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Die Puppenfolge

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10.01.2006
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Die Puppenfolge

Mareikes kleine Kinderhand lag warm ummantelt in Papas flächiger Pranke, als sie zu Zweien über den altstädtischen Frühjahrsrummel schlenderten. Nur der Papa und die Mareike – allein der Gedanke ließ ihre neugierigen Kulleraugen freudig schon erglühen, zumal der Papa es solchermaßen hielt, dass an ein wenig kindliche Fantasie kein Unrecht getan und so konnte er sich in die farbenfrohe Welt der pausbebackten Knirpse also trefflichst hineinversetzen und war ein richtiger, ein alter Geschichtenerzähler vor dem Herrn. Sobald sich jedoch eine weitere Person in diese Blase begab, verfing sich der Papa nur allzu schnell in schnödem Erwachsenenkram, schraubte und lamentierte an den dümmlichsten Themen herum, tat sich mit Gestalten zusammen, die Mareike anstandshalber durch die Haare wuschelten und verlor sich auch sonst in Beliebigkeit. Wenn sie aber alleine waren, dann blühte der Papa so richtig auf und begann zu erzählen: Von ehernen Hirschen, die sich mit weit verzweigten Geweihen schnaufend ineinander verkrallen; von der knochigen, alten Hexe, die hoch droben auf der dicht bewaldeten Anhöhe in einer von Sturm und Efeu zerzausten Villa über ihrem brackigen Kessel brütet oder auch von finsteren Geschöpfen in den Schlafzimmern der Kinder, die sich nächtens zwischen Gedanke und Wirklichkeit eine hauchende Form des Daseins in Augenwinkeln ersuchen und wie abgestanden an den Betten stehen. Vor allem also waren es Gruselgeschichten, kreischende Szenarien der Greueltat, die es klein Mareike angetan und sei es nun, da der Papa sie in frühester Kindheit bereits auf zauberhafte Schauderei konditioniert oder aber weil sie von Geburte an der dunkellüsternen Belange verfallen - dies mögen an anderer Stelle gerne die erlauchtesten Verhaltensforscher erschließen - jedenfalls liebte Mareike es über alle Maßen, wenn sie etwas so richtig erschüttern, ihre noch zarten Gehirnwindungen zucken und aufquellen ließ.
Als die beiden sich also an diversem Fahrgeschäft, Gewinn- und Zuckerwattestand berauscht und der Papa anhand von Schwank und düsterer Erzählung durch den dahingehenden Nachmittag geleitet hatte, da stießen sie auf einen etwas niedergekommenen Krämerstand mit morschem Fensterladen und welkem Geblüm, das in hohen, ovalen Vasen rings auf dem Boden platziert und somit dem Gesamtbild des Büdchens für die allgemeine Wahrnehmung wohl nicht eben bereichernd war. Umso mehr jedoch in den funkelnden Augen Mareikes, die auf Verschrobenheit gewissermaßen ja geübt und sich sogleich tastend, schnuppernd und tüftelnd an den herumliegenden Püppchen, Sticker- und Schnitzereien probierte und schließlich ein ganz besonderes, gar seltenes Handwerksstück sich ins Lichte hielt: Eine fein gedrechselte Matrjoschka - vom Rumpfe her bereits was schnittiger geschwungen, als seine großen und kleinen Geschwisterchen aus anderer Hand und Herstellung, jedoch erst ganz vom filigranen Pinselstrich als sonderbares Einzelgebilde auszumachen, handelte es sich doch um diverse Tiergestalten, die da auf den hölzernen Püppchen abgebildet und zeichnete sich gleich auf der obersten Figur ein prächtiges Federtier ab, dessen feingliedriges Flügelwerk beinahe über das gesamte Rund sich erstreckte. Und da klein Mareike dies geschachtelte Schmuck- und Spielstück sogleich außerordentlich faszinierte, zog sie sich den Papa hinzu, der kurz nur am benachbarten Antiquitätenstand sich einen Überblick verschafft hatte, bot ihm den sonderbaren Fund zur Betrachtung feil und richtete mit weit aufgeschlagenem Aug‘ und hervorstehender Wimper also folgende Frage an ihn:
„Papa, wenn du kein Mensch sein müsstest, welches Tier wärst du dann wohl am liebsten?“ -
Und nun scheiden sich die Geister, denn was im Folgenden sich ereignete, hat einen solch absurden Anstrich, dass im mindesten am Wahrheitsgehalt gezweifelt, darüber hinaus jedoch gar gemutmaßt werden darf, dass diesem Bericht nichts anderes wohl als die angestachelte Fantasie der kleinen Mareike zugrunde liegen mag.
Jedenfalls, und so ist es also übermittelt, ließ diese einfache Frage den Papa seltsam aufgescheucht zurück und war es zunächst sein rechtes Auge nur, das diesen Eindruck bestätigte, da es willkürlich nun zu zucken begann und, gefolgt von einem kurzen, barschen Aufschrei, von weiterem Krampfe bereits kündete. Und ob der Papa dies sein körperliches Aufbegehren nun zu zügeln oder zur spielerischen Veranschaulichung gar von innen heraus noch weiter zu beschwören suchte, war wahrlich nicht mehr auszumachen, denn ging jetzt alles viel zu schnell und da hielt er sich die starr zum Hohlraum geformten Hände mit den Fingerkuppen gegen den abgesenkten Kopf, der immer mehr nun nach unten zu sacken drohte, was Schulter und Rücken im Gegenzug buckelig nach oben drückte und als die rechte Krümmung bald erreicht, da schossen wie zwei silberne Fontänen ihm zwei prächtige Flügelpranken aus den Schulterblättern hervor. Und auch am Rest des Körpers ploppte aus allen Poren schon das bauschige Gefieder, sodass unter diesem hormonellen Schube Hemd und Hose ihm zerplatzten.
Doch so schlagartig er auch jene verruchte Vogelgestalt wie aus dem Nichts manifestiert, genauso jäh war sie bereits wieder verflogen, denn fügte es sich, dass im nächsten Moment wie rings geschleudert aus der Schneekanone das ganze Federkleid in hundert weißen, flauschigen Fetzen durch die Lüfte sich zerstreute. Und als diese Wolke allmählich wieder zerstoben, da zeichneten sich dahinter bereits die ersten vagen Konturen wohl eines weiteren Geschöpfes ab und tatsächlich war’s bald klarer zu erkennen - und da war’s ein stämmiger Wolf, ein knurrender Isegrim, der diesem Chaos entwachsen, dessen schwarz-grau gesprenkeltes Fell majestätisch über den muskulösen Körper hinfort sich zog und der die Schnauze jetzt gegen den Himmel erhob, um mit wilder Heulerei das späte Jahrmarktsgetümmel über seine jähe Erscheinung in Kenntnis zu setzen.
Doch waren auch seine Sekunden bereits gezählt, denn rollte er sich mit einem Male kauzig jetzt nach hinten ab, sodass sein Gesäß also freigesetzt nach vorn sich wölbte und da ward ein weiteres Tier schon angedeutet, das zunächst wie ein Finger nur als Ende wohl eines Fortsatzes aus dieser prangenden Poperze ragte und immer mehr dem Lichte nun entgegen quoll. Und als dies seltene Gewürm einen geschätzten Meter schon erreicht, da konnte es gewiss nichts anderes mehr als ein ausgewachsener Python sein, der je nach Durchmesser diese Schleuse also spreitete und nach einigem Gedrücke endlich freigesetzt in voller Länge auf den glühenden Asphalt sich erstreckte und sein wohlverziertes Schuppengewand der Sonne stolz zum Glanze bot.
Und damit nicht genug: Denn je verzückter der Python sich jetzt aalte und räkelte, desto ergiebiger traten im Mittelteil seines Gewandes die Falten einer beulenartigen Erhebung hervor und als er bald selber diese Anomalie vergegenwärtigte, da ward er sogleich übermannt von schubartiger Nieserei, gefolgt von Würgen und Ächzen, was das Muskelwerk im Schlangenschlauch offensichtlich nun mobilisierte, diese Beule auszumerzen und allmählich also dem vorderen Ausgang hinzuführen. Und als dies unter einigem Gezeter tatsächlich bald gelungen und jenes innere Geschwür vom ausgehangenen Schlangenmunde hervor gespien, da sah es aus wie ein zusammengepferchtes Huhn – ja, ein Huhn, das mit angematschtem Gefieder jetzt vornüber auf den Boden kippte und eine Weile reglos wie ein Klotz da liegen blieb.
Doch konnte auch jenes Federtier – oh Wunder – gewiss eines quietschfidelen Zustandes allzu lange nicht entbehren und so tat es also behutsam bald die verklebten Äuglein auf, streckte und schüttelte sich, sodass dem vollgesogenen Federkleid die Schwere tröpfchenweis‘ entwich, plusterte gebührend sich auf und nahm jetzt die allerseligste Position einer brütenden und damit fromm und fügsam waltenden Legehenne ein. – Und was dies putzige Tier einige Augenblicke später bereits hervorgetan, war schlicht ein einfaches Hühnerei, ein bräunliches, ein wohlbeschaltes Oval, an dem noch hie und da ein zartes Büschel Federn hing.
Und es war tatsächlich so. Und umso erstaunlicher nur, dass der Papa mit einem Male jetzt – als wären die letzten Minuten gänzlich ohne Werk und Wunder wohl verstrichen – in seiner ursprünglichen Statur und Position vor dem Krämerladen stand und in die geweiteten Pupillen seiner Tochter blickte. Kurz hielt er inne nur, wobei ihm die Augenbrauen gedankenträchtig nieder fielen, zeigte dann aber eine Regung des Verstehens – und da beugte er sich also vorne über, griff nach jenem Hühnerei, das ja gewissermaßen aus ihm selber letztlich erst entsprungen, und als er es nun näher sich betrachtete, da war es nichts anderes als jene ominöse Tiermatrjoschka, jene fein gedrechselte Puppenfolge, die klein Mareike doch jüngst so überaus fasziniert zurück gelassen. Und da er diese nun in den Händen hielt, dachte er noch einmal über Mareikes jüngst gestellte Frage nach, strich sich durch den zotteligen Bart und brachte ihr dann Folgendes als Antwort endlich entgegen:
„Wenn ich also ein Tier wäre, mein Kind, dann wäre ich am liebsten jenes, als das Du mich selber gerne sehen würdest. Von welchem Du am liebsten und am farbenfrohesten wohl zu berichten wüsstest. Wenn ich ein Tier wäre, dann wäre ich jenes Tier, das auch Du gerne sein würdest.“

 

Hallo Janosch

Die Fantasy ist ja ein weites Gebiet, in dem allerlei Gefieder, Füllhörner und anderes mehr bis hin zu Urban Fantasy Platz finden. Deine Geschichte ist so eine Art, die mir zuzuordnen nicht ganz leicht fällt. Zu Beginn hatte ich den Eindruck, in eine erwachsene Erzählerstimme einzutauchen, die einem Kind versucht ein Märchen zu erzählen, eine Monotonie kam mir auf. Doch da merkte ich, dass auch die Gedanken, die Fantasie und die Sprechweise der Kleinen einer andern, abgehobenen Ebene zuzuordnen waren. Da sie bereits mit magischen Geschichten und Gruselwelten sozialisiert war, muss dies die Ursache hierfür sein, die sie mich mit andern Augen betrachten liess.

dann blühte der Papa so richtig auf und begann zu erzählen:

Da war ich gespannt, wie die Geschichte sich einschwenken mag.

Vor allem also waren es Gruselgeschichten, kreischende Szenarien der Greueltat, die es klein Mareike angetan und sei es nun, da der Papa sie in frühester Kindheit bereits auf zauberhafte Schauderei konditioniert oder aber weil sie von Geburte an der dunkellüsternen Belange verfallen - dies mögen an anderer Stelle gerne die erlauchtesten Verhaltensforscher erschließen - jedenfalls liebte Mareike es über alle Maßen, wenn sie etwas so richtig erschüttern, ihre noch zarten Gehirnwindungen zucken und aufquellen ließ.

Die Brachialgewalt ist hier vor allem an der Satzlänge spürbar, 75 Worte! Aber nein, du übertriffst es weiter unten noch mit 240 Worten, denen ein Doppelpunkt nach 41 einen Atemzug gönnt. Die Langatmigkeit, die du dem Leser an verschiedenen Stellen im Text zumutest, ist schon frappant, als meintest du, ihn dadurch auch zu gehetzter Atemlosigkeit führen zu können. Hier gäbe es durchaus die Möglichkeit, mit kurzen Sätzen, spannende Effekte zu steuern.
Der Querverweis auf Verhaltensforscher klingt mir hier etwas abstrus, obwohl Pseudodokumentation in der Fantasy-Literatur nicht gänzlich fremd ist. Hier hat es aber keinen inneren Wert, es will einzig dem Leser über das Gezeigte hinaus etwas suggerieren.
Ich dachte erst, du seist ein junger Autor, bis mir die alte Schreibweise der Gräueltaten auffiel. Natürlich lese ich über solches hinweg, nur kurz aufmerkend, wie wenn ich alte Handschriften lese, im Gedächtnis abrufend, welchen Buchstaben dieser besondere Schnörkel ausmacht. :)
Bei Geburt würde ich aber von der mundartlichen Schreibweise eher abkehren, auf das e am Ende verzichten. Auch zauberhaftes Schaudern wäre mir als Leser eher bildlich reibungslos durchgegangen.

Die Lesehemmung, welche ich zu Beginn verspürte, legte sich sukzessive im Text. Nicht dass mich die Spannung so richtig zu packen vermochte, aber mein Drang hinter die Dinge zu kommen, nahmen überhand. Es offenbarte sich mir da auch etwas. Nicht etwas das man sonst vor einem schäbigen Krämerstand erblickte, fürwahr nicht. Es erinnerte mich an eine Varietéshow, bei der sich ein junger Mann vor den Augen der Zuschauer in einen stark behaarten, wilden Riesenaffen verwandelte. Der Trick erfolgte mit Laser, und obwohl ich mich bemühte dieser täuschenden Suggestion zu entgehen, gelang es mir nicht die Wandlung als Sinnestäuschung zu entlarven. Es wirkte erschreckend echt.

Insgesamt hatte mir die Geschichte also durchaus ihren Reiz, von der Idee her auch sympathisch, doch bei der Erzählsprache könnte ich mir da mehr vorstellen. Ich denke auch, dass der Effekt sich sogar verstärken könnte, wenn das Kind nicht abgebrüht wäre, es wohl gerne Geschichten vom Vater hört, doch normal schreckhaft reagieren würde. Und eben monströs lange Sätze, bringen in wenigen Fällen für den Inhalt einen Gewinn. Darauf hatte ich dich schon früher mal hingewiesen, doch du scheinst da resistent zu sein.

Würdest du nicht nur ab und zu hier eine Geschichtehier reinstellen, Kommentare u. U. beantworten und darüber hinaus aber auch die Geschichten anderer kommentieren, könntest du so einiges dazulernen. Denn beim Kommentieren achtet man auf verschiedene Dinge, die einem selbst auch beim Schreiben wieder transparent werden. Es geht also letztlich um Erkenntnis, welche sich schärfen lässt. – Bin gespannt auf deine nächsten Kommentare bei Geschichten anderer.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Janosch,

Das ist eine hübsche Idee für eine Kurzgeschichte, aber der Stil hat sie mir richtig verleidet. Es war für mich mühsam und frustrierend, sie überhaupt zu Ende zu lesen.

Und ich bin so einem verschnörkelten Stil nicht grundsätzlich abgeneigt. Es ist also nicht etwa so, dass lange Sätze, viele Adjektive und ein altertümlicher Duktus mich von vornherein abschrecken. Aber wenn ich den Stil deiner Geschichte in einem Satz zusammenfassen müsste, würde ich sagen: Gewollt und nicht gekonnt.
Sorry. Wenn man auf diese Art schreiben will, dann muss man ein gutes Sprachgefühl haben, und sich mit den Bedeutungsnuancen von verschiedenen Wörtern wirklich auskennen. Wenn man einfach nur ein vermeintliches Synonym wählt, weil der Satz dann so aufregend exotisch klingt, dann kommen oft ganz üble Stilblüten dabei heraus. Und davon gibt es in deinem Text so viele, dass mich allein der Gedanke, eine Liste zu machen und aufzuzeigen, was genau an den Sätzen verkehrt ist, schon ermüdet.

Wer ist hier die Zielgruppe? Ein kleines Mädchen ist die Protagonistin, und die Idee ist niedlich und harmlos genug, dass es eine Kindergeschichte sein könnte, aber welches Kind soll diesem Text etwas abgewinnen können? Ich glaube, wenn du dich von Anfang an für eine kindgerechte Sprache entschieden hättest, würde die Geschichte viel besser zur Geltung kommen als mit diesem überladenen, gekünstelten Zeug.

Hat es dir Spaß gemacht, diesen Text zu schreiben? Ich hatte den Eindruck, du hast dich selbst beim Schreiben womöglich genauso gequält wie ich beim Lesen. Es ist nie eine gute Idee, auf eine Art und Weise zu schreiben, mit der man sich selbst nicht wohlfühlt. Man muss nicht unbedingt genauso schreiben, wie man redet, aber wenn sich etwas unnatürlich anfühlt, dann ist es meistens auch nicht gut.

Ich will nicht nur pauschaule Kritik üben, ohne wenigstens an Beispielen zu zeigen, was mich an dem Text so stört. Also hier sind ein paar konkrete Anmerkungen zu den ersten Sätzen:

Mareikes kleine Kinderhand lag warm ummantelt in Papas flächiger Pranke, als sie zu Zweien über den altstädtischen Frühjahrsrummel schlenderten.
Der allererste Satz lässt mich schon den Kopf schütteln. Flächig? Ist das eine gute Beschreibung für eine große Hand? Sagt das wirklich das aus, was du aussagen möchtest? Und eine Pranke ist nicht das gleiche wie eine Hand. Da beschwörst du bedrohliche Bilder herauf, die völlig unpassend sind.

Nur der Papa und die Mareike – allein der Gedanke ließ ihre neugierigen Kulleraugen freudig schon erglühen, zumal der Papa es solchermaßen hielt, dass an ein wenig kindliche Fantasie kein Unrecht getan und so konnte er sich in die farbenfrohe Welt der pausbebackten Knirpse also trefflichst hineinversetzen und war ein richtiger, ein alter Geschichtenerzähler vor dem Herrn.
Das Fette geht so nicht, das ist kein Deutsch. Abgesehen davon macht mir der ganze Satz Kopfschmerzen, weil das alles so süßlich und pseudokindlich ist. Als Kind hätte ich das als schrecklich herablassend empfunden. "Pausbebackte Knirpse" - so redet jemand, der Kinder nicht ernst nimmt. Oder vielmehr die Leser im Allgemeinen nicht ernst nimmt. Da fühl ich mich, als ob mir einer ungefragt durchs Haar wuschelt, und bekomme Lust, demjenigen als Ausgleich kräftig vors Schienbein zu treten. (Das ist nicht persönlich gemeint - ich beschreibe, was der Text in mir auslöst. Das geht nicht gegen dich als Autor, sondern gegen den Erzähler in der Geschichte).

oder auch von finsteren Geschöpfen in den Schlafzimmern der Kinder, die sich nächtens zwischen Gedanke und Wirklichkeit eine hauchende Form des Daseins in Augenwinkeln ersuchen und wie abgestanden an den Betten stehen.
Abgestanden heißt soviel wie schal oder schlecht geworden, und wird normalerweise in Bezug auf Wasser oder Luft verwendet. Du kannst nicht einfach eine neue Bedeutung für ein Wort erfinden, wie es dir gerade passt.

Vor allem also waren es Gruselgeschichten, kreischende Szenarien der Greueltat, die es klein Mareike angetan und sei es nun, da der Papa sie in frühester Kindheit bereits auf zauberhafte Schauderei konditioniert oder aber weil sie von Geburte an der dunkellüsternen Belange verfallen -
Mag sein, dass später ein Germanist vorbei kommt und mich korrigiert, aber soweit ich weiß, wird bzw. wurde das Dativ -e nur bei männlichen und sächlichen Worten gebraucht und nicht bei weiblichen - das heißt z.B. von dem Manne, von dem Hause, aber nicht "von Geburte". So was meine ich. Wenn man so altertümlich schreiben will, dann muss man wissen, was man tut, sonst macht man sich bloß unglücklich.

jedenfalls liebte Mareike es über alle Maßen, wenn sie etwas so richtig erschüttern, ihre noch zarten Gehirnwindungen zucken und aufquellen ließ.
erschütterte

Als die beiden sich also an diversem Fahrgeschäft, Gewinn- und Zuckerwattestand berauscht und der Papa anhand von Schwank und düsterer Erzählung durch den dahingehenden Nachmittag geleitet hatte, da stießen sie auf einen etwas niedergekommenen Krämerstand mit morschem Fensterladen und welkem Geblüm, das in hohen, ovalen Vasen rings auf dem Boden platziert und somit dem Gesamtbild des Büdchens für die allgemeine Wahrnehmung wohl nicht eben bereichernd war.
Google mal, was niederkommen heißt. Das ist nicht etwa ein Synonym für "heruntergekommen". Und "welkes Geblüm"? Argh! Warum? In welcher Hinsicht ist das besser als "verwelkte Blumen"?

Und so geht das weiter und weiter. Ich habe hier längst nicht alles herausgepickt, was mir gegen den Strich geht. Wenn du wirklich so schreiben willst, dann lies ein paar Bücher von Leuten, die so geschrieben haben und das auch drauf hatten, Lovecraft oder Poe zum Beispiel, bis du ein Gefühl dafür bekommst. Und hinterher solltest du dich trotzdem immer fragen: Heißt das wirklich das, was ich glaube dass es heißt? Drückt das wirklich aus, was ich sagen wollte?
Und wenn du nur deshalb so schreibst, weil du das Gefühl hast, das wäre dann literarisch wertvoller, dann glaub mir bitte, dass es nicht so ist, und schreib lieber in der Sprache, in der du Zuhause bist - es wird sowohl dir als auch den Lesern deiner Texte zugute kommen.

Tut mir leid, das war für meine Verhältnisse eine sehr harsche Kritik. Aber mir tut es einfach leid um die fantasievolle und originelle Idee, die irgendwo unter dem ganzen Zinnober begraben liegt. Eine entschwurbelte Version der Geschichte würde ich gerne lesen.

Grüße von Perdita

 

hallo anakreon,
vielen dank für deinen ausführlichen kommentar.
für mich ist es natürlich spannend zu verfolgen, wo monotonie bei dir aufkahm und ab welchem trigger du quasi dann doch mit spannung dabei warst. aber mit den langen sätzen hast du recht - vermutlich möchte ich dadurch das lesetempo schüren, aber weniger ist hier wohl manchmal auch mehr. ich muss da definitiv dran arbeiten, auch, wenn ich bei diesem eher altertümlichen stil bleiben möchte. (was ich übrigens auf die begeisternde sprache eines thomas manns oder auch stefan zweigs zurück führe - ich selber habe aber schon immer eher verschachtelt geschrieben; auch, als ich die beiden nicht kannte bzw. generell noch kaum bücher gelesen hatte)

gräueltat hatte ich zunächst so stehen, hab dann aber gegoogelt.
das e bei geburt muss definitiv raus! danke für den hinweis. das rutscht mir manchmal noch durch, da ich zunächst für den klang schreibe (bin ein alter sonetten(-kranz)schreiber).

interessant auch der vergleich mit dem riesenaffen - ich mag so dinge, die zwischen realität und wirklichkeit schweben.

und ich glaub jetzt hast du mich wirklich und ich werd auch hier mal die eine oder andere geschichte lesen und kommentieren. ich habe früher in einem anderen forum lyrik veröffentlicht und muss sagen, dass mich das extrem weiter gebracht hat. warum also nicht auch hier? es ist eben immer nur der zeitfaktor, da prosageschichten nunmal länger brauchen, gelesen zu werden. aber wenn ich mich verbessern will, muss ich eben auch dafür arbeiten, das ist schon richtig.
ich bleibe dran.
gruß jan

 

hallo perdita,
grundsätzlich ist ja klar, dass die geschichte nicht jedem gefallen kann und das vielmehr noch natürlich ob des verschnörkelten stils. ich selber lese sowas gerne (thomas mann, stefan zweig - auch poe und lovecraft sollte ich mir wohl man zuführen) und kann dir hiermit sagen, dass ich höchste freude beim schreiben hatte. natürlich ist es arbeit, aber das macht eine kurzgeschichte im "zeitgemäß angepassten" stil gewiss auch. dass der funke nicht zu dir rüber schwappt und es gestelzt wirkt, damit muss ich rechnen bei der ausuferei - ich find es gut, dass du explizit punkte ansprichst.

"Mareikes kleine Kinderhand lag warm ummantelt in Papas flächiger Pranke, als sie zu Zweien über den altstädtischen Frühjahrsrummel schlenderten."

Der allererste Satz lässt mich schon den Kopf schütteln. Flächig? Ist das eine gute Beschreibung für eine große Hand? Sagt das wirklich das aus, was du aussagen möchtest? Und eine Pranke ist nicht das gleiche wie eine Hand. Da beschwörst du bedrohliche Bilder herauf, die völlig unpassend sind.

flächig find ich persönlich hier passend, da es den größenunterschied gut herauskehrt. dass pranke hier das richtige wort ist, vermag sich ggf erst beim zweiten lesen herauszustellen, da die pranke ja quasi bereits auf das tierische verweist, andeutungsweise auf das noch kommende. schließlich wird der papa ja nachher in der tat über ein paar kräftige pranken - und mehr - verfügen.

"Nur der Papa und die Mareike – allein der Gedanke ließ ihre neugierigen Kulleraugen freudig schon erglühen, zumal der Papa es solchermaßen hielt, dass an ein wenig kindliche Fantasie kein Unrecht getan und so konnte er sich in die farbenfrohe Welt der pausbebackten Knirpse also trefflichst hineinversetzen und war ein richtiger, ein alter Geschichtenerzähler vor dem Herrn."

Das Fette geht so nicht, das ist kein Deutsch. Abgesehen davon macht mir der ganze Satz Kopfschmerzen, weil das alles so süßlich und pseudokindlich ist. Als Kind hätte ich das als schrecklich herablassend empfunden. "Pausbebackte Knirpse" - so redet jemand, der Kinder nicht ernst nimmt. Oder vielmehr die Leser im Allgemeinen nicht ernst nimmt. Da fühl ich mich, als ob mir einer ungefragt durchs Haar wuschelt, und bekomme Lust, demjenigen als Ausgleich kräftig vors Schienbein zu treten. (Das ist nicht persönlich gemeint - ich beschreibe, was der Text in mir auslöst. Das geht nicht gegen dich als Autor, sondern gegen den Erzähler in der Geschichte).

an ein wenig kindliche fantasie ist kein unrecht getan - wo ist das kein deutsch? also wo siehst du hier den fehler? ich frage das wirklich explizit, da ich es selber womöglich nicht erkennen kann.
pausbebackte knirpse ist eine neue verwortung und damit natürlich nicht jedermanns geschmack, lässt auf der einen seite stocken und auf der anderen seite womöglich wohlwollend aufhorchen. ich finds knuffig. dass du den eindruck hast, ich oder der erzähler will dir damit auf den sack gehen, liegt offenkundig an deiner allgemeinen einstellung dem text gegenüber - ich kann dir also solch einen wahrnehmungsblitzer nicht verübeln, da er sich ja in deine gesamtwahrnehmung, das gesamtbild fügt, das der text in dir ausgelöst hat (aggressionen? ist es wirklich so schlimm?).

dass etwas, eine gestalt, wie abgestanden im zimmer steht, ordnet eben der seltsamen, vagen form dieses andersartigen daseins das attribut vielleicht einer flüssigkeit oder anderen substanz zu. das deutet darauf hin, dass es nicht ganz zu fassen ist, verwischt und eben nur wie ein unwohles gefühl, den raum vereinnahmt. ich finde das hier passend.

geburte ist richtig, das ist mir durchgerutscht, das e muss weg.

"jedenfalls liebte Mareike es über alle Maßen, wenn sie etwas so richtig erschüttern, ihre noch zarten Gehirnwindungen zucken und aufquellen ließ."

wenn sie etwas so richtig erschüttern (ließ). das "ließ" hinten gilt auch noch für das erschüttern vorne. nimmt also zucken aufquellen und erschüttern unter seine fittiche, das ist schon i.o. so.

shit, niedergekommen ist mir tatsächlich auch durchgerutscht. das wort hatte ich bereits gegoogelt und bin auch auf entbindung gestoßen, wollte es auch ändern, aber naja, passiert eben. danke für den hinweis.
welkes geblüm klingt in meinen augen besser, mysthischer, hauchender. als verwelkte blumen.


allgemein bin ich dankbar, dass du dich so mit meinen zeilen auseinandergesetzt hast, kann aber nicht ganz konform mit deiner sichtweise gehen. und ich bin mir sicher, dass wir in der tat hier von geschmäckern reden und das hab ich ja wie gesagt von vornherein gewusst/ einkalkuliert: dieser text/ diese sprache KANN nicht bei jedem wirken. und kann eben auch schleppend sich lesen. damit muss ich leben, wenn ich eben so schreiben möchte, wie es mir selber am meisten freude bereitet und ich glaube das ist das größte missverständnis hier.
man hat eben an dem text zu knacken, aber umso mehr freue ich mich, wenn es sich, wie das womöglich bei anakreon so war, motiviert ist dahinter zu schauen und dem ganzen eine andere ebene noch abzugewinnen. dazu muss man sich natürlich auch auf die sprache irgendwo einlassen und ich denke aber, dass es gerade dadurch, dass sie so und so gesetzt ist, erst diese ebene dahinter zulässt. das hätte ich womöglich mit kindlicher oder einfacher, "gesitteter" sprache nicht beschwören können.
gruß jan

 

Hi Janosch,

wenn es dir Spaß gemacht hat, das ist ja gut. Beim Lesen hatte ich leider keinen, und das hab ich dann auf dich projiziert - das war nicht okay, sollte man nicht machen. :shy:

Aber manchmal gibt es Texte, die einem selbst Spaß machen, und beim Leser (oder einer großen Zahl von Lesern) nicht ankommen. Da ist dann die Frage: Reicht es mir, wenn ich der einzige bin, dem der Text etwas gibt, oder war es mein Ziel, etwas zu schreiben, womit auch andere Leute etwas anfangen können?
Also ich will mir nicht anmaßen, für "die Leser" im allgemeinen oder für eine Mehrheit zu sprechen, und wenn hier noch mehrere Leute posten und sagen, die Sprache ist ganz toll und unterstreicht die Stärken der Geschichte, dann werd ich das akzeptieren und davon ausgehen, dass es halt nur mich betrifft. Aber das würde mich überraschen. Ich glaube, dass die Künstlichkeit der Sprache der Geschichte "schadet", in dem Sinne, dass es kaum jemandem geben wird, der sie mit Genuss liest.

Aber ich wollte gar nicht noch mal in die selbe Kerbe hauen, sondern versuchen, deine Frage zu beantworten:

an ein wenig kindliche fantasie ist kein unrecht getan - wo ist das kein deutsch? also wo siehst du hier den fehler? ich frage das wirklich explizit, da ich es selber womöglich nicht erkennen kann.

Ich kann es nicht mit grammatischen Fachbegriffen begründen. Aber nicht jede Satzkonstruktion kann jeden möglichen Zusammenhang ausdrücken. Bei solchen Redensarten gibt oft Einschränkungen, die sind nicht in jedem Zusammenhang sinnvoll.
Einmal ist es so, wenn man sagt: "An xxx ist Recht (oder Unrecht) getan", dann erfragt man das xxx mit "woran?" Das müsste dann also im Dativ stehen. Aber wichtiger ist, dass "ein wenig kindliche Phantasie" ja nichts ist, was man tut, die hat man.
Deshalb funktioniert diese Formulierung nicht.
Ich könnte zum Beispiel sagen "An ein wenig Ballspielen im Garten ist kein Unrecht getan" (auch wenn sich das reichlich komisch anhört), aber wenn ich sage "An meinem roten Ball ist kein Unrecht getan", dann hört sich das nicht nur komisch an, sondern es ist auch schlicht falsch.
Ich weiß nicht, ob die Erklärung verständlich ist - ich habe da bei meinem ersten Kommentar auf mein Bauchgefühl gehört, ohne ein Detail zu analysieren, was genau da nicht stimmt. Aber ich bin immer noch überzeugt, das geht so einfach nicht.

(aggressionen? ist es wirklich so schlimm?).
Wenn der Erzähler, metaphorisch gesprochen "ja dutzi dutzi duu, ist das nicht süüüüß!" macht, dann stört mich das schon massiv - schon als Kind fand ich das schlimm. Ich kann Texte nur mögen, wenn die sozusagen auf Augenhöhe mit mir reden. Das ist natürlich eine Frage der individuellen Einstellung.
Ich hoffe mein erster Kommentar kam nicht zu schlechtgelaunt rüber. So eine Reaktion ist ja vielleicht schon mal besser, als wenn einen ein Text völlig kalt lässt. Ich finde es halt schade, denn ich weiß, ich könnte die Geschichte mögen, wenn der Stil nicht wäre. Und ich meine ja nicht, dass die Sprache hier auf die simpelste Ebene reduziert werden muss - nur dass die Stilblüten und Seltsamkeiten sich nicht so sehr häufen sollten, dass sie den Blick auf die Geschichte verstellen.

Grüße von Perdita

 

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