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Die perfekte Welle
Mein rechter Zeigefinder wischt durch die Bildergalerien der einzelnen Profile.
Hans, einunddreißig Jahre, nackter, schmächtiger Oberkörper, Kinnbärtchen.
Warum ausgerechnet die Männer, die es sich nicht erlauben können, halbnackte Bilder veröffentlichen, ist mir ein Rätsel. Man denkt sich doch etwas dabei, bevor man ein Profilbild aussucht. Hat man ein hübsches Gesicht, dann nimmt man das. Hat man einen durchtrainierten Oberkörper, von mir aus auch den. Aber so offensichtlich seine Schwächen zur Show zur Stellen- abtörnend. Links.
Torsten, dreiunddreißig Jahre, Bauingenieur, Brille, Halbglatze, steht auf selbstständige Frauen, die wissen, was sie wollen und sucht eine feste Beziehung.
Er umklammert mit den Händen eine Bierflasche, als ob er den letzten Rest aus einer Ketchup Flasche pressen möchte oder holprigen Sexualkundeunterricht in Biologie gibt. Bilder mit Alkohol, sind mir einfach zu platt. Nicht, weil ich keinen trinke, sondern weil ich mich jedes Mal frage: Was will mir derjenige damit sagen? Das er gerne trinkt? Links.
Johann, zweiundsechzig Jahre. Professor für Kunstgeschichte. Seine Hobbies sind segeln, golfen und Schach. Interessante Hobbies (bis auf Golf) aber falsches Alter. Wo sind hier die Einstellungen für die Altersbegrenzungen? Den Professor – Studentinnen – Fetisch habe ich während meiner Unizeit nicht ausgelebt und werde auch jetzt nicht damit anfangen. Links. Links. Links.
Julian, vierunddreißig Jahre, dunkelblonde Locken, blaue Augen, ein bisschen surfen. Natürlich, ein Weltenbummler. Sind wir ja alle. Anwalt. Wirklich? Passt so gar nicht zum Erscheinungsbild. Einhundertneunundachtzig Zentimeter groß. Ausreichend. Ist immer für einen Wein zu haben. Sehr gut, bin ich auch.
„It’s a match!“
Zwei Stunden später wartet er an einem Brunnen in der Stadt. Ein klug gewählter Treffpunkt, schließlich sind fast alle Bars der Stadt in einem Radius von hundert Metern zu erreichen. Er sieht aus wie auf seinen Bildern und am liebsten würde ich ihm zur Begrüßung direkt in seine Löckchen fassen. Stattdessen umarmen wir uns wie alte Freunde und es fühlt sich aufregend und entspannt zugleich an.
"Darf ich aussuchen wo es hingeht?" fragt er mit einem Grinsen und eine Locke fällt ihm ins Gesicht. Ich nickt.
Klar darfst du. Aber bitte dahin, wo mich niemand kennt.
Mein Profil zeigt zwei Bilder von einer blonden, schlanken Frau mit Sonnenbrille aus weiter Entfernung. Diskretion ist mir wichtig und ich möchte nicht, dass öffentlich bekannt wird, dass ich in diesem Portal zu finden bin. Ich bin Profi.
Noch nie habe ich ein Date mit jemanden ausgemacht, von dem ich nicht mindestens ein Gesichtsbild vorher gesehen habe. Gesichter sind so wichtig. Und Augen. Vor allem wenn sie so leuchtend blau und strahlend sind, wie die von Julian. Es klingt oberflächlich und das ist es auch. Aber wenn man es richtig anstellt, kann Onlinedating richtig Spaß machen. Am Ende wollen doch beide das Gleiche: einen schönen Abend verbringen.
Und darin bin ich richtig gut.
Während ich neben ihm herlaufe und wir erste Höflichkeiten austauschen, betrachte ich mich flüchtig im gegenüberliegenden Schaufenster: schwarze Turnschuhe, schwarze Jeans, beiger Mantel, die blonden Haare fallen in leichten Wellen über die Schultern. Wenig Schminke. Dieses „Tam Tam“ um Schminke habe ich noch nie verstanden. Stundenlange You Tube Beauty Blogs, in denen zugekleisterte Teenager einem beibringen, wie man sich richtig verunstalten kann. Männer mögen keine überschminkten Frauen. Ein leichtes Make Up und Wimperntusche, damit macht man meiner Erfahrung nach (und davon habe ich viel) beim ersten Date nie etwas falsch. Er soll sich wohlfühlen, aber trotzdem das Gefühl haben, dass ich mir etwas Mühe gemacht habe. Julian fühlt sich wohl. Das merke ich.
Mir gefällt die Art, wie er redet. Seine Stimme ist unaufdringlich und weich. Voller Begeisterung erzählt er vom Surfen und es ist so einfach zu verstehen, wer er ist und was ihn glücklich macht. Wir reden über Handball. Damit kenn ich mich aus. Gerade ist WM und die Gesprächsthemen ergeben sich wie von alleine. Ich sage die richtigen Sachen, lache über seine Anekdoten und nach fünfzehn Minuten denkt er, dass wir auf „der gleichen Welle surfen.“
Ich kann gar nicht surfen, aber ich tue so, als ob es mich interessiert, erzähle, warum ich es auf keiner meiner zahlreichen Reisen geschafft habe, damit anzufangen.
Er glaubt mir.
Und langsam spüre ich es. Dieses erste warme Kribbeln. Das ganz langsam am Bauchnabel beginnt und sich dann in den ganzen Körper ausbreitet. Eine wohlige Wärme, die wie eine Welle durch den Körper reitet und ihn mit Glückseligkeit erfüllt. Dieses eine Gefühl, dass einem die Sinne rauben oder erweitern kann, dass einen kopflos werden und die Urtriebe die Überhand gewinnen lässt. Nur ein fast Fremder kann einem diesen Kick verschaffen, diesen Reiz des Neuen.
Wir landen in einer dieser Bars, in denen sie die Sounds meiner „Jugend“ spielen und die Hip-Hop Beats mir das Gefühl geben, wieder Studentin und Anfang Zwanzig zu sein, mit allen Möglichkeiten, die die Welt so zu bieten hat, ja, selbst surfen könnte ich grad lernen.
Wir stehen eng aneinandergedrängt und da wir beide keinen Alkohol vertragen, sind wir nach dem zweiten Wein perfekt angeheitert und wie aus dem Nichts, liegen seine Lippen auf meinen.
Ich presse meinen Körper enger an seinen, rieche an seinen Locken und genieße den Duft seiner Haut. Er riecht nach dunkler Schokolade, etwas herb und dennoch süß. Seine Hand liegt warm in meinem Nacken und seine Finger streicheln meinen Hals im Rhytmus zum wummernden Bass. Seine Küsse sind sanft und leidenschaftlich, seine Hände unter meinem Pullover warm und genau immer da, wo ich sie gerade haben will. Im Hintergrund läuft Notorious Big mit The sky is the limit.
Ewig sind wir vereint und meine Gedanken sind ausgeschaltet. Ich kann nicht mehr denken. Julian und ich. Auf unserer Welle.
Die Wirkung des Weines lässt nach. Genauso wie das warme Kribbeln in meinem Körper.
Ich will nur noch weg und spüre, wie mehrere Augenpaare auf uns gerichtet sind. Unauffällig drehe ich mich mit kleinen Bewegungen in alle Richtungen um. Kein bekanntes Gesicht. „Ich gehe kurz zur Toilette.“ Er nickt, lächelt und drückt mir einen Kuss auf den Mund.
Ich verlasse die Bar durch den Hinterausgang und rufe mir- vor Kälte zitternd- ein Taxi. Vor der Haustür streiche ich kurz über unser Klingelschild mit den zwei Nachnamen, die so symbiotisch klingen, wenn man sie hintereinander ausspricht.