Die Ruhe im Sturm
Ich sehe dich an.
Dann wende ich den Blick ab und beobachte das Meer. Die Wellen brechen sich am Strand, ein scharfer Wind bläst mir ins Gesicht und weit draußen sehe ich die Küste irgendeiner anderen Insel. Es sieht zum Greifen nah aus, dieses Eiland, aber ist doch so viele Meilen weit entfernt. Ich weiß nicht, wie wir hierher gekommen sind, an dieses Ufer, aber allein der Weg war hart und voller Schwierigkeiten, doch das ist vergessen. Ich atme die Luft ein, sie riecht frisch und ich schmecke das Salz auf meiner Zunge, es riecht nach Freiheit. Es fängt an zu stürmen, die Wellen werden größer, der Wind schärfer.
Du bleibst stumm.
Ich beobachte ein kleines Fischerboot vor der Küste, sehe, wie es mit den Wellen zu kämpfen hat. Die Menschen kann ich kaum erkennen, sie sind nicht viel mehr als drei kleine Flecken auf einem etwas größeren Punkt in diesem riesigen blauen Ozean. Noch immer kämpft der Kutter mit den Wellen, es ist ein tägliches auf und ab, ein hin und her, nur Abwechslung ist es nicht. Doch trotzdem müssen die Männer dort unten jeden Tag aufs Neue antreten, nichts zu tun würde ihren Tod bedeuten, sie können sich nicht einfach ausruhen. Ich merke, wie ich mich danach sehne, auch ein Fischer auf diesem Boot zu sein, täglich mit der übermächtigen Natur kämpfend, den Wind in den Haaren und die salzige Seeluft einatmend. Ich halte das für
Glück.
Du beobachtest mich.
Zurück auf das Meer schauend, verschwindet das Boot wieder aus meinem Blickfeld, es hat den Kampf mit den Wellen für sich entschieden und steuert jetzt seinen Heimathafen an, ein wenig Ruhe, bis das Alles morgen aufs neue beginnt. Langsam aber sicher wird aus dem etwas größeren Punkt, der einmal das Boot war, ein kleiner Fleck, der dann völlig in der großen See verschwindet. Ich blicke noch lange auf diese Stelle, an dem das Schiff seine Schlacht gewonnen hat. Ich ziehe meinen Anorak fester um mich und vergrabe meine Hände in den Taschen, es ist kühl um diese Jahreszeit.
Du zitterst.
Ich bemerke eine Verwandlung auf der Meeresoberfläche, der Sturm hat sich ein wenig gelegt und die Wellen brechen sich nicht mehr ganz so gewaltig am Strand.“ Auch das Meer braucht seine Ruhe“, denke ich bei mir. Jetzt schon fast spiegelglatt, sieht es von meinem Standpunk aus wie eine greifbare Fläche, und nicht wie ein tosendes Ungetüm, das alles verschlingen kann, wenn ihm der Sinn danach steht. Es ist eine trügerische Idylle und ein atemberaubender Anblick zugleich. Ich hole noch einmal tief Luft, schmecke wieder das Salz auf meiner Zunge, spüre die leichte Brise, die mir eine Gänsehaut macht, streife durch mein feuchtes Haar, genieße den Augenblick vollkommender Ruhe und tiefer Stille. Ich schaue dich an, du erwiderst meinen Blick.
„Ich liebe Dich.“
[ 26.04.2002, 22:54: Beitrag editiert von: Gamdschie69 ]