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Die Prüfung

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18.03.2002
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Die Prüfung

Der Mann in der Mitte ist wirklich gutaussehend. Er wirkt seriös, freundlich, einnehmend und ich glaube, dass er sich gut mit meinem Vater verstehen würde. Der Mann rechts hat den anderen beiden wahrscheinlich gerade schon von mir vorgeschwärmt und meine Stärken betont. Ich kenne ihn und mag ihn und war froh, als ich hörte, dass er dabei sein soll. Der Mann links wirkt ruhig. Er scheint Sorgen zu haben. Er ist gut angezogen, aber wahrscheinlich musste er sich heute Morgen aus dem Bett quälen.

Ich breite mein Equipment aus. Ich bin gut vorbereitet. Ich verschaffe mir einen Überblick. Dann nehme ich den Rattanstab in die Hand und signalisiere mit meinen Blicken, dass ich bereit bin zu starten.

Die mündliche Abschlussprüfung. Teleskopkugelschreiber waren ausverkauft, was aber nicht schlecht ist. Es macht Spaß mit dem Rohrstock auf das Flipchart zu zeigen. Immer wieder strahlt mich der Mann rechts an und nickt mir zu, der Mann in der Mitte sieht aus wie ein Standesbeamter vor dem ich eine glückliche Ehe schließen und den ich nach der Trauung auf ein Bier einladen möchte und ich hoffe, dass ich den Mann auf der linken Seite aufmuntern kann. Ich lächle meine Prüfer offen an und frage, ob sie die Folien gut lesen können. Ich mache Pausen wenn der gut aussehende Mann, dem die grauen Haare wirklich wunderbar stehen, mit dem Schreiben kaum noch nachzukommen scheint und staune darüber, dass er nach zehn Minuten schon ein zweites Blatt braucht. Nach den Fragen und nachdem mir gratuliert wurde, warte ich nervös auf meine Freunde, die erst nach mir dran kommen und freue mich sehr, dass meine Liebsten glücklich und gelöst den Raum verlassen.

Nur der eine... ich traue mich nicht, mit zittrigen Fingern im Gang herum zu stehen und zu warten, bis er seine Prüfung überstanden hat. Bestimmt würde er sich doch bedrängt fühlen. Er würde sich sicher wundern. So gut waren wir doch nie befreundet. Er hat gesagt, dass er mich vermissen wird. Er hat gesagt, dass er meinen Humor liebt. Aber bestimmt käme es ihm seltsam vor, wenn ich da stehen würde. Das hat er nur ganz unverbindlich gemeint und ich habe versucht nüchtern und distanziert zu wirken wenn ich ihm mal Komplimente gemacht habe oder er mir. Sicher werden wir heute Abend, wenn wir beide ein bisschen was getrunken haben, endlich einmal zusammensitzen und uns länger und intensiver unterhalten können. Er hat gesagt, dass er mit mir den Wein trinken will, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich treffe ihn ganz zufällig am Nachmittag, was mich nicht wundert, da ich doch beinahe jede leere Flasche, die noch entsorgt werden muss, einzeln aus meinem zu räumenden Wohnheimzimmer schaffe. Er trägt immer noch seinen Anzug und hilft seinem Freund, mit dem man ihn fast immer zusammen antrifft, dessen schwere Gerätschaften ins Auto zu bringen. "Heute Abend, oder? Wir treffen uns im Clubhaus. Ihr kommt doch dann auch wenn wir alle gemeinsam feiern?"

Die Plätze um mich herum sind alle bereits besetzt als er kommt und er setzt sich fast ganz ans andere Ende des Tisches. Ich schaue nicht zu oft hin, damit es nicht zu sehr auffällt. Er trinkt viel zu viel. Als ein Teil der Leute geht, habe ich endlich die Chance, zu ihm zu gehen. Er ist betrunken. Wir versuchen ihn zu überreden, doch noch zu bleiben, aber er kann kaum noch die Augen offen halten. Wir umarmen uns. Ich umarme ihn dreimal sehr lange. Er sagt, dass es ihm leid tut – es wirkt aufrichtig - und geht. Ich sehe ihm nicht einmal nach als er geht, da ich mich noch von anderen verabschiede, die ebenfalls aufbrechen wollen. Ich bin eine der letzten, die übrig bleiben und habe kaum etwas getrunken.

 

Hallo lunaluna

… ich habe versucht nüchtern und distanziert zu wirken …

Dies las ich fast ein wenig wie ein Leitsatz zu dieser Geschichte, als wolltest du die Leser prüfen. Dabei habe ich es nicht ungern gelesen, doch du erzählst es zu berichtend, die Figuren zeigen zu wenig Eigenleben. Natürlich gibt die Perspektive es vor, es vollzieht sich aus der Sichtweise der Geprüften, aber auch sie offenbart sich mir als Leser zu wenig tief. Sie gibt ihre Gefühle nicht preis, sondern zelebriert ein rationales Denken. Für die Situation der Prüfung mag dies gehen, es ist ihr Schutzmechanismus, um nicht dem Lampenfieber anheimzufallen.

Nach den Fragen und nachdem mir gratuliert wurde, warte ich nervös auf meine Freunde, die erst nach mir dran kommen und freue mich sehr, dass meine Liebsten glücklich und gelöst den Raum verlassen.

Nach dran kommen würde ich ein Komma setzen.

Ab hier müsste sie sich mehr öffnen, ihre Gefühle sollten direkter auftreten. Auch ist die Situation in diesem Abschnitt etwas arg verkürzt. Die Liebsten waren sicher nicht der Prüfung zugegen, also erfolgte die Auszeichnung in einem nachfolgenden öffentlichen Akt. Dies müsste transparent werden, auch wenn du es nicht so hoch gewichten möchtest. Im Gegensatz steht jedoch der nächste Abschnitt dazu, da der eine die Prüfung noch vor sich hat. Also interpretiere ich etwas falsch, oder?

Nur der eine...

Leerschlag zwischen Wort und Auslassungszeichen fehlt.

Die Gedanken, die die Prot. nachgehend durchspielt, bleiben irgendwie an der Oberfläche, zeigen mir zu wenig Tiefgang. Ihre Selbstunsicherheit ist angetönt, ihr Verlangen mehr Zeit mit ihm zu verbringen sind Gedanken. Kein Verliebtsein, kein heischen nach Schmetterlingen im Bauch. Auch der Ausklang kommt für mich irgendwie zu trocken durch. Es gibt Geschichten, die ohne Personennamen auskommen, doch in dieser erschiene es mir wie bereichernd, wenn sie eine Identität erhielten.

Die Geschichte an sich scheint mir akzeptabel, aber noch zu wenig ausgereift. Der Titel ergäbe einen schönen Doppelsinn, war das deine Absicht? Die zweite Prüfung stellt sich in der Bewährung des jungen Mannes, findet er zu ihr oder nicht. Dies könnte man in diesem Sinne noch entsprechend intensivieren.

Mit etwas Investition, kannst du aus der Geschichte mehr herausholen. Viel Glück.

Gruss

Anakreon

 

Hey Lunaluna,

ein interessanter Charakter, den du hier sprechen lässt. Sie ist sich so unsicher, denkt viel nach, und lebt irgendwie mehr im Konjunktiv.
Diese Art Mensch wird viel zu selten porträtiert, immer sind sich die Leute ganz sicher, dass da eine Anziehung besteht, dass sie toll sind usw.

ich habe versucht nüchtern und distanziert zu wirken wenn ich ihm mal Komplimente gemacht habe oder er mir
Dieser Satz gefällt mir, und ich denke nicht, wie Anakreon, dass unbedingt ein Großlaster Verliebtheitsgefühle angefahren werden muss. Menschen die so denken wie deine Protagonistin sind halt nicht so überschwenglich wenn sie jemanden mögen. Der Kerl wirkte ürbigens ein bisschen Depri auf mich, und etwas schräg durch
seinem Freund, mit dem man ihn fast immer zusammen antrifft
Oder soll das nur implizieren, dass sie ihn nie allein trifft, und es deshalb nicht zu weiteren Annäherungen kommen kann?
Dennoch find ich die Sache ein bisschen zu kurz, und es stimmt, man erfährt ein bisschen zu wenig über ihr sonstiges Leben, was interessant wäre. Vor allem am Anfang wird man ins kalte Wasser geworfen, da dachte ich: Alter, was gibt das wohl für ne Geschichte: Herren vor denen sie ihr Equipment rausholt? Ähem. Und der Rattanstab. Ein Rattanstab?! Noch nie gehört, danach sagst du auch Rohrstock, was mir dann bekannter ist. Aber gut. (Bei Rattan denke ich an diese Korbstühle.)
Na denne, ich hoffe ich habe nicht zu viel rumgeschwallt-doch, habe ich, aber gut: Timo

 

Guten Abend, lunaluna,

ich fand die Geschichte rührend. Die Heldin ist während der Prüfung selbstbewußt und sicher, aber schüchtern bei ihren Annäherungsversuchen an den namenlosen Helden, über den man fast nichts erfährt, weil sie selber fast nichts über ihn weiß. Die Handlung ist kaum der Rede wert, aber ich war trotzdem dabei, denn die unprätentiöse, schlichte Sprache paßt gut dazu, und es ist ja auch eine kurze Geschichte mit dezenten Highlights. Bei komplexerer Handlung oder komplizierteren Helden wird sachliche Erzählweise ja gern langweilig.

Deine Kommasetzung ist umstritten. Hier könntest Du verbessern:

Er wirkt seriös, freundlich, einnehmend, und ich glaube (...)
Es macht Spaß, mit dem Rohrstock (...) wie ein Standesbeamter, vor dem ich eine glückliche Ehe schließen und den ich nach der Trauung auf ein Bier einladen möchte, und ich hoffe, dass ich den Mann auf der linken Seite aufmuntern kann. (...) Ich mache Pausen, wenn der gut aussehende Mann, dem die grauen Haare wirklich wunderbar stehen, mit dem Schreiben kaum noch nachzukommen scheint, und staune darüber (...) die erst nach mir drankommen, und freue mich sehr (...)
Nur der eine(Abstand fehlt)... ich traue mich nicht, mit zittrigen Fingern im Gang herumzustehen und zu warten (...)
ich habe versucht, nüchtern und distanziert zu wirken, wenn ich (...)
Ihr kommt doch dann auch, wenn wir alle gemeinsam feiern?" (...)
Die Plätze um mich herum sind alle bereits besetzt, als er kommt, und er setzt sich fast ganz ans andere Ende des Tisches. (...)
Ich sehe ihm nicht einmal nach, als er geht, da ich mich noch von anderen verabschiede, die ebenfalls aufbrechen wollen. Ich bin eine der letzten, die übrigbleiben, und habe kaum etwas getrunken.

Gruß,
Makita.

 
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Vielen dank für die hilfreichen Kritiken. :-)

@Makita: Ich freue mich, dass das was ich ausdrücken wollte bei Dir sehr gut ankam.

Klar, dieser "Wurf ins kalte Wasser" (TimoKatze) war beabsichtigt. ;-)

Die Protagonistin betritt dominant die Szenerie, ist selbstsicher in der Prüfungssituation, sie meistert sie spielerisch und macht sich kaum Gedanken darum, wie sie selbst bewertet wird. Sie bewertet. Sie weiß, dass sie gut ist.

Dann die "eigentliche Prüfung" ("Doppelsinn des Titels", Anakreon). Sie ist es, die dabei glatt durchfällt. Die Protagonistin ist schrecklich schüchtern bei ihren Annäherungsversuchen. Sie ist sich absolut unsicher, ob er etwas für sie empfindet und hat sich bereits in der Vergangenheit durch ihre distanzierte Art, mit der sie ihre Unsicherheit überdeckt, viel zu ungeschickt angestellt, um es herauszufinden. Sie hofft auf eine günstige Gelegenheit, versucht ihm "zufällig" über den Weg zu laufen. Er ist leider nicht allein und sie zeigt ihm wieder nicht, dass er etwas besonderes für sie ist. "Heute Abend, oder? Wir treffen uns im Clubhaus. Ihr kommt doch dann auch wenn wir alle gemeinsam feiern?"

Was mich etwas erstaunt hat, war folgendes:

Der Kerl wirkte ürbigens ein bisschen Depri [...]
und
Die zweite Prüfung stellt sich in der Bewährung des jungen Mannes, findet er zu ihr oder nicht.
Wow. Da war ich mir beinahe sicher, dass ich durch meine Konzentration auf ihre Gedankenwelt deutlich zu wenig in diese Richtung stupse, aber so sehe ich ihn. Für mich fällt auch er durch diese Prüfung. Es geht ihm ganz ähnlich wie ihr und er trinkt zuerst, weil er hofft mutiger zu werden und trinkt zuletzt, weil er die Hoffnung aufgegeben hat, dass an diesem Abend endlich irgendetwas passiert. Sie schaut ihn ja nicht einmal an, wie sollte er dann etwa Blickkontakt aufnehmen können? Sie hat ihn und seinen Freund auf die gemeinsame Feier eingeladen. Kein Wort von dem Abend zu zweit, den er doch so mutig angesprochen hatte. Er wartet auf eine Aktion ihrerseits. Sie ist doch so selbstbewusst und dominant. Wie könnte er derjenige sein, der den ersten Schritt macht? Wäre das nicht anmaßend? Hier sind zwei Menschen (und beide sind mir sehr sympathisch), die sich zueinander hingezogen fühlen und sich durch ihre Art alles verbauen.

Ich sehe nun wo ich noch dezent ausschmücken kann. Vielen Dank auch für die Tipps zur korrekten Interpunktion. Da bin ich richtig mies drin ...

 

Hallo lunaluna,

eine aus dem Leben gegriffene Kurzgeschichte, die ich gerne gelesen habe. Besonders gefällt mir der bereits von Makita genannte Kontrast zwischen der selbstsicheren und zugleich schüchternen Protagonistin. Die nüchterne, passive Betrachtungsweise passt aus meiner Sicht hier, zumal auch das Ende für deine Protagonistin ja ernüchternd ist. Wenn, dann würde ich an deiner Stelle nur mäßig weitere Emotionen einbauen.

Der Titel, schon oft dagewesen, verleitet nicht gerade zum Lesen des Textes, passt aber in seiner Zweideutigkeit. Viel länger sollte die Geschichte nicht sein, da Handlung und Dialog im Hintergrund stehen.

Der Rohrstock irritierte mich übrigens auch. Ein (unnötiges) Detail, das mich in Zeiten von Laserpointern an Schläge mit dem Stock als eine frühere Schulstrafe des vergangenen Jahrhunderts denken ließ.

Es geht ihm ganz ähnlich wie ihr und er trinkt zuerst, weil er hofft mutiger zu werden und trinkt zuletzt, weil er die Hoffnung aufgegeben hat, dass an diesem Abend endlich irgendetwas passiert. Sie schaut ihn ja nicht einmal an, wie sollte er dann etwa Blickkontakt aufnehmen können? Sie hat ihn und seinen Freund auf die gemeinsame Feier eingeladen. Kein Wort von dem Abend zu zweit, den er doch so mutig angesprochen hatte. Er wartet auf eine Aktion ihrerseits. Sie ist doch so selbstbewusst und dominant. Wie könnte er derjenige sein, der den ersten Schritt macht? Wäre das nicht anmaßend? Hier sind zwei Menschen (und beide sind mir sehr sympathisch), die sich zueinander hingezogen fühlen und sich durch ihre Art alles verbauen.
Das kam bei mir leider nicht so ganz rüber. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich mehr zu ihm als er zu ihr hingezogen fühlt. Du schreibst, er trinkt viel zu viel und ist betrunken, was auf mich ein wenig den Anschein erweckte, als ob Er lieber mit seinen Freunden feiern wollte, anstatt sich deiner Protagonistin zu nähern. Aber das ist nur mein persönliches subjektives Empfinden.

Andererseits, die berichtest aus der Sicht deiner Protagonistin. Sie kann ja nicht in den Kerl hineinschauen. Daher dürfte es schwierig werden, deine erklärenden Sätze so in die Geschichte einzubauen, dass evtl. klarer wird, dass auch ihm viel an ihr liegt und auch er durch diese Prüfung fällt.

Liebe Grüße
Michael

 

Hi Luna,

wie Deine Figur wird Dein Stil in der zweiten Hälfte unsicherer; zunächst las sich alles flüssig, sauber, dann:

Bestimmt würde er sich doch bedrängt fühlen. Er würde sich sicher wundern. So gut waren wir doch nie befreundet. Er hat gesagt, dass er mich vermissen wird. Er hat gesagt, dass er meinen Humor liebt. Aber bestimmt käme es ihm seltsam vor, wenn ich da stehen würde. Das hat er nur ganz unverbindlich gemeint und ich habe versucht nüchtern und distanziert zu wirken wenn ich ihm mal Komplimente gemacht habe oder er mir. Sicher werden wir heute Abend

Wenn Du die sprachliche Unsicherheit genau so beabsichtigt hast: Spektakulär! Aber ist es nicht ein bisschen viel? Oder ginge das vielleicht noch anders... weniger Wiederholungen... trotzdem schöne Sprache?
Ja, so grundsätzlich flachts mir in der zweiten Hälfte literarisch zu sehr auf Studentenpartyniveau ab.


Die Schauplätze: Man kennt das; ich habe die Studentenparty, die Prüfungssituation, all das genau in meinem Kopf, also hast Du es gut dorthineinerzeugt.

Ich habe den kleinen Text ganz gern gelesen, aber habe das Gefühl, dass noch ein Tick mehr rauszuholen wäre,
etwa im letzten Satz:

Ich bin eine der letzten, die übrig bleiben und habe kaum etwas getrunken.

Da müsste doch ein besserer Abschluss zu finden sein!

Liebe Grüße, T.

 

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