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Die Rückkehr des Metalgod
Astaria, die Lieblingsnymphe des Metalgod, konnte ihre Aufregung kaum noch verbergen. Heute würde ihr Meister endlich zurückkehren. Sie kontrollierte zum hundertsten Mal das Inventar der großen steinernen Halle: Der Kessel mit Blutwein war randvoll gefüllt, die Wand der tausend Gitarren auf Hochglanz poliert, die Phalanx der Verstärker allesamt auf 11 eingestellt. Astaria ließ die zwölf kichernden Unternymphen in einer Reihe antreten, ermahnte sie zur Disziplin und betrachtete wohlwollend die glänzenden Bikinis aus schwarzem Leder.
Da sprang das mächtige Tor auf. Astaria drehte sich um und erstarrte. Der Anblick des Metalgod war noch herrlicher, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Das rabenschwarze Haar hing ihm bis zur Hüfte, ebenso sein wallender Bart. Narben und Tattoos seiner zahllosen Schlachten zierten den drei Meter großen Leib. Die Nieten an der Lederweste – jede davon ein Kilogramm schwer – klirrten bei jedem Bewegung. In der Hand hielt er seine Lieblingswaffe, den göttlichen Elektrobass aus Kirrum, dem härtesten Material des Universums. Die Waffe war voll von getrocknetem Blut und Fetzen eines unbekannten Wesens.
Astaria füllte den silbernen Kelch randvoll mit Blutwein und lief zu ihrem Meister, der ihn wortlos entgegen nahm und in einem Zug leerte. Dann betrachtete er Astaria eine Minute lang schweigend. Schließlich ließ er seinen Blick durch die Halle schweifen, wobei er einige Male zufrieden nickte.
Endlich begann der Metalgod zu sprechen. "Astaria!" Eine Stimme wie ein Powerchord. "Viele Jahre lang kämpfte ich gegen Popsirenen und Technodämonen. Mein Bass zerschmetterte Leiber, meine Drums erschütterten den Himmel. Doch mit jedem Sieg wuchs die Sehnsucht nach meinem Reich und meinen Nymphen. Die wenigen Gedanken, die sich nicht um das Töten oder Heavy Metal drehten, galten unserem Zuhause. Und ich sehe, dass du dich gut darum gekümmert hast."
Die Nymphe errötete, was bei ihrer grünen Haut einen merkwürdigen Farbton ergab. "Selbstverständlich, Meister. Und ich habe in eurer Abwesenheit auch das Erdenreich beobachtet, wie ihr es mir aufgetragen habt."
Nun war es der Metalgod, der seine Aufregung kaum noch verbergen konnte. "Und, was hast du zu berichten?!"
Astaria lächelte verschmitzt. "Es scheint, als wäre euer Kampf äußerst wirkungsvoll gewesen. Der Einfluss unserer Feinde ist zwar noch groß, doch die Schar eurer Jünger ist stark gewachsen. Heavy Metal ist nun eine der beliebtesten Musikformen im Reich der Sterblichen."
Nun lachte der Metalgod, und zwar derart dröhnend, dass sich die anderen Nymphen erschreckt ihre spitzen Ohren zuhielten. Astaria lächelte einfach weiter.
"Lass es mich hören!" befahl der Metalgod beglückt.
Astaria gehorchte und sprach eine magische Formel. Zunächst ganz leise, dann immer lauter, füllte sich die Halle nun mit den Geräuschen der Menschenwelt. Das meiste davon war Stimmengewirr oder der Lärm von Maschinen; doch das Gehör des Metalgod arbeitete anders als das seiner Nymphen. Er konzentrierte sich, und bald vernahm er sie: Die ausgefeilten Gitarrensoli von Metallica, die dröhnenden Bässe von Steve Harris, Ozzys Whiskeystimme ... Die Zahl der Legenden, deren Musik der Metalgod vernahm, wurde immer größer. Doch nach und nach gesellten sich unbekannte Klänge dazu, von Bands, die erst nach seinem Aufbruch entstanden sein mussten, harte, schnelle und melodische Klänge, doch egal ob es sich um Thrash, Speed oder Goth handelte: Es war alles HEAVY METAL, und es dröhnte weltweit aus zahllosen Lautsprechern.
Der Metalgod war fassungslos vor Glück. Er stapfte zum Kessel voll Blutwein, hob ihn an seine Lippen und soff ihn aus.
"Lass sie mich sehen!!", rief er dann trunken vor Wein und Glückseligkeit. "Zeig mir die Fans, meine neuen Jünger!"
Doch nun erstarrte Astaria zum zweiten Mal an diesem Tag. Vor diesem Wunsch hatte sie sich gefürchtet.
"Was hast du, meine Nymphe?", dröhnte die Stimme, die nun auch ein wenig lallend klang. "Ich sagte, du sollst mir meine Jünger zeigen!"
Astaria seufzte resigniert und sprach einen weiteren Zauberspruch. Und nun füllte sich die riesige Halle mit Abbildern von Menschen. Erst ein paar, dann hunderte, schließlich tausende, bis die ganze Halle vom Boden bis zur Decke gefüllt war.
Glücklich ließ der Metalgod seinen Blick schweifen, nahm die Bilder in sich auf. Doch seine Zufriedenheit verwandelte sich mit mit jeder Sekunde mehr und mehr zur Ungläubigkeit. Er sah unter seinen Jüngern einige mit langen Haaren, wilden Bärten und schwarzen Klamotten. Doch was ihn so ungläubig machte, waren die tausenden anderen Bilder dazwischen. "Die haben ja alle kein Metal", murmelte er. "Fast alle haben gestylte kurze Haare! Wenn überhaupt ein Bart, dann ist er sauber gestutzt?! Und diese Klamotten. Schau mal, der da trägt sogar ein weißes Hemd! E-kel-haft. Und der eine kann nicht älter als zwölf sein! Das ... das muss ein Irrtum sein! Astaria!!"
Die Nymphe sah betreten zu Boden. "Es tut mir sehr leid. Wie es scheint, war euer Kampf für die Verbreitung unserer Religion etwas zu erfolgreich. Heavy Metal ist jetzt ... Mainstream. Die Jugend mag es, weil es hip ist. Sie hören die Musik, aber sie leben nicht das Leben." Mit jedem Satz seiner Nymphe war Metalgods Miene fassungsloser geworden. "Was sagst du da?"
Astaria wagte nicht, ihn anzusehen. "Es ist wahr, Meister. Wie es aussieht, ist Heavy Metal jetzt das, was Rap in den 90ern war."
Der Metalgod sank zu Boden. "Lass sie verschwinden." Eilig sprach Astaria einen weiteren Spruch, die Ansammlung an Metalfans ohne Metal verpuffte. Voller Mitgefühl betrachtete Astaria nun ihren Meister. Aus der mächtigsten Entität des Musikhimmels war ein geknickter Mann geworden. "Meine Nymphe", hauchte er, "ich brauche jetzt erst mal Abstand von allem."
"Natürlich, Meister".
Der Metalgod fuhr fort, seine zuvor mächtige Stimme nur noch ein Schatten ihrer selbst: "Werde für eine Weile nach Walhall gehen, um mich zu erholen. Die sollen dort ein gutes Wellness-Programm haben ... Wie wär's, wenn du mitkommst?“
"Ich? Aber – was passiert mit dem Reich?"
"Das wird schon eine Weile ganz gut ohne uns beide auskommen."
Astaria nickte erfreut. Sie gab den Unternymphen noch ein paar Anweisungen, und stützte dann ihren Meister auf dem Weg nach draußen.