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Die Rutschbahn
Ich habe es mir auf einer Klappliege im Freibad bequem gemacht und horche mit geschlossenen Augen, den kleinen Vögeln die munter vor sich hinträllern zu. Die Sonnenstrahlen welche sich durch das üppige Blattwerk ihren Weg suchen um mich an der Nase zu kitzeln, erinnern mich an eine Geschichte, die sich vor ca. zwanzig Jahren hier abspielte.
Es war an einem wunderschönen Ferienfreitagmorgen. Die ersten Sonnenstrahlen fanden durch den nicht ganz dichten Vorhang ihren Weg, um uns zu zeigen, dass die Nacht vorrüber war. Geli und ich standen schon sehr früh auf, um uns für den Freibadbesuch fertig zu machen. Ein kleines Frühstück und dann ging es auch schon los. Geli, meine um zwei Jahre ältere Schwester zeigte schon reges Interesse an einigen Jungen, von denen wir uns erhofften, sie dort zu treffen. Ich war eigentlich nur ihr Aufpasser, obwohl ich mich auch gefreut hatte, diesen unheimlich, hübschen, leicht lockigen dunkelhaarigen Thomas wieder zu sehen.
Am Freibad angekommen, verließ meine große Schwester wieder mal der Mut. „Was meinst du, sollten wir nicht doch lieber in die Stadt bummeln gehen?“ war ihre Frage. Ihr Augenaufschlag deutete mir, dass Geli sich nicht klar war, was sie eigentlich wollte. „Nee, ich hab mich schon so auf das kalte Wasser gefreut. Komm jetzt. Lass uns gehen.“ Ich umklammerte ihre Badetasche und schob sie vor mir her, zur Kasse. „Zwei mal Schüler“ sagte ich freundlich zu der Dame hinter der Glasscheibe. Ich zahlte den von ihr gewünschten Betrag und beförderte Geli durch das Drehkreuz. Nach ein paar Metern fing die Wiese, die das Becken umrahmte, an. Darauf schlenderten wir gekonnt, den Jungen keines Blickes würdigend, an unseren Lieblingsplatz. Dort angekommen streiften wir unsere Kleider ab, den Badeanzug trugen wir schon darunter. Ich war wieder einmal die schnellere von uns beiden. Die große bunt gemusterte Decke arrangierten wir noch auf dem Rasen und schon ging es in das kalte Nass. Mit Anlauf und einem technisch einwandfreien Kopfsprung sprang ich hinein. Geli bevorzugte die etwas langsamere Art. Sie näherte sich vorsichtig dem Becken, die Augen immerzu die nähere Umgebung absuchend, es könnte sich ja ein zweiter John Travolta in der Nähe aufhalten, dann wäre sie nicht so zögernd und unbeholfen in das Wasser geglitten. Solange sie die nötige Zeit brauchte, um ihren Körper langsam mit Liliputschritten an das Wasser zu gewöhnen, zog ich einsam einige Bahnen. Nach dieser traditionellen Prozedur einigten wir uns, zuerst den Rand des Beckens abzuschwimmen. Das war die erste Möglichkeit um zu sehen, wer heute alles da war. Geli versuchte dabei so grazil wie möglich zu wirken. Nach der ersten Runde stand fest, die von ihr auserwählten Bewunderer waren noch nicht eingetroffen. Ein wenig frustriert drängte sie daraufhin zum Verlassen des Wassers. Mir war schon klar, dass sie nur nicht mit schrumpeliger Haut herumlaufen wollte. Anstatt auf unserem Sitzplatz die Wärme zu genießen, drängte sie mich in die Richtung des Kioskes. Von da hatten wir die beste Sicht auf die Rutschbahn und wussten sofort Bescheid, wenn sich neues Frischfleisch, wie sie sich manchmal ausdrückte, einfand. Da es generell bei männlichen Wesen vorkommt, sich zur Schau stellen zu müssen, war die rasante und in ihren Augen nicht ungefährliche Abfahrt der Rutsche, ein Muss. So nahmen wir mit der besten Aussicht auf die Geschehnisse auf einer Sitzbank vor dem Kiosk platz. Es vergingen ein paar Minuten in denen Geli die Rutsche nicht aus den Augen ließ. Plötzlich stand ich im Schatten. Ein etwa vierzig jähriger alter Mann mit dichtem grauen Bart und schütterem Haar, schaute Geli lächelnd an. Hinter ihm stand sein Freund, der nicht viel jünger aussah und versteckte etwas hinter dessem Rücken. Geli, die immer noch fasziniert in Richtung Rutsche schaute, würdigte diesen Gestalten keinen Blick. Der Bärtige entfachte das Gespräch. „Kannste rutschen?“ Gelangweilt und zu keiner Rutschpartie bereit, antwortete sie „Na klar, kann ich hab bloß keine Lust!“ Nach wiederum ein paar Sekunden fragt er diesmal um etliche Grad kälter „Kannste rutschen?“ sie verdreht ihre wunderschöne grüne Augen, atmete hörbar ein und antwortete gelangweilt „Hab doch grad gesagt, keine Lust“.
Daraufhin drehte sich der Bärtige zu seinem Freund um und delegierte ihn mit den Pommes frites in der Hand zu dem nächsten Tisch. Erbost würdigte er uns noch eines letzten Blickes. „Sag mal, was ist denn das für einer, schließlich kann ich selbst entscheiden wann ich auf die Rutschbahn möchte, oder nicht?“ „Aber Geli, der wollte doch nicht mit dir rutschen, er wollte nur dass du ein wenig Platz machst, weil er in der Sonne sitzen wollte.“
Daraufhin schaute sie von ihren Darstellern weg, zog langsam die Schultern hoch, nahm mich an der Hand und entfernte sich mit einem tomatenroten Kopf in die Richtung, in der sie unseren Liegeplatz vermutete.