Die Prinzessin, die nicht heiraten wollte
Die Prinzessin, die nicht heiraten wollte
Es war einmal eine Prinzessin namens Inge, die war die Schönste im ganzen Königreich und ungewöhnlich eitel. Jeden Morgen stand sie stundenlang vor ihrem Spiegel und probierte die edelsten und prachtvollsten Kleider an. Denn alle Schneider des Reiches waren verpflichtet, ihr jeden Tag ein Neues zu liefern.
Am Mittag fragte sie ihren Spiegel:
Spieglein, liebstes Spiegelein,
in welchem soll die Hochzeit sein?
Der Spiegel antwortete:
Kein Gatte wird berühr`n ein Kleid
fern ist noch Deine Ehezeit!
Da freute sich die Prinzessin sehr, denn nichts schien ihr ein größeres Greuel zu sein als die Ehe. Im Lande gab es nämlich ein Gesetz, dass jede Prinzessin bis zu ihrer Hochzeit ihren Bettgefährten frei wählen dürfe und jeder Mann ihr für eine Nacht zu Willen sein müsse. Prinzessin Inge machte reichlich Gebrauch von diesem Vorrecht. Sie ließ jeden Tag ihre Kutsche anspannen und fuhr in die Stadt, um sich einen Mann zu suchen, der das Lager mit ihr teilen sollte.
Eines Tages jedoch kamen die Frauen der Stadt zum Schloss und beschworen den König, endlich einen Prinzen für seine Tochter zu suchen, damit dieses schamlose Treiben ein Ende habe. Keine von ihnen könne noch ruhig schlafen, da niemand sicher sei, ob der ihnen angetraute Ehegatte nicht am Abend bei der Prinzessin weilen müsse. Also beschloss man, dass die Prinzessin heiraten solle und rief alle Prinzen der Umgebung auf, um ihre Hand anzuhalten. Die Prinzessin konnte zwar den Entschluss ihrer Eltern nicht mehr rückgängig machen, doch bat sie sich aus, die Freier auf eine Probe stellen zu dürfen.
Sollte ein Prinz die von ihr gestellte Aufgabe erfüllen, so würde sie ihn heiraten. Könne er dies nicht, verlöre er sein Leben.
Als die Prinzen von dieser Bedingung hörten, traute sich keiner, um ihre Hand anzuhalten. Zwar hätte jeder gerne das versprochene halbe Königreich genommen, doch für eine Prinzessin mit zweifelhaftem Leumund sein Leben riskieren wollte niemand. Nur ein alter, einäugiger Seeräuberkapitän, der sich Prinz Klaus von Strickeland nannte und viele Narben aus zahlreichen Schlachten in seinem Gesicht trug, ließ sich nicht beirren und sprach:
"Hier ist ein rechter Mann gefragt. Ich werde zu ihr gehen und um ihre Hand anhalten. Sieht sie mich erst, wird sie sofort in Liebe erglühen und mir eine Aufgabe stellen, die leicht zu lösen ist."
Als die Prinzessin ihren Freier sah, erschrak sie furchtbar. Schnell lief sie zum Spiegel und fragte:
Spieglein, liebstes Spiegelein,
wird dieser Mann mein Gatte sein?
Der Spiegel antwortete:
Rauh ist dieses Mannes Kern
doch mag er Hausarbeit nicht gern!
Am Abend gab man zu Ehren von Prinz Klaus ein großes Fest. Die schönsten Speisen und edelsten Weine wurden gereicht und hundert Gäste hatte man geladen. Am Kopfende saß der alte Seeräuberkapitän und zwinkerte mit seinem einzigen Auge allen weiblichen Gästen schäkernd zu. So sicher war er sich seiner Sache, dass er den König bereits Schwiegerpapa nannte und von dem halben Staatsschatz sprach, den er mit auf sein Schiff nehmen wolle.
Als die Feier zu Ende ging, erhob sich Prinzessin Inge und sprach:
"Lieber Prinz von Strickeland, wie Du wohl gehört hast, darf ich meinem Heiratskandidaten eine Aufgabe stellen."
"Nur zu", unterbrach sie der Prinz, "ich nehme es mit jedem in diesem Schlosse auf. Wähle nur, wer gegen mich kämpfen soll, ich fürchte mich vor niemandem."
Die Prinzessin lächelte:
"Kämpfen musst Du wohl, aber ich wähle nicht einen, sondern hundert. Wie Du gesehen hast, waren hundert Gäste eingeladen. Jeder von ihnen hat reichlich gegessen und getrunken. Nun sollst Du bis zum Sonnenaufgang ihre schmutzigen Gläser und Teller abwaschen. Schaffst Du es nicht, ist Dein Leben verwirkt!"
Da wurde der Prinz zornesrot: "Diese Aufgabe ist eines richtigen Mannes nicht würdig. Niemals werde ich das tun, eher gehe ich freiwillig unter den Galgen." Und so geschah es.
Ein Jahr lang traute sich kein Prinz mehr in das Königreich, denn jeder hatte von dem grausamen Ende des Seeräuberkapitäns gehört. Doch die Ehefrauen der Stadt beklagten sich erneut bei dem König, man müsse nun endlich einen Prinzen für die Prinzessin finden. Diese treibe es immer ärger und nehme nun schon täglich zwei Männer als nächtlichen Zeitvertreib mit auf ihr Schloss.
Da besann sich der König einer List und rief alle Länder zu einem großen Fußballturnier in sein Land. Tatsächlich gelang es ihm, einen Prinzen in das Land zu locken, der so verrückt nach dieser Sportart war, dass er alle gut gemeinten Warnungen missachtete und zum Hofe ritt.
Freudig wurde er auf dem Schloss begrüßt, doch sagte er jedem, er sei nur wegen der Fußballspiele gekommen und keinesfalls daran interessiert, die Prinzessin zu freien. Dennoch lud man ihn zu einem großen Fest mit Freibier und gebratenen Würsten.
Die Prinzessin hatte bereits vernommen, dass ein Prinz im Reiche sei, der nur an Fußball Gefallen fände und nicht um ihre Hand anhalten wolle. So sagte sie unbekümmert auch ihr Erscheinen auf dem Feste zu.
Es war schon spät, als sie in ihrem prächtigsten Kleide auf der Feierlichkeit erschien. Prinz Martin hatte sich zwischenzeitlich eifrig an dem Bier gelabt und als er die Prinzessin in ihrer ganzen Schönheit erblickte, lallte er trunken:
"Oh, ist die hübsch! Ich will sie doch..." Da der Prinz mitten in seinem Satz von seinem Stuhl fiel, nutzte die Prinzessin die allgemeine Verwirrung und eilte schnell zu ihrem Spiegel, um ihn zu befragen:
Spieglein, liebstes Spiegelein,
soll dieser Mann mein Gatte sein?
Das Spieglein sprach:
Zu gern trinkt dieser Mann sein Bier,
nimmst Du es fort, bleibt er nicht hier!
Als der Prinz am nächsten Morgen mit brummenden Schädel erwachte, vernahm er, dass er am Abend zuvor um die Prinzessin angehalten hatte. Erschrocken raffte er sein Bündel zusammen und wollte gerade fliehen, als plötzlich seine Kammertür aufging und die Prinzessin vor ihm stand.
"Ich habe gehört, Du elender Wicht hast um meine Hand angehalten?"
Prinz Martin nickte eingeschüchtert: "Dies ist wohl wahr, doch bitte ich Euch, meine gestrige Trunkenheit zu bedenken. Nie hätte ich dies im nüchternen Zustand gewagt."
Prinzessin Inge nickte ärgerlich: "Da sagst Du ein wahres Wort! Wenn Du um mich freien willst, verlange ich von Dir, für alle Zeiten dem Bier zu entsagen!"
Der Prinz wurde leichenblass.
"Das kann ich nicht. Bitte lasst mich nach Hause zurück kehren."
"Einverstanden", sagte Prinzessin Inge, "aber nur, wenn Du alle anderen Prinzen davon abrätst, in dieses Königreich zu kommen!"
Dies versprach Prinz Martin mit heiligem Eid und so kam es, dass nie wieder ein Prinz in ihrem Land erschien, so sehr sich auch ihre Eltern darum bemühten.
Prinzessin Inge war glücklich. Niemand würde es mehr wagen, um ihre Hand anzuhalten. Aber die Frauen der Stadt bedrängten den König erneut und forderten von ihm, doch endlich dieses unsinnige Gesetz für ledige Prinzessinnen zu ändern. So wurde verfügt, dass von Stund` an nur noch eine verheiratete Prinzessin ihre Männer für eine Nacht aussuchen dürfe und dies auch nur dann, wenn ihr Ehegatte damit einverstanden sei.
Verzweifelt fragte die Prinzessin ihren Spiegel, was sie tun solle.
Der Spiegel antwortete:
Der Gatte, der doch keiner ist,
der liegt dort unten auf dem Mist!
Prinzessin Inge schaute aus dem Fenster und erblickte einen jungen Stallburschen, der im Schlosshof auf einem Misthaufen lag und schlief.
Schnell rief sie ihre Wache und ließ ihn zu sich bringen.
"Bist Du wirklich ein Prinz?" fragte sie argwöhnisch.
Der junge Mann nickte schüchtern: "Ich glaube schon. Prinz Walther ist mein Name, doch hat mich mein Vater enterbt, weil ich nicht gescheit genug für diesen Titel bin."
Prinzessin Inge lächelte: "Für mich bist Du gescheit genug. Willst Du mich heiraten? Aber nur, wenn Du nichts dagegen hast, dass ich mir weiterhin meine Männer für eine Nacht suchen darf!"
"Oh, was sollte ich den dagegen haben", sprach der Mann ängstlich, "Hauptsache, ihr schlagt mir nicht den Kopf ab!"
"Dies werde ich nicht, wenn Du mir diesen Ehevertrag unterzeichnest." Rasch zog sie ein Schriftstück aus ihrer Tasche, welches von den klügsten Anwälten des Reiches aufgesetzt war und ihr ein lebenslanges Anrecht auf eine Nacht mit anderen Männern sicherte.
Prinz Walther zeichnete drei Kreuze unter den Vertrag und die Prinzessin versprach, ihm nie eine Aufgabe zu stellen, die seinen Kopf kosten könnte.
So kam es, dass die Prinzessin, die nicht heiraten wollte, doch noch heiratete. Sie lebte glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende und die Frauen der Stadt wagten es nie mehr, ihr Tun vom König unterbinden zu lassen. Den Männern des Königreiches war dies durchaus nicht unangenehm.