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Die Ritterin Johanna (Teil 5)
Der Schwarze Ritter trifft Johanna
Es hatte drei lange und kalte Winter nacheinander gegeben. Während der ersten beiden hatten Bauern und Ritter noch genügend Vorräte gehabt, doch jetzt war nur noch wenig Essen in den Vorratslagern. Über die verschneiten Felder pfiff ein eisiger Wind, und wären nicht die Nahrungsmittel zu Ende gegangen, wäre niemand freiwillig da hinausgeritten.
Die einzige Möglichkeit, für Nahrung zu sorgen, war die Jagd. So zogen auch Johanna und ihre Brüder los, um in den Wäldern nach Wild zu suchen. Dick eingehüllt in ein Bärenfell führte ihr Bruder Geiserich die Gruppe an. Johanna hatte über ihre dünnen Wollhandschuhe große Fäustlinge angezogen und einen Schal um Hals und Kopf gewickelt, damit ihr der kalte Wind nicht die Nasenspitze abfror. Der Schnee knirschte unter den Hufen der Pferde, welche alle warme Decken gegen die Kälte trugen.
„Hü“, trieb Johanna ihre Stute Morgentau an. An ihrem Sattel war ein Jagdbogen befestigt. Beim letzten Mal hatte sie den Hasen verfehlt und sich viel Spott von ihren Brüdern anhören müssen, doch dieses Mal wollte sie besser schießen.
So wie jedes Mal ritten sie in ein Bauerndorf, damit die Bauern mit ihnen kamen und beim Aufstöbern des Wildes halfen. Die taten das gerne, denn zur Belohnung durften sie ihre hungrigen Mägen auch mit Fleisch füllen.
Die Bauern hatten nämlich keine schnellen Pferde, mit denen sie Hirsche oder Rehe verfolgen konnten, sondern nur große, träge Zugpferde, die gerade dazu gut waren, einen erlegten Hirsch oder Bären nach Hause zu ziehen.
Eine Rudel Hunde lief neben Johanna her und versuchte mit Morgentau Schritt zu halten.
Johanna wurde etwas wärmer, denn die Sonne blitzte von einem strahlend blauen Himmel.
Als sie das Dorf erreichten, merkte sie gleich, dass etwas nicht stimmte, denn alles war still. Einzig eine Krähe saß auf einer offenen Eingangstüre.
Johanna wartete auf ihre Brüder Geiserich, Rolf und Gottfried.
„Was war da los?“, rief Rolf, während Johanna abstieg und langsam durch den Schnee stapfte. Im Bauernhaus war niemand.
„Alles gestohlen“, rief sie zu ihren Brüdern. „Jemand hat diese armen Bauern ausgeraubt.“
Gottfried betrachtete die vielen Spuren im Schnee.
„Da ist ein Trupp Reiter gekommen“, sprach er und deutete auf mehrere Spuren, die vom Süden ins Dorf führten.
„Eins, zwei drei, vier, fünf, sechs Reiter auf Streitrössern.“
Johanna konnte jetzt auch das Durcheinander der Spuren entwirren.
„Viele Leute sind zu Fuß in diese Richtung gelaufen“, sprach sie und deutete zum Waldrand.
In diesem Moment lösten sich von dort mehrere Gestalten und begannen auf sie zuzulaufen.
Es waren die Bauern des Dorfes, welche erbärmlich froren.
„Wie gut, das ihr kommt“, rief einer. “Der Schwarze Ritter war mit seinen Männern da und hat uns ausgeraubt. Sie haben alle Vorräte mitgenommen. Was sollen wir jetzt tun? Wir konnten auf unserer Flucht nicht einmal Kleider anziehen.“
„Seid unbesorgt“, sprach Johanna „wir folgen ihren Spuren. Wenn ihre Pferde schwer beladen sind, können wir sie vielleicht noch einholen.“
„Dann lasst uns keine Zeit verlieren“, rief Rolf und jagte als erster los. Johanna ließ die Hunde bei den Bauern zurück und schloss dann zu Rolf auf.
„Schneller“, rief sie und trieb Morgentau an. „Wir müssen sie fangen, ehe die Dunkelheit hereinbricht.“
Die Spuren des Schwarzen Ritters folgten einem Pfad in den Wald. Links und rechts bogen sich dort die Bäume unter der Schneelast. Johanna hielt grimmig Ausschau und griff immer wieder nach ihrem Jagdbogen, doch der Schwarze Ritter war nirgends zu sehen. Auf der anderen Seite des Waldes führten die Spuren zuerst schnurstracks über eine Wiese und verzweigten sich dann.
„Sie sind nicht dumm“, sagte Geiserich, „sie haben sich geteilt.
Mit Johanna ritten ihre drei Brüder, drei andere Ritter und zwei Knappen. Das waren zusammen neun Leute. Der Schwarze Ritter hatte fünf Kameraden mitgehabt. So beschlossen sie, sich aufzuteilen. Jede Gruppe sollte ein Jagdhorn bei sich haben, um Alarm zu geben, falls sie einen der Diebe fanden.
Johanna ritt alleine der Spur nach, die geradeaus führte, da kein anderes Pferd mit Morgentau Schritt halten konnte. Schon bald musste sie Morgentau allerdings bremsen, denn die Spur führte durch einige Gebüsche, über eine Wiese und dann an einen zugefrorenen Teich entlang. Von dort folgte sie einem eisüberzogenen Fluss.
Johanna ärgerte sich, weil sie nicht schneller reiten konnte. Die Sonne stand schon recht weit im Westen und würde bald untergehen. So blieb ihr nicht mehr viel Zeit, um den Schwarzen Ritter zu finden.
Sie folgte einem schmalen Weg, der von einer Seite von dichtem Gebüsch und auf der anderen Seite von einem weiten Abhang zum Bach hin begrenzt wurde.
Plötzlich sirrte etwas durch die Luft und streifte ihren Arm. Morgentau wieherte, stieg hoch, und rutschte nach unten ab. Johanna hielt sich an den Zügeln fest und versuchte Morgentau zum Weg zu lenken, doch da rutschte das Pferd mitsamt Johanna den Abhang hinunter. Morgentau landete zuerst auf Johannas Fuß, überschlug sich und Johanna flog in hohem Bogen in den Schnee. Verdattert strich sie sich den Schnee aus Haaren und Gesicht und blickte sich um. Sie wollte aufstehen, doch ihr Fuß tat schrecklich weh. Morgentau wieherte neben ihr laut und rappelte sich ebenfalls wieder auf.
„Bleib ruhig stehen“, sagte Johanna erschrocken und humpelte zu Morgentau.
„Ich glaube, uns hat ein Pfeil gestreift“, murmelte sie und sah nach oben. Der kleine Bach floss in einem breiten Tal, das von einer hohen Böschung begrenzt wurde, über die sie hinuntergerutscht waren. Sie war so steil, dass sie unmöglich wieder hoch kam. Auf der anderen Seite war die Böschung ebenfalls zu steil, um hinaufzureiten. Johanna hörte etwas und ging hinter einigen Bäumen in Deckung.
„Morgentau, komm her“, rief sie, als oben am Abhang ein Ritter auf einem schwarzen Streitross erschien.
„Jetzt hab ich dich“, rief der Schwarze Ritter.
Er legte langsam einen Pfeil ein.
Johanna nahm Morgentau am Zügel und zog sie mit sich zu eine Gruppe Birken auf der anderen Seite des Flusses.
Das einzig Gute war jetzt, dass der Schwarze Ritter nicht so leicht runterkommen konnte, ohne sich auch zu verletzen. Er trug einen schwarzen Helm, mit Vollvisier, sodass Johanna sein Gesicht nicht erkennen konnte.
Der Schwarze Ritter schoss einen weiteren Pfeil auf sie ab, der durch die Äste etwas abgelenkt wurde und im Boden keinen Meter von Johanna entfernt stecken blieb.
Ihr Bein tat immer mehr weh, trotzdem zog sie Morgentau mit sich. Weiter hinten weitete sich das Flusstal und sie würde besseren Schutz vor den Pfeilen des Schwarzen Ritters finden. Dort angekommen griff Johanna nach dem Horn an der Satteltasche, doch das hatte sie beim Sturz verloren, genauso wie ihren Jagdbogen.
Mit zusammengebissenen Zähnen folge sie jetzt dem Bach und hoffte, dass sie da irgendwo auf der anderen Seite raufkommen würde, doch der Abhang war überall zu steil und überdies folgte ihr der Schwarze Ritter oben am Weg.
Johanna wurde angst und bange. Mit einer verletzten Morgentau hatte sie keine Chance gegen den Schwarzen Ritter.
„Gib auf“, rief der Schwarze Ritter. „Du kannst mir nicht entkommen.“
„Du hinterhältiger Feigling“, rief Johanna. „Von hinten einen Pfeil abzuschießen ist unehrenhaft.“
Johannas Fuß tat sehr weh und auch Morgentau wollte nicht mehr weitergehen. Es war noch immer bitterkalt und die Bäume warfen schon lange Schatten. Der Abhang fast zehn Meter hoch und sie sah nirgends auch nur eine Chance, da raufzuklettern.
„Wenn du nicht raufkommst, muss ich runterkommen und dich holen“, rief der Schwarze Ritter und stieg ab.
Johanna sah, dass er ein Seil an einem Baum festknüpfte und daran zog, um zu überprüfen, ob der Knoten fest war.
„Hilfe!“, rief Johanna so laut sie konnte.
Plötzlich ließ der Schwarze Ritter sein Seil los, rannte zu seinem Pferd und stieg auf.
Johanna hörte schnell lauter werdendes Hufgetrappel.
„Hab ich dich, du Schurke“, rief Gottfried und stürmte mit erhobenem Schwert auf den Schwarzen Ritter zu.
Johanna hörte Schwerter klirren. Gottfried fluchte und dann konnte sie nichts mehr von den beiden sehen.
Als Nächstes sah sie Gottfried in vollem Galopp vorbeireiten und der Schwarze Ritter verfolgte ihn.
Johanna wurde bange ums Herz, denn der Schwarze Ritter war viel größer und stärker als Gottfried, doch dann tat ihr Bruder zum Glück etwas sehr kluges. Er griff im Reiten zu seinem Jagdhorn und blies mit Leibeskräften hinein. „Tra trööö“, hallte es von den Bäumen auf der anderen Seite der kleinen Schlucht wieder. Gottfried blies erneuert in sein Horn und da antwortete eines ganz nahe. Kurz darauf noch ein Zweites, dann ein Drittes, weiter entfernt.
Jetzt sah Johanna den Schwarzen Ritter in die andere Richtung davonreiten. Kurze Zeit später war Gottfried zur Stelle und hinter ihm Rolf, sowie ein Knappe.
„Dieser Feigling“, rief Rolf. „Er ist geflohen.“
Dann bemerkte er Johanna, die sich hinkend hinter den Bäumen hervorwagte.
„Mein Fuß tut so weh“, jammerte sie „und Morgentau hat sich ebenfalls verletzt.“
Gottfried kletterte hinunter. Johanna umarmte ihn froh und ließ sich dann von ihm am Seil hinaufziehen. Sie bemerkte, dass sein Arm blutete.
„Was ist das?“
„Ach nur ein Kratzer“, sprach er und betrachtete seinen zerschnittenen Ärmel. „Der Schwarze Ritter ist ein gefährlicher Gegner.“ Nun kamen auch alle anderen Ritter herbei geritten und versammelten sich um sie.
„Morgentau muss auch herauf“, sagte Johanna nun. Ihr Pferd stand da unten ganz alleine auf dem Eis und blickte sie traurig an.
Rolf stieg am Seil hinunter und führte Morgentau langsam den Bach entlang, bis der Abhang so flach war, dass sie hinaufgehen konnten. Es wurde schnell dunkel und bitterkalt. Ihre Brüder ritten aus, um einen Platz für die Nacht zu suchen, während Johanna Morgentaus geschwollene Fessel untersuchte. Zum Glück schien das Gelenk nur verstaucht zu sein. Der Mond stand bereits halb am Himmel, als sie endlich die Hütte eines alten Holzfällers fanden. Der alte Mann war erschrocken, als acht Ritter in der Dunkelheit vor seiner Hütte standen.
Johanna konnte inzwischen überhaupt nicht mehr gehen und ihre Brüder mussten sie in die Hütte tragen. Die Frau des Holzfällers machte ihnen eine warme Suppe und Johanna sowie Morgentau einen Verband aus Kräutern. Johanna schlief zwischen Rolf und Gottfried auf einem Strohhaufen und dankte Gott, dass sie so tapfere und starke Brüder hatte.