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Die Ritterin Johanna (Teil 1)
Die Ritterin Johanna: Eine Falle für Ritter Siegbert (Teil 1)
Eine Falle für Ritter Siegbert
Der Kopf des Ritters Siegbert war hochrot. Seine schlaffen Wangen und sein Doppelkinn bebten vor Zorn.
„Das, das, …“, stotterte er, und brachte vor lauter Wut kein Wort heraus.
„Das werdet ihr noch bereuen.“ Er zerrte an seinem ledernen Handschuh, vermochte ihn aber nicht sofort auszuziehen.
Die vier Brüder lachten laut auf und klopften sich auf die Schenkel.
„Schweinskopf“, wiederholte Harald von Grafenstein, der Älteste der Vier seine Beleidigung. Ritter Siegbert schaffte es endlich den Handschuh von seiner Hand zu lösen und warf ihn Harald mitten ins Gesicht.
Für einen Moment verging Harald das Lachen, denn der Handschuh war mit metallenen Nieten verstärkt.
„Packen wir ihn, rief er seinen Brüdern zu.“ Geiserich, der zweitälteste, sprang sofort mit erhobenen Fäusten auf Siegbert zu. Zwar war Siegbert kräftiger als der breit gebaute Harald, doch gegen vier junge Ritter hatte selbst er keine Chance. Darum drehte er sich ohne ein weiteres Wort um, und rannte aus dem Zelt. „Feigling, Feigling“, riefen die vier Brüder dem davonreitenden Ritter nach. „Verkriech dich nur in deiner Burg. Morgen kommen wir und brennen sie nieder.“
Johanna stand wütend neben ihrem Vater, dem Herzog von Grafenstein.
„Was habt ihr nur getan? Das ist doch kein Spiel“, schrie sie ihre Brüder an.
Harald, Geiserich, Rolf und Gottfried standen in ihren glänzenden Rüstungen vor dem Herzog und forderten lautstark Unterstützung für den Angriff auf Siegberts Burg.
„Lass uns schnell losreiten, Vater“, rief Harald, der vor Aufregung ganz rot im Gesicht war. „Siegbert hat nur wenig Ritter bei sich. Wenn alle unsere Ritter mitreiten, erobern wir die Burg morgen im Sturm.“
„Das ist niederträchtig“, rief Johanna und hätte ihrem großen Bruder am liebsten eine Ohrfeige verpasst. „Du hast Ritter Siegbert ohne Grund zu einer Fehde provoziert. Er ist zwar nicht sehr mächtig, doch er hat Freunde, die ihm vielleicht zu Hilfe eilen.“
„Vater, hör doch nicht auf sie. Was weiß sie schon vom Kämpfen? Sie ist doch eine Frau“, erwiderte Geiserich. „Wir werden Siegberts Burg stürmen und dann wird ihm niemand mehr helfen wollen.“
„Ich kenne Siegberts Burg, weil ich immer bis zu ihr reite und dann innerhalb eines Tages zurück bin. Etwas, das ihr übrigens nie schafft“, konterte Johanna und ließ ihren alten Vater gar nicht zu Wort kommen. „Zur Burg führt ein einziger schmaler Weg hinauf. Auch wenn Siegbert nicht viele Ritter hat, so kann er die Burg bestens verteidigen.“
„Liebe, kleine Schwester, du bist ein Angsthase“, sagte Rolf. „Wir werden die Burg erobern und dir eine Menge Schätze mitbringen. Aber jetzt störe nicht unsere Beratung.“
„Nein“, rief Johanna. „Ich bin kein kleines Mädchen mehr, das vor allem Angst hat. Ich weiß auch, dass ihr den armen Siegbert beim Turnier so lange geärgert habt, bis er den Fehdehandschuh geworfen hat.“
„Ruhe!“, rief ihr Vater.
„Ihr habt lange genug gestritten. Hört zu, was ich entschieden habe: Johanna, du hast natürlich recht. Aber Siegbert hat den Fehdehandschuh geworfen. Nun verlangt es die Ehre, dass wir kämpfen. Da deine Brüder alle groß und stark sind, sollen sie ausziehen und die Burg von Siegbert erobern, bevor er unsere Länder verwüstet. Ich werde mit ihnen meine besten Ritter aussenden. Harald, du bist der Anführer: Handle klug und versuche einen schnellen Sieg zu erringen.“
„Pah, Ehre, was heißt das schon“, rief Johanna wütend und stapfte davon, während ihre Brüder hinaus rannten und die anderen Ritter zusammen riefen.
Johanna ging zum Stall und ließ Morgentau satteln. Das schnellste Pferd der Burg, ganz besonders, wenn es von Johanna geritten wurde. Auf dem Pferd jagte sie schnell wie der Wind über das Land. An der großen Brücke über die Enns erwartete sie ihre Brüder. Die Ritter in ihren schweren Rüstungen waren bei weitem nicht so schnell wie die leichte Johanna auf Morgentau.
Auf den Helmen ihrer Brüder flatterten die grünen Federn im auffrischenden Wind. Dahinter zog eine lange Schlange von Rittern, Knappen, und sogar ein Koch war mitsamt einem großen Wagen voller Küchengeschirr mitgekommen. So prächtig und zuversichtlich, wie sie aussahen, machte sich Johanna schon viel weniger Sorgen, dass sie den Kampf verlieren könnten.
Zuerst begrüßte sie Harald.
„Wolltest du nicht einen schnellen Sieg erringen?“, fragte sie schnippisch. „Wozu brauchst du da einen Koch?“
„Komm doch mit und kämpfe“, erwiderte Harald ärgerlich.
Johanna schüttelte ihren Kopf und strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Dann lenkte sie Morgentau neben ihren Lieblingsbruder Gottfried.
„Sei vorsichtig“, flüsterte sie. „Du kannst deine größeren Brüder nicht in Tapferkeit übertreffen, also sei besonnen und achte auf eure Rückzugsmöglichkeit. Wenn Siegbert Verstärkung bekommt, müsst ihr dort weg. Gegen zwei Ritterheere könnt ihr bei all eurer Tapferkeit nicht gewinnen.“
Gottfried sah sie finster an. Er wollte auch so tapfer sein, wie seine größeren Brüder, doch im Gegensatz zu ihnen war sein Körper schmächtig und die Arme dünn und schwach. Schließlich nickte er und umarmte seine Schwester zum Abschied.
Johanna hielt jeden Tag Ausschau nach ihren Brüdern. Nach einigen Tagen entdeckte sie in der Ferne einen einsamen Ritter. Er hatte seinen Helm verloren und konnte sich kaum noch auf dem Pferd halten.
Schnell ließ sie das Tor öffnen und rannte ihm entgegen.
Es war Gottfried. Blut rann aus einer Wunde an seiner Seite über die schmutzige und zerbeulte Rüstung.
„Johanna, wir sind geschlagen worden“, stammelte er. „Siegbert hatte Armbrustschützen auf seiner Burg. Ihre Bolzen haben unsere Rüstungen durchschlagen, und als wir zurückwichen, kamen von hinten unzählige feindlicher Ritter. Außer mir ist keiner entkommen und bald werden Siegberts Ritter hier sein um unsere Burg niederzubrennen.“
Gottfried wurde ins Krankenlager gebracht und ein Medicus verband seine Wunde. Währenddessen rief Johannas Vater alle noch verbliebenen Ritter zu sich, um den Angriff von Siegberts Armee abzuwehren. Johanna sah, wie sich die alten Männer, gebeugt unter der Last der Rüstungen, mühsam die Stiegen hinaufschleppten.
So langsam, wie die alle waren, würden sie Siegbert niemals aufhalten. Da alle vollauf mit der Verteidigung der Burg beschäftigt waren, bemerkte niemand, dass Johanna sich auf Morgentau schwang und alleine zum Tor hinausritt.
In ihre Satteltasche packte sie einzig eine große Säge und ein Seil. Dann ging es in schnellem Galopp zur großen Ennsbrücke. Über sie musste jeder Ritter reiten, wenn er von Siegberts Burg zur Burg Grafenstein wollte. Hastig sägte Johanna einen der großen Träger in der Mitte an. Immer wieder blickte sie auf, ob Siegbert nicht schon da sei. Als sie fertig war, schwang sie sich auf Morgentau und ritt Siegberts Armee entgegen.
„He Siegbert, du wirst mich nie fangen können, so dick und langsam, wie du bist!“, rief sie, als sie ihn an der Spitze seiner Ritter sah.
„Ha, dich hab ich gleich“, rief Siegbert und trieb sein Pferd an. Da Morgentau sehr schnell und sie sehr leicht war, hatte sie keine Mühe Siegbert davonzureiten. Im Gegenteil musste sie Morgentau immer wieder bremsen, damit Siegbert sie nicht aus den Augen verlor. Mit dem schweren Panzer und den vielen Waffen, musste sein Pferd ja viel schwerer schleppen als Morgentau.
Hätte Siegbert genau geschaut, hätte er den angesägten Träger gesehen, so aber war er nur darauf konzentriert, endlich Johanna zu fangen, die ihn die ganze Zeit verspottete.
„He, du Walross. Du willst ein Ritter sein?“
Siegbert war genau in der Mitte der Brücke, als der Balken krachend brach. Die ganze Brücke stürzte zusammen und Siegbert sowie vier seiner Ritter fielen mitsamt ihrer Pferde ins kalte Wasser.
In ihren schweren Eisenrüstungen gingen sie sofort unter. Nur Siegbert konnte sich an seinem Pferd festhalten, und wurde mit ihm von der Strömung mitgerissen.
„Hilfe!“, rief er verzweifelt.
Das Gewicht seiner Rüstung zog ihn und das Pferd immer wieder unter Wasser. Hastig warf er seinen Helm weg, doch den restlichen Panzer konnte er alleine nicht ausziehen.
Johanna nahm ein Seil aus ihrer Satteltasche und zeigte es Siegbert.
„Wenn du da wieder heraus willst, dann musst du mir versprechen, mit deinen Rittern zu deiner Burg zurückzukehren, und uns nie wieder anzugreifen.“
„Ja.“ Im nächsten Moment ging Siegbert mitsamt seinem Pferd unter. Das Tier schlug ängstlich um sich. Es wollte natürlich ohne den schweren Siegbert ans Ufer schwimmen.
Johanna warf das Seil an die Stelle, an der Siegbert untergegangen war. Seine Hand mit dem Panzerhandschuh griff hastig danach. Johanna zog und Siegbert Kopf tauchte Wasser spuckend wieder auf. Sein Pferd nutzte währenddessen seine Chance und schwamm alleine zum Ufer.
„Gibst du mir dein Ritterehrenwort?“, fragte Johanna.
„Mein Ritterehrenwort. Du kannst haben, was du willst“, hustete er. „Wenn du mich nur hier rausziehst.“
Nun war Johanna zufrieden. Sie zog mit aller Kraft, wobei Siegbert noch mehrmals viel Wasser schlucken musste, bis er erschöpft am Ufer lag.
„Du bist aber schwer.“
Siegbert hustete.
Überall aus seiner Rüstung rannen kleine Wasserfälle hervor. Wie ein Käfer auf dem Rücken strampelte er beim Versuch, sich auf den Bauch zu drehen.
„Du hast mir dein Ritterehrenwort gegeben“, sagte Johanna „und ein Ritter bricht nie sein Wort.“
“Die Ehre eines Ritters ist das Wichtigste“, sagte Siegbert. „Ich werde mein Versprechen halten.“
Johanna half ihm aus seiner Rüstung. Es war kalt und der zitternde Siegbert tat ihr richtig leid. Sein ebenfalls tropfnasses Pferd war wieder zu ihm gekommen und ließ sich geduldig die Rüstung an den Sattel binden. Auf der anderen Seite des Flusses hatten inzwischen Siegberts Ritter mit offenen Mündern zugesehen.
„Reitet nach Hause“, rief er ihnen zu. „Ich habe mein Ritterehrenwort gegeben, dass wir umkehren werden.“
Johanna wurde zum Dank für ihre Tapferkeit von ihrem Vater zur Ritterin geschlagen und durfte sich ab nun Ritterin Johanna nennen.