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Die Sache mit Lukas...
Ich habe mich vor einigen Wochen von meinen zerschlissenen grünen Chucks verabschiedet. Jetzt muß Lukas auf den Komposthaufen.
„Meinst du wir können reden?“ „Tun wir doch schon.“ sagt er und klampft weiter unbehelligt auf seiner Gitarre herum. Das kann er gut. Gleichgültig sein. Entweder das, oder er ist unfaßbar leidenschaftlich bei dem was er tut, sagt oder singt. „Ernst reden.“ Ich will ihm erzählen wie schwer die Zeit mit ihm für mich geworden ist. Wie kraftraubend und schweratmig. Die Luft ist nicht mehr leicht und locker wie vor einigen Monaten. Wir befinden uns nicht mehr in der idyllischen Dorfluft. Jetzt war Großstadt angesagt. Rauh und dreckig ist es zwischen uns geworden. Und anonymer. Wir erzählen uns nicht mehr viel, das einst Vertraute wird nun mehr mißtrauisch beäugt. Man möchte nicht falsch verstanden werden und geht direkt davon aus, daß es gar nicht anders geht.
Die Luft ist zum Schneiden dick, und wir sitzen mittendrin und ringen nach Freiheit und Leichtigkeit. Er zündet sich eine Zigarette an und macht die Situation damit schlimmer. Ich glaube, er tut es mit Absicht, weil es für ihn ebenso unerträglich geworden ist wie für mich. Er wartet nur darauf, daß ich kapituliere und unsere Beziehung aus meinen Händen, aus meinem Herzen gleiten lasse. „Ja, laß uns ernst reden, wenn du das magst.“ raunt er mir entgegen und schaut mir einmal ins Gesicht. Für Sekunden. Ob er mich noch erkennt? Erkennen möchte? Wir sitzen da wie zwei Fremde, die zufällig gemeinsam auf irgendetwas warten.
„Hast du keine Angst, daß ich dir Dinge erzähle, die alles verändern? Daß ich dir etwas gestehe was uns voneinander entfernt?“ Ich schaue auf seine Schuhe, um nicht das Weinen zu beginnen. Sie sind schmutzig. Seitdem ich ihn kenne, hat er sie nicht einmal geputzt. Er ist mit ihnen durch Matsch und Regen, aber auch durch Sand und laue Sommerabende gelaufen. Er hat sie nicht weggestellt, er hält zu ihnen. Bleibt treu bis es nicht mehr geht. Bei uns beiden geht es nicht mehr. Ich muß mich trennen, bevor ich mir lebensgefährliche Brüche zuziehe, laufe lieber barfuß durch den kalten Schnee als weiterhin in dreimal geflicktem Schuhwerk. Ich habe keinen Halt mehr, und das macht mir Angst. Früher war Lukas wie Hulk Hogan und Superman zusammen, und jetzt sehe ich das erste Mal wie schmächtig und verletzlich er eigentlich ist.
„Wenn ich ehrlich bin, kann ich mir denken, warum du so ernsthaft bist, und ich mag es nicht hören. Auch wenn meine sture Art nichts an deiner Gefühlswelt ändern kann, aber bring mich nicht zum Weinen. Dich zu verlieren ist schlimm genug, laß mir meinen Stolz.“ Er hat resigniert und mag die Großstadt verlassen. Einfach abhauen. Auswandern. Ich wollte ihm eine Gasmaske anbieten, um die stickige Luft zu überleben.
"Vergiß deine Oasisplatte nicht, wenn du gehst." erinnert er mich und geht aus seinem Zimmer.
Wie Freiheit sich anfühlt, habe ich ihn einmal gefragt. "Schwerelos." antwortete Lukas. Und obwohl ich mich gerade von ihm befreit habe, fühle ich mich wie ein Betonklotz.