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Die Prüfung

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Die Prüfung

Die Seufzerbrücke ist der Pfad durch eine Sommerwiese, verglichen mit dem Todesmarsch den ich noch vor mir habe. Ich meine nicht einmal das Leben selbst, obwohl man es mit genanntem in Beziehung setzten kann. In Richtung welches Zieles marschiert das Leben? Hat unser aller Leben nicht das selbe Ende, das selbe Ziel? Dies ist nicht gerade erstrebenswert aber doch unausweichlich.

Meine Cousine meldet sich einfach nicht. Hat sie ihren heutigen Todesmarsch überlebt oder ist sie am endgültigen Ziel angekommen? Sie hatte ihren hübschen blonden Kopf voll Fakten über Romanik, Kubismus und Architektur. Ist er jetzt leer? Ausgelöscht durch die Begegnung?
Ich sehe diese starren Gesichter vor mir, gierig sie ihres Wissens zu berauben, das sie sich schon seit Wochen eingehämmert hat. Im Scheinwerferlicht der gläsernen Augen wird sie sich gewunden haben wie ein hilfloser Wurm an der Angel, angelockt durch ein zynisches Grinsen und einen freundlichen Gruß.
Ich sehe wie sie versucht sich an den blankpolierten Stuhl zu klammern. Keine Chance meine Liebe. Ich habe dir doch immer gesagt du sollst deine Krallen wachsen lassen, denn irgendwann brauchst du sie. Jetzt war der Moment gekommen und du warst außer Stande dich deiner abgefressenen Nägel zu bedienen. Ich lasse sie mir extra lang wachsen, nicht etwa um den hilflosen Stück Holz ein Haar zu krümmen, dazu sind mir die zerkratzten Dinger zu schade. Aber du hättest diesen Schritt tun können, denn auf deinem Elitegymnasium gibt es sicher unbeschädigte Stühle, an denen du ein Zeichen hättest setzen können. Zu spät.

Ich habe ein anderes Ziel, nicht die Stühle, die des weiteren in Reibung mit meinen Fingernägeln grauenhafte Geräusche verursachen, sondern eine andere, viel leichter durchdringbare Substanz. Sie wird meine Nägel wesentlich weniger ruinieren als das störrische Holz. Es könnte zwar etwas spritzen und meine neue weiße Bluse beschädigen, doch diesen kleinen Nebeneffekt muss ich in Kauf nehmen.
Doch so weit muss es gar nicht kommen.
Diese starren Gestalten haben ihr Schicksal selbst in der Hand, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. Ich habe meinen Teil des Spiels erledigt. Ich habe jedes einzelne Blatt genommen und es mir durch die Ohren und damit durch mein Gehirn gezogen. Was dabei hängen geblieben ist, ist hoffentlich mehr als Bau und Funktion der harten Hirnhaut.
Verfluchte drei Jahre Wissen, die ständig über die Neuronen der weißen Hirnsubstanz flitzen. Wozu? Damit mich diese erwartungsvollen Gesichter nach einem Sandkorn der ganzen Wüste fragen? Und dann auch noch nach einem, das so unbedeutsam ist und nicht einmal einen leichten Kratzer auf einer Glasscheibe hinterlässt.
Wie gesagt, ich hoffe, ihr findet eine vernünftige Nadel im Heuhaufen von Themen, die zu dem auch noch fähig ist, mir einen Pullover fürs Leben zu stricken.

[ 14.06.2002, 23:12: Beitrag editiert von: momo ]

 

Hi momo,
das sind wirklich interessante Bilder, um eine Prüfung zu beschreiben. Das Sandkorn, das man als unwichtig ausgeklammert oder gar übersehen hat. Die starren Blicke der Komission. Das hilflose Ausgeliefertsein der Bekannten (die abgefressenen Nägel). Also mit den Bildern hast Du wirklich gut gespielt.
Es wirkt auf mich teilweise allerdings ziemlich abstrakt, so, dass nicht jeder Leser (auch wenn er schon in Prüfungssituationen war) sich sofort damit identifizieren kann. Es scheint mir halt eine ziemlich eigene Beschreibung der Situation zu sein. Die Bilder im ersten Absatz sagen mir z.B. nichts (aber ausser vom Hörensagen kenne ich den Begriff Seufzerbrücke auch nicht weiter).
Auch deswegen wirkt es auf mich nicht richtig als Geschichte, sondern eher als ... Reflexion Deines Gefühlsstandes ... gibt aber wahrscheinlich auch kein anderes Forum, in das es besser passt.

Also, insgesamt schöne Bilder (sehr dramatisch) und irgendwie eine recht persönlche Schilderung. Aber trotzdem auch für Aussenstehende gut zu lesen, glaube ich.

Gruß, baddax

 

Hallo Momo!

Ich muss zugeben, ohne die Überschrift hätte ich keine Ahnung gehabt, was der Text eigentlich bedeuten soll. Ich musste die Geschichte zweimal lesen, um sie im Großen und Ganzen zu verstehen.

Wie Baddax schon sagt, ist es eine seltsame Schreibweise, eine Prüfungssituation zu schildern.

Teilweise zwar gut nachvollziehbar:

..., ich hoffe, ihr findet eine vernünftige Nadel im Heuhaufen von Themen, ...
Man muss eben für eine Prüfung viel Lernen und nur ein geringer Prozentsatz des gesamten Lernstoffes wird wirklich abgefragt.

Teilweise aber auch weniger:

Die ausführliche Sache mit den Fingernägeln, die ich nicht begreife.

Ich finde es auch schwierig, mich mit der Story zu identifizieren. Sie scheint wirklich ein sehr persönliches Werk darzustellen.

Nicht dass mir die bildliche Anschauungsweise nicht gefallen hat; es ist eben m. E. irgendwie ein Text, mit dem man sich einige Zeit auseinandersetzen muss, um ihn zu verstehen.

Ich hoffe, ich habe den Text jetzt nicht zu schlecht gemacht; denn das ist er an sich nicht. Nur eben nicht gerade einfach.

Viele Grüße,

Michael :)

 

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