Mitglied
- Beitritt
- 10.09.2007
- Beiträge
- 7
Die Russen ... kommen
Hhm.
Noch sechs Leute vor mir. Und mir ist schon wieder so seltsam. Mischung aus etwas fiebrig, schummrig, fahrig. Körperlich mal wieder nicht auf der Höhe, psychisch unausgeglichen, motorisch unzurechnungsfähig. Eine interessante Mischung für einen Mittwochnachmittag im Bio-Supermarkt.
Die Frau vor mir erwartet wohl die Russen. Oder den Chinesen. Auf jeden Fall Krieg. Mit dem Einkaufswagen an Futter, kommt die Dame mindestens über drei Winter. Gut. Wenn Sie das Eigenfett auch noch abbrennt, dann sogar vier Winter.
Eins weiter steht Sharon Stone.
Zumindest hält sie sich für Sharon Stone. Sollte Ihr mal jemand die Tage sagen, dass die 90er vorbei und Sie im Würmtal bei 2° Außentemperatur keinen solchen Plüschpulli anziehen sollte. Gut. Ja. Den kann man schon mal anziehen. Aber nicht mit Nichts darunter außer exponierter Nippel und einem Ausschnitt, der eben diesen gefährlich nahe kommt. Mein Gott. Und dann noch eine hyperaktive Tochter dabei. Mama hier, Mama da. Prinzessin will, Prinzessin darf.
Ganz vorne: Zeus.
Eine erhabene Erscheinung. Weißer Rauschebart, große dunkle Augen. Ein Seemannspulli..aha. Ein wenig mehr Poseidon also. Und: Auch er rechnet mit Krieg. Das Kassenband quillt über vor Ware. Ein Frischkäsetürmchen stemmt sich geben die Bananenstaudenfront. Dann führt da noch ein Kürbis einen Verdrängungskampf gegen ein Rudel Kopfsalate.
Unglaublich. Wer ißt denn all die Kopfsalate?
Gut. Auf dem Olymp ist man sicher in Gesellschaft. Und so Götter verputzen ja so einiges.
Und der Russe, der kommt ja auch noch.
Die anderen Gestalten in der Schlange- unauffällig.
Mir ist schlecht.
Auch das noch.
Es geht zäh voran. Ich schiebe alle Schuld auf Sharon und Ihren königlichen Nachwuchs. Anstatt die Ware zügig aufs Band zu platzieren, scheint sie zu glauben, dass Nick noch kommt und Ihr dabei hilft. Sorry. Die Frau geht gar nicht. Aber irgendwie gerade deshalb so typisch..Würmtal. Geldiges Münchner Speckgürtelpublikum.
Ok. Ich bin unsachlich. Sie sieht Granate aus. Leider weiß Sie das eben auch. Daher wohl die Nippel in der Auslage.
Fazit: Högschst unschympathisch, würde unser Jogi wohl sagen.
Bin ganz bei Jogi.
Wenn das Zucken im rechten Augen nicht bald aufhört, werd ich nicht nur mehr fahrig sein, sondern auch noch nervös. Das wäre dann schön. Dann werden wir wieder zappelig. Schweiß auf der Stirn. Das volle "ich-fühle-mich-unwohl-und-lasse-es-mir-deutlich-anmerken"- Programm.
Nein, bitte nicht. Nicht in einer albernen Schlange im Supermarkt.
Ich mustere meine Schuhe. Ha. Sieh an. Ein Loch. Und noch eins..und -Nein!- noch eins. Die Schuhe gehören auf den Müll. Taugen ja nicht mal mehr was für die Altkleider. Alter, Schuhe kaufen. Bald.
Ich schaue wieder auf. Ach ja. Noch drei Leute vor mir. Schön. Schön langsam geht das. Die Augen wandern. Der Blick folgt. Der Blick verharrt. Der Blick stiert. Mein Gott. Wow.
An der Kasse sitzt..schön. Da sitzt Schön. Attraktiv, auch. Ach, beides. Eh dasselbe.
Wunderbares Lächeln. Herzliches Lächeln. Gestik. Offene Gestik. Herzlich und offene Gestik, wunderbares Lächeln.
Frei nach Freund Detti: Ein Schätzelein also. Vermutlich Studentin. Wie fast alle hier im Laden. Ja. Nein, sehr attraktiv. Und die Augen..uff. Schön.
Sehr sogar.
Ich schwitze. Wie angenehm.
Und ich blicke.
Na bitte.
Junger Mann, und wenn Du noch länger blickst, blickt Sie vielleicht auch kurz mal. Dann gibt es einen Moment. Einen Moment, in dem Du vermutlich blöd schaust. Weil Du stierst. Auf Sie! Aus der Schlange der Wartenden. Dumm dastehen, dumm schauen. Geht gar nicht.
Also, schau weg, Depp.
Gut. Ich hätte an die andere Kasse gehen sollen. Selbe Schlange. Selbe Meute.
Angst vor Russen.
Die Dame dort an der Kasse..nun ja. Schwitzgefahr eher gering. Mutter dreier Kinder vermutlich, mit den Gedanken seit circa drei Uhr nachmittags bei der Abendfiesta mit dem von der Schule nach Hause kommenden Nachwuchs.
Aha. Ja. Was das zur Sache tut? Gar nichts, ich denke es mir einfach, sie erblickend.
Jedenfalls: Kein Stierfaktor bei Ihr.
Hhm. Habe ich eigentlich irgendwas vergessen? Mal sehen..- nein, sieht nicht so aus. Der Einkaufswagen ist aber auch überschaubar befüllt.
Wir erwarten jedenfalls keinen Einmarsch aus dem Osten.
"Guten Tag. Kundenkarte"?
Wie?
Was?!
"Hallo. Kundenkarte, haben Sie einen Kundenkarte"?
Ich bin schon dran.
Ordnen.
Gedanken.
Blick.
"Sie haben die Karte vergessen"?!
Nun ja. Das kann man wohl so sagen..
"Sagen Sie mir doch Ihren Namen..Hallo?"
Ok. Herr D, ziehen Sie vielleicht mal in Erwägung, mit diesem Wesen an der Kasse zu kommunizieren. Wäre ganz herzallerliebst. Und würde vll dazu beitragen, dass hier auch mal was vorangeht.
Mein Güte, diese Mandelaugen. Und Grübchen.
Mir ist heiß. Simmt ja: Ich schwitze.
"Ja. Sekunde. Ähm. Ich buchstabiere den Namen.."
Sie lächelt. Mein Gott. Was für ein Lächeln! Sensationell.
Und das an einem Mittwochnachmittag.
Unglaublich.
"Dora, Otto, Ullrich..Ludwig, Kaufmann.."- ich komme mir immer vor, wie ein bekiffter Oberstudienrat, wenn ich unseren Nachnamen buchstabiere. "Emil, Richard, Ida, Dora, Emil, Siegfried". Und bei Siegfried schmunzel ich immer. Der Siegfried..in unserem Namen! Brüller! Und herrlich dämlich.
Im nächsten Leben bestehe ich auf einen etwas knackigeren Nachnamen. Schrot. Korn. Dergleichen.
"Ja, hier, ich habe Sie gefunden. Nikolaos, nicht wahr?".
Schön. Was immer Sie sagen.
"So, das macht dann 32,45 €".
Was auch immer Sie sagen.
Hach.
..
Gut, das war nun wieder eine, zwei Sekunden zu lange. Nicht anstarren. Geld reichen, einpacken, weitergehen. So geht das Spiel.
"Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!"
..
"..Danke.."
...
Ich drehe mich zur Ware am Ende des Bandes, fange an einzupacken. Eins nach dem anderen.
So geht das Spiel.
Dann stehe ich still. Verharre.
Die ganze "Kassenaktion" hat jetzt vielleicht eine Minute gedauert. Und ich bin doch etwas benommen. Dieses Gesicht. Dieser warmherzige, schöne Gesichtsausdruck.
Kriege Ihr Bild nicht vom inneren Bildschirm und stehe dabei keinen Meter von Ihr entfernt und fixiere den Frischkäse, ohne ihn zu sehen.
Ja. Dann stelle mir mal eben dazu mein Gesicht, meinen Ausdruck von gerade vor.
Uff.
Lieber nicht. Eine schwitzende Ameise, die ihr Ritalin einzunehmen vergessen hat.
Tolles Bild.
Und der Mund ist aber jetzt auch staubtrocken, sag`einmal. Und ein Schweißtropfen steht immer noch unschlüssig auf der Nase.
Der nächste Kunde ist schon in Bearbeitung. Ich stehe immer noch da wie Baum.
Dann drehe ich mich, der Blick verläßt den Frischkäse, wandert an den Bananen vorbei, steigt etwas auf. Jetzt schaue ich sie wieder frontal an. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden.
Sie schiebt die Ware über den Scanner, redet mit der neuen Kundin. Ich höre Ihre weiche, warme Stimme. Keine Ahnung, was Sie sagt. Ich stehe einfach da und schaue Sie an. Völlig ausreichend, für den Moment.
Plötzlich hält Sie kurz inne. Sie hört auf zu reden, wendet sich von der Kundin vor ihr ab. Dreht langsam den Kopf, die Augenbraue heben sich, der Blick steigt stetig.
Dann ist er auf meiner Höhe angekommen- sie schaut mir direkt in meine Augen. Etwas ausdruckslos treffen sich die Blicke.
Sekunde Sieben.
Sekunde Acht.
Das Fieber ist wieder da, der Tropfen hat die Nase im Laufschritt verlassen.
Sekunde Neun.
Ja. Mein Gesicht muss an Ausdruckslosigkeit jetzt nicht mehr zu überbieten sein. Denke ich? Nein, ich schaue nur und sehe ihre leicht ausdruckslosen, aber offensichtlich im gleichen Maße erwartungsfrohen Augen.
Ich fixiere weiter Ihre Augen, nur Ihre Augen. Wage es nicht, woanders hinzuschauen, geschweige denn, den Blick abreißen zu lassen.
Dann bewegt sich mein Mund.
Es muss nun ungefähr Sekunde Zehn sein.
Ja. Interessant. Was ich wohl sagen werde?
Jedenfalls scheine ich etwas sagen zu werden, nach der Stellung des Kiefers und der sich spannenden Stimmbänder zu urteilen.
Dann höre ich mich tatsächlich sagen:
"Beziehungsweise: Ebenfalls".
Ich scheine dazu zu grinsen.
Eine weitere Sekunde vergeht. Ich schaue..und scheine gespannt auf irgendwas zu warten.
Was habe ich da jetzt eigentlich gesagt? Und warum? War das die Antwort auf irgendwas, eine Frage vielleicht?
Beziehungsweise: Ebenfalls.
Interessant.
Dann passiert erstmal nichts.
Sekunden können aber auch langsam sein.
Dann passiert urplötzlich doch etwas.
Sie grinst. Leicht, dann breit. Breiter.
Dann lacht Sie. Sie lacht! Grübchen, sie lacht breiteste Grübchen, die Augen blitzen.
Lache ich auch? Ja, ich lache auch. Sieh`an. Warum lache ich denn? Habe ich vielleicht sogar zuerst gelacht?
Egal. Ihr Lachen ist jedenfalls unglaublich. Unbezahlbar. Die Sonne scheint.
Ich scheine einen Moment abzuwägen, ob ich mich gleich noch einmal an der Kasse anstelle soll, um die Situation sich wiederholen zu lassen.
Ok. Sei nicht albern, genieße den Moment.
"Ja..!", sagt sie. Ein lautes und herzliches "Ja", sagt Sie. Gefolgt von einem kleinem Gluckser und einem unüberhör- wie sehbaren Kichern.
Ja. Dir auch noch mal, dir ebenfalls einen schönen Tag, Du wunderbar seltsamer junge Mann von nebenan, lese ich ihn ihren Augen.
Dann hebt Sie noch einmal eine Augenbraue, mustert mich noch einmal kurz, dann geht es weiter mit der Kundin vor Ihr.
Sekunde Zwanzig.
Ich nehme meinen vollen Rucksack, schwinge ihn auf den Rücken, strebe zum Ausgang. Gehe hinaus. Bleibe kurz stehen. Die Luft ist frisch. Die Luft ist schön. Mir ist warm, auf eine sehr wohlige Weise. Ich schließe die Augen. Das Lächeln, ihr Lächlen ist da.
Ich schlage die Augen auf. Ohne mich umzudrehen, gehe ich Richtung Heimat.
Das war ein Moment. Wieder mal ein lebendiger Moment. Mit einem kleinen Blitz namens...
..Nikolaos.