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Die Robby-Bux-Sache
DIE ROBBY-BUX-SACHE
Mein Name ist Evelyn Butcher.
Wenn einer lacht, leg ich ihn um.
Früher wurde ich dafür bezahlt. Fürs Leute umlegen. Es war mein Job, wissen Sie. Aber natürlich wissen Sie es. Sie lesen ja Zeitung, sonst würden Sie das hier gar nicht wahrnehmen können.
Wie gesagt, ich bin Evelyn Butcher, der Auftragskiller der russischen Mafia. Manche Leute haben ein Problem mit meinem Berufsstand. Was ich eigentlich nicht verstehe, schließlich sagt man auch nichts gegen die Berufsarmee. Ah doch, da gibt es ja diese Typen, die Pazifisten...
Komm zum Punkt, Evy. Du bist nicht hier, um eine politische Debatte zu starten.
Nein, lieber Leser, ich habe diesen Artikel aus einem ganz anderen Grund veröffentlicht. Ich möchte Ihnen meine Geschichte erzählen. Die Geschichte erzählen.
Die Sache mit der Turnhalle...
Eines schönen Septembermorgens... Ach, ich fang am Besten neu an. Ich stehe nicht auf so eine Es-war-einmal-Scheiße, und glaube auch nicht, dass Sie es tun. Ich hoffe es.
Jedenfalls klingelte das Telefon. Ich ging ran, wie jeder recht erzogene Bürger das tun würde (bitte bombardieren Sie mich jetzt nicht mit irgendeiner Scheiße von wegen sonst was, ich hatte auch Vater und Mutter). Metschow war dran.
"Hey, Evy", hat er gesagt, "ich hab 'ne Sache für dich..."
Ich warf ihm einige (ha! ein gutes Dutzend musste es gewesen sein, wenn nicht zwei Dutzend) unschöne Wörter an den Kopf, die ich lieber nicht aufzähle, und sagte, dieser Huren... ('tschuldigung, fast wär's gewesen) sollte mich nicht Evy nennen. Das durfte ich nur selbst während meiner depressiven Phasen.
Auf die Art nahm ich alle meine Aufträge an. So bekam mein Verhältnis mit dem wirklich mächtigsten Mann im ganzen gottverschissenen Staat einen gesunden Hauch von Kamikazismus. Es war schon cool.
Also, Metschow nannte einen Namen. Robby Bux. Natürlich war es nur ein Spitzname, aber wer musste schon mehr wissen. Sie kennen wohl nur die Bezeichnung "Phillipe Robespierre", fast wie dieser Froschfresserdiktator. Aber in meinen Kreisen war der Arsch einfach nur Robby Bux.
Ich kannte Robby Bux. Wir waren zusammen aufgewachsen. Nein, Spaß beiseite, er war ein ziemlicher Wichser mit viel zu vielen Schulden und einer äußerst ungesunden Vorliebe für Sushi. Ich kannte mal einen Kerl, der ging in einen Sushiladen - den selben, den Robby Bux immer benutzte -... aber das ist eine andere Geschichte. Ich schweife zu oft ab. Gibt es Pillen dagegen?
Diesmal war Robby Bux zu weit gegangen. Er borgte sich eine halbe Limone (falls Sie es nicht wissen, Limone steht für Million, den Ausdruck hab ich von Metschow gelernt, er und seine Macker sagen das ständig). Wollte damit eine Fabrik bauen, hat er gesagt. Die Organisation ins Legale stoßen. Wollte Dosensuppe herstellen oder so. Sagte, er hätte die Kohle nach acht Monaten wieder drin und könnte zahlen. Mit Zinsen.
Ich hab diesen Penner drei Tage nach Geldübergabe im Kasino gesehen. Der Arsch. Und auf der Fläche, wo die Scheiß-Fabrik gebaut werden sollte, steht heute noch nach wie vor ein Meter-Mal-Meter-Scheißhaus mit Herzchenausschnitt an der Tür. Krasses Gebäude. Höhepunkt der westlichen Nachkriegsarchitektur. Ein Plumsklo im Arsch eines Viertels im Arsch einer Stadt am Arsch der Welt.
Als Metschow mich anrief und den Namen Robby Bux nannte, war schon ein Jahr vergangen und die halbe Limone war immer noch nicht nachgewachsen (Gott, ich liebe dieses Wortspiel). Ich durfte ran. Robby Sux suchen und vernichten (nein, es ist kein Tippfehler, ganz und gar nicht).
Es dauerte nicht lange, und ich hatte den Flachmann gefunden. Ich fuhr zur Sushibar und fragte den Koch, ob er vielleicht wisse, wo sein bester Kunde war. Er sagte nein. Ich sagte, gib mir einen Sushi. Er sagte noch was - was irgendwie wichtig klang -, aber ich hörte nicht mehr zu. Ich sah aus dem großen Schaufenster auf die Straße, über die Straße und auf das Objekt. Das perfekte Objekt, das perfekte Versteck für einen Mann von Robbies Kaliber.
Die Turnhalle der Grundschule.
Es war noch nicht einmal sechs Uhr, also hing vor den Holztoren ein großes Eisenschloss, das regelrecht dazu einlud, zerschossen zu werden
Zerschieß mich, rief die süße Stimme des Schlosses, wie ein Engel, zerschieß mich. Ich konnte einer so süßen Stimme nicht widerstehen. Ich zog meine Beretta FS 92 und schoss.
An diesem Tag hatte ich meinen Dämpfer zu Hause vergessen. Sorry, Profipech. Die zwei Schüsse hallten im ganzen Gelände wider, wenn verdammt noch mal nicht im ganzen Viertel. Er musste mich gehört haben.
Und tatsächlich hörte ich aus dem Inneren der Turnhalle das Nachladen einer deutschen Maschinenpistole.
Uups.
Sie müssen verstehen - und das tun Sie ja wohl, soweit ich Sie kenne -, dass das ganze Unternehmen ein Fehler war, nein, einen Fehler hatte. Es war falsch, auf den Haufen Metall namens Schloss zu ballern. Ich hätte die ganze Schweinerei abwenden können. Es tut mir ja leid. Oh ja, es tut mir leid.
Und es tat mir auch spätestes dann leid, als ich durch die ganze Scheißhalle hechten musste, während gut dreißig von Winchester hergestellte Kugeln nach meinem Arsch jagten. Es war nicht angenehm. Ich fiel auf die linke Schulter und glaubte sie gebrochen, als der Pisser seine Knarre neulud. Ich hob meine Beretta und zielte. Er war nirgendwo. Vor wir, auf einer Breitseite der Turnhalle, gab es eine Tür in der Wand. Ich hatte hier gelernt, als ich noch jung war, und ich wusste, dass die Verbotene Pforte (so hatten wir Drittklässler sie immer mit einer Mischung aus Respekt und Furcht zu bezeichnen gepflegt) zu einer Rumpelkammer im 2. Stock führte. Dort waren Turngeräte, die Medizinbälle (die mir damals so groß vorkamen wie ganze Kleinwägen), und jetzt auch dieser "Robespierre", wie Sie ihn so nennen. Da war eine Wand zwischen uns, eine Wand...
... Voller Löcher. Ich begriff, was los war und legte mich auf der linken Seite auf den Boden. Damit bot ich dem Arsch in der Rumpelkammer eine angenehm kleine Angriffsfläche. Robby Bux schoss blind. Ich war so überraschend gekommen, dass er noch nicht die Zeit gehabt hatte, den Einfall zu bekommen, Gucklöcher in den lockeren Beton zu schlagen.
Wieder ging das Geballere los. Ich konnte das Mündungsfeuer durch die Löcher flackern sehen. Zwischen dem Donner seiner deutschen MPi konnte ich so etwas wie einen Kampfschrei vernehmen. Komischer Kerl.
Er hatte mich natürlich nicht getroffen. Das war gut. Aber da sah ich meinen Körper runter, und auf der Höhe meiner Knie, auf dem staubigen Boden der Turnhalle, lag ein Stück meines beigen Trenchcoats. Ein Loch, aus dem Splitter ragten. Der Mantel war ein Erbstück von meinem unlängst verstorbenen Bruder.
"DU... ARSCH!", schrie ich so laut, dass die Wände erzitterten. Ich hörte nämlich, wie der Putz sich löste und auf den Boden knallte. Aber sofort wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Robby Sux war vielleicht blind wie ein Maulwurf - darum verlor er dauernd im Kasino - aber seiner Ohren... der Mann, der bessere Ohren als dieses Sackgesicht hatte, musste erst noch geboren werden. Das half bei seinem Spieltrieb zwar nicht wirklich, aber es half, die Nebenwirkungen des selben Triebs schneller loszuwerden: er hatte mich geortet. Wieder das Nachladen deutschen Waffenguts.
Ich rollte zu meiner Linken weg und stieß fast unhörbar an die Wand. Dreißig Schüsse, und die Stelle, an der ich gerade gelegen hatte, ging in einer Wolke von fliegenden Splittern unter. Ich zählte seine Schüsse zwar nicht, aber ich hörte das Klicken seines leeren Magazins. Jemand hatte zu diesem Geräusch mal Dead Man's Klick gesagt. Aber Robby Bux war noch nicht tot, leider. Er war sehr lebendig und schoss auf mich. Verdammt, er war zu lebendig.
Es wurde halb sieben. Ich wagte es kaum, zu atmen. Der Penner verließ sich immer noch auf sein Gehör und wartete, bis ich mich bewegte. Ein Loch in die Wand zu schlagen war ihm wohl zu hoch. Aber darauf wartete ich nur. Ich umklammerte meine Beretta fester denn je. Das Magazin war voll, bis auf die zwei Schuss, die ich auf das Eisenschloss abgab. Verdammter Anfängerfehler.
Wenn dieser Hurensohn (Vermerk an Evy: ändere das. Danke. Dein Gutes Gewissen.) seinen Kopf nur für einen Moment gezeigt hätte, ich schwöre, ich hätte alle 10 Schuss durch seinen Scheißschädel gejagt und darüber gelacht.
(Hallo Gutes Gewissen. Schön, nach all den Jahren von dir zu hören. Ach, von wegen der Änderung: F.U.C.K. Y.O.U. Und einen schönen Gruß vom Schlechten Gewissen. Dein Evy. Und nenn mich nicht Evy. Ist das klar?)
"Hey, BUTCHER!", schrie die Vollpfeife plötzlich. Der wollte mich zum Reden bewegen, um mich blind abzuknallen. Toller Plan.
"Hey, EVELYN! Wer schickt dich?" Er lachte kurz auf. "Dein MANN?"
Ich hasse es, wenn jemand Witze über meinen Namen machte, und die Typen mit den Schwulenwitzen standen an erster Stelle auf meiner Abschussliste.
"Fick dich!", schrie ich zurück und bereute es wieder. Es gab drei Schüsse aus der Rumpelkammer. Ich musste das Nachladegeräusch überhört haben. Putz hinter mir bröselte. Er hatte die Wand getroffen. Aber... es waren nur zwei Einschusslöcher. Und als etwas Warmes über meine Brust floss, wusste ich, ich war dran...
Aber es war nur etwas Panik. Anfängerpanik, ich bin vorher noch nie angeschossen worden, wissen Sie. Er hatte meine rechte Schulter erwischt. Böser Treffer, aber nicht sehr schlimm. Haha, tolles Paradoxum. Aber ehrlich, es war kaum mehr als ein Kratzer. Es gab wirklich Schlimmeres.
Um Bux nicht zu enttäuschen stöhnte ich und fiel wie ein Mehlsack zu Boden. Aber leider kam der Arsch nicht herunter, um sich sein Werk anzusehen. Nein, das tat er nicht. Stattdessen schoss er noch einmal. Daneben. Als ich das Mündungsfeuer sah, stieß ich einen kurzen, erstickenden Schrei aus, um ihn glauben zu lassen ich wäre getroffen. Dabei brachte mich das kurze Flackern auf eine Idee... warum warten, bis er sich zeigte. Das Mündungsfeuer war schon genug, um ihn zu orten und kaltzumachen. Er hatte seine Ohren, ich hatte sein Mündungsfeuer...
Ich machte den Mund auf, um der Pissnelke zu sagen, er hätte mich nicht erwischt, nein, es ihr einzuschreien. Dann wäre ich zur Seite gerollt und hätte ihn durch die Wand erledigt.
Als von außen Kinderstimmen kamen.
Ich erkannte sie, es waren fröhliche, unschuldige Kinder. Ich war auch mal eins, wissen Sie. Aber dieser "Robespierre" nicht.
Keine Ahnung, was in der Weichbirne dieses paranoiden Sacks vorging, ich kann es nur vermuten. Wahrscheinlich glaubte er, die Bullen wären dort, oder ich hätte meine Kavallerie gerufen. Wie hatte er sich das vorgestellt! Ich beam-mich-rauf-Scotty mich aus der Halle, ruf die Russen und scottie wieder zurück! Bestimmt!
Die ermahnende Stimme eines Lehrers. Gott weiß, wie man das mit "Gib auf, Schlappschwanz, du bist umzingelt" verwechseln kann.
Dann kamen die Schüsse, die mir angehängt wurden. Aber ich war es nicht.
Splitter flogen von der Tür, Schreie weinender Kinder, Ächzen. Er musste um die zwei Dutzend Schuss abgegeben haben, bevor ich meine Beretta FS 92 in die Richtung des Lichts drehte, das aus den Schusslöchern in der Wand zur Rumpelkammer drang. Ich schoss, ich schoss bis das Dead Man's Klick meine Ohren nervte, bis ich völlig sicher war, dass mein Magazin leer war. Ich atmete tief durch und setzte ein neues Magazin in meine Kanone ein.
Da ging die Tür auf. Und ich wünschte, ich hätte es nicht gesehen. Die toten Kinder. Ich wünsche niemandem, so etwas zu sehen. Oder es selbst zu sein, eines dieser armen Kinder.
Zwei oder drei der stehenden Kinder durchdrangen mich mit ihren Blicken und wenn diese töten könnten, würden Stücke meines Leichnams auf allen verdammten Staaten dieser Erde verteilt sein, und nicht einmal dieser Hawking könnte das Puzzle lösen und mich wieder zusammensetzen. Für diese Kinder war ich der Mörder ihrer Freunde, und nichts würde das ändern. Kein Geständnis, kein Gegenbeweis, keine fünfstündiges Videodokument mit Gegenbeweisen. Ich war der Mörder. Für immer.
Eine Träne rollte meine rechte Backe hinab und für einen Moment - bei Gott, nur für diesen kurzen Moment, so kurz, dass ich mich fast schäme - bereute ich meinen Job. Ich empfand ihn als unmoralisch. Schlecht.
Ich fing mich wieder. Meine Füße trugen mich zur Verbotenen Pforte, meine Augen sahen weg von den Knaben. Ich eilte die Treppe rauf zur Rumpelkammer, etwas Blut tropfte aus meiner Schulter. Robby Bux war tot. Eine Strafe. Aber der wirklichen, der gerechten Strafe konnte er sich entziehen. Er musste nicht sehen, was er getan hatte.
Ja, Robby Bux war tot. Verdammt tot. Er hatte es verdient, verdient, wie er jetzt aussah. Seine Gedärme waren in die Freiheit geflogen, sein Unterkiefer war auch nicht mehr das, was man attraktiv nennen könnte.
Polizeisirenen heulten auf. Die Bullen kamen, ich ging. Ein Schuss, den ich mir nicht verkneifen konnte. Ich hatte es mir versprochen. Kurzer Knall, widerhallend in hundert Formen. Robespierres Gehirn zerstreute sich auf den Boden, und ich hörte, wie es auf der anderen Seite eines nun zerschossenen Kopfes durch das frische Loch im Boden nach unten tropfte.
Ich hörte die Bullen, wie sie nach mir schrieen. Sie hatten den Letzten Schuss gehört.
Mit Anlauf sprang ich durch die Wand. Der Fall kam mir wie eine Ewigkeit vor, aber ich wusste, dass ich keine fünf Sekunden brauchte um die Strecke Rumpelkammer - Asphaltstraße zu fliegen.
Ich kam mit der linken Schulter auf. Nun war sie wirklich gebrochen.
Drei oder vier Bullen kamen auf mich zugerannt. Für ihre Tode werde ich ebenfalls verantwortlich gemacht. Okay, diesmal stimmt es.
Es dauerte noch drei Stunden, wenn nicht mehr - ich hatte meine Uhr auf der Flucht verloren -, bis ich bei Metschow ankam und ihm halb feierlich, halb verblutet mitteilte, dass der Job erledigt sei. Er erwiderte mir halb feierlich, halb ausdruckslos, er wisse es bereits. Und dass der Boden für mich jetzt ziemlich - wenn nicht zu - heiß wurde.
Als ob ich es selbst nicht schon wüsste.
Aber das ist eine andere Geschichte.
7. Oktober 2002