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Die Plage des Malers

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16.11.2003
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Die Plage des Malers

Die Plage des Malers

An einem Abend in der Galerie geschahen zwei Morde.
Er wanderte durch die still gewordenen Flure und betrachtete die Bilder, die sein Freund, ein Maler, gefertigt hatte. In einem der Flure traf er auf ein Bild, das ihm sein Freund zuvor schon zeigte. Doch schien er ihm nicht das ganze Bild gezeigt zu haben, denn nun war es viel größer und vollkommener als in den Tagen zuvor.

Das Haus war ein Palast mit vielen Türen und Fenstern geworden. Davor war ein Rosengarten, der den kleinen Teich und die Enten darin verdrängte an den Rand des Bildes. So stiegt das Wasser an bis an den Rand. Die Enten konnten nicht anders als ertrinken oder den Tod durch die Dornen finden, so sehr verdrängte der vollkommene Garten den Teich, der nunmehr eine große Welle schlug. Zwischen dem Garten und dem Palast lag ein weiter Platz. In seiner Mitte war ein Springbrunnen. Er stand dort, wo vor einigen Tagen noch die kleine Wasserpumpe von der Magd bedient wurde. Heute spielten die Kinder des Grafen dort. Die Magd hatten sie in den Brunnen geworfen, so wie sie den alten Hund vertrieben und ersetzten durch das stolze Pferd. Es galoppierte seinen erhabenen Ritt über den Platz, streckte seine Glieder über das ganze Bild aus und erschlug so alle Bewohner des alten Hofes, der durch den Palast verdrängt wurde.

Vor wenigen Tagen zeigte das Bild einen alten Bauernhof. Sein Fachwerk war überwuchert von Moos und Efeu. Vögel nisteten im Geäst eines alten Baumes, der an einem kleinen Teich stand. Im Teich waren Enten. Sie schnatterten zufrieden in das Bild hinaus. Eine junge Magd arbeitete an einer kleinen Wasserpumpe, während ein alter Hund sie schläfrig beobachtete.
„Das ist ein sehr schönes Bild“, sagte er zu seinem Freund, während er sah, wie der Pinsel die letzten Striche der Magd vollendete. Sein Freund nickte dankbar. Er versprach ihm, das Bild in einigen Tagen in die Galerie hängen zu lassen. Dann gingen sie in ein Teehaus und redeten noch viele Stunden über das Bild und die Malerei. „Es ist eine Plage“, sagte sein Freund.

„Hätte ich es gewußt, so hätte ich sie warnen können ! Ich hätte die Enten schnell vertrieben, dass sie sich einen anderen Teich suchen könnten. Den Hund hätte ich aufgescheucht, dass er sich in Sicherheit brachte. Die Bewohner des Hofes hätte ich gerufen und ebenso die Magd, um sie alle zu retten“, rief er laut in den Flur. Niemand hörte ihn.
Dann erinnerte er sich daran, dass ein Knecht auf dem Bild zu sehen war. Er sprach freundlich mit der Magd und spielte kurz mit dem Hund. Es schien, als wollte der Knecht zurück in das Haus laufen, aber dann eilte er an den Rand des Bildes.
Schnell rief er den Knecht. Er kannte seinen Namen nicht, aber rief dennoch laut an den Rand des Bildes. Hinter einem Rosenbusch kniete er, zitternd.

„Kann er etwas unternehmen ?“ rief er in der Galerie. Die Lichter wurden schon gelöscht.
Der Knecht, unsicher wegen der schallenden Laute aus der Ferne, verfing sich im Rosenbusch. Die Dornen stachen in seinen Leib und nahmen ihn in ihre drohende Mitte.
Das große Pferd schlug seine Hufe auf den Kopf des Knechtes, der sofort starb.
„Er wurde ermordet !“ rief er empört einem Angestellten der Galerie zu. Er weinte.
Die Hände faltete er vor sein Gesicht und dann legte er seinen Kopf an das Bild. Ein fester Schlag des Angestellten traf ihn von hinten an den Kopf.
Er starb schnell.

„Ich schlage meine Hände vor den Kopf, dann mache ich den letzten Pinselstrich. Ich schaue über mein Gemälde. Und schon naht eine neue Veränderung", sagte der Maler zu seinem Freund.
Er zögerte.
"Wohl dem, der kein Maler ist, hat er doch geringere Last auf kleineren Schultern zu tragen“, sagte er noch.
Lange hatten sie gesprochen. Schon längst war der Tee kalt geworden.
Einige Tage später ging er in die Galerie, um die Bilder des Freundes zu bestaunen.

 

Die Plage des Malers habe ich als die Entwicklung von Eigenleben des gemalten/zu malenden Bildes gelesen.

Bei dem Rest kann ich nur Vermutungen anstellen. Dass der Freund dem alten, harmonischen Bild so sehr nachtrauert, ist nachvollziehbar. Auch beim Schreiben (was wir ja auf dieser Seite erleben dürfen) empfindet man das so, und so manche "Überarbeitung" mag misslingen. Keinen Zusammenhang konnte ich zu dem Tod des Freundes herstellen. Der Angestellte ermordet ihn. Ja, aber warum?
Auffallend: Nach dem Tod des Knechtes vollzieht der Freund genau dieselbe Geste wie der Maler, kurz bevor das Bild vervollständigt wurde. Beide schlagen sie die Hände vor den Kopf und gehen so noch einmal in sich.

Was mir insgesamt dazu einfällt: Maler und Freund nehmen beide die Position des Schaffers ein. Der Maler schafft das Bild, und ist frei, es zu ändern, wann immer er will oder wann immer das Bild es will. Der Freund schafft das Leben des Bildes. In seiner Phantasie lebt es auf. Unterschied: Der Maler kann das Bild von Harmonie in Chaos umwandeln, Grenzen sind keine gesetzt. Der Freund kann nur innerhalb des gemalten Bildes die Figuren leben lassen. Er ist sozusagen im Bild gefangen.

Ist dann die letzte Handlung, das Hände vor den Kopf schlagen, das in In-Sich-Gehen Zeichen für das Lösen von der Vorlage, Zeichen für die Befreiung aus dem Bild?

Ah, shit! Muss zur Uni, melde mich wieder. Interessanter Text!

 

Hallo !

Ganz richtig interpretiert:
Der Schöpfer (hier der Maler) eines Werkes oder einer Sache hat die Möglichkeit, das Bild in seinen Dimensionen und auch in der Auslegung zu verändern. Aber auch auf ihn wirkt diese Möglichkeit als eine Plage oder Last, denn (im Falle des Bildes) stets gibt es Veränderungen oder die Möglichkeit zur Veränderung. Diese ist grenzenlos. Darum ist das Bild niemals im fertigen Zustand, darum ist ständige Veränderung bzw. diese Fähigkeit vielleicht eine Plage.
Die Gestik bzw. der Sinn des "Hände-an-den-Kopf-bringens" ist tatsächlich auch von mir als Lösung bzw. Erlösung oder Herausgehen verstanden und konzipiert worden. Der Mord an den Betrachter spiegelt ja nur den Vorfall mit dem Knecht auf andere Weise.
Und dennoch: Zeit und Raum haben im Bild keine Bedeutung. Darum kann er es sich in der Galerie wieder oder endlich ansehen.
DIe Frage, die ich habe, ist: Wurde der Betrachter denn wirklich ermordet oder ist dies nur Teil des Bildes der Galerie oder des Bildes des Teehauses ?
Da bin ich selbst unschlüssig: Es schien mir zwingend im Augenblick des Schreibens, dass es so und nicht anders passieren kann.
Grüße,
Kosh

 

Oh, gleich so nah dran? Nun ja, dass das Ganze in der Galerie auch ein Bild sein könnte, auf die Idee bin ich nicht gekommen. Aber ist das so wichtig?

Hm, der Mord am Betrachter spiegelt den Vorfall am Knecht auf andere Weise. Ja, aber irgendwie steige ich trotzdem nicht dahinter, was das heißen soll. Der Angestellte muss doch auch eine besondere Rolle spielen, wenn er eingreift und tötet. So habe ich mir das gedacht. Aber ich weiß nicht genau, wie er hineinpasst. Wenn er allerdings nur Mittel zum Zweck ist, ja dann habe ich wohl zu viel dadrin gesehen. Ach, ich weiß nicht, muss denken. Bin so ganz unzufrieden mit mir. Irgendwie hatte ichs fast gehabt, aber dann musste ich ja zur Uni.

 

Hallo !

Also Dein Ansatz ist schon richtig. Sicher kann man immer eine Menge interpretieren (das kennen wir ja von der Schule/Uni). Aber meine Intention hast Du sehr gut getroffen.
Der Angestellte:
Ich denke, er gehört zu einer der zahllosen Veränderungen des Bildes, wenn man das Gesamte als Bild betrachten will. Ansonsten ist er eben das Mittel zum Zweck. Wie auch immer: Vielleicht ist gar niemand tatsächlich ermordet worden.
Eine Geschichte (als Text oder als Bild) ist stets einer Art Lüge unterworfen, nichts ist letztlich wahr oder "DIE Wahrheit" an sich.
Mit diesem Thema befasse ich mich seit einer ganzen Weile, und ich versuche oft, diese Problematik in eine Geschichte einzubinden.*
Ein Beispiel wäre (kurios !) "Auf der Galerie" von Kafka. Unbedingt lesen, wenn noch nicht getan. "Galerie" meint hier aber einen Bereich der Zirkusmanege.

Gruß,
Kosh
* Was studierst Du ? Wenn Du GERMANISTIK studierst, dann kennst Du ja das Phänomen der "Interpretation einer Interpretation". Würde mich nicht wundern, wenn es in der Malerei ähnliche Phänomene geben würde.

 

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