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Die Sache
Da ist also dieser Typ da. Dieser Typ, der ein kleines Problem mit seinem noch kleineren Selbstvertrauen hat. Allerdings ist das ja nur ein kleines Problem. Das eigentliche Problem besteht darin, dass sie ihn so wohl nie erhören wird. Und dass, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht.
Sie geht mit ihm auf die gleiche Schule. Nicht in die gleiche Klasse aber auf die gleiche Schule. Das ist völlig ausreichend um total deprimiert Abends einzuschlafen und am nächsten Morgen im selben Zustand wieder aufzuwachen.
Zumindest für ihn.
Und sein Selbstvertrauen.
Er bleibt in der Pause nicht mehr in seinem Klassenzimmer, wie er es früher immer gemacht hatte. Nein er geht raus und sucht sie. Ihr Gesicht. Ihre Augen. Was würde er nur für ein Lächeln geben. Und doch weiß sie wohl nicht einmal, dass es ihn überhaupt gibt. Dass es ihn gibt wohl schon, allein wegen der Sache damals. Die Sache. Die Sache die an allem Schuld ist. Die Sache die in allen Zeitungen stand.
Er hasst es an die Sache zu denken. Also tut er es jetzt auch nicht. Er steht auch diese Pause wieder vor seinem Klassenzimmer und wartet. Wartet darauf, dass sie vielleicht doch, wider Erwarten, an ihm vorbeiläuft und ihn ansieht. Ihn anlächelt...
Aber das liegt in weiter Ferne. Schließlich hat sie jetzt Sport. Sport der in einer viel zu weit entfernten Halle stattfindet. Leider.
Er steht aber trotzdem vor seinem Klassenzimmer und wartet.
Und hofft.
Hofft darauf, dass sie aus irgendeinem Grund an ihm vorbeilaufen muss...
Der Lehrer kommt und ide logische Folge davon ist, dass er ins Klassenzimmer zurückmuss. Fern von ihr. Fern von der Möglichkeit sie noch einmal zu sehen.
Er ist enttäuscht, obwohl er genau weiß, dass sie seit längerem sein Klassenzimmer meidet.
Wie oft hatte man ihm schon gesagt, er solle beim Klingeln nicht mehr vor der Tür stehen? Er weiß es selber nicht. Einmal hatte er deswegen eine Strafarbeit machen müssen. Aber das war ihm egal.
Diese Strafarbeit war es wert gewesen. Mit dieser Strafarbeit bezahlte er für drei Sekunden. Drei Sekunden, so voller Freude und Kribbeln, dass er es kaum beschreiben konnte.
Wie sehr würde es bei ihm erst kribbeln, wenn sie ihn sogar anlächeln würde?
Schon allein die Vorstellung daran, bereite ihm wohlige Schauer.
Das Problem ist nur, dass es soweit nicht kommen wird.
Jetzt gilt seine Vorfreude der großen Pause, in der er sie sogut wie jeden Tag sehen konnte.
Er übersteht die nächsten zwei Stunden und eilt in die Pause.
Er kommt sich schäbig vor, so versessen darauf zu sein, jemanden auch nur anzusehen.
Aber was soll er machen? Sie vergessen? Das geht nicht. Darüber hatte er schon oft nachgedacht und war immer zum gleichen Schluss gekommen.
Wenn die Sache nicht passiert wäre hätte er sei schon längst angesprochen. Aber sie war passiert und er kann auch jetzt nichts dagegen machen. Er läuft durch die Pausenhalle und sucht sie.
Plötzlich erblickt er sie. Aus Angst ertappt zu werden dreht er sich plötzlich weg und geht wieder in Richtung seines Klassenzimmers.
Dort steht sie sonst nie. Im Nachhinein freut er sich aber sie doch gesehen zu haben. Doch andererseits hasst er sich dafür, wieder einmal die Flucht ergriffen zu haben.
Denn vielleicht hat sie ja auch zu ihm gesehen. Erfahren wird er es wohl nie.
So hastig hätte er vor der Sache nie die Flucht ergriffen.
In letzter Zeit hatte er wieder öfter an die Sache denken müssen. Viel zu oft.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es.
Aber hätte seine nicht schon längst Tot sein müssen?
Mindestens seit der Sache. Die Sache bei der er sein Auge verlor.
Die Sache bei der er sein Selbstvertrauen verlor.Die Sache bei der seine Mutter den Wagen gegen den Baum fuhr. Die Sache wegen der seine Mutter im Koma lag.Die Sache wegen der sein Vater zum Trinker wurde.
Die Sache wegen der sie ihn nicht liebte.
Was war sie doch oberflächlich...