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Die Ritterin Johanna (Teil 3)
Die Ritterin Johanna rettet ihre Brüder
„Alle drei sind noch am Leben! Gott sei gedankt!“, rief Johannas Vater und umarmte sie. In seiner Hand hielt er eine aufgerollte Nachricht.
„Wer lebt? Etwa meine Brüder, die vom Angriff auf Siegberts Burg nicht zurückgekommen sind?“
„Sie sitzen in Siegberts Kerker. Harald und Rolf geht es sehr schlecht. Aber noch besteht Hoffnung.“
„Wann werden wir sie wiedersehen?“
Das Lachen im Gesicht des Herzogs von Grafenstein erstarb mit einem Mal. Er deutete auf die Nachricht.
„Siegbert, dieser Bösewicht, will Lösegeld. 1000 Goldtaler für jeden.“
„1000 Goldtaler? Haben wir überhaupt so viel Geld?“
Ihr Vater blickte Johanna ernst an.
„Wir werden nicht bezahlen. Wir werden Siegberts Burg stürmen und sie befreien.“
„Aber Vater! Gerade beim Angriff auf seine Burg wurden sie gefangen genommen! Wie sollen wir das besser machen?“
„Wir belagern sie. Wenn Siegbert ein Jahr nichts zu essen bekommt, wird er deine Brüder schon frei lassen. Ruf Gottfried und den Burghauptmann. Wir halten Kriegsrat.“
Johanna folgte ihrem grimmigen Vater nachdenklich in die große Ratshalle. Dort warteten schon Gottfried und der dicke Burghauptmann auf sie. Gottfried war als Einziger vom Angriff auf Ritter Siegberts Burg zurückgekehrt. Noch immer musste er einen Verband um seine Brust tragen.
„Siegberts Burg ist im Sturm nicht zu erobern“, berichtete Gottfried. „Wir versuchten in die Burg zu schleichen und die Ritter im Schlaf zu überfallen. Doch Siegberts Ritter zündeten jede Nacht Fackeln an und beobachteten die Felsen genau. Da kommt keiner ungesehen hinein.“
Ratlos schwiegen alle eine Weile.
„Dann müssen wir mit Siegbert verhandeln. Vielleicht gibt er sich mit weniger zufrieden. Ich werde gehen“, sagte Johanna schließlich. „Bevor ihr die Fehde mit ihm begonnen habt, war ich doch öfter auf seiner Burg. Er kennt mich und wird mit mir reden.“
„Kommt nicht in Frage“, erwiderten ihr Vater und Gottfried gleichzeitig.
„Ihr seid zwar alle starke Ritter und tapfere Kämpfer, doch zum Verhandeln benötigt man eine geschickte Zunge. Und die ist doch den Frauen gegeben und nicht euch Männern.“
Die drei Männer starrten sie mit offenem Mund an, denn darauf fiel ihnen keine Antwort ein.
Also ritt Johanna in Begleitung des Burghauptmanns auf ihrem Pferd Morgentau zur Burg von Siegbert. In einer Hand hielt sie eine Stange mit einer weisen Fahne als Zeichen, das sie verhandeln wollten. Zwei hohe steinerne Türme flankierten das große Tor. Es war verschlossen und davor befand sich ein tiefer Graben.
„Lasst die Zugbrücke runter“, rief Siegbert, nachdem er ein kleines Fenster neben dem Tor geöffnet hatte.
Ritter Siegbert trug seine glänzende Rüstung. Um ihn standen vier seiner Ritter ebenfalls in prächtigen Rüstungen. Einer nahm seinen Helm ab und blickte Johanna finster an. „Die hat also Siegbert in den Fluss gelockt“, flüsterte er seinen Kameraden zu.
Johanna und der Burghauptmann wurden in die große Ratshalle geführt. Neugierig betrachteten sie die Gemälde von Siegberts Vorfahren an der Wand.
„Das ist mein Ahnherr“, erklärte Siegbert und deutete auf einen imposanten Ritter in schwarzer Rüstung. „Er hat den Drachen getötet, der hier auf dem Donnerstein gelebt hat. Und daneben ist seine Gemahlin, die holde Isolde, die ihm drei Söhne gebar.“ Johanna bemerkte, dass Ritter Siegbert sehr stolz auf seine Vorfahren war.
Schließlich erreichten sie das letzte Bild. Ein dunkelhaariger Ritter in glänzender Rüstung mit einem langen Schnurbart blickte auf sie herab.
„Das ist mein lieber Vater, Kunibert von Donnerstein mit seiner Gemahlin Elisabeth. Mein Vater liebte sie sehr, doch leider verstarb sie bei meiner Geburt im Wochenbett.“
„Das tut mir sehr leid“, sagte Johanna taktvoll. „Aber nun wollen wir über meine drei Brüder verhandeln. Sie haben sicherlich schon genug gelitten.“
„Ja“, sagte der Hauptmann. „Gebt sie frei, oder wir legen die Burg in Schutt und Asche.“
„Ha, dass ich nicht lache. Meine Armbrustschützen, werden Euch abschießen, wie die Tauben.“
„Ihr werdet eure Großmäuligkeit vergessen, wenn Euch Wasser und Brot ausgegangen sind und Ihr die Ratten fresst.“
Johanna sprang zwischen den erbosten Burghauptmann und Ritter Siegbert.
„Lasst uns vernünftig reden“, sagte sie, doch der Ritter Siegbert war noch immer wütend.
„Unrecht haben sie getan. Sie haben mich geschmäht und meine Burg angegriffen. Nun sollen sie’s lernen, was es heißt, den Ritter Siegbert zum Feind zu haben.“
„Aber Ritter Siegbert“, sagte Johanna und nahm seine zornig erhobene Hand. „Lasst uns erst zu Tisch setzen. Ich weiß wohl, wie es sich zugetragen hat, dass die Fehde begann, doch bedenkt, die jugendliche Unbekümmertheit meiner Brüder. Sie waren gewiss betrunken und da denkt der Mann nun mal nicht sehr weit. So erweist Euch als großzügig. Sie haben lang genug in Eurem Kerker geschmachtet. Gewiss werden sie Eure Milde zu würdigen wissen.“
Da setzte sich der Ritter Siegbert und ließ Wein bringen. Nach einem kräftigen Schluck sagte er bedächtig:
„Ich würde sie wohl um einen geringen Preis freilassen, wenn ich nur sicher sein könnte, dass sie nicht am nächsten Tag mit noch mehr Rittern vor meiner Burg stünden. So hitzköpfig, wie deine Brüder sind, werden sie noch eine Weile brauchen, bis sich ihr Mütchen abkühlt. Und falls sie auf Rache sinnen, will ich gewappnet sein. Ihr wisst selbst, dass der Unterhalt für eine Ritterburg sehr teuer ist. Wenn Ihr mir Euer Geld gebt, so ist das doppelt wirkungsvoll. Einerseits habe ich mehr Geld für die Ausrüstung meiner Ritter und Ihr kommt nicht so leicht auf die Idee, eine neue Armee aufzustellen.“
„Gewiss“, sagte Johanna, „ist Euer Einwand berechtigt, doch wenn die Lösegeldforderung so ungerecht hoch ist, so wird der Groll meiner Brüder und meines Vaters lange anhalten. Wenn sie wissen, wie viel Geld auf euerer Burg versteckt ist, werden sie nicht nur auf Rache sinnen, sondern auch hoffen, das Geld wieder zurückzuerobern. Besser wär es, wenn kein einziges unserer Goldstücke den Weg zu Eurer Burg findet, sodass es keinen Grund für sie gibt, wieder hierher zu kommen.“
„Nur“, setzte Siegbert wieder an, „wenn ich Euch das Lösegeld erlassen würde, wer garantiert mir, dass sie nicht morgen wieder vor meinen Toren stehen, und meine Burg belagern, bis wir alle vor Hunger zu schwach sind um zu kämpfen?“
„Es gilt wohl das Ritterehrenwort.“
„Ja, das gilt, aber nicht wenige haben es gebrochen. Wenn auch ich mich ehrenvoll daran halte, was nützt’s, wenn die Burg von deinen Brüdern niedergebrannt wird. Auch wenn Ihr selbst ehrenvoll sprecht, werdet Ihr sie, wenn sie erst der Rachedurst packt, nicht aufhalten können. Solange sie aber in meinem Kerker sitzen, bin ich vor ihnen sicher.“
„Würdet Ihr mich mit ihnen sprechen lassen?“, fragte Johanna. „Gewiss werden sie Euch ihr Ritterehrenwort geben, dass sie niemals wieder eure Burg angreifen. Und wenn Ihr es wünscht, so unterzeichnen wir eine feierliche Vereinbarung mit dem König als Zeugen.“
„Sprecht erst mal mit ihnen“, schlug Siegbert vor, „aber noch sind die Verhandlungen nicht zu Ende.“
Damit geleitete er Johanna zu ihren Brüdern in den Kerker.
„Oh welch Unglück“, begrüßte sie ihr Bruder Harald. „Jetzt hat Siegbert unsere Schwester auch noch gefangen.“
„Mein lieber Bruder“, lachte Johanna, „glaubst du, ich ließe mich so leicht fangen wie du. Nein, ich bin gekommen, um mit Siegbert zu verhandeln. Ich bitte Euch, schwört ihm, dass Ihr in Zukunft Frieden haltet, so wird er Euch leichter ziehen lassen.“
„Niemals“, schrie Harald erregt und deutete auf seinen Beinstumpf. „Sieh, was passiert ist. Der Medicus musste mir das Bein abnehmen, weil es sich entzündet hat.“
Rolf lag bewusstlos mit hohem Fieber auf dem Lager. Eine Wunde an der Schulter hatte sich entzündet und drohte den ganzen Körper zu vergiften. Johanna rief seinen Namen, doch er reagierte nicht.
„Der Medicus auf unserer Burg könnte ihn retten“, sagte Geiserich. „Doch die Zeit drängt. Es geht ihm von Tag zu Tag schlechter. Wenn’s nach mir ginge, so schwöre ich Siegbert ewigen Frieden. Ich sehe ein, dass wir nicht ganz unschuldig an dieser Fehde sind.“
„Sei ruhig, du Feigling!“, schrie ihn Harald erbost an.
„Du Dummkopf!“, brüllte Geiserich zurück. „Ist dir nicht schon ein Bein verloren gegangen, so willst du es solange probieren, bis dein Kopf auch noch ab ist.“
„Siegbert hat recht!“, schrie Johanna Harald wütend an. “Du würdest sogar deinen Bruder sterben lassen, nur damit du Rache üben kannst. Du hättest es wohl verdient, für den Rest deines Lebens in diesem Kerker zu bleiben.“
„Wie konnte mein Vater nur dich schicken“, schrie Harald erbost zurück. „Lieber ehrenvoll sterben als ein Leben lang als Feigling gebranntmarkt sein.“
Johanna schlug wütend die Tür hinter sich zu.
„Ihr habt recht“, sagte Johanna zu Siegbert. „Zumindest was meinen Bruder Harald angeht. Am liebsten ließe ich ihn für Jahre in Eurem Kerker. Doch leider wäre damit der Friede zwischen uns nicht möglich. Darum bitte ich Euch um Milde. Nehmt das ehrenwerte Versprechen aller an, Frieden zu halten. Auch mein Bruder Harald wird es leisten und wenn nicht, so soll er weiter in Eurem Kerker schmachten. Aber verringert das Lösegeld, sodass wir euren guten Willen erkennen können.“
„Das Geld könnten wir gut gebrauchen“, mahnte einer von Siegberts Rittern.
„Doch wenn Ihr sicheren Frieden mit Grafenstein habt, dann müsstet Ihr weniger Geld für eure Verteidigung ausgeben. Und so hätten wir alle mehr“, warf Johanna ein.
„Sicherlicht habt Ihr Recht“, sagte Siegbert. „Aber ich benötige ein Unterpfand. Als Zeichen meines guten Willens will ich zwei von deinen drei Brüdern ziehen lassen. Aber der Dritte soll hier bei mir bleiben. Und seid versichert, sobald eine Grafensteiner Armee die Enns überschreitet, werfe ich ihn vom höchsten Turm hinunter.“
Johanna dachte nach. Rolf konnte sie unmöglich zurücklassen. Bliebe Harald hier, dann würde sich sein Zorn weiter steigern und sicherlich gab er Siegbert immer wieder Grund, ihn weiter festzuhalten. Ließe sie allerdings Geiserich zurück, wer weiß, ob Harald nicht alle anderen überreden konnte, doch einen Angriff zu wagen und dabei Geiserichs Leben aufs Spiel zu setzen.
„Lasst mich und den Burghauptmann zur Beratung zurückziehen“, sprach Johanna.
In einer Kammer beratschlagten sie Stunde um Stunde, aber ihnen fiel nichts ein. Inzwischen war es dunkel geworden.
Siegbert lud sie ein, in seiner Burg zu übernachten. Ein Burgfräulein namens Wilma brachte Johanna in ein hübsch eingerichtetes Turmzimmer.
„Ritter Siegbert hat mir aufgetragen, es Euch an nichts fehlen zu lassen“, sagte sie.
„Er ist ein stattlicher Ritter und schon seit langem auf der Suche nach einer Frau. Könnte es sein, dass Ihr seine Auserwählte seid?“
Johanna lachte lauthals auf.
„Ich? Nein, ich bin die Abgesandte von Burg Grafenstein und möchte einen Friedensvertrag ausmachen.“
„Eine Frau als Gesandte. So was hat es doch noch nie gegeben“, sagte das Burgfräulein erstaunt.
Johanna wälzte sich die ganze Nacht hin und her. Wer sollte bei Siegbert zurückbleiben?
Als der Morgen graute, war ihr noch immer keine Lösung eingefallen.
Das Burgfräulein Wilma führte sie zum großen Ratsaal, wo Siegbert sie zum Frühstück geladen hatte, und schwatzte dabei ununterbrochen.
„Eigentlich dachte ich, wollte Siegbert um eure Cousine, Angelika von Babenberg werben. Er hat sogar ein Gemälde von ihr in seinem Schlafzimmer. Alle Burgfräuleins rätseln, warum er ihr nicht einen Antrag gemacht hat. Ich glaube ja, dass er zwar ein starker Ritter ist, doch in Gegenwart von Frauen wird er sehr schüchtern. Kein Wunder, er hat weder Schwester noch Mutter gehabt. Wie soll er auch wissen, wie man sich in Gegenwart einer Dame benimmt.“
Johanna achtete kaum auf ihre Rede, denn sie wusste noch immer nicht, was sie Siegbert sagen sollte.
Darum wollte ihr das Frühstück dann auch nicht schmecken. Doch als Siegbert fertig war und laut rülpste, hatte sie einen Einfall:
„Ich habe einen Vorschlag, den wir gestern noch nicht erörtert haben, und den ich Euch zu Eurem und unserem Wohle bitte, anzunehmen. Es wäre nicht klug, einen einzigen meiner Brüder hier alleine zurückzulassen. Deshalb will ich bleiben.“
„Kommt nicht in Frage!“ Der Grafensteiner Burghauptmann sprang auf „Johanna, dein Vater würde mir das nie verzeihen.“
„Richtet meinem Vater aus, dass ich alle drei befreit habe und dass ich schon mit Ritter Siegbert alles Weitere regeln werde“, befahl Johanna.
„Allerdings muss mir Ritter Siegbert sein Ehrenwort geben, dass ich hier behandelt werde, wie es sich für einen Gast geziemt.“
Ritter Siegbert starrte sie genauso überrascht an, wie der Burghauptmann.
„Ihr wolltet doch sicher gehen, dass niemand von meiner Familie Eure Burg angreift. Wenn ich hier bin, seid ihr am sichersten. Mein Vater würde es niemals zulassen, dass mir hier ein Leid geschieht.“
„Nun ja“, sagte Siegbert und überlegte.
Dann sprang er auf und gab sein Ritterehrenwort. „Da seid Ihr mir ja tausendmal lieber hier als Eure rüpelhaften Brüder.“
Kurze Zeit später verließen ihre drei Brüder mit dem Grafensteiner Burghauptmann Burg Donnerfels. Rolf lag fiebernd auf einem von zwei Pferden gezogenen Wagen und Johanna wäre am liebsten mit ihm gefahren, um seine Wunden zu pflegen.
„Und sagt Vater, dass er nicht wütend sein soll“, sprach sie zu Geiserich, als er an ihr vorbeiritt.
Geiserich stieg ab und umarmte sie kurz
„Hast du gut gemacht“, sagte er und gab ihr einen Abschiedskuss.
„Wehe ihr krümmt ihr nur ein Haar“, schnaufte der Burghauptmann im vorbeireiten.
Als Johanna sie so den Weg hinunterziehen sah, wurde sie sehr traurig und dachte, ob sie wohl das Richtige getan hatte. Würde sie hier Freunde finden und wann konnte sie wieder zu ihren Eltern zurückkehren?
Doch dann kam das Burgfräulein Wilma und zeigte ihr wie man mit der Leier spielte. Gemeinsam machten sie den ganzen Tag Musik und Johanna war froh, eine so liebe Freundin gewonnen zu haben.