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Die phantastischen Welten des Henry

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13.02.2003
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Die phantastischen Welten des Henry

- Es lag immer in deiner Macht heimzukehren.
- Ist das wahr?
- Warum hast Du ihr das nicht schon eher gesagt?
- Sie hätte es mir nicht geglaubt. Sie musste von selbst drauf kommen.
- Ich denke, es war wohl nicht genug, dass ich mich zurückgesehnt habe.

aus
Der Zauberer von Oz


Als Henry das erste Mal begann, Macht über seine Träume auszuüben, war er noch ein kleiner Junge gewesen.
Schon bald war er sich bewusst, welch einzigartige Gabe ihm gegeben war.
Die Möglichkeit, der realen Welt zu entfliehen und sich in einer Parallelwelt frei zu bewegen, ohne dass ihn irgendjemand für seine Handlungen und Taten zur Rechenschaft ziehen konnte, erfüllte sein Herz mit einem derart freudigen Entzücken, dass er dachte, es würde ihn aus der Brust springen.
Mit zunehmendem Alter gewann gleichermaßen auch seine Traumwelt an Details und Vielfalt hinzu.
So schlief er in Himmelbetten, die in Gemächern standen, die vor lauter Prunk nur so strotzten und bewohnte Paläste, die umringt waren von hängenden Gärten. Aber nicht nur die natürliche Umgebung stand unter seiner Gewalt. Gleichzeitig war er auch in der Lage, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. So war er Astronaut auf Reisen zu fremden Planeten, ein Rockstar, ein Rennfahrer, ein Agent in geheimer Mission. Nichts war ihm unmöglich.
Doch das höchste Gefühl des Glücks verlieh ihm die Tatsache, dass er uneingeschränkt über andere Menschen verfügen und herrschen konnte.
In der realen Welt war von seiner Jugend an klar, dass seine Muskulatur und sein Körperbau im Vergleich mit den Jungs seines Alters bei weitem und auf Dauer unterlegen sein würden. Dies brachte ihm zur Folge viel Spott und so manche blutige Nase ein.
In der Traumwelt, in die er sich jederzeit zurückziehen konnte, war er hingegen der uneingeschränkte Herrscher seines Reiches. Er genoss die Nachmittage, die er damit verbrachte, seinen Peinigern und Todfeinden erneut gegenüberzutreten. Die Rollen in dieser Welt jedoch waren anders verteilt. So nahm er Rache für all das, was man ihm in der realen Welt antat.
Eben für diesen Zweck erschuf sein Traumbewusstsein einen mittelalterlichen Kerker, angefüllt mit den unterschiedlichsten Folterinstrumenten, bei deren Anwendung ihn eine solche Befriedigung und Genugtuung erfüllte, dass er fast vor sich selber erschrak.
Aber es geschieht doch alles nur im Traum, beruhigte er sich immer wieder, wenn das Gewissen ihn schlug und er merkte, dass die Erregungen, die er an solchen Nachmittagen empfand, über Hand nahmen, so dass das Blut in seinem Kopf schon pochte.
Doch mit der Zeit gelang es ihm nicht nur seine Träume besser zu beherrschen, auch derartige Gefühle bekam er mehr und mehr in den Griff.
So lernte er den Höhepunkt der Qualen immer wieder hinauszuzögern, wobei die Erregung wieder abebbte, bevor er seinen Puls aufs Neue in die Höhe trieb.
Starb bei seinen Todesspielen jemand vorzeitig, was durchaus passieren konnte, war er in der glücklichen Lage, sooft er es wünschte, diesen wieder ins Leben zurückzuholen, um ihn sogleich mit gleicher Lust und Befriedigung postwendend zurück in den Tod zu befördern.
Da Henry allerdings dazu neigte auch Tagsüber, der Realität zu entfliehen, war seine stetige Abwesenheit natürlich seiner Umgebung, speziell seiner Familie nicht entgangen.
Besonders während Henrys Jünglingsalter, befürchteten die Eltern, dass er an einer ernsthaften Krankheit leiden könnte.
Folglich unternahm man mit den Jungen eine Ochsentour von einem Spezialisten zum Nächsten, die natürlich, hingegen aller Befürchtungen, dem Jungen, wenngleich er für sein Alter klein und schmächtig war, eine hervorragende Gesundheit attestierten.
„Alles bloß Quacksalber und Kurpfuscher“, erwiderten die Eltern, die es besser wussten und fortan beschlossen, die Heilung des Sohnes in die eigenen Hände zu nehmen.
So kam es, dass wann immer Henry an seine Kindheit zurückdachte, er diese mit verschiedenen Dingen assoziierte: Einer gesunden und ausgewogenen Ernährung, die sich aus gekochtem Hühnerfleisch, Unmengen an gegarten Gemüse und Körbeweise Obst zusammensetzte, warmer Unterwäsche, die er immer bis in den Frühling hinein trug und literweise Medizin, die er für jedes kleinste Wehwehchen einnehmen musste. Natürlich war diese, darauf wurde Wert gelegt, auf pflanzlicher Basis. Man wolle den Jungen ja schließlich nicht vergiften.
Im Gegenzug verbrachte Henry mit seinen Eltern viel Zeit: In den abgeschieden, nasskalten, modrigen und nach Verwesung riechenden Räumen seines Folterkellers!
Henry wurde aber schnell klar, das wenn er sich seine Traumwelt bewahren wollte, er in der realen Welt, den perfekten Sohn abgeben musste.
So legte er einen ungeheuren Eifer an den Tag und entwickelte sich zum Musterschüler und gehorsamen Sohn, ausgestattet mit den besten Manieren.
Er pflegte eine kultivierte Sprache, achtete peinlichst auf ein makelloses Äußeres und war stets bemüht, allen Dingen mit Sorgfalt und Zuverlässigkeit nachzukommen. Sein Ansehen in der Gesellschaft wuchs dementsprechend und seine Bemühungen brachte ihn das Wohlgefallen seiner Eltern ein, die allerdings nie davon erfuhren, dass Henry die ihm für seine Anstrengungen gegebenen Freiräume, mit den verzweifelten Hilferufen und Todesschreien der Menschen ausfüllte, die er in seine Traumwelten entführte und die er bis aufs Blut verabscheute.
Somit lernte Henry ein perfektes Doppelleben zu führen. Einerseits gab er den fehlerlosen Musterknaben, während er gleichzeitig seine Traumwelt vor der Kenntnis anderer abschirmte.

So vergingen die Jahre, und aus dem perfekten Sohn wurde der perfekte Mann.
Im Laufe der Zeit war man dahinter gekommen, dass Henrys Körper zwar auf immer allen unterlegen sein würde, aber sein Geist weit über derjenigen hinauswuchs, die ihn spotteten.
Dieser Geist befähigte Henry mit Erfolg ein Medizinstudium zu absolvieren und im Verlauf kürzester Zeit, erwarb Henry sich einen hervorragenden Ruf als Chirurg, was ihn über die Staatsgrenzen hinaus populär machte.
Nachdem sämtliche Medizinjournale des Landes mit Lob und Bewunderung das Augenmerk der Leute auf ihn lenkte, pilgerten die Menschen, die schon jegliche Hoffnung auf Linderung ihrer Schmerzen aufgeben hatten, zu der Stätte, an der Henry regelrechte medizinische Wunder vollbrachte.
Jeder Einzelne dieser Leute, die sich seinen Händen anvertrauten, hätte sich nur schwer vorstellen können, dass Henry, der so behutsam und rücksichtsvoll in seiner ganzen Art im Umgang mit ihnen war, es mit einen unvergleichlichen Gefühl der Ekstase genoss, in ihr Fleisch zu schneiden, den Lebenssaft hervorquellen zu sehen, Gelenke freizulegen, Organe zu transplantieren und am offenen, pulsierenden Herzen zu operieren und dass es diesen Mann mit Wehmut erfüllte, die Wunden wieder zu verschließen.
Die reale Welt zwang eben Henry bedauerlicherweise dazu, gewisse moralische oder ethische Grenzen, die sich ihm in den Weg stellten, nicht zu durchbrechen.
Dieses Durchbrechen der Grenze zu verhindern, galt es jedoch in seiner Welt nicht, denn es gab weder diese, noch sonst eine Grenze oder ein physikalisches Naturgesetz, das nicht außer Kraft gesetzt werden konnte.
In seiner Traumwelt konnte er die Schnitte ansetzen, vor denen er sich in der realen Welt zurückhielt, wohl wissend, dass jeder dieser Schnitte zwangsläufig den Tod des jeweiligen Patienten zur Folge hatte.
In seinem Reich brauchte man hingegen keine Blutungen stillen oder vermeiden, da diese ja geradezu erwünscht waren. Hinzu kam, dass alles was Henry für seinen Beruf erlernt hatte, ihn jetzt doppelt zu Gute kam, eröffneten sie ihm doch ganz neue Dimensionen der Folter und der Tortur.
Er hatte den imaginären Keller, mittlerweile den unvermeidlichen Fortschritt angepasst, der es ihm ermöglichte, immer wieder neue Gipfel der Lust und der Glückseligkeit zu erklimmen.
Es geschah jedoch das Unerwartete.
Henry unterlag der Routine, die sich mit ihren scharfen Zähnen festgebissen hatte und scheinbar nicht mehr abzuschütteln war. Diese Routine bei allen, was Henry tat, führte dazu, dass er sich ausgebrannt fühlte und ihm jegliche Freude an den Folterungen abhanden ging.
Er schnitt, er biss, er sägte, amputierte, bohrte, fräste, meißelte. Alles ohne jegliche Narkose, doch alles, was er verspürte, war eine bis dahin nie gekannte emotionale Leere, die ihn von innen aushöhlte.
Henry glaubte dieses Loch in ihm durch eine Heirat schließen zu können. Eine Heirat indes sollte jedoch lediglich nur Mittel zum Zweck sein, denn er plante, sobald diese Leere in ihm wieder ausgefüllt war, unverzüglich seine Welten wieder aufzusuchen. Dieses Ziel vor Augen heiratete er also Sara.

Sara war von gleichem Fach wie Henry und eine bezaubernde Person mit einem liebenswürdigen Wesen. War die Heirat zu Beginn für Henry nur eine Zwischenstation auf den Weg zurück in seine Welten, so gelang es doch Sara immer mehr durch ihre zutiefst herzliche Zuneigung und ihrer aufopferungsvollen Hingabe in der Ehe, tatsächlich Henrys Liebe für sich zu gewinnen.
Diese Liebe warf binnen weniger Jahre erste sichtbare Früchte ab, die die Namen Pascal und Chantal trugen.
Henry hegte besonders in den Anfangsjahren die tiefe Angst, seine Kinder könnten seine schwachen Gene gerbt haben. Doch die beiden machten sich prächtig und die gute Entwicklung sowohl geistig wie körperlich erleichterte sein Herz enorm.
Henry genoss die Vaterschaft und in den darauf folgenden Jahren, die er damit verbrachte, seine Kinder großzuziehen, war er kein einziges Mal, der realen Welt mehr entflohen. Die Traumwelten mit all ihren Freuden und Glücksmomenten, schienen vergessen zu sein. Henry ging so sehr in seinem Familienleben auf, dass er sich nur vage an seine täglichen Fluchten erinnerte. All das schien nun hinter einem milchigen, grauen Schleier des Vergessens verborgen, bis schließlich die Erinnerung daran nur noch in seinem Unterbewusstsein existierte.
Von dort wäre sie wohl auch nie wieder aufgetaucht, wäre Henry an einem verhängnisvollen Tag nicht ein folgenschwerer und fataler Kunstfehler unterlaufen.

Bei einem routinemäßigen Eingriff war Henry so sehr von der besonderen Beschaffenheit eines Patienten beeindruckt, dass ihm bei jedem Schnitt, den er vollzog, Hitzewellen durch den Körper stießen. Dies wirkte sich so sehr auf seine übliche Konzentration aus, dass Henry die Bauchdecke der Frau wieder schloss, ohne die Aderklemme zu bemerken, die noch nicht entfernt worden war.
Der geschwächte Körper der Frau reagierte darauf noch in der gleichen Nacht mit einem allergischen Schock, von dem sie sich, trotz sofortiger Widerbelebungsmaßnahmen, nicht wieder erholte.
Als die Angehörigen nach ihrem Tod eine Autopsie forderten, die natürlich Henrys Missgeschick ans Tageslicht beförderte, nahmen die tragischen Ereignisse ihren traurigen Verlauf.

Die Regenbogenpresse klebte wie ein Blutegel an der Story und holte bis auf den letzten Tropfen alles aus ihr raus.
Als Skandaldoktor war Henry nun gezwungen, seinen Hut zu nehmen. Seine Approbation als Arzt wurde ihn natürlich entzogen.
Der Verlust seines Rufes und das Empfinden ungerecht behandelt worden zu sein, weckte in Henry das alte Gefühl des Hasses und der Abscheu auf die allgemeine Menschheit. Er fühlte sich wieder als das schmächtige, kleine Kind, auf welches sich wieder der Spott der Gesellschaft ergoss.
Henry ertrank in einem Meer von Selbstmitleid.
Trost suchte er fortan im Alkohol, der ihn wenigstens vorübergehend soweit betäubte, so dass es ihm zeitweise besser ging. Der Alkohol forderte natürlich mit fortlaufendem Missbrauch seinen Tribut, der im zunehmenden körperlichen Verfall und in Henrys Übellaunigkeit zu Tage trat, was wiederum seine Ehe mit Sara sehr belastete.
Sara drohte, ihn zu verlassen und die Kinder mitzunehmen, würde Henry nicht dem Alkohol entsagen.
Den Verlust seiner Kinder vor Augen, entwickelte Henry eine abgrundtiefe Abneigung gegen seine Frau.
Da der Alkohol ihm aber jegliche Kraft und Motivation zum Handeln entzog, steigerte dies nur noch sein Hassgefühl und dies nährte den innewohnenden Groll, den er gegen alles Lebende hegte.
In dieser Aufwallung von Gefühlen war es, dass die Erinnerung an die Traumwelten ihren Weg zurück an die Oberfläche fand.
Erschrak er anfangs noch dabei, so wurde ihm doch schnell wieder die Macht, die er in diesen Welten besaß, bewusst. Und wieder ließ er seinem Hass freien Lauf.
Henry nahm Rache an den ehemaligen Vorgesetzten, die ihn wie eine heiße Kartoffel hatten fallen lassen. Er knüpfte sich einen Klatschreporter nach dem anderen vor und quälte sie bis zur Besinnungslosigkeit, in dem er ihnen heiße Nadeln unter die Fingernägel schob, ihnen Gliedmaßen amputierte, diese wieder nachwachsen ließ , um sie dann erneut zu entfernen.
Der Alkohol war ihm eine willkommene Hilfe dabei, da es ihm half, leichter auf die andere Seite der Welt hinüber zu gleiten.

Nun war es aber so, dass Henry nach einer durchzechten Nacht sturzbetrunken nachhause kehrte. Zuvor hatte er dasselbe aufgrund eines heftigen Wortstreites mit Sara verlassen.
Leise stahl er sich ins Arbeitszimmer, zog sich die Schuhe aus und plumpste rückwärts auf die Ledercouch.
Henry blickte an die Decke und schaute förmlich durch sie hindurch. Dahinter lag das Schlafzimmer, wo Sara in ihrem gemeinsamen Bett gerade schlief.
Mit einer heftigen, unkontrollierten Handbewegung Richtung Decke winkte Henry ab.
„Mich verlassen?“ brummte er, „dann geh doch...du.. du...Hexe du!
Meine Kinder nimmst Du aber nicht mit!“ nuschelte Henry.
„Du Hexe...alte Hexe“ wiederholte er, dann schlief er ein.

Oh ja, das ist mein Reich, dachte Henry.
Hier hast Du keine Gewalt über mich und meinem Leben. Was? Du willst, dass ich das beweise? Warte nur! Wirst schon noch sehen!
Henry erhob sich von der Couch, durchschritt das Arbeitszimmer, öffnete die schwere Eichentüre und durchquerte barfuss den dahinter liegenden, kalten Fliesenboden des Flures. Verwundert stellte er fest, dass er in seiner rechten Hand ein Skalpell hielt, welches gefährlich und bedrohend im schwachen Dämmerlicht auffunkelte.
Wo kam es her? Aber ja natürlich, meinte er sich zu erinnern. Du bist nur ein wenig aus der Übung, Henry, sagte eine innere Stimme. Beruhige dich, vergiss nicht, wo Du dich gerade befindest!
Henry lächelte. Hier in dieser Welt würde er es diesem Weibsstück schon zeigen.
Er ging die Treppe nach oben. Dabei schien es ihn, als berühre er noch nicht einmal die Stufen, so leicht und schwerelos kamen ihm seine Schritte vor, gerade so als fliege er über die Stufen hinweg.
Er näherte sich leise ihrer Türe.
Mit einem verspielten Funkeln in den Augen und immer noch lächelnd drehte er den Türknauf.
Sara lag, in einem tiefen Schlaf versunken, in dem Ehebett, dem Henry sich nun langsam näherte.
Als er sich über sie beugte, hörte er eine Weile ihrem rhythmischen Atmen zu. Alles kam ihm so vertraut vor, als Sara in dem gleichen Augenblick plötzlich ihre Augen öffnete.
Schnell deckte Henry ihren Mund mit der linken Hand ab und drückte sie zurück in das Kissen. Er legte sich flach auf sie und wirkte auf ihr wie ein überdimensionaler Briefbeschwerer.
Während er ihr in die Augen blickte, tauchte das Skalpell in ihre rechte Brust. Einmal, zweimal. Er sah, wie sich ihre Augen mit Grauen füllten. Sie versuchte sich zu wehren und begann mit ihren Beinen zu strampeln.
Henry stieß ihr zur Antwort das Skalpell mehrere Male in den Oberschenkel.
Plötzlich entglitt sie seinen Griff.
Verletzt stürzte sie aus dem Bett. Mühsam versuchte sie, sich auf ihren Ellbogen fortbewegend, von Henry wegzurobben.
Henry folgte ihr selbstsicher, holte sie ein und rammte ihr das Skalpell in den Rücken. Plötzlich überkam ihm ein merkwürdiges und lähmendes Entsetzen. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Doch was war es? Sein Geist vermochte es nicht zu erfassen. Aber das Entsetzen blieb und Henry wollte die Sache nun schnell beenden. Er packte sie beim Schopf und stieß ein letztes Mal in ihren Hals. Doch dieses Mal blieb die Befriedigung, die er sonst empfand aus.
Was blieb, war diese grauenvolle Furcht, die sich auf sein Herz gelegt hatte. Was war bloß los? Von eisiger Panik ergriffen, versuchte Henry aus dem Traum zu erwachen. Er erwartete, dass alles um ihn herum wie ein dreidimensionales Puzzlespiel zusammenfallen würde, wie es üblicherweise geschah, wenn er zurückkehrte.
Doch nichts von alledem geschah.
Anstatt auf seiner Ledercouch aus seinem Schlaf zu erwachen, befand er sich, immer noch mit dem Blut seiner Frau an den Händen, über sie gebeugt.
Eine schreckliche Ahnung kam in ihm hoch, als ein Kinderschrei ihm endgültig die fürchterliche Gewissheit gab, vor der er Angst gehabt hatte.
Der Anblick seiner beiden Kinder, die im Türrahmen standen, und das Grauen, welches er aus ihren Augen las, ließ Henry verzweifelt aufschreien.
Die reale Welt hatte ihn eingeholt und tief bestürzt nahm er nun zur Kenntnis, dass die Geschehnisse der Nacht sich dieses Mal nicht in seiner Traumwelt abgespielt hatten.

 

Eine Geschichte ganz nach meinem Geschmack. Das Irreale vermischt sich zunehmend mit dem Realen, mit einem Ende, das nur konsequent ist. Einer schönen Einführung folgt ein guter Hauptteil mit einem ebenfalls guten Schluß. Das Nichterkennen, dass Henry am Ende eben nicht in seiner Traumwelt ist, sowie die Erkenntnis dessen, fand ich gut. Kritisch wäre vielleicht die etwas blutrünstige Art, da ein großer Teil der Geschichte sich ja mehr als Psycho-Studie liest.

Ein paar Mal hast du in aufeinanderfolgenden Sätzen Wortwiederholungen drin. Warum machst du bei vielen Sätzen dahinter einen Absatz? Zieht den Text unnötig in die Länge, wie ich finde.

Der Titel gefällt mir nicht. Aber: Gute Geschichte!

Gruß,

Poncher

 

Hi Robert,

die Geschichte find ich auch sehr gut, ein runder, in sich stimmiger Plot. Allerdings sagt mir die erzählerische Aufbereitung nicht so zu. Irgendwie wirkt es auf mich sehr gedrängt, durch die Fülle an Handlung und die große Zeitspanne, die du abzudecken versuchst. Innerhalb von drei Sätzen wird Henry vom Kind zum "über die Staatsgrenzen hinaus populären Chirurgen". Natürlich straffst du somit das Geschehen, was ja auch gut ist, andererseits ...
Keine Ahnung, irgendwie wirken solche Sätze wie "So vergingen die Jahre" oder "Im Laufe der Zeit" etc., immer märchenhaft auf mich á la "aus dem jungen Mädchen ward eine schöne Prinzessin geworden". Und eben dieser Stil passt meiner Meinung nach nicht so ganz zu diesem Text.
Überhaupt hab ich eher das Gefühl, ein Treatment zu einem Roman zu lesen, wenn du weißt was ich meine. (Ein "Roman" übrigens, den ich sehr gerne lesen würde, was eben heißen soll, dass ich die Geschichte an sich ja gut finde.)

Und zu viele Fehler sind noch drin:
s/ss/ß
Fall-Fehler (ihn/ihm, einen/einem, etc.)
"die vor lauter Prunk nur so strotzten"

Grüße
Visualizer

 

Tja Robert,

auch ich finde die Geschichte im Grunde gut, nur stört mich leider auch etwas. Das scheint aber am Stil der Geschichte zu liegen.

Aufgrund der Tatsache des Handlungsbogens - Kind/Traumwelt, Musterschüler/Traumwelt, Chirurg/Traumwelt, verheirateter Chirurg mit zwei Kindern/keine Traumwelt, Versager/Traumwelt - war mir schon bei der Erwähnung seiner Arbeit klar, was folgen würde. Er würde etwas im vermeintlichen Traum tun, was Auswirkungen auf seine nähere Umgebung haben würde.

Dein Stil ist nicht schlecht, aber ich finde, er läßt zuwenig Raum für Geheimnisse - hier finde ich den Vergleich mit dem allwissenden Erzähler aus den Märchenbüchern - und stiehlt der Geschichte sehr viel von ihrer Spannung, die schliesslich fast nur noch von den blutigen Einzelheiten zusammengehalten wird.

Zu dieser Geschichte passt es noch irgendwie...aber andere Geschichten würde dieser Stil unweigerlich zerstören. Denk mal drüber nach...

Allerdings weiss ich ja auch nicht, was und wie Du sonst schreibst. Die Idee ist jedenfalls gut und macht Lust auf mehr.

Henry Bienek

 

Erstmal danke an Euch alle, dass ihr einen Kommentar zu der Story geschrieben habt.
Ihr müsst wissen, dass ich zu dieser Geschichte durch eine Erzählung eines Valeri Brjussow inspiriert worden bin. Das war ein russischer Schriftseller, der um 1900
gelebt hat. Ich wollte den Text ebenso ein wenig altertümlich klingen lassen, vielleicht auch ein wenig nach Poe. Was das blutige Ende angeht, ist meine Story nur halb so blutig wie die Beschreibungen, die besagter Brjussow zum Ende hin benutzt hat.
Wenn ihr andere Geschichten von mir lest (Sparte "Gesellschaft" stehen noch zwei von mir - Fleisch; die Liebe und der Tod im Mai), werdet ihr feststellen, dass mein Schreibstil durchaus variiert.
Was die angesprochenen Fehler angeht, werde ich mir den Text nochmal vornehmen (demnächst) und ausbessern.
Gruß
Robert

 

Tag, Robert.

Hat mir sehr gut gefallen-fein formuliert.
Obwohl die völlige Abwesenheit persönlicher Rede eher nicht mein Ding ist.Das wirkt auf mich immer so onkelhaft.
War trotzdem gut!

 

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