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Die Party
Die Party
Es sollte eine aussergewöhnliche Party werden. Nina macht immer die besten Partys. Das sagen zumindest alle. Ich war heute das erste Mal da. Warum weiss ich auch nicht so genau. Nina mag mich halt ein bisschen. Glaube ich jedenfalls. Sie schenkt mir hin und wieder ein Lächeln.
Allerdings nur, wenn Malte nicht in der Nähe ist. Malte ist ihr Freund. Er ist gross, hat dunkle Haare, blaue Augen und ist der Schulsprecher. Gut aussehend und beliebt. Das Gegenteil von mir. Was habe ich schon zu bieten? Naja, einige sagen, 105kg bei einer Grösse von 1,80cm sind doch völlig ok. Aber ich weiss, dass sie hinter meinem Rücken ganz anders über mich reden.
Genug jetzt. Ich will nicht mehr darüber nachdenken. Schliesslich war ich auf Ninas Party. Meine Mutter sagt auch immer, ich solle positiv denken. Wenn ich mit einer positiven Einstellung durchs Leben ginge, würden alle anderen mein Inneres bemerken. Und das wäre sehr bemerkenswert. Sagt zumindest meine Mutter.
Aber wen interessiert schon, was die eigene Mutter über einen denkt. Wichtig ist nun mal der tägliche Kampf in der Schule. Dort gewinnt man, oder wie in meinem Fall, verliert man auch häufig. Ha, was heisst häufig, eigentlich immer. Nur manchmal, wenn Nina mir mal wieder ein Lächeln schenkt, dann fühle ich mich als Sieger.
So war es auch letzte Woche. Ich stand in der ersten grossen Pause am ‚Liebesbaum’ unserer Schule. Dort stehen eigentlich nur die, die gerade ‚miteinander gehen’. Das Wort habe ich noch nie verstanden. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass mit mir noch nie jemand ‚gegangen’ ist.
Ich weiss auch nicht, warum ich gerade dort mein Frühstück ass. Der Baum steht am Rande des Schulhofes und war halt frei. Kein Pärchen weit und breit. Auch sonst niemand in unmittelbarer Nähe. Das versprach mal wieder eine Pause, nicht nur zwischen den Schulstunden, sondern auch zwischen den Beleidigungen und Beschimpfungen der anderen Schüler. Ich tue immer so, als würde ich das Ganze nicht mitbekommen. Aber das ist nur nach Aussen hin. Natürlich bekomme ich jede einzelne Silbe mit. Und jedes Wort verursacht so ein Stechen im Magen. Meine Mutter erzählt immer allen Leuten, wie gut ich doch damit zurecht kommen würde, etwas schwerer als die anderen zu sein. Die hat gut reden. Sie ist gerstenschlank und wird von allen bewundert. Zumindest von den Männern. Seitdem mein Vater tot ist, kann sie sich vor Einladungen kaum retten. Das kann ich nicht gerade sagen. Mich hat noch nie jemand eingeladen. Naja, bis auf letzte Woche halt.
Ich stand da also so am Baum und knabberte an meinem Wurstbrot. Da kamen Nina und Malte Richtung Liebesbaum gelaufen. Also direkt auf mich zu. Ich wusste, ich sollte einfach schnell weggehen. Aber irgendwie sah ich Nina und sie lächelte mich an. Meine Beine waren wie festgewurzelt. Ich vergass die Welt um mich herum. Ich sah nur noch ihr hübsches lächelndes Gesicht. Ich hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. Sollte das Liebe sein? Ist es das, wovon alle immer sprechen? Ich starrte sie an. Ein Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit. Sie kam zu mir. Sollte meine Mutter doch recht gehabt haben? Nimmt Nina wirklich mein Inneres wahr? Das komische Gefühl wurde immer stärker.
Doch plötzlich war es gar nicht mehr flau in meinem Magen. Es tat weh. Es tat sogar sehr weh. Ich bekam keine Luft mehr. Tränen schossen in meine Augen.
Dann verstand ich, was passiert war. Malte hatte mitbekommen, dass Nina mich anlächelte und ich sie verträumt anstarrte. Und schon hatte ich seine Faust in meinem Magen.
„Hey, Fettwanst! Was starrst du Nina so an. Verpiss dich!“
Ich lief heulend davon.
„Schneller, du Schwabbel!“, schrie Malte mir hinterher.
Und ich lief schneller. Die höhnischen Blicke der anderen Schüler taten fast mehr weh als mein Magen. Ich rannte auf die Toilette und schloss mich ein. Dort verbrachte ich den Rest der Pause, weinend und verzweifelt. Wie konnte ich nur denken, dass mich jemand mögen würde. Nina hatte nur gelächelt, weil sie genau wusste, was passieren würde. Und ich bildete mir ein, dass sie mich mögen würde. Sie war halt doch, wie alle anderen.
Als es zum Ende der Pause klingelte, verliess ich die Toilette. Draussen stand Nina. Sie war die Letzte auf dem Schulhof.
„Es tut mir leid, was da gerade passiert ist.“, sagte sie.
„Malte benimmt sich manchmal wie ein Arschloch. Im Inneren ist er aber ein guter Kerl.“
Im Inneren ein guter Kerl. Das bin ich laut meiner Mutter auch. Bin ich also genau so ein Kerl wie Malte? Lächerlich.
„Am Samstag mache ich eine Geburtstagsparty bei mir zu Hause. Ich möchte dich als Entschuldigung dazu einladen. Kommst du?“
Ob ich komme? Natürlich werde ich kommen. Alles war vergessen. Das war meine erste Einladung! Aber Malte wird natürlich auch da sein. Klar, er ‚ging’ schliesslich mit Nina. Aber das war mir völlig egal. In diesem Moment vergass ich alles. Ich sah Nina an und stammelte: „Ich komme gerne.“ Daraufhin drehte sie sich um und ging in ihre Klasse.
Ich stand noch einige Minuten auf dem Schulhof und dachte über das Geschehene nach. Das werde ich niemals vergessen. Erst bekomme ich eine Tracht Prügel und dann lädt mich mein Traummädchen zu ihrer Geburtstagsparty ein.
Am Samstag stand ich natürlich pünktlich vor ihrer Tür. Ich war so nervös. Ich klingelte, sie machte auf und begrüsste mich mit einem Kuss auf die Wange. In diesem Moment wusste ich, was Liebe ist. Ich schwebte in das Haus ihrer Eltern. Das alles war so unglaublich. Ich auf Ninas Party. Und geküsst hat sie mich auch. Ich war der glücklichste Mensch auf Erden.
„SCHWABBELALARM!“
Und schon war ich wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt. Malte hatte mich entdeckt und begann seinen vernichtenden Schlag gegen mich.
„Alles auf den Boden. Er explodiert jeden Moment!“
Die übrigen Gäste lachten sich halb tot. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn an. Mein Leben könnte so schön sein, ohne ihn. Ich spürte, wie Wut von mir Besitz ergriff. Der Zorn wurde immer grösser, meine Furcht immer kleiner. Ich sah Malte in die Augen. Aus Wut wurde Hass. Mein Blick wanderte zur Schere auf dem Tisch. Ich griff zu. Sie lag so gut in meiner Hand. Ich stürzte mich auf Malte und stach ohne Zögern zu.
Anschliessend rannte ich raus. Ich lief und lief und lief.
Jetzt sitze ich hier unter dem Liebesbaum. Die Schere halte ich immer noch umklammert. Ich weiss nicht, wie es Malte geht. Es ist mir auch egal. Ich will nicht mehr die Lachnummer der Anderen sein. Ich will das nicht mehr ertragen. Was ist das für ein Leben? Ich kämpfe mich nur noch von einem Tag zum nächsten. Alle lachen über mich. Mein Inneres. Das ich nicht lache. Nina hat mich doch auch nur als Clownsnummer zu ihrer Party eingeladen. Das war alles ein Spiel von ihr. Nichts war ehrlich. Was soll ich noch auf dieser Welt, wenn selbst Nina gegen mich ist? Der einzige Mensch, der mich wirklich mag, ist meine Mutter. Aber soll ich ein Leben mit meiner Mutter verbringen? Als fettes Muttersöhnchen? Nein, das will ich nicht. Anscheinend bin ich falsch auf dieser Erde. Oder Gott brauchte eine Witzfigur zur Unterhaltung der übrigen Menschen, also hat er mich erschaffen. Doch da mache ich ihm einen Strich durch die Rechnung. Nicht mit mir. Ich habe genug. Ich habe noch die Schere. Ich steche sie einfach in mein Handgelenk.
Es tut nicht mal weh.
Oh Gott.
So viel Blut.
Mir wird ganz schummrig.
Vielleicht hätte ich doch nicht...
Zu spät? Ich will noch nicht...
Ich wollte doch nur...
Neiiiiiiiiiiiiiiiiin...