Die Saat
Gerne wäre Peter hinausgefahren um sich den geheimnisvollen „Meteoriten“ aus der Nähe anzusehen, doch die Zeiger seiner Uhr dachten nicht im Traum daran, auch nur etwas langsamer voran zu schreiten . Um acht Uhr stand ein wichtiges Meeting mit strategischen Partnern aus der Chemieindustrie an. Und diese duldeten keine Verspätung. Seitdem Peter seine Firma vor gut 20 Jahren als kleines Labor mit 5 Mitarbeitern gründete, stand er mit der Uhr auf Kriegsfuß. Egal wie gut er seinen Tag auch strukturierte, es blieb immer mehr Arbeit als Zeit. Heute war sein Unternehmen global vertreten und galt als Institution in Sachen Saatgut und Kunstdünger. Ein erfreulicher Zustand, der seinen Zeitdruck aber nicht zu vermindern mochte. Ganz im Gegenteil. Die Firma war sein Baby und ein Baby bedarf nun einmal sehr viel Aufmerksamkeit. Ihm blieb also nur noch eine knappe Stunde für Morgentoilette und Frühstück und dann wartete ein langer Arbeitstag auf ihn.
Im Büro angekommen warteten schon alle im großen Sitzungssaal auf Peter. Der erste Punkt der Tagesordnung waren die aktuellen Quartalszahlen. Hierzu hielt Andy Northwood einen langen Monolog:
„Das aktuelle Quartal... Gerade die neuen Märkte... Potentialanalyse... Wäre eine weitere Steigerung...“ Peter fiel es schwer, die Konzentration aufrecht zu erhalten. Seine Gedanken schweiften immer wieder zu seiner morgendlichen Beobachtung ab. Er war sich zu einhundert Prozent sicher, dass seine Augen ihn nicht trügten und doch musste er sich verguckt haben.
"Peter? "
"Peter!" wiederholte Andy.
"Oh, Entschuldigung Andy." entgegnete Peter.
Nach Beendigung der Sitzung verabschiedete Peter seine Gäste und sagte zu seiner Sekretärin, dass er sich heute unwohl fühle und von zuhause aus weiterarbeiten werde. Er konnte ihr schließlich nicht sagen, dass es ihm wichtiger war einen „Meteoriten“ im Feld zu suchen, als seiner täglichen Arbeit nachzugehen. Mit diesen Worten verstaute er seine Akten in seinem Schreibtisch, zog seine Jacke an und verließ das Bürogebäude Richtung Parkplatz.
Auf direktem Wege steuerte er seinen Wagen heimwärts, stürmte ins Haus und wappnete sich für einen Aufenthalt im Maisfeld. Arbeitskleidung, Gummistiefel, Spaten, Pinzette, Reagenzgläser, Handschuhe und Plastiktütchen sowie Fotoapparat und Videokamera gehörten zu den elementaren Ausrüstungsgegenständen. Er verstaute alles im Kofferraum seines Wagens und machte sich auf den Weg zur Absturzstelle.
Dort angekommen fand er vor sich eine lange Schneise, welche sich durch das Maisfeld zog. Wären nicht eindeutige Anzeichen von Verbrennungen an den Überresten der Maispflanzen zu erkennen gewesen, hätte alles auf einen Wirbelsturm hingewiesen. Vorsichtig ebnete er sich seinen Weg über die verkohlten Überreste bis zum Ende der Schneise. Er blieb stehen und wähnte sich in einem schlechten Film oder gar bei der versteckten Kamera. Vor ihm lag ein ca. fünf mal fünf Meter großer ovaler Gegenstand, der keinerlei Merkmale eines von der Erde stammenden Flugkörpers vorzuweisen hatte. Weder Flügel, noch Triebwerke oder Propeller waren zu sehen. Auch eine Tür oder Fenster waren nirgends zu finden. Der Gegenstand schimmerte leicht grünlich und schien organischen Ursprungs zu sein. Langsamen Schrittes näherte sich Peter dem Flugobjekt und schoss erste Fotos. Er setzte seinen Rucksack auf dem Boden ab und holte ein Maßband hervor um den Flugkörper zu vermessen. Als er ihn berührte, übermannte ihn ein starker Schmerz, der seinen Körper wie ein Stromschlag durchfuhr und Peter verlor das Bewusstsein.
Als Peter wieder aufwachte fand er sich in seinem Bett wieder. Orientierungslos und von starken Kopfschmerzen geplagt sah er sich in seinem Zimmer um. Was machte er hier und wieso lag er mit schmutzigen Gummistiefeln im Bett? Nicht nur Gummistiefel, sondern auch seine alte Latzhose. Auch sie war von schlammiger Erde bedeckt. So sehr er auch überlegte, ihm wollte einfach nicht einfallen, was geschehen war. Stattdessen schossen ihm irgendwelche nichtssagenden Zahlenfolgen und Buchstabenfolgen durch den Kopf. Egal worauf er sich zu konzentrieren versuchte, immer wieder tauchte sie wie ein optischer Ohrwurm vor seinem geistigen Auge auf. Wie sollte man mit diesen Kopfschmerzen denn auch nur einen klaren Gedanken fassen. Peter notierte die Zahlen- und Buchstabenfolgen auf ein Blatt Papier und legte es auf seinen Schreibtisch. Erstmal einen Tee trinken und danach konnte er sich weitere Gedanken machen. Er setzte sich an den alten Holztisch, sah aus dem Fenster und versuchte den gestrigen Tag zu rekonstruieren. Aufgewacht, Flugobjekt gesehen, zur Arbeit gefahren und am nächsten Morgen im eigenen Bett aufgewacht. Wieder und wieder spielte er den gestrigen Tag in seinem Kopf durch. Er konnte doch nicht einen halben Tag komplett vergessen haben. Aufgewacht, zur Arbeit gefahren, am nächsten Morgen im eigenen Bett aufgewacht.
Es half alles nichts. Die Information schien in den unendlichen Wirrungen seines Gehirns verloren gegangen zu sein.
Von Kopfschmerzen und Müdigkeit geplagt beschloss Peter sich ein Bad zu nehmen. Er zog seine Gummistiefel aus und stellte sie in die Garage. Auch seine Latzhose hatte schon bessere Tage gesehen und war ein Fall für die Wäsche. Er ging ins Bad, zog die Hose aus und näherte sich der großen Wäschetonne, die sich hinter der Eingangstür befand. Vorher befreite er noch die Hosentaschen von jeglichen Taschentüchern und anderen Inhalten. Seine Hand glitt erst in die linke und dann in die rechte Hosentasche. Doch was er dort fühlte, war kein Taschentuch. Es fühlte sich eher an wie kleine Steine oder Kerne. Er griff nach ihnen und zog sie hinaus, öffnete die Hand und sah...Samen. Kleine, ovale Samen, welche sich in bunter Farbenpracht präsentieren. Ganz sicher war er sich nicht, da er noch nie Samen in einer solchen farblichen Vielfalt gesehen hatte.Aber was sollte es sonst sein. Er legte sie zur Seite und beschloss, dass er sie am nächsten Wochenende einfach in seinem Garten anpflanzen würde. Er hatte noch genug Platz in seinen Beeten und beschloss sich von dem Ergebnis einfach überraschen zu lassen. Die aktuellen Witterungen waren perfekt. Sonnenschein sowie regelmäßiger Niederschlag würden schon für ein ordentliches Wachstum sorgen. Am darauffolgenden Wochenende pflanzte er wie geplant die Samen und entspannte bei der Gartenarbeit von der stressigen Arbeitswoche. Er musste Kräfte sammeln. Die nächsten drei Wochen stand ihm eine kräftezehrende Europareise, gespickt mit Terminen bevor. Er hasste solche Reisen. Diese gehörten zu der unangenehmen Seite seiner Arbeit. Aber er musste neue Gelder für die weitere Forschung akquirieren. Und dafür wollten die richtigen Hände geschüttelt werden. Auch in seinem Bereich kam es nicht darauf an, was man kann, sondern wen man kennt.
Die Zeit verging und Peter wurde vollkommen von seiner Arbeit eingenommen. Die Ereignisse der letzten Tage gerieten mehr und mehr in Vergessenheit. Als Peter aus Europa zurück kehrte und den Garten betrat, glaubte er zu halluzinieren. Die Pflanze hatten sich innerhalb der letzten drei Wochen zu mannshohen Gewächsen entwickelt und waren über und über mit Früchten behangen. Wie die Samen, so präsentierten sich auch die Pflanzen und ihre Früchte in den buntesten Farben und Musterungen. Während die erste Pflanze Früchte trug, die am ehesten an grün-rot gestreifte Bananen erinnerten, präsentiere die zweite Pflanze sechseckige, glibbrige, geleeartige Früchte, welche sich in ihrer lilafarbenen Pracht in der Sonne rekelten. So etwas hatte Peter noch nie gesehen und er beschloss die Pflanzen und ihre Früchte in seinem Labor zu analysieren. Auch die die Zahlen- und Buchstabenfolgen, welche sich wie eine hungrige Raupe in seinem Kopf gefressen hatten, drängten wieder in den Fokus seines Bewusstseins. Er holte das Stück Papier hervor, auf dem er seine Eingebung notiert hatte. Zum ersten Mal besah er sich die langen Zahlen- und Buchstabenreihen genauer. Sie schienen einem Muster zu folgen und erinnerten an chemische Formeln. Ein Zusammenhang zwischen den Formeln, den Samen in seiner Hosentasche sowie seinem Gedächtnisverlust war nicht zu leugnen. So sehr Peter aber auch überlegte und suchte, der Zusammenhang blieb mit stoischer Ruhe in seinem Versteck und dachte nicht im entferntesten daran sich zu zeigen.
Seit Monaten war Peter mit der Entschlüsselung der Formel, sowie der Reproduktionen der Samen beschäftigt und schien nun endlich den Durchbruch geschafft zu haben. Zwar wusste er noch immer nichts über den Ursprung der Formel und der Samen, aber das spielte auch keine große Rolle mehr. Zu durchschlagend und revolutionär waren die Erfolge, um sich weiterhin den Kopf über ihren Ursprung zu zerbrechen. Die Formel wies den Weg zu einer neuen Art von Kunstdünger. Dieser sorgte nicht nur dafür, dass die Pflanzen schneller wuchsen und dieses taten sie mit wahnwitziger Geschwindigkeit, sondern schützte die Pflanzen sogar vor Parasiten und ungünstigen Witterungen. Sowohl große Hitze, wie auch Frost vermochten den Gewächsen nichts anzuhaben. Zeitgleich remineralisierten sie auch noch die Böden. Somit konnten die Felder ohne Qualitätsverluste über Jahre hinweg für Agrarzwecke genutzt werden. Und auch die Fähigkeiten der Samen und der daraus entstandenen neuen Pflanzengattungen war nicht zu unterschätzen. Ihre Früchte verfügten über eine Vielzahl von Nährstoffen, wie sie bisher keine bekannte Nahrungssorte beinhaltete. Sogar bisher unbekannte Nährstoffe waren vorhanden, die dem menschlichen Organismus aber gut zu bekommen schienen. Auch der Ertrag der Pflanzen war viermal höher, als aller bisher bekannter Pflanzen. Hinzu kam, dass sie fast alle Schadstoffe aus der Luft zu filterten vermochten. Sie veränderten hierdurch zwar den Sauerstoffgehalt der Luft, aber solange genügend altbekannte Pflanzengattungen auf der Erde wuchsen, ergab sich daraus ein Sauerstoffgemisch, welches dem Menschen keinerlei Probleme bereitete.
Nach Jahren der Entwickelung war Peter am Ziel angekommen. Sein Unternehmen versorgte jeden Kontinent mit seinem Saatgut und es würde nicht mehr lange dauern, bis das Hungerleiden auf der Erde endgültig beseitigt wurde. Weltweit wurde Peter für seine bahnbrechende Entwicklung gefeiert. Die Fernsehanstalten standen Schlange, um ihn als Interviewpartner zu gewinnen. Die jahrelange harte Arbeit hatte sich gelohnt und Peters großer Moment war gekommen. Er stand auf der Bühne und hielt seine Dankesrede.
„Ich möchte mich herzlich bedanken. Der Nobelpreis ist etwas besonderes...große Fußstapfen ... Wenn ich auf die letzten Jahre voller Entbehrungen zurückschaue, bin ich voller Stolz auf mein Team und unsere erreichten Erfolge. Gemeinsam haben wir es geschafft, die Welt ein Stück besser zu machen. ... Ich kann es noch immer kaum glauben, dass wir bis zum heutigen Tag ca. 80 Prozent der Regenwälder wieder aufforsten konnten. ...Wir sind auf dem besten Weg, das Gleichgewicht der Erde wieder herzustellen und vielen Tierarten ihren natürlichen Lebensraum zurückgegeben. ...Durch unsere Entwicklung wird kein Mensch auf der Welt jemals wieder Hunger leiden müssen. Wir werden gemeinsam einen neuen Abschnitt der Menschheitsgeschichte erleben. ...Unter diesen Umständen wird die Menschheit noch Jahrtausende fortbestehen. … Nochmals vielen Dank für diesen Preis!“
Diese Entwicklung entging auch dem Vorposten des Planeten Cikoreon 3 nicht, welche das Geschehen auf der Erde aus sicherem Abstand beobachteten. Genauer gesagt beobachteten sie die Erde seit der Nacht, in der sie Peter die Formel implantierten und ihn mit dem Samen versorgten.
„Vorposten XIU3ZU6 an Cikoreon 3“
„Was gibt es Vorposten XIU3ZU6?“
„Die Reparatur des Erdenballs ist bald beendet und der Planet zur Übernahme bereit..“