich für meinen Geschmack!

Den zu langen Satz hatte ich absichtlich so gegliedert, weil Arnald unter großer Angst und Erregung spricht, atemlos, eigentlich unzusammenhängend. Es stößt ja nur noch so aus ihm hervor...dafür hatte ich versucht, einen passenden Rhytmus zu finden, wie er auch in erregter, mitteilungsbedürftiger Umsprachssprache vorkommt: "und-und-und-und dann- und dann-"

Es stimmt, in dem einen Satz hatte ich wirklich das "wir" vergessen!

Nochmals vielen Dank für Deine Korrekturen und Anmerkungen. Übrigens hatte ich den Text bei einer laufenden Ausschreibung eingereicht (und diese Fehler hatte ich sogar bei mehrmaliger Überarbeitung übersehen! Als Lektor würde ich wohl nicht so viel taugen.) Denkst Du, Du kannst mir die Daumen drücken oder siehst Du manches noch zu unausgereift (Gretchenfrage)? Ich kenne den Stil zweier der Jurorinnen und habe den Eindruck, dass sie zu solchen Mystery-Geschichten durchaus neigen.

Viele Grüße
Roger

 

Hallo Roger

Eine Frage habe ich nur: Du schreibst - "sprachlich verschlungen" - beziehst Du das auf einen für Dich manchmal umständlichen Satzbau bzw. Sprachstil oder auf die Gliederung, in der ich versucht hatte, einzelne Elemente bzw. auch Schilderungen handlungstragend wieder aufzugreifen?

Das Verschlungene sah ich vor allem im Satzbau, wobei es zu der Zeit der es handelt, durchaus passen mag. Nicht nur die Örtlichkeiten, sondern verbunden mit der Sprache, hat es mich eben an die nordische Literatur erinnert, soweit ich schon von Autoren aus solchen Ländern gelesen hatte. Der handlungstragende Verlauf schien mir durchaus klar.

Danke für den Hinweis mit dem Gobelin - hier wusste ich es einfach nicht besser!!!

Es war ein altes Handwerk, aber wann es aufkam, entzieht sich auch meiner Kenntnis. Die erste Manufaktur, mit der Gobelins dann Verbreitung fanden, entstand im 18. Jhd. Hier musst du allenfalls systematisch suchen, ob es Hinweise auf die Entstehungsgeschichte gibt.

Übrigens hatte ich den Text bei einer laufenden Ausschreibung eingereicht

Dafür wünsche ich dir viel Glück. Das Auswahlverfahren bei solchen Ausschreibungen folgt vorab festgesetzten Kriterien. Sind diese erfüllt, hängt es m. E. davon ab, mit welcher Konkurrenz der Text einhergeht und wie die Juroren diese Arbeiten beurteilen. Ein Quäntchen Glück ist dabei aber immer auch im Spiel.

Die Korrekturvorschläge, soweit du sie als richtig erachtest, solltest du in der hier geposteten Geschichte noch vornehmen!

Beim Kommentieren anderer Geschichten hier kannst du übrigens davon profitieren, dass es die Wahrnehmung schärft, in welche Fallen man auch selbst beim Schreiben tappen kann. Zudem lernt man in intensiver Auseinandersetzung mit einem fremden Texten Feinheiten kennen, oder auch was man besser unterlässt.

Ich wünsche dir beim Lesen, Schreiben und Kommentieren hier noch viel Spass.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Roger

Das Verschlungene sah ich vor allem im Satzbau, wobei es zu der Zeit der es handelt, durchaus passen mag. Nicht nur die Örtlichkeiten, sondern verbunden mit der Sprache, hat es mich eben an die nordische Literatur erinnert, soweit ich schon von Autoren aus solchen Ländern gelesen hatte. Der handlungstragende Verlauf schien mir durchaus klar.

Es war ein altes Handwerk, aber wann es aufkam, entzieht sich auch meiner Kenntnis. Die erste Manufaktur, mit der Gobelins dann Verbreitung fanden, entstand im 18. Jhd. Hier musst du allenfalls systematisch suchen, ob es Hinweise auf die Entstehungsgeschichte gibt.

Dafür wünsche ich dir viel Glück. Das Auswahlverfahren bei solchen Ausschreibungen folgt vorab festgesetzten Kriterien. Sind diese erfüllt, hängt es m. E. davon ab, mit welcher Konkurrenz der Text einhergeht und wie die Juroren diese Arbeiten beurteilen. Ein Quäntchen Glück ist dabei aber immer auch im Spiel.

Die Korrekturvorschläge, soweit du sie als richtig erachtest, solltest du in der hier geposteten Geschichte noch vornehmen!

Beim Kommentieren anderer Geschichten hier kannst du übrigens davon profitieren, dass es die Wahrnehmung schärft, in welche Fallen man auch selbst beim Schreiben tappen kann. Zudem lernt man in intensiver Auseinandersetzung mit einem fremden Texten Feinheiten kennen, oder auch was man besser unterlässt.

Ich wünsche dir beim Lesen, Schreiben und Kommentieren hier noch viel Spass.

Schöne Grüsse

Anakreon

Lieber Anakreon,

meine versprochen letzte Frage (um auch daraus etwas für die Zukunft zu lernen): Findest Du den Eingang des Fluches in die Welt der Menschen nicht ein bisschen zu dick aufgetragen? Kommen beim Leser nicht Fragen auf, wie ein Fluch gleich eine solche Kraft entfalten kann, dass er alle Beteiligten trifft und nach dem Tod in die Verdammnis zieht? Ein sterbender Krieger ist ein bisschen angesäuert - verständlich - wünscht seinen Gegnern sozusagen die Umkehr seiner Niederlage als übernatürliches Schicksal an den Hals - und so it happens!? Müssten die anderen Männer nicht Zeichen der Abwehr getätigt haben, damit es glaubahfter wirkt? Wie schätztst Du hier die Glaubwürdigkeit des Motives ein?
Ich habe neulich versucht, eine KG zu kommentieren, die Du aber auch schon bearbeitest hast. Nun weiß ich nicht, ob eine weitere Bearbeitung dann möglich ist.

 

Hallo Roger

Die Geschichte steht in der Rubrik Fantasy, was eine etwas malerische Unterlegung nicht nur erlaubt, sondern mehr noch, wünschenswert erscheinen lässt. Von dem her erscheint mir der einleitende Teil nicht überrissen. Er legt das Fundament der späteren Entwicklung. Ich bin zwar kein eigentlicher Kenner solch meist episch-kriegerischer Themen, doch ist es bei diesen nicht unüblich, sie mit sagenhaften Schilderungen auszuschmücken. Die Glaubwürdigkeit in der Geschichte, was nicht mit Realität des wirklichen Lebens gleichgesetzt sein muss, scheint mir gegeben.

Du kannst zu jeder KG einen Kommentar verfassen, unabhängig davon, wer dazu bereits Kommentare abgab. Ich gebe meine Kommentare jeweils als kritisch-wohlgesinnter Leser ab, was nicht bedeutet, dass sie sakrosankt sind. Sie spiegeln nur meine subjektive Perspektive. Wenn ein anderer Leser anderer Meinung ist, sollte er sie unbedingt einbringen. Aber auch wenn eine einhellige Meinung besteht, lassen sich aus der Sicht eines andern Kommentators immer noch Teile erhellen, da meist nie alles gesagt ist. Also nur zu, deine persönliche Meinung ist durchaus gefragt.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Roger,

eine gute und ungewöhnliche Geschichte, auch weil (meiner Meinung nach) allgemein nur viel zu wenige Geschichten entstehen, die sich mit dieser Region in dieser Zeit (religiöser Umschwung von nordischem Glauben zu Christentum) beschäftigen, auch wenn das nur am Rande vorkommt. Nur verstehe ich das Ende nicht so ganz; genauer ist mir nicht ganz klar, ob Sunniva stirbt oder schwer verletzt überlebt...

MfG,
Rick S

 

Hallo Roger,
grüß Dich, Anakreon –

vorweg -
um Eure Frage zu beantworten:

Bildwirkerei und Bildteppiche (Gobelins) gibt’s, seitdem es Wandbehänge (Ägypten) gibt. Am bekanntesten dürfte die 70 m lange, gewebte, mit farbiger Wollstickerei verzierte Tapisserie de Bayeux sein, welche die Heerfahrt des Normannenherzogs Wilhelm bis zum Gemetzel von Hastings darstellt. Damals waren Comics 'n bisschen kunstvoller als heute ...

Grüß Dich, Roger -

das hätt ich gestern nicht gedacht, dass Dein Name auch in einer Deiner Geschichten, und zwar Deinem Erstling, auftauchen könnte (Roger, nordische Variante des Rüdiger, was dann aber nicht verwirklicht ist). Die Geschichte gefällt mir (ich selbst neig gelegentlich dazu, Mythen oder Sagen nicht zu erfinden, sondern umzubauen) und über die Siedlungsgeschichte (seit 986) Grönlands (incl. Entdeckung des Vinlands durch Leif Ericson) und dem Untergang der Siedlungen der Nordmänner hab ich schon einiges gelesen – dass jemand – eben Du – vom Anfang der kleinen Eiszeit an ihrer extremsten Stelle berichtet (die ja bis ins 19. Jh. andauerte und erst im 19. Jh. vllt. schon durch die industrielle Revolution zu anderen Problemen führen wird), hat mich dann doch richtig überrascht.
Wobei ich zugeben muss, dass mir an sich das magische Denken abgeht und doch die Lieder- und die Snorri-Edda kenne wie auch die Dialektik der Aufklärung. Gleichwohl – wie gestern – ist einiges zu korrigieren (einiges hat Anakreon schon angesprochen, müsstestu allerdings auch korrigieren, denn der Text ist auch m. E. gut!) Ich nehm jeden ersten Auftritt in der Reihenfolge des Erscheinens (was bei einem Text dieser Länge sinnvoller erscheint, als – wie gestern – Gruppen zu bilden).
Hier kam ich zunächst ins Straucheln , als es im ersten Satz heißt

Mehr als alles andere wünschte sich der Alte, sein Weib könne es hören, das sich dem neuen Gott zugewandt hatte.
Nicht, dass da was falsch oder unverständlich wäre – aber der Relativsatz, der ja eine Erläuterung zur Frau ist, hängt und hinkt hinterher (ich wollt zunächst den als Appendix bezeichnen – aber ein Wurmfortsatz ist es nun mal nicht). Besser vielleicht
…, sein Weib[, das sich dem neuen Gott zugewandt hatte,] könne es hören[…].

„Das wird euch alle verfolgen[…]…“ // … – an den nächsten weiter gibt[…]…
usw. (schon gestern besprochen, aber auch von Anakreon! Da merkt man eigentlich, dass die Sprache seit den Meerseburger Zaubersprüchen eine Menge an Magie verloren hat, gelt?)

Und Tore, der Robbenjäger, müsste bald zurück sein.
Bei dem Namen bin ich mir sicher, dass er noch mit „th“ beginnt (früher gab’s für den Laut einen eigenen Buchstaben, der noch sehr an Runen erinnert: Þ. Aber selbst die Angelsachsen haben nur noch den Laut beibehalten, nicht aber den Buchstaben. Bei uns wurde das th erst mit Konrad Duden abgeschafft, der sich natürlich nicht unbegründet an den „Thron“ wagte).

Hier ists abschl. Gänsefüßchen abgestürzt

„Dann ist es wirklich wahr? Du bist – „

Zwomal kommentarlos
Um Himmels Willen, sag mir[,] was du weißt, Gunnar!“
Und was Einar im Todeskampf vielleicht nicht einmal beabsichtigtr hatte –

Eine aufopferungsvolle, zornige Liebe half ihr[,] das Band zu lösen.

Diese Wortzusammenfügung kenn ich nicht
Bettlach
[’betlax] oder eher [’betla:x]?

Ein seltsames Bild

Auch ihm steckten die Tränen in der Kehle, …
Sind doch die Tränen spendenden Drüsen beim Auge …

Alles kein Beinbruch! Aber ein inhaltlich guter Text kann noch durchs Handwerk gewinnen, meint der

Bin neugierig auf Dein nächstes Werk!

Friedel

 

Lieber Friedrichard,

vielen Dank für Deine ausführliche Kommentierung, und es freut mich natürlich, dass Dir mein Text gefallen hat. Da ist er noch einmal vor mir aufgetaucht, nachdem ich ihn, Monate später, innerlich schon ad acta gelegt hatte.

In der Kürze habe ich einige der notwendigsten Verbesserungen vorgenommen, z.B. vergessene Wörter einzufügen. Da Ihr Euch solche Mühe mit Euren Kommentaren gemacht hat, werde ich ihn aber in den nächsten Tagen gerne noch einmal gründlicher überarbeiten. Es stimmt, am eigenen Stil feilen sollte eine tägliche Übung sein, und mir macht es zurzeit mehr Spaß denn je.

Einzelheiten: "Die Tränen standen ihm (oder ihr?) in der Kehle": Genaugenommen muss ich hier zugeben, dass ich diese Formulierung von Th. Mann abgekupfert hatte!!! Das war nicht in Ordnung. Von wem auch immer - ich habe diesen Satz nach wie vor aus den "Buddenbrooks", meinem Lieblingsbuch, im Gedächtnis - mir scheint es eine zulässige Metapher für das Kloß-im-Hals-Gefühl zu sein, das dem Weinen vorausgeht. Klar sitzen im Rachen nicht die Tränendrüsen, sondern die ebenfalls unter Drüsenausschüttung (?) anschwellenden Stimmlippen. Einen altertümlich klingenden Vergleich fügte ich bislang ganz gern in historische Themen ein, die in so ferner Zeit spielen.

Bettlach: Bettlaken. Ein mittelhochdeutsches Wort, das ich auch schon in modernen Mittelalter-Romanen gelesen habe. Andrea Schacht verwendet z.B. das Wort Lichhof (Leichen-Hof) für Friedhof in ihrem Roman "Das Lied des Spielmanns".

Die Schilderung des Alltagslebens und der Natur im mittelalterlichen Grönland hat mir viel Spaß gemacht. Allerdings gibt es einen Grund, weshalb ich mich inhaltlich von meinem Text inzwischen distanziert habe - wobei ich innerlich ganz einfach auch ein Stück "weiter gewandert" bin: Nämlich die Wirkungsweise des Fluches. Dass Arnald in der Nacht den Specksteinkopf aus Geisterhand empfängt mit der Botschaft "A...karte gezogen", OK. Aber dass er am hellichten Tag als ein gesunder, kräftiger Mann in einen Wachtod verfällt und seine Seele den Leib verlässt, greift in meinen Augen zu kurz. Glaubwürdiger fände ich es, wenn er zuvor einen Unfall mit Ohnmachtsfolge hätte, indem er etwa am Steilhang abrutscht oder vom Gerüst fällt - "Final Destination" lässt grüßen. Den mag man jetzt für ein gelungenes, epochales Beispiel dieser Art von Horror-Fantasy halten oder nicht (auf Dauer fand ich das Anschleichen irgendwelcher Elektrokabel oder das Umkippen von Bügeleisen in die Badewanne etwas nervig, jaha, wir wissen´s, der Gevatter hat heute Freigang), aber ich finde, ein Unfall, wie er leider alltäglich sein kann, sollte dem fantastischen Geschehen schon zwischengeschaltet sein. Daran arbeite ich seither ebenfalls.

Aber es fre

 

"Wie lange / Dauern die Werke? So lange / Als bis sie fertig sind. /
So lange sie nämlich Mühe machen / Verfallen sie nicht. //
Einladend zur Mühe / Belohnend die Beteiligung /
Ist ihr Wesen von Dauer, so lange /
Sie einladen und belohnen. (...)" BB​

Genaugenommen muss ich hier zugeben, dass ich diese Formulierung von Th. Mann abgekupfert hatte!!!
Na so was!, wolltest wohl promovieren? Da rutscht einem doch glatt’s Herz in die Hose.
Da ist er noch einmal vor mir aufgetaucht, nachdem ich ihn, Monate später, innerlich schon ad acta gelegt hatte.

Nix zu danken,

lieber Roger,

mehr als gern geschehn. Was das Immer-wieder-Auftauchen von Texten betrifft, bistu – so behaupt ich einfach mal - hier an den Richtigen geraten, der’s mit Brecht hält, und (freilich nur) scheinbar nie fertig wird (weil er immer wieder was verändert) und in Wirklichkeit nur an einem einzigen Text arbeitet (sozusagen der obligatorisch zu pflanzende lutherische Apfelbaum im Garten) – da bin ich übrigens wie Neil Young, der auf einem Konzert mit Crazy Horse vom Publikum angepöbelt wurde, es höre sich alles gleich an, worauf er kurz unterbrach, um mitzuteilen “it’s only one song we play“ und unbeeindruckt fortzufahren -, vor allem aber ein Liebhaber des Mittelhochdeutschen. Umso kurioser mein Missverständnis, dass mirs [’laxn] im Hals stecken bleiben müsste:

Bettlach: Bettlaken. Ein mittelhochdeutsches Wort, …
klar doch – ahd. lahhan / mhd. lachen „[d]iv dechelachen hærmin**vil menegiv man da sach“ (NL, HSC1, 1870,1) Du siehst, die Nibelungen nutzten auch schon ein Decklaken - aber wie kommt’s mhd. in den nordischen Dialekt, was ja die Denkblockade ausgelöst hat?

Noch’ne kleine Anregung zur Fern-Wirkung des alten Fluches:
Die nordischen Kolonialisten Grönlands waren überwiegend Bauern, die sich, wenn sie Zeit hatten, mit Seefahrt (und Handel) beschäftigten – so lang es ging. Die kleine Eiszeit (länger werdende Winter, wachsendes Eis und die Herrschaft des Frostbodens) war zunächst schleichender Prozess, der aber schon nach zwo Jahrhunderten für die bäuerliche, konservative Kultur das Ende bedeutete, mehr als hundert Jahre vorm Höhepunkt der Kältewelle. Die normannische Gesellschaft war nicht so anpassungsfähig wie die von Westen eingewanderten Inuit, die Kalaallit. Was mag die Anpassung verhindert haben? Die Nor(d)mannen waren streng hierarchisch organisiert und die Jagd war Privileg der Herrenschicht. Da waren Spannungen der kriegerischen Gesellschaftsform gegenüber der scheinbar primitiveren vorprogrammiert … wenn man sich auch wie nebenbei schon mal gegenseitig umbrachte. Der zwote Teil Deiner Geschichte spielt schon in diesem Prozess. Man schöpft selbst oben nicht mehr aus dem Vollen, aber das auch streng nach gesellschaftlicher Stellung. Und das entscheidende wird nicht aufgegeben: Das Jagdprivileg! (insofern kann der in der Geschichte knapp erwähnte Robbenjäger nur im Auftrage seines Herrn handeln).
Könnte A. nicht Ärger mit Kalaallit gehabt haben? Statt mit den Fremden um deren Beute zu verhandeln …

Naja,
nur ne Anregung vom

friedel (auch das ist mhd.)

 

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