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Die Prüfung
Noch dreißig Minuten. Würde sie rechtzeitig ankommen? Sie sah auf die Uhr. Ja, kein Problem. Sie hatte noch ausreichend Zeit und so unübersichtlich konnte das Gebäude ja nicht sein. Notfalls musste sie jemanden fragen. Einfach locker bleiben.
Nur noch fünfundzwanzig Minuten. Dann würde sich alles entscheiden. War der Blazer die richtige Wahl? Er ließ sie kompetent und erwachsen aussehen. Aber durch Shirt, Jeans und Stiefel hatte das Ganze trotzdem etwas Lässiges. Das Outfit stimmte! Und sie war gut vorbereitet.
Nur noch zwanzig Minuten. Welche Aufgaben würden dran kommen? Mathe würde kein Problem sein. Das konnte sie. Das war ihre Stärke. Sie durfte nur nicht zu schluderig sein und Flüchtigkeitsfehler machen.
Sie schaute erneut auf die Uhr: nur noch fünfzehn Minuten. Und wenn die sie nach ihrer Motivation fragten? Darauf konnte sie antworten. Sie wusste, warum sie das Studium wollte. Das würde schon klappen. Aber die Praxisfragen. Davor hatte sie am meisten Angst. Hoffentlich würde sie gleich erfassen, worauf die Prüfer hinaus wollten. Spontanität war nicht ihr Ding. Sie hasste es, wenn sie eine Sache nicht erst durchdenken konnte. Aber vielleicht bekam sie ja etwas Zeit, um sich vorzubereiten. Sie hoffte es.
Nur noch zehn Minuten. Sie versuchte sich abzulenken und warf einen Blick auf ihr Handy. Eine Nachricht von Suse. Das musste warten. Was, wenn diese blöden Fragen nach Stärken und Schwächen kamen? Viele Prüfer liebten es, daraus ein spiegelglattes Parkett zu gestalten, auf dem die Prüflinge aus dem Gleichgewicht gerieten. Sie durfte sich nicht auf Provokationen einlassen. Aber sie war cool. Sie würde das schon meistern.
Nur noch fünf Minuten. Sie konnte jetzt nichts mehr tun, außer warten. Sie fühlte, wie sich die Aufregung in ihrem Magen zusammenpappte, wie ein Rest kalt gewordener Nudeln. Sie atmete tief ein und aus und starrte aus dem Fenster.
Jetzt ging es los.
„Mama“, hörte sie Sonias vorwurfsvolle Stimme in ihrem Kopf: „Ich pack das schon!“
„Daran zweifele ich keine Sekunde, meine Große“, sagte sie leise aber bestimmt. Dann öffnete sie ihre Emails und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Anforderungen ihres eigenen Arbeitsalltages zu.