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Die Ritterin Johanna (Teil 4)
Johanna bringt Ritter Siegbert Manieren bei
Johanna lebte als Geisel auf der Burg von Ritter Siegbert. Siegbert von Donnerstein lag nämlich in einer Fehde mit Johannas Vater, dem Herzog von Gravenstein. Schuld an der Fehde waren ja Johannas Brüder gewesen, die den Ritter Siegbert zuerst beleidigt und dann seine Burg angegriffen hatten.
Dabei hatten sie sich jedoch so dumm angestellt, dass sie im Kerker von Ritter Siegbert gelandet waren. Erst Johanna hatte sie da rausgeholt. Allerdings war sie jetzt die Geisel von Siegbert und musste auf Donnerstein bleiben. Immerhin konnte sie sich frei bewegen und hatte viel Spaß mit dem Burgfräulein Wilma. Nur mit ihrem Pferd Morgentau reiten gehen durfte sie nicht. Das störte sie mittlerweile sehr.
Sie hatte den Ritter Siegbert schon darum gebeten, doch die Fehde zu beenden und sie nach Hause zu lassen, doch das wollte er nicht. Er fürchtete die Rache von Johannas Brüdern. Wenn er Johanna freiließ, würden sie womöglich wieder seine Burg angreifen. Johanna zerbrach sich also den ganzen Tag den Kopf, was sie anstellen sollte, um die Fehde zu beenden, damit Siegbert sie wieder nach Hause ließ.
Am Samstagabend gab es ein Festessen im großen Saal. Viele Ritter und Burgfräuleins saßen an der Tafel und ließen sich Fleisch und Bier schmecken. Johanna wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und achtete darauf, sich nicht anzupatzen. Nicht so jedoch der Ritter Siegbert. Er warf das Essen neben seinen Teller, rülpste nach jedem Schluck Bier, furzte und wischte sich die fettigen Hände an seiner Hose ab.
„Eure Tischmanieren sind, wie soll ich es sagen, etwas roh“, wollte Johanna sagen, doch Ritter Siegbert erzählte schon lautstark von den vielen gewonnenen Ritterturnieren und dem Bären, den er mit bloßen Händen erwürgt hatte.
Das konnte sich Johanna kaum vorstellen und vermutete, dass Ritter Siegbert da kräftig übertrieb.
Schließlich erzählte ein Ritter vom Burgfräulein Angelika. Hübsch und lieblich sei sie, aber mit einem kalten Herzen. Zumindest dem Ritter Siegbert gegenüber
„Meint ihr womöglich meine Cousine Angelika von Ulrichsberg? Deren Herz ist gewiss nicht kalt. Sie hat ein fröhliches Gemüt. Als wir Kinder waren, haben wir viel zusammen gespielt.“
„Ach, das ist Eure Cousine“, sagte Ritter Siegbert und wurde auf einmal traurig.
„Johanna, Ihr müsst nämlich wissen“, lachte der Ritter neben Siegbert, „dass Siegbert sie gerne zur Frau haben möchte. Sie war sogar schon einmal bei ihm zu Gast. Doch seither will sie nichts mehr von Siegbert wissen. Das hat ihn schwer getroffen.“
„Ach was“, sagte Siegbert unwirsch. „Wer kann die Launen einer Frau einschätzen. Wir saßen alle so lustig zusammen, als sie plötzlich aufbrach und hastig die Burg verließ.“ Der Ritter Siegbert trank einen großen Schluck Bier. Dann rülpste und furzte er kräftig. Johanna beugte sich weit weg, um dem Gestank zu entkommen.
„Oh ja“, sagte Johanna, „ich glaube, ich weiß, warum sie gegangen ist. Aber jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss ins Bett.“
Johanna war beinahe aus dem Festsaal gegangen, als Siegbert rief.
„Was hast du soeben gesagt?“
„Dass ich ins Bett gehen möchte.“
„Nein, das zuvor.“
„Ach das war nichts.“
„Sag es noch einmal. Ich bestehe darauf.“ Ritter Siegbert war aufgestanden und ging ihr nach.
„Oh“, sagte Johanna, „ich sagte, ich kann mir vorstellen, was Burgfräulein Angelika hier abgeschreckt hat.“
„Erzähl mir, was dem edlen Burgfräulein Angelika an mir nicht gefallen könnte. Komm zurück zum Tisch.“ Ritter Siegbert nahm Johannas Hand und wollte sie zum Tisch zurückziehen.
„Als erstes“, sagte Johanna scharf, „musst du lernen die Wünsche einer Frau zu respektieren. Und jetzt würde ich gerne schlafen. Es sind viele Dinge, die du ändern müsstest, damit sich Angelika hier wohl fühlt. Aber das erzähle ich dir morgen nach dem Frühstück.“
„Meinetwegen“, brummte Siegbert und ließ Johanna los.
Am nächsten Tag erwartete Ritter Siegbert Johanna schon in der großen Halle. Am Boden stand noch eine Pfütze ausgelaufenen Bieres und die Luft war stickig, weil niemand gelüftet hatte. Johanna machte alle Fenster auf und rief dann eine Magd, um mit ihr aufzuräumen.
„Angelika“, sagte sie dann zu Ritter Siegbert, „mag es nicht, wenn alles schmutzig ist. Furzen und Rülpsen hasst sie noch mehr als Unordnung. Es fehlt dir einfach an Manieren, um sie zu beeindrucken.“
„Manieren?“, fragte Siegbert. „Davon habe ich ja noch nie gehört.“
„Das ist feines Benehmen“, erklärte Johanna. „Man wischt seine Hände immer an einer Serviette ab und nicht an der Hose. Man brüllt weder herum, noch furzt oder rülpst man in Gesellschaft einer Frau. Und die Knochen werden auf das Teller gelegt und nicht nach hinten geschmissen.“ Johanna bückte sich, hob einen halb abgenagten Knochen auf und legte ihn auf das Teller der Magd.
„So ein Blödsinn“, sagte Ritter Siegbert. „Ich gehe jetzt auf die Jagd und erlege einen Bären. Da hätte ich ja überhaupt keine Freude mehr am Essen, wenn ich nicht furzen und rülpsen dürfte.“
Am Abend kam Ritter Siegbert tatsächlich mit einem Bären nach Hause. Das gab einen köstlichen Braten. Johanna bemerkte, dass Ritter Siegbert viel weniger furzte und sich auch die Hände nicht mehr an der Hose, sondern an einer Serviette abwischte.
Schließlich fragte er Johanna, was er noch tun sollte, um das Herz der schönen Angelika zu gewinnen.
„Wenn ich dir meine Ratschläge geben soll, dann musst du mir zuerst versprechen, dass du alles genauso tust, wie ich es sage. Nur dann wirst du ihr Herz gewinnen.“
Ritter Siegberts Mundwinkel schossen nach oben.
„Beginne. Ich verspreche dir bei meiner Ehre als Ritter, alle Ratschläge zu befolgen.“
„Zuallererst“, begann Johanna, „musst du dich rasieren und nach einem Schneider schicken. Du benötigst neue Kleider. Die Kleider werden jede Woche gewaschen und du auch.“
„Jede Woche?“, fragte Ritter Siegbert, der sich bis dahin höchstens einmal pro Jahr gewaschen hatte.
„Jede Woche und immer bevor du Angelika triffst.“
Der Ritter Siegbert verzog bestürzt das Gesicht.
„Außerdem darfst du in Gegenwart einer Dame folgende Dinge nicht mehr tun: Dich am Hintern kratzen, auf den Boden spucken, Bier verschütten, Knochen durch den Raum werfen und mit schmutzigen Händen essen. Schlürfen und Schmatzen ist dabei auch verboten und den Mund wischst du dir nach jedem Gang mit einer Serviette ab. Wenn du das kannst, dann werden wir zum nächsten Schritt kommen.“
Ritter Siegbert übte die ganze Woche feine Manieren. Johanna musste ihn immer wieder ermahnen.
„Jetzt hast du schon wieder gefurzt“, sagte sie am Freitag Abend. „So wird das nie was.“
„Entschuldigung“, murmelte Ritter Siegbert verlegen und wischte seinen Mund mit einer Serviette ab.
„Schon besser. Nun kommen wir zum nächsten Schritt. Du musst Angelika eine Einladung von mir überbringen. Ich möchte, dass sie mich besucht.“
So schickte Johanna einen Brief zu Angelika, in dem sie diese bat, doch einige Tage nach Burg Donnerfels zu kommen, da sie dort sehr einsam sei.
Ritter Siegbert befahl sie, für den Besuch von Angelika ein schönes Zimmer vorzubereiten und am Abend ein großes Festmahl zu geben.
„Überlass das Sprechen mir. Sitz nur da und zeige deine Manieren. Versuche weder mit ihr ins Gespräch zu kommen noch sie zu irgend etwas einzuladen. Begrüße sie höflich, aber dann tu einfach so, als sei sie gar nicht da.“ Ritter Siegbert nickte eifrig, doch als es dann so weit war und Angelika neben Johanna an der Tafel saß, starrte er sie die ganze Zeit an.
Johannas Cousine war ein sehr hübsches Burgfräulein. Ihre langen blonden Haare fielen in großen Locken über ihr Gesicht und die Augen waren groß und himmelblau. Johanna mit ihren glatten schwarzen Haaren und ihren kleinen haselnussbraunen Augen kam sich dagegen recht unscheinbar vor.
„Warum starrt mich Siegbert nur so an? Ist mein silberner Haarreif verrutscht?“, flüsterte Angelika.
„Sicher gilt sein Blick mir und nicht dir. Vermutlich will er darüber sprechen, wie wir die Fehde zwischen unseren Familien bald beenden“, antwortete Johanna. Damit schlüpfte sie zu Ritter Siegbert und befahl ihm, sich zu unterhalten und nicht mehr Angelika anzustarren.
„Ich kann aber nicht anders“, sagte Siegbert.
„Dann reiß dich zusammen. Du bist ein Ritter, kein gaffender Bauer.“ Ritter Siegbert sah ein letztes Mal zu Angelika und begann dann, seinem Nachbarn noch einmal von der letzten Bärenjagd zu berichten. Johanna ging wieder zu Angelika
„Ritter Siegbert ist ein gar prächtiger Ritter. Viele Burgfräuleins würden gerne seine Frau werden. Schade, dass ich bald wieder von Donnerfels weg gehen werde.“
Da sah auch Angelika schüchtern zu Siegbert und musste feststellen, dass er tatsächlich einen prächtigen roten Rock trug und seine Tischmanieren besser waren als die der anderen Ritter. Als Angelika am nächsten Tag wieder abreiste, gab ihr Johanna eine versiegelte Nachricht an ihren Vater mit.
„Lieber Vater“, stand darin, „Ritter Siegbert möchte Angelika von Ulrichsberg heiraten. Sorge du dafür, dass die Hochzeit statt findet und dass Angelikas Vater meine Freilassung als Bedingung für die Hochzeit stellt. So hoffe ich, dich bald wieder zu sehen. Grüße Mama und meine Brüder recht herzlich und ermahne Harald, dass er nicht so jähzornig ist. Deine Johanna.“
Nun ging Johanna zu Ritter Siegbert.
„Warum ist sie wieder abgereist? Ich wollte doch mit ihr reden und mit ihr zusammen sein. Ich weiß wirklich nicht, ob dein Plan funktioniert“, begrüßte sie Siegbert entrüstet.
„Vertrau mir nur. Ich habe bereits einen Brief für dich an Angelika verfasst. Er enthält ein Liebesgedicht in dem du ihre Schönheit und ihren Anmut rühmst.“
Ritter Siegbert las den Brief durch.
„Ein schönes Gedicht“, sagte er. „ Das hätte ich nie gekonnt.“
„Und nun setz deinen Namen darunter, damit Angelika denkt, du hättest ihn geschrieben.“
Schon am übernächsten Tag kam Angelikas Antwort. Sie war sehr erfreut über den Brief und hoffte auf weitere Gedichte. Johanna schickte nun weitere Gedichte und Angelika schrieb wieder einen sehr netten Briefe zurück.
„Mir dauert das Ganze zu lange. Schreib, dass ich sie heiraten möchte“, sagte Ritter Siegbert, als er ihren letzten Brief las.
„So einfach schreiben, kann ich das nicht. Dazu müssen wir uns etwas Besonderes einfallen lassen.“ Johanna dachte nach.
„Du kannst doch die Laute spielen und singen. Vielleicht kannst du sie damit beeindrucken. Los hol dein Instrument und sing mir ein Lied vor.“
Der Ritter Siegbert holte seine Laute. Sie war schon lange nicht mehr gestimmt worden. Er zupfte daran und begann zu singen.
„Stop sagte Johanna. Das mit dem Singen geht ja schon ganz gut, aber deine Laute klingt schrecklich. Probieren wir es mal mit meiner Leier.“
Johanna holte ihre Leier und spielte zum Gesang von Ritter Siegbert.
„So klingt es viel besser. Am besten schreibe ich ein Gedicht, mit einigen Andeutungen, dass du ihr bald deine Aufwartung machen wirst und dann werden wir ihr am Abend einen Überraschungsbesuch machen. Ich weiß ja, wo ihre Kammer liegt.“
„Eine gute Idee, doch du kannst nicht mitkommen. Sag mir, wo ihre Kammer ist und einer meiner Ritter wird mich auf seiner Leier begleiten. Du bist meine Geisel und wirst mir sicher davon reiten, wenn wir erst draußen sind.“
„Das werde ich nicht“, antwortete Johanna. „Ich gebe dir mein Ehrenwort als Ritterin. Und überdies solltest du endlich mit dieser dummen Fehde aufhören.“
Der Ritter Siegbert blieb jedoch misstrauisch und so kamen drei weitere Ritter mit, deren einzige Aufgabe war, Johanna zu bewachen.
Nach einem langen und anstrengenden Ritt erreichten sie die Burg Babenberg. Die Sonne versank hinter den bewaldeten Hügeln und Grillen zirpten.
Johanna zeigte auf einen der unzähligen Türme.
„Dort oben sitzt sie um diese Zeit meist und manchmal summt sie sogar ein Lied. Sei still und höre zu.“
„Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb, sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief“, ertönte eine leise Melodie zu ihnen herunter.
Johanna schlug ein paar Takte auf ihrer Leier.
„Jetzt du. Aber beginne leise, sonst erschrickt sie.“
Und der Ritter Siegbert konnte tatsächlich leise beginnen und zu Johannas Überraschung sang er ein vortreffliches Ständchen. Angelika streckte ihren Kopf heraus und klatschte begeistert in ihre Hände.
„Noch einmal bitte“, rief sie. Ritter Siegbert und Johanna spielten ein anderes Lied und dann noch eines und noch eines, bis es dunkel geworden war. Dann endlich hatte Angelika genug.
„Angelika“, sang Ritter Kunibert schließlich, „würdest du meine Gemahlin werden.“
„Ach nur zu gerne“, sang Angelika zurück. „Aber zuvor frage meinen Vater. Kommt Morgen zur Mittagsstunde wieder und haltet um meine Hand an.“
So ritten sie alle zurück zur Burg Donnerstein und am nächsten Tag zog Siegbert mit großem Gefolge los, um bei Angelikas Vater um ihre Hand anzuhalten.
Johanna war den ganzen Tag über ungeduldig. Das Burgfräulein Wilma fragte sie immer wieder, was los war, doch Johanna wollte nichts von ihren geheimen Plänen verraten. Die Zeit schien so langsam zu vergehen. Erst als die Sonne schon untergegangen war, erschein Ritter Siegbert wieder vor seiner Burg. Johanna erwartete ihn hinter den Wachen an der Zugbrücke.
Der Ritter Siegbert sah sie ernst an.
„Angelikas Vater hat Bedingungen gestellt“, sagte er. „Er wollte, dass die Geisel Johanna wieder zurück auf ihre Burg gehen kann.
Nein, habe ich ihm gesagt, das geht nicht.
Dann hat er gesagt, so lange Johanna auf deiner Burg gefangen sitzt, wird Angelika nicht deine Frau werden.
Darauf habe ich auf der Stelle kehrt gemacht.“ Er sprang vom Pferd.
„Holt sofort Johannas Pferd“, rief er einem Wächter zu und begann zu grinsen.
Dann drückte Ritter Siegbert die überraschte Johanna fest und sagte:
„Du sollst du keine Minute länger als Geisel hier verbringen und meiner Hochzeit im Wege stehen. Reite nach Hause.“
Johanna erwiderte seine Umarmung. Sie durfte doch noch bis am nächsten Morgen bleiben und begleitet von vielen Tränen, vor allem von Wilma ritt sie nach Hause, und versprach bald wieder zu kommen.
Auf Angelikas und Siegberts Hochzeit reichten sich Ritter Siegbert und Johannas Brüder die Hände und schworen feierlich die Unfehde. Ab nun herrschte wieder Friede und Johanna wurde ein oftmaliger und gerne gesehener Gast auf der Burg Donnerstein.