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Die Sache mit Carsten
Alles war vorbereitet für den täglichen Auftritt meiner Königin.
Der Kaffee war aufgesetzt, die Brötchen im Ofen und der Frühstückstisch gedeckt. Hoffnungsvoll sah ich aus dem Fenster. Es war ein sonniger Morgen, der einen wunderbaren Sommertag versprach.
Gerade kam unser Nachbar aus der Wohnung auf der anderen Straßenseite. Ich hatte den Eindruck, dass sein muskulöser Körper seine Sportkleidung jeden Moment sprengen könnte. „Diese Sportkleidung hätte es bestimmt auch eine Nummer größer gegeben“, murmelte ich, während Kaffeeduft die Küche füllte. Jetzt brüllte der Nachbar den Hund an, damit dieser wieder ins Haus verschwand. „Du Trottel, als ob der dich versteht.“ Dann hüpfte er ein bisschen herum, boxte in die Luft und lief schließlich die Straße herunter. „Was für ein Affe!“ Was fanden Frauen nur an solchen Männern?
Schon kam sie, die Königin, meine Lena. Stolz trat sie in die Küche und ich strahlte sie an. Wie immer hatte sie noch ein weißes Handtuch auf dem Kopf, sodass ihr schönes schwarzes Haar fast ganz verdeckt wurde. Nur in der Nähe ihrer Ohren deuteten ein paar Strähnen auf diese Pracht hin. Ich holte die warmen Brötchen aus dem Ofen und schenkte Kaffee ein. Als ich ihr einen Kuss geben wollte, wich sie aus und gab mir stattdessen einen Luftkuss.
„Guten Morgen, mein Schatz“, sagte ich.
„Morgen“, brachte sie heraus, nahm sich ein Brötchen und schnitt es auf. Wie sie da saß, so anmutig und aufrecht. Und wie sie das Brötchen aufschnitt. An ihr hatte einfach alles Stil.
Während Lena schon die Butter auf dem Brötchen hatte, schaute ich ihr besorgt zu. Jeden Morgen machte ich mir diese Arbeit, stand früher auf und deckte den Tisch und machte das auch sehr gerne, aber Lena schien es trotzdem nicht zu gefallen. Was sollte man so einer anspruchsvollen Frau noch bieten? Heute gab es sogar Lachs, aber den hatte sie noch gar nicht beachtet.
Ich sah aus dem Fenster. „Viel zu schade eigentlich, den ganzen Tag im Büro zu verbringen. Heute müsste Sonntag sein!“
„Man kann es sich halt nicht aussuchen. Aber die Sonne scheint ja auch, wenn man arbeitet. Außerdem kann man dann schön in der Mittagspause mit den lieben Kollegen draußen essen gehen! Heute keinen Hunger?“
Lena wusste doch ganz genau, warum es mir jetzt nicht mehr schmeckte. In letzter Zeit ärgerte sie mich oft mit solchen Bemerkungen. Warum machte sie das nur? Trotzig fing ich an zu essen, während ich vor meinem geistigen Auge zwanzig von diesen lieben Kollegen sehen konnte, wie sie sich den ganzen Tag an meine Lena ranmachten. Am liebsten hätte ich sie alle erwürgt.
„Den lieben Kollegen?“, fragte ich neugierig nach.
„Ja, zum Beispiel dem schneidigen Herrn aus dem Marketing. Ein süßer Typ“, schwärmte sie übertrieben und grinste mich dabei an.
Gerade als ich etwas sagen wollte, piepte ihr Smartphone.
„Ach, wo ist es denn nur?“ Lena ließ ihr angebissenes Brötchen auf ihren Teller fallen wie eine heiße Kartoffel und sprang zu ihrem Smartphone. Sie sah auf das Display und ging ran: „Einen wunderschönen guten Morgen! Vielen Dank, sehr gut, wie geht es dir? Das freut mich. Das können wir gerne so machen! Nein, kein Problem, mache ich doch gerne! Bis dann!“ Sie legte wieder auf und kam zurück zum Tisch, wo ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete. Zu mir war sie nie so freundlich.
„Schuldigung, aber ich arbeite eben in der freien Wirtschaft und nicht an der Uni!“
„Geld, alle rennen hinter dem Geld her. Wir schaffen wenigstens neue Erkenntnisse. Aber ich sage ja gar nichts. War es denn was Wichtiges?“
„Ne, ne, nur so ein dummer Termin.“
„Ich hoffe, mit einem schneidigen Kollegen. Vielleicht sogar der aus dem Marketing?“
Lena sah mich an und kicherte. „Ja, einer von denen.“
Mir schmeckte es plötzlich gar nicht mehr. Lena sah mich an und bemerkte es.
„Keine Sorge, Peter. Ich wollte dich doch nur ein bisschen ärgern. Der ist mir doch viel zu arrogant.“ Lena nahm wieder ihr zweites Brötchen und belegte es mit Lachs. „Das war übrigens eine sehr gute Idee hier!“
Mein Herzschlag normalisierte sich wieder und ich biss genüsslich in mein Brötchen.
„Yvonne und ihr neuer Freund Carsten kommen ja heute Abend zu Besuch…“, fing Lena dann wieder an.
„Wieder so eine Acht-Wochen-Beziehung?“
„Nein, nein, Yvonne hat sogar ihre Weiterbildung an den Nagel gehängt. Dieses Mal scheint es sie schwer erwischt zu haben. Na jedenfalls, wenn die beiden heute Abend kommen,…“, sagte sie und lächelte mich nett an. Diesen Blick kannte ich gut.
„Ich weiß schon: du kommst heute wieder später und wahrscheinlich auch nur ganz knapp vor denen. Ich werde also aufräumen, putzen und kochen. Mache ich doch gerne Schatz!“
Lena nickte. „Du bist der beste“, sagte sie und gab mir einen Kuss über den Küchentisch.
„Na klar, kein Problem. Immer dieser Stress unter der Woche.“
„Aber das Wochenende gehört dann uns!“, legte Lena fest.
„Was wollen wir denn da machen? Hast du schon eine Idee?“, fragte ich.
„Wir könnten ein paar Leute einladen und auf dem Balkon grillen!“, schlug sie vor.
„Grillen? Auf diesem Balkon? Auf keinen Fall, das ist laut der Hausordnung verboten!“
„Mensch Peter, du musst auch mal ein Auge zudrücken! Also gut, schlag´ du etwas vor.“
„Wie wäre es denn mit einem gemütlichen Filmabend?“
„Das haben wir doch gefühlt schon die letzten acht Wochen gemacht!“
„Hey, es gibt nun einmal viele gute Filme.“
„Aber wir sind jung, wir wollen doch was erleben!“
„Also gut, dann ist Madame wieder dran.“
„Dann bin ich eher für Kino oder Theater.“
„Dann Theater!“
„Und was?“
„Ich suche uns was aus“, sagte ich.
„Also gut, ich lege meinen Samstagabend in deine Hände. Und wenn es mir nicht gefällt, werde ich dich die ganze Woche damit nerven.“
„Dann grillen wir nächstes Wochenende auf dem Balkon!“
„Das hättest du nicht sagen dürfen!“
Ich deutete auf die Küchenuhr: „Es ist übrigens schon viertel nach!“
„Was, jetzt schon?“ Lena stopfte das letzte Stück Brötchen in sich hinein, versuchte etwas zu sagen und verschwand wieder im Badezimmer.
„Jaja, ich mach das schon“, sagte ich. Für eine Frau wie Lena würde ich ohnehin alles tun und manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie das ausnutzte.
„Wo habe ich denn jetzt meine Schlüssel?“ Lena kam im nächsten Moment im Bürooutfit zurück in die Küche. Jetzt war sie geschminkt und hatte ihre Haare nach oben gesteckt.
„Auf dem Wohnzimmertisch!“
Sie ging zum Wohnzimmertisch, schnappte sich ihre Schlüssel und warf noch ein kurzes „Ich gehe dann los, einen schönen Tag!“, in die Küche.
Ich legte schnell mein Brötchen zur Seite. „Danke, Schatz, dir auch!“
Ich eilte zur Tür, aber da war Lena schon im Treppenhaus. Ich warf ihr einen Kuss nach, sie schenkte mir ein Lächeln, das für den ganzen langen Tag reichen musste.
Ich aß in Ruhe zu Ende, deckte dann den Tisch ab und machte die Küche sauber. Warum reagierte Lena manchmal so ärgerlich, nur weil ich mich an die Spielregeln hielt. Grillen war nun einmal auf den Balkonen verboten. Auch die Sache mit „schneidigen“ Kollegen gab mir immer wieder zu denken. Sagte sie es wirklich nur so?
Gerade als ich die Wohnung verließ, fuhr unser Nahbar los und seine Frau fing an, den Eingang zu fegen. Was für ein schreckliches Paar.
Ich fuhr mit der Straßenbahn zur Uni. Pünktlich fing ich meine Vorlesung an und sah müden, abgelenkten, manchmal aber auch interessierten Blicken in die Augen. Gleich in der zweiten Reihe saß auch so ein Muskelprotz, der gerade auf seinem Smartphone herumtippte.
„Wenn Sie Fragen haben, müssen Sie die nicht an Wikipedia stellen, Sie können auch gerne jederzeit mich fragen“, sagte ich, der Saal schmunzelte und der Typ legte ein gezwungenes Grinsen auf. Er legte sein Smartphone kurz weg, aber ein paar Minuten später nahm er es wieder in die Hand. Schade, dass einige Menschen mein Wissen gar nicht zu schätzen wussten. Perlen vor die Säue.
Abends ging ich einkaufen. Ich hatte beschlossen, dass es meinen Zucchini-Tomaten-Kartoffel-Auflauf geben sollte und ich stand im Supermarkt vor den Zucchini. Bio oder nicht Bio? Nicht Bio sah schon ein bisschen schrumpelig aus, aber Bio war teurer. Na gut, es kamen immerhin Lenas beste Freundin und deren unbekannter Freund Carsten. Also Bio.
Als ich in die Wohnung kam, stellte ich meine Einkäufe ab und krempelte die Ärmel hoch. Putzen, aufräumen und kochen. Kurz vor sieben Uhr war alles geschafft. Mal sehen, ob Lena pünktlich kam oder doch erst nach den Gästen erschien.
Schon hörte ich, wie jemand die Wohnungstür aufschloss und kurz darauf stand Lena im Wohnzimmer.
„Sind die beiden schon da?“, fragte sie mehr geflüstert als gesagt.
„Nein, du hast es geschafft, noch sind wir zu zweit!“
„Ist das Essen schon fertig?“
„Ja, müsste gleich soweit sein.“
„Du bist ein Schatz!“ Ich wollte ihr zur Begrüßung einen Kuss geben, aber sie wich aus und ich küsste mal wieder die Luft. „Dann kann ich mich ja noch kurz umziehen.“ Damit verschwand sie wieder im Schlafzimmer.
Ich wartete im Esszimmer bis alle erschienen. Ich hatte das Licht abgedunkelt, in der Mitte stand der Esstisch mit einer weißen Tischdecke, roten Servietten und ein paar Blumen auf dem Tisch. Das Besteck und die Gläser blinkten und Kerzen gaben dem Raum einen gemütlichen Anstrich. Ich freute mich wirklich auf den Abend.
Es klingelte!
„Machst du schon mal auf?“, kam Lenas Stimme aus dem Schlafzimmer. Manchmal fragte ich mich, ob Lena mich für dumm oder taub hielt. Als ob ich die Gäste vor der Tür stehen lassen würde.
Ich öffnete die Tür. Yvonne strahlte mich wie immer an, wir begrüßten uns und sie stellte mir Carsten vor. Erst glaubte ich, unseren Nachbarn vor mir zu haben. Ein großer, kräftiger Mann, ein breites und wie ich fand dummes Grinsen kam da auf mich zu. Aber dann bemerkte ich doch noch einen Unterschied. Unser Nachbar war immer rasiert. Zumindest sah es aus der Entfernung so aus. Noch so ein aufgeblasener Vollidiot. Nichts im Hirn, nur auf Äußerlichkeiten bedacht. Ich strengte mich an, bei der Begrüßung freundlich zu sein. Kraft umgab beim Händeschütteln meine Hand und ich wartete förmlich auf das Knacken, das aber erstaunlicherweise ausblieb.
Carsten nahm Yvonne den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe.
„Ist ja richtig gemütlich hier, fast wie im Puff!“, sagte der Starke, als er ins Wohnzimmer kam. Meine Lust auf den Abend nahm plötzlich ab.
Lena kam dazu. Sie sah umwerfend aus. Sie entschuldigte sich für die leichte Verspätung und begrüßte ebenfalls die Gäste. Ein bisschen Smalltalk entstand bis wir uns ins Esszimmer setzten. Ich holte den dampfenden Auflauf und stellte ihn in die Mitte.
„Oh, der Hausmann hat gekocht“, sagte Carsten laut.
„Nur weil jemand mal kocht, heißt es noch lange nicht, dass man nur Hausmann ist“, dachte ich, sagte aber nichts.
„Was möchtet ihr trinken?“, fragte Lena und die beiden kicherten.
„Sehe ich da eine Weinflasche? Dann hätte ich gerne etwas von dem Wein. Ich kann ja heute trinken. Yvonne ist so nett und fährt mich!“
„Carsten hat vor ein paar Tagen ein bisschen zu sehr aufs Gaspedal gedrückt. Leider ist er erwischt worden“, sagte Yvonne mit ihrer piepsigen Stimme.
„Nur 80 Sachen drüber, das war schon mal schlimmer“, lachte Carsten.
„Solche Leute sollten den Lappen eigentlich gar nicht mehr kriegen“, schoss es mir durch den Kopf, aber ich kicherte aus Höflichkeit mit. Hoffentlich trafen wir die beiden nicht allzu oft.
Lena lachte ebenfalls und in diesem Moment war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob es nur aus Höflichkeit war.
„Und deshalb musst du dich jetzt kutschieren lassen!“, fragte sie und schenkte ihm, sich und mir Wein ein. Ich sah, wie die rote Flüssigkeit in Carstens Glas floss und fühlte mich an die morgendliche Vorlesung erinnert.
„Ja, aber meine Kleine macht das ja gerne!“, sagte Carsten und umarmte Yvonne, die spitz lachte.
„Na dich würde ich doch überall hinfahren!“, sagte Yvonne zu ihren Macker. „Ich nehme dann von dem Traubensaft!“ Ich schenkte ihr ein und gab dann jedem von dem Auflauf auf den Teller.
„Lustigerweise ist das bei uns ja immer so“, sagte Lena plötzlich. Warum tat sie das denn?
„Warum denn? Hat der Kleine keinen Führerschein?“, fragte Carsten, als ich ihm als letzten etwas auftat. Da war für mich klar: nicht Bio hätte auch gereicht!
„Doch, aber kein Auto!“, erklärte Lena und schaute mich leicht grinsend an. Ich wusste gar nicht, was er sagen sollte. Das dumme Kichern von Carsten regte mich einfach nur auf.
Wir fingen an zu essen.
„Au weia, dann quälst du dich morgens immer mit den Öffentlichen zur Arbeit?“, fragte Carsten, als habe man bei mir eine schlimme Krankheit diagnostiziert.
„Die sind eigentlich sehr praktisch. Und sorgen dafür, dass nicht so viel los ist auf den Straßen.“
Carsten nickte, aber sein Zucken im Gesicht verriet mir, dass er eigentlich lachen wollte.
„Also mir schmeckt es richtig gut! Das ist dir wirklich sehr gut gelungen!“, sagte Yvonne.
„Danke“, sagte ich und wischte mir mit der Serviette den Mund ab.
Der kurze Moment, in dem ich im hellen Licht stand, wurde jäh unterbrochen. Carsten konnte es offensichtlich nicht haben, dass ich gelobt wurde und schob deshalb schnell eine Geschichte über sich nach.
„Da war ich neulich wieder im Studio“, fing er an und mir fiel es schwer, ruhig zu bleiben und weiter zuzuhören. So kannte ich mich gar nicht. Am liebsten hätte ich gar nicht zugehört, denn ich fürchtete, dass die Dummheit, die in Massen aus diesem Muskelmensch herauskam, auf mich abfärben könnte. Jedenfalls wollte im Studio jemand anderes zur gleichen Zeit die gleichen Hanteln nutzen wie Carsten.
„Und dann habe ich mich so vor ihm aufgebaut“, fuhr Carsten gerade fort. Natürlich, Carsten war schon wieder bei seinem tollen Körper. Das einzige, was er hatte.
Die Geschichte endete wie erwartet: der andere Typ hatte nicht mit der unglaublichen Größe, der unfassbaren Muskulatur und der unbeschreiblichen Selbstsicherheit des großartigen Carsten gerechnet und zog wieder davon. Was für ein Angeber! Aber das Schlimmste war, dass Lena und Yvonne ihm gefesselt zuhörten, als sitze George Clooney persönlich am Tisch. Bewunderten sie ihn für dieses peinliche Verhalten etwa wirklich?
„Lena, darf ich dir noch ein bisschen Wein eingießen“, fragte Carsten dann plötzlich.
Nur weil Lena über den einen oder anderen Witz von ihm gelacht hatte, glaubte der Muskelmann jetzt also, dass er sich an meine Lena ranschmeißen könnte. Lena fand solche Typen doch völlig dumm.
„Wenn ich schon so nett gefragt werde, nehme ich gerne noch etwas“, überraschte mich Lena und Carsten schenkte ihr und sich erfreut ein. „Keine Sorge, ich bin ja nachher wieder weg“, sagte Carsten. Als ob meine Lena etwas von so einem aufgeblasenen Vollidioten wollte. Oder würde sie vielleicht doch?
„Das ist wirklich lecker, hast du gut gemacht, Peter. Und auch ideal fürs Training. Wenig Kalorien, viele Nährstoffe. So was könntest du auch mal probieren, jetzt, wo du ja mehr Zeit hast“, meinte Carsten.
„Ach ja, Yvonne, du hast mir noch gar nicht erzählt, wie das mit deiner Weiterbildung gewesen ist“, sagte Lena.
„Also ich habe meiner Kleinen von Anfang an gesagt, dass sie sich nicht so einen Stress machen soll. Ich meine, Weiterbildung, wer braucht denn schon so etwas. Es geht uns doch gut und ohne haben wir viel mehr Zeit füreinander. Peter, du wirst das auch noch merken, mit deinem Doktor wirst du keinen Cent mehr verdienen!“, erklärte Carsten.
Ich schluckte, wollte gerade zum Gegenschlag ausholen, aber da legte Lena unter der Tischdecke ihre Hand auf meine Oberschenkel, als wolle sie mich zurückhalten.
„Na ja, es stimmt schon, es ist schön mehr Zeit füreinander zu haben und vielleicht hätte es mir am Ende ja auch gar nichts genutzt“, meinte Yvonne. Sie verteidigte ihn auch noch, obwohl der Typ ihr doch glatt die Weiterbildung ausgeredet hatte!
Der Auflauf war gegessen. Aber ich wartete noch mit dem Abdecken, um der Gemütlichkeit noch eine Chance zu geben.
„Habt ihr euch schon diesen Bunker angeguckt?“, fragte Lena.
„Was, Bunker? Ist das ein Club?“, fragte Carsten und leerte dann sein Weinglas. Ich musste mir ein lautes Lachen verkneifen, Lena kicherte, aber freundlich und herzlich.
„Nein, das ist ein alter Bunker, der jetzt wieder eröffnet worden ist. Da kann man Führungen drin machen“, erklärte ihm Yvonne.
„Was, kein Training, dann gehe ich da nicht rein“, sagte Carsten, lachte und meinte wohl, einen tollen Scherz gemacht zu haben. Die beiden Mädels schmunzelten immerhin.
Ich hatte endgültig zu viel. Ich floh in die Küche und holte den Nachtisch.
„Oh Schokopudding!“, sagte Carsten mit seiner vorlauten Art.
„Nein, Mousse au chocolat“, sagte ich genervt. Nächstes Mal würde ich dafür plädieren, dass wir Pizza bestellen.
Der Abend zog sich dahin. Ich hatte gehofft, Carsten würde bald merken, dass er nicht dazu passt und nach Hause wollen, aber im Gegenteil bewies er echtes Sitzfleisch und gab manchmal mir das Gefühl, dass ich nicht dazu passte. Also machte ich gute Miene zum Bösen Spiel, grinste hin und wieder, lachte künstlich und wunderte mich über die Frauen, die so einen Angeber scheinbar gut fanden.
Nach dem Essen setzten wir und ins Wohnzimmer. Carsten saß auf der Couch und Yvonne legte sich an seinen Oberkörper.
„Ich glaube, ich muss mal für kleine Jungs. Wo habt ihr denn euern Donnerbalken?“, fragte Carsten.
„Er ist so niedlich!“, flüsterte Yvonne, als er weg war. „Neulich waren wir im Club und da wollte sich so ein Typ an mich ranmachen. Aber Carsten hat mich beschützt!“, schwärmte sie, als hätte Carsten sie vor King Kong gerettet.
Irgendwann in der Nacht verabschiedeten sich die beiden endlich.
In dem Moment, in dem die Wohnungstür hinter Carsten und Yvonne zuschlug, entglitt mir ein großer Seufzer. Hoffentlich würden die beiden nicht so schnell wieder kommen.
Ich ging ins Esszimmer, in dem Lena das Licht angemacht hatte. Jetzt sah der Raum ungemütlich und kalt aus. Gerade blies sie die Kerzen aus und stapelte die Teller auf den Arm.
„Huch, der gute Carsten hat ein bisschen gekleckert!“, kicherte sie und lächelte mir zu, als sei das eine große Leistung.
Ja, ja der gute Carsten! Wie konnte man denn über so etwas auch noch lachen! Ich betrachtete die noch rauchenden Kerzen, nahm dann die Gläser und folgte Lena in die Küche.
„Also ich finde, Carsten ist ein netter Typ, da hat sich Yvonne dieses Mal den richtigen geangelt!“, sagte Lena. Ich hielt es erst für Ironie, aber Lena schien es wirklich so zu meinen! Unfassbar. Ich knallte die Gläser auf die Spüle.
„Ich finde gar nicht, dass er ein netter Typ ist. Er ist einfach nur ein Angeber, der vor Dummheit strotzt.“
„Komm Peter, es ist doch nun wirklich egal, wie intelligent ein Mensch ist. Dafür kann niemand etwas.“
Lena hatte die Teller in die Spülmaschine gestellt und fing an, die Gläser abzuwaschen.
„Anders als für seine Muskulatur. Da kann jeder etwas tun und vielleicht sollte man die Menschen danach beurteilen. Oh, tut mir Leid, dass ich da so schlecht bin!“
„Was ist denn bitte dein Problem? Immerhin ist er freundlich und unterhaltsam.“
Ich riss ein Handtuch vom Haken und wartete darauf, die Gläser abzutrocknen.
„Da heißt es immer, dass Frauen auf Männer stehen, die auch was im Kopf haben und sich benehmen können und dann kommt so ein aufgeblasener Vollidiot an, der tolle Mukkies hat und ein paar saudumme Sprüche klopft und plötzlich seid ihr hin und weg. Ich frage mich, was ihr an dem findet?“
Lena unterbrach das Abwaschen und schaute mich mit funkelnden Augen an. „Bist du etwa eifersüchtig auf ihn? Er hat tatsächlich vieles, was du nicht hast!“, sagte sie leicht grinsend und wusch weiter ab.
„Ach ja, eiweißhaltiges Gewebe und ein Vakuum im Kopf, oder was?“
Lena kicherte spitz. „Er ist nicht der Hellste, das stimmt schon. Aber er bemüht sich und ist unterhaltsam und zuvorkommend.“
„Zuvorkommend! Weil er einem Wein nachschenkt. Er hätte ihn beinahe in das Wasserglas gegossen.“
Lena musste wieder kichern. „Immerhin schenkt er nach. Das machst du nicht!“
„Ich mache das nicht, weil ich denke, dass du das auch kannst. Ich behandle Frauen nicht wie kleine Kinder.“
„Er denkt auch nicht, dass wir das nicht könnten. Er will nur freundlich sein. Ein richtiger Gentleman.“
Lena nahm ein weiteres Glas aus dem Wasser und stellte es mir hin. Ich ergriff es sofort.
„Der auch mal gerne mit 80 Sachen schneller als erlaubt durch die Straßen brettert. Es leben Kinder in der Stadt, daran könnte man vielleicht auch mal denken. Aber nicht Carsten, der denkt nur an sich und seine motorisierte Schwanzverlängerung!“
Damit knallte ich das Glas, das ich gerade getrocknet hatte, ins Regal und schnappte mir das nächste.
„Vorsicht! – Er ist eben auch ein kleiner Rebell. Aber das gehört zu einem richtigen Mann auch dazu. Ich kann schon verstehen, was Yvonne an ihm findet.“
„Ach so, nur weil ich nicht wie ein Verrückter durch die Straßen randaliere und eine Mousse au chocolat von einem Schokopudding unterscheiden kann, bin ich also kein richtiger Mann, oder was!“
„Wie kommst du denn jetzt darauf? Natürlich bist du ein richtiger Mann. Aber Carsten ist eben auch einer.“
„Ein richtiger Mann. Der seiner Freundin verbietet, eine Weiterbildung zu machen.“
Lena nahm das letzte Glas aus der Spüle und stellte es mir sorgsam hin. Leichter Schaum lag auf ihren zierlichen Fingern.
„Übertreibe mal nicht! Hast du schon mal etwas von Liebe gehört? Yvonne hat diese Weiterbildung ihm zuliebe aufgegeben. Sie ist eben glücklich mit ihm und wenn es ihm nicht recht ist, dann verzichtet sie darauf. Ich würde für dich auch meinen Job an den Nagel hängen!“
Das würde sie? Dabei war ihr der Job doch so wichtig. Unsere Blicke fingen sich. Ich zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts, sondern nahm stumm das letzte Glas zum Abtrocknen. Lena ließ das Wasser ablaufen und trocknete sich die Hände an meinem Handtuch ab.
„Ich finde jedenfalls nicht, dass der Typ im 21. Jahrhundert angekommen ist. Der lebt doch noch immer in den 60ern. Ich kann nicht verstehen, dass Frauen überhaupt etwas an ihm finden.“
„Peter, ich habe niemals gesagt, dass ich ihn heiraten will. Ich liebe dich über alles, nur manchmal pikse ich dich ein bisschen, weil du ruhig ein bisschen rebellischer sein könntest. Nur ein bisschen. Und Carsten ist eben der Freund meiner besten Freundin. Ja, er ist ein dummes Muskelpaket, aber er macht Yvonne nun mal glücklich. Da muss man nicht gleich austicken. Nur ein bisschen nett sein.“
Sie umarmte mich und gab mir einen Kuss. Da war sie wieder, die Lena, die ich kannte.