Was ist neu

Die richtigen Worte

Mitglied
Beitritt
02.11.2001
Beiträge
730
Zuletzt bearbeitet:

Die richtigen Worte

Ich holte auf den Zehenspitzen stehend eine Flasche billigen Wodka vom Regal, da stand sie wie aus dem Nichts vor mir. Sie murmelte irgendwas von mitkommen wollen, hatte die Arme vor der Brust verschränkt, stand da wie ein trotziges Kind. Ich sagte nichts, sah nicht mal richtig hin zu ihr, deutete mit dem Kinn in Richtung der Kassa. Sie trottete den ganzen Weg hinter mir her. Ich blickte mich nicht um, sprach sie nicht an. Es war egal. Ich war geläutert, hatte schon anderes erlebt. Es kam immer, wie es kommen musste.
Mein Zimmer hatte ich in einem Mietshaus, dessen Bausubstanz so heruntergekommen war wie die Psyche seiner Bewohner. Sie hockte sich in einen der Korbsessel und holte ein Gummiband hervor, mit dem sie ihre Haare nach hinten band. Ich holte zwei Gläser aus der Abwäsche, spülte sie aus. Dann goss ich den Wodka ein, reichte ihr ein Glas.
Sie musste schön gewesen sein, früher, in einer anderen Zeit. Sie hatte schlanke Finger und ich dachte an ein Piano.

Sie sagte ,Danke, dass du mich mitgenommen hast.’
Sie hatte ihr Glas geleert, ich schenkte nach, blieb jedoch stehen. Ich wusste nicht warum. Ich wusste auch nicht, was ich reden sollte. Ich war scheu geworden, konnte mit Worten nichts mehr anfangen. Ich dachte auch, dass ich alles gesagt hatte, früher. Und ich doch nichts hatte ändern können, nur alles schlimmer gemacht hatte dadurch und nichts mehr aufzuhalten war. Ein falsches Wort zum richtigen Zeitpunkt ist wie Mord. Ich hatte unentwegt gemordet, weil ich geliebt hatte. Danach begann ich, nach den richtigen Worten zu suchen. Von denen fand ich nur wenige und damit wurde es stiller rundum.
Ich hatte lange keine Frau hier oben. Die Zeiten, in denen es ein Leichtes für mich war, damit umgehen zu können, waren vorbei. Die Balanceakte waren vorbei. Die Zeit mit Anna war vorbei.
Sie umklammerte das Glas und ich starrte aus dem Fenster, sah dem Taubenschwarm zu, der gegen den Wind ankämpfte, immer wieder von diesem zurückgeworfen wurde. Wie viele Jahre lebte ich nun schon hier? Ich hatte es vergessen. Es war auch nicht wichtig. Es ist alles lange her. Ich kann mich nur schwer erinnern. Sie war damals davongerannt, mit den Kindern, hatte mit ihnen mein Herz mitgenommen. Ich hatte alles versucht, ihren Aufbruch zu verhindern, scheiterte jedoch kläglich daran, die richtigen Worte zu finden. Worte, die sie hätten bewegen sollen zu bleiben. Von Taten spreche ich nicht. Taten, die nicht vorhandenen Worten folgen sollen, haben keine Chance. Danach war nichts mehr so wie früher.

,Sagst du mir deinen Namen?’
Ihre Stimme klang hohl. So, als ob nichts gesprochen worden wäre. Ein Echo, das im Vakuum des Raumes implodiert. Etwas vibrierte trotzdem. Ich sah zu ihr. Hatte sie etwas gesagt? Ich kam mir unbeholfen vor, konnte mit der Gegenwart anderer schon lange nicht mehr umgehen. Sie hielt mir ihr leeres Glas hin. Die Eile, mit der sie trank, war unglaublich.
Wie? Wie war mein Name? Ich dachte darüber nach, musste sie also doch reden gehört haben.
Die Länge ihrer Haare war wie die von Annas Haar. Anna hatte pechschwarzes Haar und konnte damit jeden Mann kleinkriegen. Sie hatte ihr Haar täglich gepflegt. Sie wusste Bescheid.

Die Scheiben des Fensters beschlugen an der Innenseite. Ich heizte den Raum nicht, da ich die Kälte kaum spürte. Ich schlief so, wie ich aus den Bars kam. Es machte mir nichts aus. Ich hatte das schöne Leben schon gehabt. Ich zwang mich, diese Frau, die dort saß, anzusehen.
Ja, sie musste schön gewesen sein. Gewesen sein? Sie hatte ein Grübchen am Kinn, einen leichten Flaum auf beiden Wangen und ihre überschlagenen Beine sahen gut aus. Das, was ich davon sah, meine ich. Ich spürte die Wärme, die der Wodka in meinem Magen verursachte. Eine andere Art von Wärme gesellte sich dazu. Ein Gefühl, oder eine Erinnerung an ein Gefühl. Die Erinnerung an die Wärme eines Körpers und das Gefühl, welches ich dabei erlebt hatte.

,Hans’.
Hatte ich das gesprochen? Tatsächlich ich? Ich hatte mich tatsächlich an meinen Namen erinnert. Wann hatte mich jemand das letzte Mal danach gefragt? Draußen drosch der Wind die Tauben von den Dächern. Begann da etwas? Das nächste Kapitel, eine Fortsetzung? Ich zitterte, suchte einen Punkt an der Wand, fand dann ihre Augen. Sie stand jetzt vor mir, mit hängenden Armen, sah zu mir auf, suchte meinen Blick. Ich gab ihn ihr. Dann kam die Erinnerung. Ich gab ihr meine Finger, berührte damit ihre Stirn, den Nasenrücken, zeichnete ihre Lippen nach, fing ihre Tränen auf, fuhr jede ihrer Falten nach, erkannte fast alle wieder, erforschte die neuen, die dazugekommen waren, erkannte endlich, wer sie war.

 

Aqua, ein wunderschöner Text über Gleichgültigkeit und Erwachen, über das Erkennen und Innehalten. Toll geschrieben, sehr gefühlvoll und treffend.

"Ein falsches Wort zum richtigen Zeitpunkt ist wie Mord. " wie verdammt recht Du hast, Aqua!!

Wer "sie" zum Schluss wirklich ist, bleibt mir allerdings momentan etwas unklar. Anna? Ihre Tochter? Eine Fremde? Da übersehe ich etwas...

Abwäsche: weiß, was gmeint ist. Kingt allerdings für mich komisch. Nett sich bei uns eher Abspüle, Spüle.

Schön, Aqua, einfach schön, der Text. Liebe Grüße, Anne :)

 

Na also...

Hi Aqua, sehr schöne, melancholische Geschichte. Ich habe sie sehr gerne gelesen.

Ein falsches Wort zum richtigen Zeitpunkt ist wie Mord. Ich hatte unentwegt gemordet, weil ich geliebt hatte.
Sätze wie diese, müssen den Leser einfach umhauen.
Dein Protagonist war mir irgendwie sehr sympathisch. Er fängt wieder an zu leben, nachdem sein Leben eine lange Zeit ein Scherbenhaufen war.

Top!

Wer die Frau ist, weiß ich auch nicht genau. Vielleicht gibt es ja keine endgültige Lösung. Der Protagonist hat sie wieder erkannt. Ich denke allein das ist wichtig.

Die Zeiten, wo ich mir leicht tat damit
Hier ein kleiner Tippfehler: mir statt mich. Die Präposition wo ist auch ein bisschen unelegant. "Die Zeiten, in denen...

Liebe Grüße

Jan

P.S.: Kann es sein, dass du die Geschichte aufgrund einer Anmerkung von Häferl geschrieben hast?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Aqua!

Ja, das ist wieder eine sehr schöne Geschichte! Hab doch gewußt, daß Du das Schreiben nicht innerhalb weniger Tage verlernt hast. ;)

Dein Protagonist ist schon ganz weit weg von seinen Gefühlen und plötzlich trifft er sie, kommt seinen Gefühlen wieder näher und erst, als er ihr in die Augen sieht und ihre Falten nachfährt, erkennt er sie wieder. - Wunderbar geschrieben! :thumbsup:

Zwei Sachen sind mir aufgefallen:
Hier wiederholt sich - zwar mit etwas Abstand, aber ich hatte es noch im Ohr, als das zweite kam - das "lange":

Ich hatte lange keine Frau hier oben.
...
Es ist alles lange her.

Außerdem sind für meinen Geschmack zu viele ichs, vielleicht kannst Du durch Umformulieren einige weglassen - oder sollte es beabsichtigtes stilistisches Mittel sein? Zum Beispiel:
Ich wusste nicht warum. Ich wusste auch nicht, was ich reden sollte. Ich war scheu geworden, konnte mit Worten nichts mehr anfangen. Ich dachte auch, dass ich alles gesagt hatte, früher. Und ich doch nichts hatte ändern können, nur alles schlimmer gemacht hatte dadurch und nichts mehr aufzuhalten war. Ein falsches Wort zum richtigen Zeitpunkt ist wie Mord. Ich hatte unentwegt gemordet, weil ich geliebt hatte. Danach begann ich, nach den richtigen Worten zu suchen. Von denen fand ich nur wenige und damit wurde es stiller rundum.
Ich hatte lange keine Frau hier oben.
Es ist natürlich klar, daß in einem Text aus der ich-Perspektive auch viele vorkommen. Daß man sie trotzdem möglichst gering hält, ist gar nicht immer so einfach, ich weiß es selbst. Oft reicht es aber, wenn man nur die Sätze nicht so oft mit "Ich..." beginnen läßt. Zum Beispiel könntest Du "Nur schwer kann ich mich erinnern" auch in "Erinnern kann ich mich nur schwer." umformulieren. Aber man könnte auch die Situation mit "Langsam, nur nach und nach kommt meine Erinnerung wieder." oder Ähnlichem beschreiben.

Aber es hat mich nicht wirklich richtig beim Lesen gestört, es ist mir erst nachher aufgefallen. Meine Lesefreude konnte dadurch nicht geschmälert werden. ;)

Alles liebe,
Susi

 

Aqua,

ja, schön, weich, fließend- Abwäsche?
Fände schön wenn er nicht die Frau Anna wiederfindet, sondern eine andere, die Erinnerung sich auf das Gefühl bezieht- da war doch was- vor dem Wodka und den Bars.
Doch wieder Rätselralley?
Die falschen Worte...,, is fein.
Noch feiner: Sie wußte Bescheid.

liebe Grüße, alex

 

Noch was: "Abwäsche" und "wo ich mir leicht tat" stimmen schon so. ;)

 

Hei Aq, ich bin irritiert, weiss nicht, ob ich es schreiben soll, aber wie du siehst ich tue es. Ich bin verwöhnt worden, und deswegen findet diese Geschichte, nicht den Anklang, die andere aus der Vergangenheit bei mir finden.

"Ein Echo, dass im Vakuum des Raumes explodiert"

Toller Satz, aber der sitzt eingebettet in einer mittelmässigen auch stilistisch nicht über die Norm herausgehenden Textstelle.

Das passiert hier öfter. Tja...Ach mir fällt noch was ein Aqua. "Ich hab dir nie dafür gedankt, dass du dich auf meine Story "E pericoloso sporgerssi" nicht gemeldet hast. !!

Liebe Grüsse, und ich drück dich auch

Stefan

 

Danke fürs Lesen dieser Geschichte. Ein Dank an alle.
Melde mich verspätet dazu zu Wort.

Maus,
hab gewußt, dich auf meiner Seite zu haben.

PeterPan,
danke für den Hinweis mit ,den Zeiten, wo..'
Habs ausgebessert, klang tatsächlich schrecklich.

Häferl,
danke auch dir. Die vielen ichs sind bewußt gesetzt.
Schön, dass du Freude beim Lesen hattest.

Alex,
leider. Anna kommt zurück. Da war nix vorher in den Bars, das er Liebe nennen konnte.

Morphin,
puhh, danke für den Meistertitel. Du bist in mein Abendgebet eingeschlossen. Hab mich über deine Kritik sehr gefreut.

Arche,
macht ja nix. Danke für die Kritik allemal. Werd mir deine angesprochene Story gleich mal geben. Will doch dein Danke dafür, Mann!

Liebe Grüße an euch alle - Aqua

 

@ Aqua

Sehr melancholisch geschrieben. Da schwingt richtig eine Melodie mit im Text. Du hast ein paar ganz tolle Wortspielereien drinnen, beispielsweise:

dessen Bausubstanz so heruntergekommen war wie die Psyche seiner Bewohner.

Sie hatte schlanke Finger und ich dachte an ein Piano.

Ich hatte mich tatsächlich an meinen Namen erinnert. Wann hatte mich jemand das letzte Mal danach gefragt?

Poetischer Underground, überzeugend umgesetzt.

Gruß
Liz

 

Liz, danke.
Du spürst Schwingungen. Ich finde das großartig.

Liebe Grüße - Aqua

 

Von denen fand ich nur wenige und damit wurde es stiller rundum.

vor dem "und" ein komma.

hi aqua,
ja, gleich vorweg, ich finde deine geschichte gut! das wurde auch mal zeit :D !
die wiedergabe der situation ist dir schön gelungen. die idee ist auch sehr ansprechend.
da gibts ja nix zu meckern!
*grmph* - na gut, dann meckere ich eben über die kritiken *hehe*.

Aqua, ein wunderschöner Text über Gleichgültigkeit

nein, maus, da ist keine gleichgültigkeit. vielmehr ist seine realität unter schmerz verbnebelt. gleichgültigkeit ist emotionales nichtempfinden.

abwäsche

für mich ist das wort auch neu .. aber ich habs auch sofort verstanden, deshalb empfand ich es absolut nicht störend!

er erkannte die person am ende. nun gut - es wird nicht explizit gesagt, wen er erkannte. das ist ja das schöne an den geschichten, wir können unsere eigene fantasie für die komplementierung einer geschichte nehmen. also für mich (in meiner vorstellung) war es anna.
es gibt natürlich auch noch die variante, dass es eine fremde frau ist, in der der prota anna erkennt.

das "ich"-problem in icherzählperspektiven.
diese geschichte hat einen bestimmten erzählcharakter. damit diese geschichte so wirkt, wie sie wirkt, mussten hauptsächlich kurze sätze gebildet werden. das verhindern von zu vielen "ichs" in der icherzählung ist wahnsinnig schwer, aber zu meistern, wenn mann sätze mit vielen nebensätzen bildet. das hätte aber in diesem fall die stimmung der geschichte zu sehr verändert.
schwierig!

Du hast ein paar ganz tolle Wortspielereien drinnen, beispielsweise:
da pflichte ich liz bei!

sehr gute geschichte!
bye
barde

 

Danke für deine aufmunternde Kritik, Barde.
Mein Tag ist damit trotz des kalten Wetters nicht ganz so trübe.
So schnell kann das gehen, ja.

Liebe Grüße - Aqua

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom