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Die Reise nach Autanien
Die Reise nach Autanien
Wir erfüllten uns einen seit langem gehegten Wunsch und bereisten Autanien.
Zu viert saßen wir in dem Gefährt, das uns auf vier Rädern voran trug. Hinter dem Lenkrad saß ich, neben mir meine ehemalige Verlobte und hinter uns unsere beiden Kinder: Ein Knabe, Ergebnis unseres Beischlafs vor neun Jahren, und ein um ein Jahr jüngeres Mädchen, gezeugt von einem mir Unbekannten. Horst der Name des Jungen, Erika der des Mädchens.
Als wir Autanien erreicht hatten und unser Automobil auf der Mittelspur der dreispurigen Autobahn dahinzuckelte, warnte ein großes Schild vor Übertreten der Höchstgeschwindigkeit. Ein nächster Hinweis machte auf Wildwechsel aufmerksam, und zwar auf Grashüpfer, Schne-cken und Tausendfüßler. Auch im weiteren war die Autobahn mit Hinweisschildern reich bestückt. Sicherlich als abwechslungsreiche Lektüre gedacht, denn der zähflüssige Verkehr wurde nicht flüssig. Flüssig war jedoch, was plötzlich durch das geöffnete Schiebedach ins Innere des Fahrzeugs drang. Die Substanz dieser Nässe verriet uns ein Schild mit der Auf-schrift: Schiebedach unter Brücken und Übergängen geschlossen halten! Urinierer!
Käte, meine eheliche Beifahrerin, fuhr von ihrem Sitz hoch, reckte den Kopf aus dem Schie-bedach und schrillte: „Du Ferkel, wenn ich …“ – Ihr weiterer Wortlaut erstarb beim Durch-fahren des nächsten Übergangs.
Weil es ungewöhnlich heiß war, kurbelte jeder sein Seitenfenster nach unten. Fliegen und Mücken, zu denen sich auch Wespen gesellten, konnten ungehindert in den brütenden Schat-ten des Fahrzeugraums gelangen. Eine Wespe, die ich aus stichhaltigen Gründen nicht näher beschreiben will, fand Unterschlupf in meiner rechten Sandale. Sie fühlte sich dort so lange geborgen, bis ich ein wenig aufs Gaspedal trat, um meinen eingeschlafenen Fuß zu wecken.
Während Käte seine zunehmende Schwellung auf ihrem Schoß mit lauwarmer Cola kühlte, bediente sie linksfüßig das Gaspedal und ich ebenso füßig Kupplung und Bremse. Lenken und Schalten blieb mir weiterhin überlassen.
Nach etwa drei Minuten flog mir der Rest eines Apfels an den Kopf. Als ich anhub, die im Fond sitzenden Kinder zu tadeln, vernahm ich aus dem links fahrenden Auto die Bemerkung: „Wenn mir deine Bälger weiterhin Fratzen schneiden, komme ich rüber und verhaue sie!“
Diese Drohung wahr zu machen, wäre auf freier Strecke nicht möglich gewesen. Hier aber, inmitten des träge dahinrollenden Blechs, war das zu befürchten.
Ich richtete meinen Blick auf die gestrenge Person. Sofort erstaunte mich die Größe ihres Ge-sichts und des dazu gehörigen Kopfes. Derselbe passte gerade so in die Öffnung des geöffne-ten Seitenfensters. Mit anderen Worten: ein eingerahmter Schweinekopf.
Über ihn zu lächeln, blieb mir nicht vergönnt, da aus ihm die Frage schoss: „Was glotzt du so dämlich?“
Ich entglotzte meinen Blick. Der Schweinekopf grunzte: „Ich bin verheiratet! Deine Anmache zieht bei mir nicht!“
Ich gab meinen Augen einen gewöhnlichen Ausdruck. Der gefiel der Breitgesichtigen auch nicht, weshalb sie ihren umfangreichen Kopf durch das Seitenfenster zwängte und fauchte: „Wenn du mich weiterhin so träge anguckst, spucke ich dir in die Augen.“
Ich richtete meinen Blick nach vorn, um dem voranzuckelnden Auto nicht ins Hinterteil zu fahren; mit Spucke in den Augen ist solches leicht möglich.
Gleich darauf rummste es. Also doch aufgefahren, dachte ich verärgert.
„Papa“, frohlockten Horst und Erika, „die Dicke hat sich den Kürbis eingeklemmt.“
Ich wandte meine Augen wieder nach links und sah, dass der Schweinekopf im Rahmen des Seitenfensters feststeckte. Wie war ich erleichtert, nicht aufgefahren zu sein.
Trotz ihrer misslichen Lage wurde die Eingeklemmte nicht müde, uns zu beschimpfen. Wir seien Schuld, dass sie ihrem kurzsichtigen Mann beim Fahren nun nicht behilflich sein könne.
Uns überkam Schadenfreude. Das ärgerte sie und erinnerte sie an ihre Spuck-Drohung. Sie spie in unsere Richtung. Der ausgesandte Speichel erreichte uns jedoch nicht. Er klatschte ihr an die rechte Wange, weil ihr kurzsichtiger Mann auf das vorausfahrende Auto aufgefahren war. Dennoch Glück im Unglück für sie: ihr Kopf war wieder frei. Allerdings hing ihr rechtes Ohr halb herab.
„Nicht traurig sein“, rief ich ihr tröstend zu, „das linke ist noch dran!“
Sie jammerte dennoch und bedachte nun ihren Mann mit üblen Worten. Was sie fluchte, ent-ging unseren Ohren, da wir weiterfuhren. Wir fuhren tatsächlich, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Käte machte es Spaß, Gas zu geben. Die Fahrzeuge vor uns quetschten sich in die linke bzw. rechte Spur, weil Horst und Erika abwechselnd die Polizeihupe bedienten, die ihnen ein dankbarer Verkehrspolizist vor einiger Zeit geschenkt hatte. Beide hatten ihm aufgeholfen, als er auf einer Bananenschale ausgeglitten war. Er wusste natürlich nicht, dass sie die Schale hingeworfen hatten, um Menschen zu Fall zu bringen. Beim Ersinnen lustiger Späße sind Horst und Erika überaus einfallsreich. Solcher Ideenreichtum ist nicht jedem Kin-de eigen.
Trotz Schwellfuß stimmte ich ein fröhliches Lied an, weil es ein Vergnügen ist, auf dicht ge-füllter Autobahn mit 30 km/h voran zu kommen. Käte fiel in den Gesang ein, klatschte mir dabei rhythmisch auf den dicker werdenden Fuß und gab immer mehr Gas.
Hui! – wie wir dahinsausten, uns nicht darum scherend, dass es links, rechts und hinter uns crashte und krachte. Erika und Horst hupten ohn’ Unterlass, woraufhin ein Frosch erschro-cken ins Auto huppte. Er landete in Kätes Blusenausschnitt und rutschte in diesem tiefer, da sie heftig transpirierte. Weil er deshalb vermutete, weiter unten befinde sich ein Tümpel, ar-beitete er sich in diese Richtung vor. Käte war das höchst unangenehm. Jetzt huppte auch sie, und zwar auf und nieder, hoffend, der Frosch werde unten rausrutschen. Dabei trat sie das Gaspedal in Intervallen, so dass unser Gefährt ruckweise fuhr.
Horst lästerte: „Wie beim Affen die Milch!“
Erika fand die Bemerkung lustig und lachte.
Ich hingegen versetzte mich in die Gefühlswelt des grünen Tieres und gelangte zur Erkenntnis, dass man sich eines Hüpfers nicht durch Hüpfen entledigen kann. Der findet das nämlich hüpfrig.
Das teilte ich Käte mit. Die war über meinen Mangel an Mitgefühl so erbost, dass sie dem Gaspedal einen heftigen Tritt verpasste. Das Auto sprang daraufhin wie ein übermütiges Fül-len nach vorn. Mein dicker Fuß sauste von Kätes Schoß empor, schlug ihr zunächst ins Ge-sicht und dann mit Wucht auf den Beifahrerairbag. Der kam seiner Bestimmung augenblick-lich nach und entfaltete sich mit einem hörbaren „Plupp!“
Der Luftsack und mit ihm mein Klumpfuß trafen Kätes Kopf überraschend. Die entstehende Schrecksekunde veranlasste ihren linken Fuß, das Gaspedal voll durchzutreten. Aus unserem motorisierten Füllen wurde ein Rennpferd. Mir fiel es nicht leicht, es auf Kurs zu halten, denn ich befand mich in einer ungewöhnlichen Lage. Mein Schwellfuß war zwischen Luftsack und Kätes Gesicht eingeklemmt, mein linker Unterarm hing schlaff im Lenkrad, und linksfüßig tastete ich verzweifelt nach Bremse oder Kupplung.
Erika und Horst hielten den Kopf aus dem Seitenfenster und quietschten vergnügt. Sie lieben flottes Fahren.
Der Frosch, der Kätes Schlüpfer schließlich entschlüpft war, sprang an mir aufwärts und von meinem Nasenbein nach draußen. Begünstigt durch den Fahrtwind wurde er für wenige Augenblicke zum Flugfrosch.
Als wir nach soundsoviel Kilometern das Ziel unserer Reise, einen Ferienbauernhof, erreicht hatten, sah nicht nur unser Auto blessiert aus.