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"DIE REISE"
„die Reise“
„Entschuldigen sie, ist der Platz hier noch frei ?“
„Ja der ist noch frei.“
„Geht es ihnen nicht gut ? Es sieht so aus als bräuchten sie einen Arzt.“
„Nein es ist alles in Ordnung“.
Trotz seiner Aussage „es sei alles in Ordnung“ scheint es als ginge es ihm überhaupt nicht gut. Er ist sehr nervös, rutscht ständig auf seinem Sitz hin und her. Es sieht sogar so aus als würde er schwitzen. So als stände ihm die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. Seine Blicke schweifen hin und her. Ich muss zugeben einen Mann in solch einer Verfassung hatte ich lange nicht mehr gesehen.
Die Luft roch irgendwie verdorben, ich würde fast sagen so ein bisschen wie schlecht gewordene Milch. Es war sehr unangenehm. Und dazu kam dann noch die wärme die dem ganzen noch das „i“ Tüpfelchen aufsetzte. Alles in allem ein sehr Unangehnehmer Ort.
„Geht es ihnen wirklich gut, kann ich irgendwas für sie tun ?“
„Ja lassen sie mich in Frieden !“
Verzeihung ich wollte ihnen wirklich nicht zu nahe treten.
Er schien sehr gereizt zu sein. Eine Zeit lang herrschte Totenstille, es war irgendwie unheimlich.
„Tut mir leid, ich glaube ich muss mich bei ihnen entschuldigen, es ist normalerweise nicht meine Art so unfreundlich zu sein. Sie haben es ja nur gut gemeint. Aber sie müssen mich doch verstehen. Geht es ihnen denn nicht so ?“
„Na ja ich muss zugeben ganz wohl fühle ich mich bei dieser Sache auch nicht.“
„Sie sind gut im Gegensatz zu mir sind sie ja die ruhe in Person.“
„Erklären sie mir doch bitte ihre Gelassenheit.“
Ja das konnte ich nicht, ich wusste ja nicht was ich ihm sagen sollte. Er schien sehr verzweifelt.
„Das kann ich ihnen auch nicht sagen, aber irgendwann kommt doch der Zeitpunkt wo wir alle einmal weiter müssen.“ Wir befinden uns ja gewisser maßen ein Leben lang auf der Reise.“
Was besseres viel mir jetzt auch nicht ein. Aber das war es doch was mich das Leben bis jetzt gelehrt hatte.
„Sie müssen verstehen es ist nur so ich vermisse meine Familie jetzt schon. Haben sie denn keinen den sie vermissen werden ?“
„Ich kann ihnen nur soviel sagen, sie sollten sich aus ruhen wir haben noch eine lange Reise vor uns.“
Jetzt fing ich an zu überlegen. Hatte ich jemand der mir fehlen würde ?
Ehrlich gesagt ich hatte ja niemanden mehr....ich war alt,alt und einsam. Ich erinnere mich noch gut an meinen 60. Geburtstag, den feierte ich ja auch schon alleine; meine Frau war ja schon vor langer Zeit gestorben. Und seitdem ging es ja steil bergab in die Einsamkeit. Ja das Leben hatte sich im Alter leider nicht so entwickelt wie ich es mir immer erträumt hatte. Alles in allem zog ich eine schlechte Bilanz
Ich war alt und einsam. Das es mal so kommen würde, hätte ich nie gedacht.
Ich bin mit den Jahren wohl total vereinsamt. Wenn ich mich in Gesellschaft befand sehnte ich mich nach Einsamkeit, befand ich mich in der Einsamkeit sehnte ich mich nach Gesellschaft. Mir kam es sowieso immer so vor, als würden alle Menschen rennen und dabei versuchen, sich immer noch gegenseitig zu überholen, obwohl sie gar nicht wussten wohin sie eigentlich rennen, aber ich schien irgendwie zu stehen.
Eins war jetzt aber klar. Auf seine Frage ob ich jemanden vermissen würde hätte ich mit einem klaren „Nein“ antworten können.
Wäre ich an seiner Stelle würde es mir glaube ich nicht anders ergehen. Er war ja auch noch so jung. Ich schätze mal so an die 30-35. älter auf keinen Fall.
„Wissen sie ich weiß ja nicht wann ich meinen Tochter und meine Frau wieder sehen werde.“
„Nun machen sie sich mal keinen Sorgen.“
Was hätte ich ihm den sonst sagen sollen. Ich glaube der Mann fing langsam an sich etwas zu beruhigen. Was blieb ihm denn auch anders übrig. Er konnte ja an seiner jetzigen Situation nichts mehr ändern.
Ich überlegte mir wie ich ihn am besten ablenken könne.
„Was haben sie denn beruflich gemacht ?“ Fragte ich ihn.
„Ich arbeite als Manager in einer Werbeagentur.“
„Und was führt sie hier her wenn ich mal fragen darf ?“
„Durch meine Tätigkeit als Manager bin ich beruflich sehr häufig mit dem Auto unterwegs. Von Termin zu Termin hetzen gewissermaßen. Und dann passierte es. Ich übersah ein liegen gebliebenes Fahrzeug auf der Autobahn und baute einen Unfall.“
Es kehrte Stille ein. Ich wusste was ich darauf hätte sagen können. Ein harter Schicksalsschlag. Sein Kopf sank zu Boden. Ich glaube ich hatte mir die falsche Frage ausgesucht. Doch plötzlich schaute er mich ganz verwundert an, als hätte man bei ihm einen Schalter umgelegt, so als würde er sich der Situation bewusst werden.
„Ich heiße Jonas. Jonas Loschke.“
Damit hatte ich wohl am wenigsten gerechnet.
„Freut mich nennen sie mich einfach Johann.“
„Und Johann was haben sie gemacht ?“
„Das ist eigentlich eine lange Geschichte. Aber in Kurzform würde ich sagen ich war Musiker mein Leben lang. Ich spielte im Orchester.“
Ja das war es, was ich mein Leben lang gemacht hatte. Rückblickend kann ich nur sagen das es wirklich eine sehr schöne Zeit war. Ich glaube ich währe nie in der Lage gewesen etwas anderes machen zu können.
„ Wissen sie, sagte ich zu ihm, ich habe seit meiner Kindheit an nichts anderes gemacht als Musik.“
„Was spielten sie den für ein Instrument ?“
„Ich spielte die Violine. Ich glaube es lag auch daran das mir mein Vater seit dem ich denken kann etwas auf der Violine vorgespielt hat. Er war nämlich auch ein Orchester Musiker.“
„Es scheint so als hat ihnen die Musik viel bedeutet.“
Ja das waren wahre Worte. Das hatte sie wirklich.
„Wissen sie ich hatte immer das Gefühl sie hat mich verzaubert. Etwas was so wunderbar war wie sie, ist mir seit dem nicht mehr widerfahren“
„Hören sie das ? Was ist das für ein merkwürdiges Geräusch ?“
Tatsächlich ich konnte es auch hören. Und es kam mir so vor als wenn wir anhalten würden.
„Ja Ja ich höre es auch“. Sagte ich zu ihm.„Klingt irgendwie so als wären es Schritte“.
Doch plötzlich hörte es auf und es schien auch so als wenn es weiter gehen würde.
„Was meinen sie , wie lange wird es noch dauern bis wir ankommen ?“
Ich hatte mein Zeitgefühl total verloren. Ich hatte keinen Ahnung wie lange wir unterwegs waren, ich wußte nur das es schon eine ganze Weile war.
„Das kann ich ihnen nicht sagen aber allzu lange kann es nicht dauern bis wir ankommen.“
Es war immer noch sehr warm und stickig . Ich hätte gerne ein Fenster geöffnet aber sie waren leider alle verschlossen. Doch dann hörten wir wieder diese Geräusche. Es waren tatsächlich Schritte. Es schien so, als würden sie sich aber diesmal unserem Abteil nähern. Und so war es auch. Die Schritte kamen näher und näher. Doch dann plötzlich riß jemand die Tür von unserem Abteil auf. Auf den ersten Blick konnte man die Person garnicht richtig erkennen. Doch dann streckte er sein Gesicht in unser Abteil und sagte mit einer tiefen dunklen Stimme:
„ Jonas-Jonas Loschke.“
Ahnungslos blickte Jonas zu mir rüber. Man sah ihm seine Ängstlichkeit an. Mit leiser Stimme antwortete er dann:
„Ja das bin ich Jonas Loschke. Das bin ich.“
Und dann blickte der Mann rüber zu mir und sagte :
Dann sind sie bestimmt Johann. Johann Loschke.
Ja der bin ich ! Und dann machte er die Tür wieder zu und verschwand. Jonas blickte mich erschrocken an. Ich glaube er fing an sich jetzt einige Fragen zu stellen. Keiner von uns wußte jetzt was er noch sagen sollte.
„Sind wir irgendwie verwand ? Fragte er mich“.
„Nein das glaube ich nicht. Nicht das ich wüsste“.
„Glauben sie das es Zufall ist ?“
„Nein. Aber ich glaube auch das die Abteile nach einer gewissen alphabetischer Reihenfolge angeordnet sind“. Das ist aber wirklich sehr merkwürdig. Das Leben ist schon verrückt. Wer hätte das gedacht.“
„Was halten sie davon ?“ Fragte mich Jonas.
„Das ist eine gute Frage die ich nicht beantworten kann. Ich habe keinen blassen Schimmer.“ Wir wussten nicht was uns noch erwarten würde. Es schien irgendwie alles so logisch und irgendwie auch wieder nicht. Ich fing an mir ernsthaft Sorgen zu machen. Jonas senkte seinen Kopf. Er schien traurig zu sein.
Und so saßen wir dann eine Zeitlang dort. In Schweigen gehüllt. Es war eine sehr verwirrende Situation. Keiner wußte so recht was er sagen sollte. Es herrschte eine regelrechte Hilflosigkeit.
Auf einmal blickte mich Jonas an. Er weinte, die tränen flossen über sein Gesicht. Es schien so als hätte er verstanden was da mit uns passierte. Kurze Zeit später aber sah es so aus als würde seine Trauer sich in Wut verwandeln. Er stand auf und versuchte die Tür von unserem Abteil zu öffnen. Doch vergebens sie war verschlossen. Er versuchte mit seiner ganzen Kraft sie auf zu reißen.
„So beruhigen sie sich doch“. Sagte ich zu ihm. Aber es schien so als wollte er mich nicht hören. Ich glaube in diesem Moment hatte er verstanden was geschehen war.
Völlig erschöpft sank er zu Boden. Dort lag er dann zusammen gekauert in Angst und Furcht. Ich beugte mich über ihn und sagte :
„Es tut mir wirklich leid aber lassen sie den Kopf doch nicht hängen. Alles wird bestimmt wieder gut, sie werden sehen.“
Das hoffte ich zumindest. Mehr als hoffen konnten wir ja in diesem Moment nicht .
Er schaute mich an und fing an zu weinen wie ein kleines Kind. Er viel in meine Arme und sagte mit leiser Stimme :
„Sie haben es die ganze Zeit gewußt, wir sind Tod...“
Ich konnte nichts mehr tun außer Jonas wie einen Sohn in meine Arme zu schließen. In diesem Moment kam in mir das Gefühl auf als wäre er der Sohn den ich niemals hatte. Ich fühlte mich ihm so verbunden. Es war ein eigenartiges Gefühl. Ich hatte zuvor so etwas noch nie erlebt. War es das Schicksal das uns miteinander verband. Ich glaube kaum es war lediglich das was uns zusammenbrachte. Was passierte mit uns . Wir waren Hilflos. Doch plötzlich öffnete sich die Tür von unserem Abteil. Es war der Mann der uns schon einmal besuchte. Aber was wollte er diesmal von uns ? Waren wir jetzt am Ende unserer Reise ? Fragen über Fragen stellten sich mir jetzt.
„Was passiert mit uns Johann ? Ich habe Angst“.
Doch dann sagte der Mann zu Jonas:
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, glauben sie mir. Wenn sie sich jetzt bitte wieder auf ihre Plätze begeben würden. Wir haben bald das Ende dieser Reise erreicht“. Er schloss die Tür des Abteils und verschwand.
„Was passiert mit uns ?“ Fragte mich Jonas.
„Ich habe keine Ahnung“.
„Ich glaube es ist an der Zeit mich von ihnen zu verabschieden Johann. Es hat mich sehr gefreut sie kennen zu lernen. Sie haben mir wirklich sehr geholfen. Und das in der schwersten Zeit des Lebens oder eher des Sterbens. Ich finde es schade das wir uns unter solchen Umständen kennenlernten. Ich hätte ihre Bekanntschaft gerne schon früher gemacht. Sie wirken auf mich so vertraut. Ein merkwürdiges Gefühl. Sie haben mir auf jedenfall sehr viel Kraft gegeben.
Dafür möchte ich ihnen Danken.“
„Ja das Leben verläuft leider nicht immer so wie man es sich wünscht. Tja Jonas ich wünsche ihnen auf jedenfall auch alles Gute bei allem was uns wohl noch erwarten mag.“
Irgendwie verspürte ich einen innerlichen Schmerz . Es war wirklich tragisch das es so enden mußte. Eine Verabschiedung in die Ungewißheit
Die Tür öffnete sich :
„Wenn sie mir bitte folgen würden“.
Jonas begann fürchterlich zu weinen. Seine Angst schien unermeßlich groß zu sein. Wir verließen das Abteil und folgten dem Mann. Wo er uns wohl hinbrachte.
„Kommen sie, wir müssen uns beeilen uns bleibt nicht mehr viel Zeit wir sind sowieso schon spät dran.“
Am Ende des langen Ganges konnte man ein Licht sehen. Was war es was uns dort erwarten würde.
Meine Anspannung wuchs und zwar mit jedem Schritt dem wir uns dem Licht näherten. Jeder Schritt war ein Schritt in die Ungewißheit was uns noch erwarten würde.
Dann endlich war es soweit. Wir waren da ! Es war eine große weiße Halle voller Türen. Es waren bestimmt an die 1000 Türen. Und sie waren alle numeriert. Es war überwältigend !
„Kommen sie kommen sie. Wir müssen uns beeilen, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Jonas Loschke gehen bitte zu der Tür mit der Nr. 21.“
„Und sie Herr Johann Loschke gehen bitte zu der Tür mit der Nr. 22. Dort wird ihnen alles weitere erklärt. Beeilen sie sich.“
Jonas schrie und weinte fürchterlich. Ich rief ihm zu „Jonas mein Freund halte durch alles wird gut.“ Und dann verschwand er in der Tür Nr. 21.
„Treten sie ein Johann , ich habe schon auf sie gewartet. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Ihre Mutter liegt nämlich schon in den Wehen. Was sagten sie. Meine Mutter liegt schon in den Wehen. Ja richtig in ca. 10 Minuten ist es soweit und sie werden bei einer neuen Mutter geboren. Das verstehe ich alles nicht das ist zuviel für mich.“ „Wissen sie das ist der Kreislauf des Lebens. Aber machen sie sich keine Sorgen sie können sich später an nichts erinnern. So nun setzten sie sich bitte auf den Stuhl.
Und machen sie sich keine Sorgen um Jonas sie werden schon sehen, sich aber leider nicht erinnern. So ich werde die Tür jetzt schließen und sie alleine lassen. Machen sie es gut. Seien sie nicht traurig sie bekommen eine neue Chance“. Und in diesem Moment schloß er die Tür und verschwand.
„Schatz versuch ganz ruhig zu bleiben, du hast es gleich geschafft.
Pressen immer schön gleichmäßig pressen und atmen.
Wenn ich das überlebe werde ich nie wieder Kinder zur Welt bringen. Vor allem keine Zwillinge.“
[Beitrag editiert von: Jonas Loschke am 17.02.2002 um 19:58]