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Die Ordnung im Haus

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12.02.2020
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Die Ordnung im Haus

Wir wohnen hier zu fünft. Im Keller, wo es keine Fenster gibt, wohnt der Chirurg. Er schneidet die Leichen auf, entnimmt ihnen die Organe und steckt sie in Gläser mit Formaldehyd, die er in die Regale stellt. Es stehen viele Regale im Keller, vom Boden bis unter die Decke reichen sie.
Im Erdgeschoss wohnen die Psychologin, der Chronist und ich. Hier befindet sich auch die Küche, in der wir manchmal gemeinsam essen. Alle, bis auf den Lieferanten, der immer für sich bleibt und ganz oben, unter dem Dach, wohnt. Keiner von uns hat ihn je gesehen, aber manchmal höre ich ihn nachts in seinem Zimmer herumlaufen, immer auf und ab, bis er schließlich in die Küche geht und sich an den Resten vom Abendessen bedient. Ich höre, wie er die Kühlschranktür öffnet und wieder schließt, das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler stellt. Ich kenne alle Zimmer im Haus, auch den Keller des Chirurgen mit den vielen grauenhaften Gläsern in den Regalen. Das Zimmer vom Lieferanten kenne ich nicht. Manchmal geht die Psychologin hoch ins Dachgeschoss und schiebt ihm ein abgerissenes Kalenderblatt unter der Tür hindurch. In diesen Nächten fährt er mit dem Lieferwagen aus der Garage.

Am meisten Zeit verbringe ich mit der Psychologin und dem Chronisten. Wir sitzen am großen Küchentisch und reden. Über den Geisteszustand des Chirurgen oder wie wohl das Zimmer vom Lieferanten aussieht. Er ist uns allen unheimlich und die anderen beiden sind so froh wie ich, dass er erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen. Ich weiß, dass auch die Psychologin nachts ihre Tür abschließt.
Ich bin das Mädchen für alles. Ich koche, kaufe ein und kümmere mich um den Haushalt. Vor ein paar Tagen habe ich die Psychologin gebeten, einkaufen zu gehen. Sie hat den Kopf geschüttelt und gesagt: „Es gibt eine Ordnung in diesem Haus und das ist gut so!“
Die Ordnung besagt, dass ich mich um den Haushalt kümmere, einkaufe, Essen koche. Die Psychologin ist für unseren mentalen Zustand zuständig. Wenn der Chirurg unwirsch wird, geht sie hoch ins Dachgeschoss.

Hat der Chirurg eine Leiche im Keller, arbeitet er die ganze Zeit. Ich stelle ihm ein Tablett mit Gekochtem und einem Glas Orangensaft auf den Tisch an der Wand, das einzige Stück Wand, das nicht voller Regale steht. Wenn er fertig ist, stellt er es auf die oberste Stufe der Treppe und ich hole es wieder ab. Manchmal kommt er hoch und setzt sich zu uns an den Küchentisch. Dann sagt er stolz: „Ich bin fertig!“ und isst mit uns. Ab diesem Zeitpunkt wird seine Laune jeden Tag schlechter.

„Mach mir einen Kaffee!“ befiehlt er mir und ich tue es, fülle Wasser und Kaffeepulver in die Maschine, stelle wortlos die Tasse vor ihn auf den Tisch und als er den heißen Dampf einatmet, sagt er: „Igitt, das riecht wie Kotze!“ Mit seinem Arm fegt er die Tasse vom Tisch, runter auf den Boden, wo sie zerspringt, und die dunkle Flüssigkeit sich auf den Fliesen verteilt.
„Würdest du nicht lieber respektvoll behandelt werden?“ fragt die Psychologin, aber ich antworte nicht auf diese lächerliche Frage.
„Gib mir einen O-Saft!“, sagt er. „Du weißt doch, dass ich nur O-Saft trinke.“
„Du kannst es ihm sagen“, sagt sie, nickt mir aufmunternd zu und deutet mit dem Kopf auf den Chirurgen.
Ich gieße gekühlten Orangensaft in ein Glas und stelle es vor ihn auf den Tisch, dann wende ich mich der Sauerei auf dem Boden zu. Die Psychologin steht auf und reißt das heutige Blatt vom Kalender, dann höre ich sie die Stufen ins Dachgeschoss hochsteigen. Ab morgen werde ich dem Chirurgen das Essen wieder in den Keller bringen, wo er den menschlichen Körper studiert. Das ist seine Aufgabe.

Ich weiß, was mich erwartet, und versuche über den toten Körper auf dem Seziertisch hinwegzusehen. Er ist nackt und ich sehe, dass es der Körper eines Mannes ist.
„Sag dem Lieferanten, das er mir das nächste Mal eine Frau bringt. Immer bringt er mir Männer, wie soll ich dazulernen, wenn er mir immer nur Männer bringt?“
„Dafür bin ich nicht zuständig“, antworte ich. „Es gibt eine Ordnung in diesem Haus. Sag das der Psychologin!“
„Sag du es ihr! Ich bin beschäftigt.“
Auch das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin zwar das Mädchen für alles, aber nicht seine Dienstbotin. Das Tablett mit Nudeln, Gulasch und einem Glas Orangensaft stelle ich auf den Tisch, dann gehe ich wieder nach oben. Die Psychologin ist in der Küche.
„Du sollst dem Lieferanten sagen, dass er ihm das nächste Mal eine Frau bringt. Er lernt sonst nichts dazu.“
Ich kann in ihren Augen sehen, dass sie sich fürchtet. Niemand spricht mit dem Lieferanten. Wir haben ihn nie gesehen. Wir hören ihn durchs dunkle Haus schleichen, das ist alles. Der Chronist ist auch in der Küche. Er blättert in seinem Kalender und nickt. „Er hat recht. Die letzten 27 waren Männer, alle im mittleren Alter. Es stimmt, so lernt er nicht dazu. Er braucht Frauen, Kinder, Abwechslung. Das müsstest du am besten wissen!“, sagt er an die Psychologin gewandt.
„Ich werde ihm einen Zettel schreiben“, sagt sie. „Er schläft sicher gerade.“
„Ja, bestimmt. Ein Zettel ist gut!“, sage ich und befülle drei Teller mit Nudeln und Gulasch, stelle eine Karaffe Wasser und drei Gläser auf den Tisch.

Beim Essen denke ich über die Worte der Psychologin nach, dass hier im Haus eine Ordnung herrscht, jeder eine Aufgabe hat. Ordnung ist gut, denke ich und schiebe mir einen Löffel Gulasch in den Mund. Er ist lecker.
„Lecker!“, sagt auch der Chronist.
Die Psychologin schweigt. Vermutlich überlegt sie, was sie auf den Zettel schreibt. Eine Konfrontation will sie sicher vermeiden.
Nach dem Essen spüle ich das Geschirr. Ich sehe das Blut im Spülwasser, bevor ich den brennenden Schmerz in meiner Hand spüre. Die Klinge vom Fleischmesser hat mir tief in die Handfläche geschnitten.
„Verdammt!“, fluche ich, halte die Hand unter kaltes Wasser, aber den Schmerz lindert das nicht.
Die Psychologin greift sich die verletzte Hand. Ich kann nicht hinsehen. „Das muss genäht werden“, sagt sie. „Geh runter, lass den Chirurgen das machen!“

Ich mag den Keller nicht und ich fürchte mich auch vor dem Chirurgen. Als könnte sie Gedanken lesen, führt sie mich an der Schulter zur Kellertür. Ich denke, sie will mich begleiten, doch dann fällt die Tür hinter mir zu und ich stehe allein auf der Kellertreppe, sehe das Tablett des Chirurgen auf der obersten Stufe und höre ihn von unten mit Metall klappern. Ich steige die Stufen hinab.
Der Bauch der Leiche ist aufgeschnitten, zwei Metallhaken halten die Bauchdecke. Der Chirurg ist mit einer Lederschürze bekleidet und schaut konzentriert in das Innere der Leiche, richtet sich aber auf und schaut mich an, als ich mich neben ihn stelle.
„Ich habe das Tablett schon auf die Treppe gestellt.“
„Ich habe mich geschnitten“, sage ich und strecke ihm die verletzte Hand entgegen, auf die der Chronist ein Küchentuch gedrückt hat. Es ist vollgesogen mit meinem Blut.
„Zeig her!“ Er entfernt das Tuch, studiert die Wunde in meiner Hand ebenso konzentriert wie den toten Körper zuvor. „Muss genäht werden!“ Er geht zu dem Tisch, an dem er immer isst. Der hat viele Schubladen, aus einer holt er eine Zange, die wie eine Schere aussieht, Faden und Nadel, Mull, eine durchsichtige Flüssigkeit.
Er säubert die Wunde, näht sie zu. Die Wunde brennt so sehr, dass ich die Stiche der Nadel kaum spüre.
„Du bist tapfer“, sagt er.
Mir war nicht klar, dass er so freundlich sein kann. Ich kenne ihn nur mürrisch in der Küche sitzend oder konzentriert über seine Leichen gebeugt.
„Danke!“, sage ich und fühle mich unwohl. Ich bin das Mädchen für alles in diesem Haus. Ich putze, kaufe ein und koche. Jeder kann das. Aber er ist der Chirurg, er schneidet Leichen auf und studiert den menschlichen Körper.

„Ich habe darüber nachgedacht, über das, was du gesagt hast“, sagt er.
„Was meinst du?“
„Das es eine Ordnung gibt in diesem Haus. Es stimmt.“
Ich nicke, er fährt fort: „Ich überlege, ob es gut ist.“
Ich schweige, weil ich keine Antwort habe. „Willst du denn keine Leichen mehr aufschneiden?“, frage ich.
„Doch!“, sagt er und lacht. Ich habe ihn noch nie lachen sehen. Ich sage ihm nicht, dass ich es hasse, einkaufen zu gehen. Ich sage: „Wahrscheinlich weil es deine Aufgabe ist. Jeder liebt, was er tut. Das ist die Ordnung in diesem Haus. Nur deshalb funktioniert es.“
„Komm morgen wieder, damit ich mir die Wunde ansehen kann.“ Er gibt mir einen Blister mit Schmerztabletten.

In der Küche steht noch immer das dreckige Wasser im Spülbecken. Ich ziehe den Stöpsel und sehe zu, wie das Wasser immer weniger wird, bis es schließlich in einem Wirbel im Abfluss verschwunden ist. Der Chronist sitzt am Tisch und schreibt etwas in seinen Kalender. Die Psychologin liest in einem Buch.
„Ich bin in diesem Haus das Mädchen für alles!“, sage ich. Der Chronist blickt auf. Die Psychologin schließt das Buch. Achtsamkeit steht darauf. Sie nickt, schaut mich an, will, dass ich fortfahre.
„Ich bin verletzt. Ich werde ein paar Tage ausfallen. Der Schnitt war tief. Er musste genäht werden.“
Der Chronist schweigt.
Die Psychologin nickt, sagt: „Wir finden eine Lösung."
Ich bin froh darüber. Sie wird mich unterstützen, denn das ist ihre Aufgabe. Sie tut das gerne. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch.

„Was, wenn du keine Psychologin mehr sein willst oder du kein Chronist?“, frage ich.
Er zieht seine Stirn in Falten, vielleicht überlegt er, was er auf eine so dumme Frage antworten soll. Sie schüttelt den Kopf, fragt: „Weißt du, warum Vögel singen?“
Ich zucke mit den Schultern. „Weil sie es können?“
Sie lächelt und nickt. “So ähnlich. Weil es sie glücklich macht. Beim Singen werden Endorphine ausgeschüttet. Der Chirurg hat alle seine Fähigkeiten, weil er viel geübt hat, viel gelernt und trainiert. Leichen aufzuschneiden, die Anatomie des menschlichen Körpers zu studieren, macht ihn glücklich, es ist keine besondere Leistung mehr, wenn es uns glücklich macht, meinst du nicht?“
Ich weiß nicht, worauf sie hinaus will. Sie fährt fort: „Warum sollte ich denn keine Psychologin mehr sein wollen? Ich bin doch Psychologin, weil ich eben eine sein will, weil mich die Logik der menschlichen Psyche interessiert. Der Chronist ist Chronist, weil ihn interessiert, was gestern war. Er mag es, unser Gedächtnis zu sein. Und du bist unser Mädchen für alles, weil du dich gerne um andere kümmerst. Du fühlst dich gut, wenn du gebraucht wirst, und wer wird mehr gebraucht, als das Mädchen für alles?“
Ich weiß nicht, ob das stimmt.

Am nächsten Morgen sitzt die Psychologin schon in der Küche, als ich frühstücken will. Das ist ungewöhnlich.
„Kannst du mir die Milch rausgeben?“, fragt sie merkwürdig glucksend. Im Kühlschrank finde ich neben der Milch ein Paar Gummihandschuhe.
„Damit sich deine Wunde nicht entzündet“, sagt sie. „Jetzt guck in den Ofen!“
Im Ofen finde ich eine Spülbürste.
Sie schaut mich an, die Augenbrauen erwartungsvoll hochgezogen. Ich sage nichts. Sie geht also doch einkaufen, denke ich und koche mir einen Tee. Statt ihn wie sonst in der Küche zu trinken, gehe ich in mein Zimmer. Die Wunde schmerzt und ich sitze auf meinem Bett, trinke den Tee, nehme eine der Schmerztabletten. Es stimmt, ich kümmere mich gerne um andere. Aber jetzt gerade nicht.
Gegen Mittag wache ich auf und gehe zum Chirurgen in den Keller. Ich bringe ihm belegte Brote. Er schaut sich die Wunde an und ich fühle mich schuldig. „Es tut mir leid, ich habe heute nicht gekocht.“
Er zuckt nur mit den Schultern.

Am Abend sitzen wir wieder zu dritt in der Küche, essen Brot. In der Nacht kann ich nicht schlafen. Als ich den Lieferanten in der Küche rumoren höre, gehe ich zu ihm. Einfach so.
Er begrüßt mich mit: „Es ist gar nichts zu essen da.“
„Ich bin verletzt“, sage ich, halte meinen verbundenen Arm in die Luft.
„Oh!“ Er hält den Kopf ein wenig schief. „Das wusste ich nicht“
„Es ist Brot da.“
„Warum bist du wach?“, fragt er, während er sich eine Scheibe Brot abschneidet.
„Kann nicht schlafen. Kann ich mich zu dir setzen?“
„Möchtest du auch ein Brot?“
„Gerne“, sage ich, decke zwei Teller auf, zwei Messer, hole Aufschnitt aus dem Kühlschrank und sage: „Ich könnte ein Spiegelei machen, wenn du willst.“
„Ich mag Spiegelei“, sagt er und ich hole die Pfanne aus dem Schrank.
„Gib mir mal zwei Scheiben Brot!“ Ich toaste sie in Butter in der Pfanne an, schlage zwei Eier auf, lege die gebratenen Eier auf das getoastete Brot.
„Meistens esse ich die Reste kalt", sagt er.
„Du könntest Mittags mit uns warm essen.“
„Ich bin nicht gerne in Gesellschaft.“
„Macht es dir Spaß, der Lieferant zu sein?“, frage ich.
„Nicht wirklich.“ Er steckt sich den letzten Bissen in den Mund, nimmt seinen Teller und stellt ihn in die Spülmaschine. „Danke für das leckere Essen“, sagt er und verlässt die Küche. Er ist nicht gerne der Lieferant, denke ich. Es macht ihm keinen Spaß, es macht ihn nicht glücklich.

Am nächsten Morgen wache ich wie immer früh auf, obwohl mich das Gespräch mit dem Lieferanten lange nicht einschlafen ließ. Am Abend warte ich, bis ich ihn in der Küche höre. Dann gehe ich zu ihm.
„Hallo“, sage ich. „Soll ich dir die Reste warm machen?“
Er schüttelt den Kopf. „Ist nicht nötig. Ich bin‘s gewohnt kalt zu essen.“
Ich setze mich zu ihm und sehe ihm zu, wie er die Nudeln mit der Soße direkt aus der Schüssel isst.
„Schmeckt gut“, sagt er und ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, schließlich frage ich einfach: „Wenn du es nicht magst, warum tust du es dann?“
„Spielt das eine Rolle?“
„Ich weiß nicht. Ja! Ich denke schon ...“
„Bist du gerne das Mädchen für alles?“
„Ich weiß nicht“, sage ich, weil es wahr ist. Ich bin es gerne und auch nicht gerne. „Was genau tust du?“, frage ich ihn.
„Ich denke, das weißt du.“
„Nicht richtig ...“ Ich weiß, er besorgt die Leichen für den Chirurgen. Aber woher?
„Ich bringe Menschen um.“
Ich schlage mir die Hand vor den Mund. Das ist wirklich erschreckend und weil ich es nicht glauben kann, frage ich: „Du bringst sie um? Lebendige, atmende Menschen?“
Er nickt.
Das ist fürchterlich und ich weiß nicht warum, aber ich frage: „Kann ich das nächste Mal mitfahren?“
„Wozu?“
„Ich will sehen, wie das ist.“
„Fürchterlich, wie du gesagt hast.“
„Ja, aber wie fühlt es sich an?“
„Fürchterlich …“
„Ja, aber …“
„Schon gut. Von mir aus …“
Ich lächle. Ich werde mitfahren.

Es dauert nur ein paar Tage, bis der Chirurg nach oben kommt und mit uns isst, dann drei weitere, bis er einen Kräutertee verlangt, den ich vom Boden aufwische, während die Psychologin mit dem Kalenderblatt ins Dachgeschoss steigt.
In der Nacht sitze ich schon in der Küche als er kommt, bereit aufzubrechen. Er will erst essen und ich warte schweigsam vor Aufregung. Ich gehe ihm hinterher in die Garage, setzte mich auf den Beifahrersitz des Lieferwagens. Er drückt auf einen Knopf und das Garagentor öffnet sich.
Er sagt: „Ich hole niemanden von hier. Ich fahre immer in eine andere Stadt.“
Ich kann noch immer nicht sprechen vor Aufregung und nicke. Wir fahren durch die Nacht. Der Himmel ist klar und voller Sterne. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt in den Nachthimmel gesehen habe. Er ist so grenzenlos. Wir schweigen und nach dreieinhalb Stunden sagt er: „Wir sind da. Von hier holen wir die nächste.“
Ich bin bereit. Ob er will, dass ich etwas tue?
„Du bleibst im Wagen!“
Das ist mir recht. Langsam fährt er eine Straße entlang, gesäumt von Häusern, in denen die meisten Fenster dunkel sind. Wir fahren an einer Gruppe junger Leute vorbei, aber der Lieferant beachtet sie nicht. Er fährt weiter. Es sind nur wenige Menschen unterwegs. Es ist 3:52 Uhr, als er schließlich den Wagen am Straßenrand parkt und aussteigt. Ich beobachte, wie er einem Mann folgt, etwas aus seiner Jackentasche holt und es dem Mann um den Hals legt. Es dauert nicht lange, da geben die Beine des Mannes nach. Er fällt in die Arme des Lieferanten, der ihn zum Lieferwagen schleift. Ich öffne die hintere Tür und helfe ihm, die Leiche, die eben noch ein atmender, lebendiger Mensch war, in den Lieferwagen zu hieven. Aufregung flutet meinen Körper und ich fühle mich so grenzenlos wie der Nachthimmel.

„Ich will auch einen umbringen“, sage ich.
Der Lieferant schaut mich an, ernst und lange sieht er mir in die Augen. „Wir haben schon einen Lieferanten“, sagt er schließlich und ich weiß, dass das stimmt.
„Es ist aufregend", sage ich.
„Das ist es!“, sagt er seufzend. „Am Anfang war es berauschend.“
„Also darf ich?“
Er schüttelt den Kopf. „Wir haben schon eine Leiche.“

Ich verstehe und nicke, sehe die Drahtschlinge mit den zwei Knäufen aus seiner Jackentasche heraushängen und die Aufregung weicht grauer Enttäuschung. Ich glaube, ich wäre gut darin. Nicht jeder kann so fürchterliche Dinge tun.
„Ich könnte dir helfen! In Zukunft, meine ich.“ Noch während ich die Worte sage, weiß ich, dass das unmöglich ist. Er weiß es auch und sieht mich an. Ich sehe ein Flackern in seinem Blick. Vielleicht ist es Angst und ich verstehe, dass Ordnung gut ist und Veränderung möglich.

Mit zwei männlichen Leichen fahre ich zurück zum Haus. Ich werde dem Chirurgen Frauen bringen und Kinder; ich werde ihm bringen, was immer er will. Ich bin die Lieferantin und wohne unter dem Dach.

 

Hallo @Katta!

Ich steige direkt ein:

Er schneidet die Leichen auf, entnimmt ihnen die Organe und steckt sie in Gläser mit Formaldehyd, die er in die Regale stellt. Es stehen viele Regale im Keller, vom Boden bis unter die Decke reichen sie.
Könnte man kürzen: Er schneidet Leichen auf, entnimmt ihnen Organe und steckt sie in Gläser mit Formaldehyd. Es stehen viele Regale im Keller, vom Boden bis unter die Decke.

Alle, bis auf den Lieferanten, der immer für sich bleibt und ganz oben, unter dem Dach, wohnt. Keiner von uns hat den Lieferanten je gesehen, aber manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, höre ich ihn in seinem Zimmer herumlaufen, immer auf und ab, bis er schließlich in die Küche geht und sich an den Resten vom Abendessen bedient.
Würde ich aufteilen und etwas entschlacken: Alle, bis auf den Lieferanten, der immer für sich bleibt und ganz oben, unter dem Dach, wohnt. Keiner von uns hat ihn je gesehen. Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, höre ich ihn in seinem Zimmer herumlaufen. Auf und ab, bis er in die Küche geht und sich an den Resten vom Abendessen bedient.

Ich höre, wie er die Kühlschranktür öffnet und wieder schließt. Das benutzte Geschirr stellt er in den Geschirrspüler, auch Schüsseln oder Töpfe, wenn sie leer sind. Ich kenne alle Zimmer im Haus, auch den Keller des Chirurgen mit den vielen Gläsern in den Regalen, aber das Zimmer vom Lieferanten kenne ich nicht.
Würde ich auch aufteilen und etwas kürzen: Ich höre, wie er die Kühlschranktür öffnet und wieder schließt, das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler stellt. Ich kenne alle Zimmer im Haus, auch den Keller des Chirurgen mit den vielen Gläsern. Nur das Zimmer des Lieferanten kenne ich nicht.

Am meisten Zeit verbringe ich mit der Psychologin und dem Chronisten. Wir sitzen am großen Küchentisch und reden. Über den Geisteszustand des Chirurgen oder wie wohl das Zimmer vom Lieferanten aussieht.
Die meiste Zeit ...
... das Zimmer vom Lieferanten aussehen mag?

Er ist uns allen unheimlich und die anderen beiden sind so froh wie ich, dass er die Tage schlafend verbringt und erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen. Ich weiß, dass auch die Psychologin nachts ihre Tür abschließt.
Können sie nicht wissen. ... dass er sich tagsünber nicht blicken lässt und erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen.
Ich weiß, dass selbst die Psychologin nachts ihre Tür abschließt. Fände ich wirkungsvoller.

Ich bin hier das Mädchen für alles.

Ich stelle ihm ein Tablett mit Gekochtem und einem Glas Orangensaft auf den Tisch an der Wand, das einzige Stück Wand, das nicht mit Regalen vollgestellt ist.
Ich stelle ihm ein Tablett mit Gekochtem und einem Glas Orangensaft auf den Tisch an der Wand, das einzige Stück, das nicht mit Regalen verstellt ist.

Dann sagt er stolz: „Ich bin fertig!“ und isst mit uns. Ab diesem Zeitpunkt wird seine Laune jeden Tag schlechter.
Dann sagte er mit erhobenem Kopf: ... mit leuchtenden Augen: etwas in der Art vielleicht?
Ab diesem Zeitpunkt verschlechtert sich seine Laune mit jedem weiteren Tag. So wirde mMn etwas deutlicher.

„Mach mir einen Kaffee!“ befiehlt er mir und ich tue es, fülle Wasser und Kaffeepulver in die Maschine, die dunkle Flüssigkeit in eine Tasse.
„Mach mir einen Kaffee!“ befiehlt er mir und ich tue es. Fülle Wasser und Kaffeepulver in die Maschine, gieße die dunkle Flüssigkeit in eine Tasse.

in eine Tasse. Wortlos stelle ich die Tasse vor ihn auf den Tisch und als er den heißen Dampf einatmet, sagt er: „Igitt, das riecht wie Kotze!“ Mit seinem Arm fegt er die Tasse vom Tisch, runter auf den Boden, wo sie zerspringt, und die dunkle Flüssigkeit sich auf den Fliesen verteilt.
Wortlos stelle ich den Kaffee vor ihm auf den Tisch. Als er den heißen Dampf einatmet, sagt er: „Igitt, das riecht wie Kotze!“ Mit dem Arm fegt er die Tasse vom Tisch auf den Boden. Sie zerspringt und die dunkle Flüssigkeit verteilt sich auf den Fliesen.
Muss er nicht vor ihm heißen? Bin mir nicht sicher.

Ich gieße gekühlten Orangensaft in ein Glas und stelle es vor ihn auf den Tisch, dann wende ich mich der Sauerei auf dem Boden zu.
Ich gieße gekühlten Orangensaft in ein Glas , stelle es vor ihm? auf den Tisch und wende ich mich der Sauerei auf dem Boden zu.

Die Psychologin steht auf und reißt das heutige Blatt vom Abreißkalender, dann höre ich sie die Stufen ins Dachgeschoss hochsteigen.
Die Psychologin steht auf und reißt das heutige Blatt vom Kalender, dann höre ich sie die Stufen ins Dachgeschoss hochsteigen.

Obwohl ich weiß, was mich erwartet, trifft mich der Anblick des toten Körpers auf dem Seziertisch unvorbereitet. Er ist nackt und ich versuche, über ihn hinwegzusehen. Aber ich sehe, dass es der Körper eines Mannes ist.
„Sag dem Lieferanten, das er mir das nächste Mal eine Frau bringt. Immer bringt er mir Männer, wie soll ich dazu lernen, wenn er mir immer nur Männer bringt?“
Wissen und unvorbereiten geht für mich nicht zusammen. Es kann sie erneut hart treffen aber nicht unvorbereitet, oder?
Die beiden vorbereiteenden Männersätze braucht es mMn nicht.
dazulernen schreibt man zusammen, glaube ich.

Wir hören sein Schleichen durchs dunkle Haus, das ist alles.
Den finde ich etwas verquer. Nachts hören wir ihn durchs Haus schleichen, das ist alles.

Er ist lecker.
Es

Nach dem Essen spüle ich das Geschirr und schaue aus dem Fenster in den Garten dabei. Ich sehe das Blut im Spülwasser, bevor ich den brennenden Schmerz in meiner Hand spüre. Die Klinge vom Fleischmesser hat mir tief in die Handfläche geschnitten.
Nach dem Essen spüle ich das Geschirr, schaue dabei aus dem Fenster in den Garten. Ich sehe das Blut im Spülwasser, bevor ich den brennenden Schmerz in meiner Hand spüre. Die Klinge des Fleischmessers hat mir tief in die Handfläche geschnitten.

Ich weiß, dass sie Recht hat. Aber ich mag den Keller nicht und ich fürchte mich auch vor dem Chirurgen.

Wieder nach oben, wo die Psychologin wartet? Sie wird mich gleich wieder runter schicken. Oder nach unten zum Chirurgen, wo er mit Metall klappert? Mit einer Schürze bekleidet steht er über die Leiche gebeugt. Der Bauch der Leiche ist aufgeschnitten, die Bauchdecke wird von zwei Metallhaken offen gehalten. Konzentriert schaut er in den Bauch, richtet sich aber auf und schaut mich an, als ich neben ihm stehe.
Da ist sie eben noch mit der Entscheidungsfindung beschäfftigt und schon geht es unten mit ihm weiter. Das funktioniert für mich so nicht. Da fehlt was dazwischen.
Die Bauchdecke der Leiche ist aufgeschnitten, wird von zwei Metallhaken offen gehalten. Konzentriert schaut er hinein, richtet sich aber auf, als ich neben ihm trete.

„Ich habe mich geschnitten“, sage ich und strecke ihm die verletzte Hand entgegen, auf die mir der Chronist ein Küchentuch gedrückt hat, das mittlerweile voller Blut ist.
„Zeig her!“ Er entfernt das Küchentuch, studiert die Wunde in meiner Hand ebenso konzentriert wie den toten Körper zuvor.

"Ich habe mich geschnitten", sage ich und strecke ihm die verletzte Hand entgegen, die in ein Küchentuch eingewickelt ist.
"Zeig her!" Er entfernt das Tuch, studiert die Wunde ebenso konzentriert wie den toten Körper zuvor.
„Ich hab darüber nachgedacht, über das, was du gesagt hast“, sagt er.
„Ich hab darüber nachgedacht, was du gesagt hast“, sagt er.

Ich schweige, weil ich keine Antwort habe. Ich glaube die Antwort ist, dass es egal ist, dass es nicht darum geht, was gut ist, für wen denn überhaupt, sondern was unsere Aufgabe ist, warum wir hier sind.
Ich schweige, weil ich keine Antwort habe. Ich glaube, dass es egal ist. Dass es nicht darum geht, was gut ist. Für wen überhaupt? Sondern was unsere Aufgabe ist, warum wir hier sind.

Schmerztabletten. „Maximal drei am Tag.“ „Danke“, sage ich und gehe wieder nach oben, wo das dreckige Wasser noch immer im Spülbecken steht.
Hier geht es nahtlos weiter. Warum der Absatz?

Ich löse den Stöpsel und sehe zu, wie das Wasser immer weniger wird, bis es schließlich in einem Wirbel im Abfluss verschwindet.
zieh den Stöpsel?

Der Chronist schweigt. Was geht ihn das an? Die Psychologin nickt wieder, wie ein Wackeldackel bewegt sie den Kopf.
Das schweigen genügt mMn. Stelle ich mir das dackelige Nicken vor, wirkt das ungewollt komisch.

Sie kann gewaltig nerven.
Kommt für mich unverhofft aus dem Nichts.

Ich bin doch PsychologinKOMMA weil ich eben eine sein will, weil mich die Logik der menschlichen Psyche interessiert

Ich sagte jaKOMMA wir finden eine Lösung!“

„Ich bin verletzt“, sage ich, halte meinen verbundenen Arm in die Luft.
hoch

Er nickt, geht zum Brotkorb und schneidet sich eine Scheibe Brot ab.

Auch ich gehe wieder in mein Zimmer, lege mich in mein Bett.
Auch ich gehe wieder in mein Zimmer, lege mich ins Bett.

Ich bin‘s gewohntKOMMA die Reste kalt zu essen
Oder?

Ich setze mich zu ihm und sehe ihm zu, wie er die Reste direkt aus der Schüssel isst.
Ich setze mich neben ihn und sehe ihm zu, wie er die Reste direkt aus der Schüssel isst.

Er scheint zu wissen, dass ich unser Gespräch von letzter Nacht fortsetze, und Er zuckt mit den Schultern. „Spielt es eine Rolle, ob ich es gerne tue?“
Wir auch ohne Erklärung deutlich.

Er stöhnt genervt, denkt, ich stelle mich dumm, aber ich verstehe nicht, wie er Leichen von der Straße holt
Kann sie nicht wissen. Vielleicht ... denkt wohl, ich ...

Es dauert nur ein paar Tage, bis der Chirurg nach oben kommt und mit uns isstPUNKT Drei weitere, bis er einen Kräutertee verlangt, den ich vom Boden aufwische, während die Psychologin mit dem Blatt vom Abreißkalender nach oben ins Dachgeschoss steigt.

Er ist so grenzenlos.

Langsam fährt er eine Straße entlang, gesäumt von Häusern, in denen die meisten Fenster dunkel sind.
in denen finde ich unschön. in welchen macht es ein kleinwenig besser aber nicht gut.

Ich folge ihm mit den Augen, während er einem Mann folgt, der allein die Straße entlang geht.
Ich beobachte ihn, wie er einem Mann folgt, der allein die Straße entlang geht.

Er holt etwas aus seiner Jackentasche, legt es dem Mann um den Hals. Die Beine des Mannes geben nach und er fällt in die Arme des Lieferanten. Der schleift den Mann zum Lieferwagen,
Das geht fix. Schlinge rum und Lichter aus. Glaube, da liegt ein kleiner Überlebenskampf dazwischen.
Er schleift den Mann ...

Ich bin das Mädchen für alles. Er ist der Lieferant.

Ich greife nach der Drahtschlinge, lege sie ihm so schnell und geschmeidig um den Hals, dass er keine Chance hat. Seine Hände, die die Schlinge umklammern und sie daran hindern wollen, seine Atemwege zuzudrücken, greifen ins Leere.
Schnell und geschmeindig ist mir zu viel. Klingt so nach Naturtalent.
Und ummklammern und ins Leere greifen geht nicht.

Ich greife mir die Drahtschlinge, lege sie ihm um den Hals. Er keine Chance hat! Seine Hände wollen die Schlinge umklammern, möchten sie daran hindern, die Atemwege zuzudrücken, und greifen doch ins Leere.

Ich werde ein besserer Lieferant sein, ich werde dem Chirurgen Frauen bringen und Kinder, ich werde ihm bringen, was immer er will. Das Haus braucht ein Mädchen für alles. Ich bin die Lieferantin und wohne unter dem Dach.
Ich werde ein besserer Lieferant sein! Ich werde dem Chirurgen Frauen bringen und Kinder, was immer er will. Das Haus braucht ein Mädchen für alles. Ich wohne unter dem Dach.

Vielleicht ist was dabei.
Hat Spaß gemacht zu lesen und kommentieren!

Gruß,
Sammis

 

Hey Katta,

Seltsam ist meiner Meinung nach ein schwieriges Genre zu kritisieren, da mir häufig gar nicht bewusst ist, was jetzt von den Autoren beabsichtigt ist und was nicht.
Du schaffst eine bizarre Welt, die viele Fragen offen lässt. Prinzipiell finde ich es gut, dass nicht alle Fragen geklärt werden, einpaar Dinge hätten mich aber trotzdem interessiert: Was will der Chirurg lernen und warum braucht er dafür unbedingt Frauen? Warum will jeder den Lieferanten vermeiden? Er wirkt ja ganz nett und Mord scheint in deiner Welt gesellschaftlich normalisiert zu sein.

Eine Frage hat mich aber besonders genervt: Warum ist deine Hauptfigur so passiv und distanziert? An sich passt es zwar zur Atmosphäre, aber eine konkrete Erklärung, warum sie so emotional abgeflacht ist, hätte ich mir trotzdem gewünscht. Manchmal fand ich die fehlende Dynamik ganz unpassend, zum Beispiel hier:

Die Klinge vom Fleischmesser hat mir tief in die Handfläche geschnitten.
„Verdammt!“, fluche ich, halte die Hand unter kaltes Wasser, aber den Schmerz lindert das nicht.
„Zeig her!“, sagt die Psychologin und greift sich die verletzte Hand. Ich kann nicht hinsehen. „Das muss genäht werden“, sagt sie. „Geh runter, lass den Chirurgen das machen!“

Ich weiß, dass sie Recht hat. Aber ich mag den Keller nicht und ich fürchte mich auch vor dem Chirurgen.

Wenn ich mich so verletzt hätte und dann auch auch noch mit dem Chirurgen darüber reden müsste, dann würde ich viel mehr Gefühle empfinden. Ich würde nicht nur rational in meinem Kopf argumentieren, dass ich mich vor jemandem fürchte. Die ganze Situation wäre mir unglaublich peinlich. Ich würde mich dumm fühlen. Ich würde stottern.

Insgesammt wirkt das Mädchen für alles wie eine Praktikantin, die sich langsam traut mit ihrem Vorgesetzten zu reden. Der Sprung zur Mörderin ist sehr plötzlich, vor allem weil du gerade am Anfang der Geschichte so ausführlich auf ihren Alltag eingegangen bist. Ist sie eine badass Feministin, die Elemente der dunklen Triade annimmt, um mit dem Chirurgen mithalten zu können? Findet sie nach einer gewissen Zeit den Anblick der Leichen erregend? So wie sich das jetzt liest, scheint deine Hauptfigur einfach nur langeweile zu haben. Da kann man mehr raussholen

Ich habe den Chirurgen gemocht. Typisch Chirurg halt. An manchmen Stellen war er meiner Meinung nach zu "punky". Teilweise musste ich lachen, aber ich glaube nicht, dass das von dir beabsichtigt war. Hier zum Beispiel:

Wortlos stelle ich die Tasse vor ihn auf den Tisch und als er den heißen Dampf einatmet, sagt er: „Igitt, das riecht wie Kotze!“ Mit seinem Arm fegt er die Tasse vom Tisch, runter auf den Boden, wo sie zerspringt, und die dunkle Flüssigkeit sich auf den Fliesen verteilt.
Warum ist die Situation so schnell aus dem nichts eskaliert? :D

Der Chronist hat übrigens einen sehr entspannten Job. Ich habe aber nicht wirklich das Gefühl dass er etwas zur Handlung beiträgt.

Die manipulative Psychologin fand ich als Figur interessant. Diese Szene vor allem:

Am nächsten Morgen sitzt die Psychologin schon in der Küche, als ich frühstücken will. Das ist ungewöhnlich.
„Kannst du mir die Milch rausgeben?“, fragt sie merkwürdig glucksend. Im Kühlschrank finde ich neben der Milch ein Paar Gummihandschuhe.
„Damit sich deine Wunde nicht entzündet“, sagt sie. „Jetzt guck in den Ofen!“
Im Ofen finde ich eine Spülbürste.
„Hab ich für dich gekauft, damit du es leichter hast. Ich sagte ja wir finden eine Lösung!“ Sie schaut mich an, die Augenbrauen erwartungsvoll hochgezogen.
Ich liebe das Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz stimmt, aber man es nicht richtig einordnen kann. Gegen Ende hast du die Spannung aufgelöst. Ich hätte es spannender gefunden, wenn die Psychologin ihre Absicht nicht am Ende von dem Zitat enthüllt hätte.
Ich denke, die Psychologin könnte involvierter in die Handlung sein. Es wäre zum Beispiel interessant, wenn die Psychologin erkennen würde, dass das Mädchen für alles Mordlust hat und dass der Lieferant für seinen Job ungeeignet ist. Die Psychologin hätte dann "hinter den Kulissen" die Fäden so ziehen können, dass das Mädchen für alles den Lieferanten ersetzt. Das hättest du mit Details in deine Geschichte einarbeiten können. Zum Beispiel bei der Szene mit dem Fleischmesser: Das Mädchen für alles findet es nicht "verdammt", dass sie sich geschnitten hat. Sie findet den Anblick von ihrem Blut geil und ist hypnotisch auf ihre offene Wunde vertieft. Das fällt der Psychologin irgendwie auf, vielleicht weiten sich ihre Pupillen kurz, bevor sie dann zu ihrem typischen analytischen Blick wechselt.

Alles in allem aber coole Idee und GaLiGrü

 
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Hallo @Katta
ich muss sagen, dass mich dein Text bereits mit den ersten Sätzen komplett reingezogen hat! Das ist gut gemacht und ich hab ihn dann auch wirklich sehr gerne gelesen. Großes Kompliment für die Atmosphäre und rätselhafte Stimmung, die du da am Anfang aufbaust. Das ist wirklich gut!
Allerdings muss ich auch sagen, dass mich die Geschichte gegen Mitte/ Ende ein Stück weit verliert. Ich habe unten in den Kommentaren auch versucht darzulegen, warum.
Aber er kann natürlich auch sein, dass es da um Geschmacksfragen geht. Nimm gerne von meinen Anmerkungen mit, was du möchtest.

Anmerkungen:

Wir wohnen hier zu fünft. Im Keller, wo es keine Fenster gibt, wohnt der Chirurg.
Diese Sätze funktionieren als Einstieg für mich ganz wunderbar. Es zieht rein. Ich finde auch, die Aufzählung der Bewohner bauen eine starke Atmosphäre auf. Zudem möchte ich wissen, wie es weitergeht!

Auf der nächsten Etage wohnen die Psychologin, der Chronist und ich.
Warum nicht im Erdgeschoss? Das würde sich für mich besser anhören.

Sie schiebt ihm ein abgerissenes Kalenderblatt unter der Tür hindurch und in der Nacht fährt er dann mit dem Lieferwagen aus der Garage.
Wieder so eine Stelle, die für mich super funktioniert und deinen Text ausmacht!

Er ist uns allen unheimlich und die anderen beiden sind so froh wie ich, dass er die Tage schlafend verbringt und erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen. Ich weiß, dass auch die Psychologin nachts ihre Tür abschließt.
Hier würde ich streichen:
Ich bin froh, dass er die Tage schlafend verbringt und erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen. Ich weiß, dass auch die Psychologin nachts ihre Tür abschließt.
-> Damit wird auch klar, was du aussagen möchtest.

aber ich antworte nicht auf diese lächerliche Frage.
Das braucht es meiner Meinung nach nicht.

Obwohl ich weiß, was mich erwartet, trifft mich der Anblick des toten Körpers auf dem Seziertisch unvorbereitet.
Warum das? Es scheint ja nicht die erste Leiche zu sein. Außerdem weiß sie ja sogar, was sie erwartet. Ich würde das evtl. umformulieren.

Es gibt eine Ordnung in diesem Haus und gemäß dieser kümmere ich mich um den Haushalt. Sag das der Psychologin!
Hier hätte ich es besser gefunden, wenn sie genauso antwortet wie vorher bereits die Psychologin: "Es gibt eine Ordnung in diesem Haus und das ist gut so."

Ich weiß, dass sie Recht hat. Aber ich mag den Keller nicht und ich fürchte mich auch vor dem Chirurgen.
Das kommt hier aber das erste Mal, oder habe ich etwas überlesen? Ich fände es passender, wenn du das vorher schon andeuten würdest. So in die Richtung: Vor dem Keller gruselt es mich, aber vor dem Lieferanten habe ich Angst. Also als eine Art gesteigerte Aufzählung. Hier kommt es für mich zu plötzlich.
Du kannst das gut!“, sage ich, nachdem er fertig ist.
„Ich nähe sie ja alle wieder zu, das übt.“
Warum sagt sie das an dieser Stelle zu ihm? Er ist ja der Chirurg. Das weiß sie ja, oder? Hat mich an dieser Stelle ein wenig rausgeworfen.

Er gibt mir einen Blister mit Schmerztabletten. „Maximal drei am Tag.“ „Danke“, sage ich und gehe wieder nach oben, wo das dreckige Wasser noch immer im Spülbecken steht.
Hier ist ein Absatz zwischen den Sätzen. Gewollt oder verrutscht? Später ist das auch noch 1-2 mal. Also vermutlich gewollt.

Am Abend sitzen wir wieder zu dritt in der Küche, essen Brot, ich trinke Tee. Später kann ich nicht einschlafen. Als ich den Lieferanten in der Küche rumoren höre, gehe ich zu ihm.
Hier musste ich mich kurz sortieren, dass später niemand mehr in der Küche ist. Vielleicht den zweiten abändern, um Verwirrung zu vermeiden? Vielleicht bin aber auch nur ich hier verwirrt worden.

„Gib mir mal zwei Scheiben Brot!“ Ich toaste sie in Butter in der Pfanne an.
„Das riecht gut.“
„Oder?“
Würde ich streichen. Das braucht es doch nicht, oder?

Er sagt: „Ich bringe sie um. Menschen von der Straße. Ich bringe sie um und dann hierher, damit der Herr Chirurg etwas zum Üben hat.“
Es mag für deine Geschichte und darauf, wo du hinwillst, sehr wichtig sein. Dennoch hat mich dein Text leider ab dieser Stelle so ein wenig verloren. Die Stärke, das Rätselhafte, Mysteriöse und absolut Seltsame, wird hier durch die Erklärung weggewischt. Ich finde (unabhängig, ob du es für den Plot brauchst), dass das dem Text gar nicht guttut.

„Ich will auch einen umbringen“, sage ich.
„Ich weiß“, sage ich. „Aber du hast gesagt, es ist fürchterlich.“
„Du hast gesagt, es ist fürchterlich.“
„Ja, aber es ist auch aufregend.“
„Das ist es!“, sagt er seufzend. „Am Anfang war es berauschend.“
„Also darf ich?“
Wie weiter oben ist mir das hier zu deutlich ausformuliert. Steht gewissermaßen ein wenig zum bisherigen Text, der ja durch Rätselhaftigkeit gelebt hat, im Widerspruch. Bisher musste ich als Leser öfters mal innehalten und überlegen, was da eigentlich abgeht. Musste mir Gedanken darüber machen, wozu zB der Chirurg die Leichen aufschneidet. Jetzt wird hier alles sehr deutlich ausformuliert. Ist vlt eine Geschmacksfrage, aber für mich brichst du damit deinen eigenen Text.

Ich finde dein Ende dann ->

Mit zwei männlichen Leichen fahre ich zurück zum Haus. Ich werde ein besserer Lieferant sein, ich werde dem Chirurgen Frauen bringen und Kinder, ich werde ihm bringen, was immer er will. Das Haus braucht ein Mädchen für alles. Ich bin die Lieferantin und wohne unter dem Dach.
zB wieder sehr gut. Aber ich denke, dass es noch viel besser wirken würde, wenn gar nicht so deutlich ausformuliert werden würde, dass sie den Lieferanten umbringt. Wenn du es nur andeuten würdest und wenn es diesen Dialog zwischen den beiden vorher so auch gar nicht gäbe. Nur als Vorschlag.

Also abschließend bleibt mir zu sagen, dass ich deine Geschichte sehr gerne gelesen habe. Gerade der Einstieg ist super! Schade finde ich, was du dann daraus machst. Ich denke, dass da (wenn du es rätselhafter belässt) noch einiges mehr an Potenzial drinsteckt! Aber am Ende ist es dein Text und du weißt am besten, was du damit machst.

Auf jeden Fall sehr gerne gelesen!
Habentus

 

Hallo @Sammis,
oh wow, du hast ja einige stilistische Anmerkungen im Gepäck. Vielen Dank für deine Mühe und natürlich fürs Lesen. Da ich den Text im Moment wohl eh noch ein paar Mal durchgehen werde, wird sich da auf Satz und Wortebene sowieso noch einiges ändern. Ich werde deine Anmerkungen dann noch mal einzeln durchgehen. Einige Wörter können sicher weg, einige Sätze umgestellt bzw gekürzt werden zur besseren Verständlichkeit. Andere Sachen sind nicht mein Geschmack oder gehen an meiner Intention vorbei, darum werden ich die belassen. Verzeich, dass ich die Anmerkungen jetzt nicht einzeln durchgehe, aber da es ja vor allem um sprachliche/stilistische Änderungen geht, nehme ich die dann einfach mit in die finale Überarbeitung und hoffe, das ist ok für dich.

Hallo @alexei,
auch dir vielen Dank für deinen Kommentar.

Du schaffst eine bizarre Welt, die viele Fragen offen lässt. Prinzipiell finde ich es gut, dass nicht alle Fragen geklärt werden, einpaar Dinge hätten mich aber trotzdem interessiert: Was will der Chirurg lernen und warum braucht er dafür unbedingt Frauen? Warum will jeder den Lieferanten vermeiden? Er wirkt ja ganz nett und Mord scheint in deiner Welt gesellschaftlich normalisiert zu sein.
Der Chirurg studiert den menschlichen Körper, er lernt quasi die Anatomie. Ich habe jetzt noch einen Satz eingefügt, in der Hoffnung, dass das klarer wird. Er braucht Frauen, weil die eine andere Anatomie haben als Männer ... Da schau ich aber noch mal, kann schon sein, dass das im Moment noch nicht so deutlich wird. Warum jeder den Lieferanten vermeiden will? Nun, das will ich nicht wirklich ausbuchstabieren. Er scheint ganz nett, wenn man ihn kennt ... Aber er schleppt die Leichen an, das wissen ja schon auch alle im Haus. Was genau und wie genau, ich denke, das will niemand so richtig wissen, darum ist er ihnen unheimlich ... das soll aber auch eher so wabern und wie gesagt, nicht explizit benannt werden. Ich denke auch nicht, dass Mord normalisiert ist. Die gehen ja nicht durch die Gegend und bringen Leute um, aber auch hier habe ich noch ein bisschen geschraubt und es vielleicht jetzt noch etwas rätselhafter gestaltet, sodass es nicht so wirkt, dass es normal ist, Leute umzubringen ...

Eine Frage hat mich aber besonders genervt: Warum ist deine Hauptfigur so passiv und distanziert? An sich passt es zwar zur Atmosphäre, aber eine konkrete Erklärung, warum sie so emotional abgeflacht ist, hätte ich mir trotzdem gewünscht.
Ja, das Ich ist passiv und emotional distanziert, eine schwierige Persönlichkeit als Protagonistin, kann ich gut nachvollziehen. Ich warte da noch mal ab, wie andere das lesen und empfinden. Wenn alle das so nervtötend finden, muss ich wohl noch mal nachdenken. Ich verstehe allerdings auch nicht ganz, warum du eine Erklärung für ihr so-sein brauchst, du würdest offenbar keine Erklärung brauchen, wenn sie anders wäre. Also, wenn ich dir jetzt sage, sie ist so ins Haus gekommen, weil es möglicherweise hilfreich ist so zu sein als Mädchen für alles, was hilft dir das? Sie nervt doch trotzdem noch.

Wenn ich mich so verletzt hätte und dann auch auch noch mit dem Chirurgen darüber reden müsste, dann würde ich viel mehr Gefühle empfinden. Ich würde nicht nur rational in meinem Kopf argumentieren, dass ich mich vor jemandem fürchte. Die ganze Situation wäre mir unglaublich peinlich. Ich würde mich dumm fühlen. Ich würde stottern.
Das nehm ich noch mal mit. Der Text muss erst einmal sacken, im Moment komm ich da noch nicht so richtig ran, aber ich weiß, dass sich solche Dinge mit der Zeit verändern und ich verstehe, was du meinst ...
Insgesammt wirkt das Mädchen für alles wie eine Praktikantin, die sich langsam traut mit ihrem Vorgesetzten zu reden.
ja, schon ... das ist nicht so ganz verkehrt ...

Der Sprung zur Mörderin ist sehr plötzlich,
Das ist natürlich eine der großen Fragen, ob der Leser da mitgeht oder sagt: Nee, find ich nicht überzeugend ...

Ist sie eine badass Feministin, die Elemente der dunklen Triade annimmt, um mit dem Chirurgen mithalten zu können? Findet sie nach einer gewissen Zeit den Anblick der Leichen erregend?
Wie gesagt: Ich will natürlich nicht alles ausbuchstabieren, andererseits will ich natürlich auch kein Ratespiel daraus machen und das der Leser alles reininterpretieren kann, was er will. Auch hier bin ich wohl auf mehr Lesereindrücke angewiesen und manchmal kriegt man ja durch die Kommentare (und durch die vergehende Zeit) dann noch eine gute Idee, wo man genau was noch rausholen kann.

Ich habe den Chirurgen gemocht. Typisch Chirurg halt. An manchmen Stellen war er meiner Meinung nach zu "punky". Teilweise musste ich lachen, aber ich glaube nicht, dass das von dir beabsichtigt war. Hier zum Beispiel:
Wortlos stelle ich die Tasse vor ihn auf den Tisch und als er den heißen Dampf einatmet, sagt er: „Igitt, das riecht wie Kotze!“ Mit seinem Arm fegt er die Tasse vom Tisch, runter auf den Boden, wo sie zerspringt, und die dunkle Flüssigkeit sich auf den Fliesen verteilt.
Warum ist die Situation so schnell aus dem nichts eskaliert? :D
Das Problem ist wohl auch das Genre, wie du in deinem ersten Satz auch schreibst. Wir können an diesen Text natürlich nicht mit herkömmlicher Psychologie gehen, das sind ja alles keine echten Menschen ... das sind ja eher Funktionsträger ... ich kann dir das jetzt nicht sagen, ich habe dieses oder jenes Konzept verfolgt, weil es so nicht gewesen ist, aber ja, das ist keine Alltagsgeschichte mit echten Menschen ...

Der Chronist hat übrigens einen sehr entspannten Job. Ich habe aber nicht wirklich das Gefühl dass er etwas zur Handlung beiträgt.
Über den hab ich auch ne Weile nachgedacht. Ich brauche den schon, mit vier Personen wäre das irgendwie unausgewogen, aber wirklich gute rationale Argumente habe ich im Moment noch nicht, ist eher noch so ne Gefühlssache ...

Ich hätte es spannender gefunden, wenn die Psychologin ihre Absicht nicht am Ende von dem Zitat enthüllt hätte.
Da stimme ich dir zu. Das hab ich rausgenommen ... Es ist ja ein recht rätselhafter Text (aber wie gesagt, er soll kein Ratespiel sein, nur deutungsoffen) und wahrscheinlich ist es echt kontraproduktiv zu viele Erklärungen zu bieten. Ich sortiere hier noch das Maß ...

Ich denke, die Psychologin könnte involvierter in die Handlung sein. Es wäre zum Beispiel interessant, wenn die Psychologin erkennen würde, dass das Mädchen für alles Mordlust hat und dass der Lieferant für seinen Job ungeeignet ist. Die Psychologin hätte dann "hinter den Kulissen" die Fäden so ziehen können, dass das Mädchen für alles den Lieferanten ersetzt. Das hättest du mit Details in deine Geschichte einarbeiten können. Zum Beispiel bei der Szene mit dem Fleischmesser: Das Mädchen für alles findet es nicht "verdammt", dass sie sich geschnitten hat. Sie findet den Anblick von ihrem Blut geil und ist hypnotisch auf ihre offene Wunde vertieft. Das fällt der Psychologin irgendwie auf, vielleicht weiten sich ihre Pupillen kurz, bevor sie dann zu ihrem typischen analytischen Blick wechselt.
Das gefällt mir allerdings nicht. Also vielleicht könnte die Psychologin involvierter sein (da werde ich drüber nachdenken), aber dass sie die Fäden zieht, das will ich eigentlich nicht. Ich will auch nicht, dass das Mädchen für alles, ihre Lust auf Blut entdeckt, das geht dann tatsächlich in eine ganz andere Richtung als ich will ...

Vielen Dank jedenfalls, @alexei, deine Fragen und Auseinandersetzung mit dem Text, hat mich auch noch mal damit weitergebracht.

Hallo @Habentus,
also das hier, hat mich ja echt verzweifeln lassen:

Großes Kompliment für die Atmosphäre und rätselhafte Stimmung, die du da am Anfang aufbaust. Das ist wirklich gut!
Allerdings muss ich auch sagen, dass mich die Geschichte gegen Mitte/ Ende ein Stück weit verliert.
Das ist genau das, was alle zu meiner letzten Geschichte geschrieben haben. Und als ich das gelesen habe, dachte ich: Och nee, nicht schon wieder, genau das gleiche Problem, obwohl ich doch versucht habe, es dieses Mal besser zu machen. Aber ich freue mich natürlich auch darüber, dass der Anfang schon mal passt. Die Gespräche mit dem Lieferanten habe ich auf deinen Kommentar hin noch mal deutlich zusammgenstaucht, auch weil du ja meintest, das würde das Rätselhafte zerstören und ich das gut nachvollziehen konnte. Auch die explizite Tötung des Lieferanten hab ich rausgenommen und auch alle deine Textvorschläge/kritik übernommen, bis auf den hier:
aber ich antworte nicht auf diese lächerliche Frage.
Das braucht es meiner Meinung nach nicht.
Ich habe natürlich viel über dieses und auch andere Adjektive im Text nachgedacht. Ich befürchte aber, dass ihre Haltung zur Psychologin nicht wirklich rauskäme, wenn ich das Adjektiv lösche. Darum lass ich es erst mal drin ...

Ich denke, dass da (wenn du es rätselhafter belässt) noch einiges mehr an Potenzial drinsteckt! Aber am Ende ist es dein Text und du weißt am besten, was du damit machst.
Ja, rätselhaft soll der Text schon sein ... nicht alles ausbuchstabieren und so ... seltsam, skurril, bizzar ... alles Adjektive mit denen ich gut leben kann ... also von daher hast du den schon so gelesen, wie ich den gelesen haben will, sodass mir deine Anmerkungen da ein gutes Stück weitergeholfen haben, vielen Dank dafür!, und ich auch schon Hand angelegt und gekürzt habe - ist sicher noch mehr möglich, aber ich denke, es geht schon mal in die richtige Richtung ...

Habt ein schönes Wochenende und vielen Dank noch mal fürs Lesen und Kommentieren,
Katta

 
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Hallo @Katta

Ich kenne nicht alle Texte von Dir, habe aber den ein oder anderen gelesen auch ohne zu kommentieren, und mir gefällt die Richtung, die Du seit "Unten" einzuschlagen scheinst. So war ich auch gespannt auf diesen Text, als ich den Tag 'Seltsam' darüber entdeckte. Titel klang erstmal etwas profan, aber deswegen liess ich mich nicht abhalten, in deine Story reinzusehen. Hab sie dann auch gelesen ;) Mir gefällt die Idee, wie Du die Ordnung in diesem Haus, in dieser seltsamen Gemeinschaft, schilderst. Jede/r hat eine Aufgabe. Das ist wichtig und gut so, damit die Gemeinschaft weiterhin funktionieren kann. Die Ich-Erzählerin jedoch beginnt diese Regeln zu brechen. Erst hinterfragt sie ihre und die Rolle der anderen bloss, aber dann entschliesst sie sich zu einer Veränderung. Sie passt den Lieferanten in der Küche ab, springt über ihre Ängste. Sie überredet ihn dazu, sie auf eine Fahrt mitzunehmen. Am Schluss bringt sie den Lieferanten um, weil sie selbst die Lieferantin werden möchte, sie mag nicht mehr das Mädchen für alles sein.

Ihre Entscheidung und die darauffolgenden Handlungen jedoch werden mir zu wenig hergeleitet, also ihr Mord am Lieferanten kommt sehr abrupt, da gab es für mich eigentlich keine Vorzeichen. Auch habe ich mich gefragt: Wie kann sie den Lieferanten so einfach umbringen? Der Mann ist sich gewöhnt zu töten, der wird das ein oder andere Ass im Ärmel haben, ihr gelingt das aber einfach so ihn zu überrumpeln. Es ist ihr erster Mord und sie macht das direkt mir einer Beiläufigkeit, als wäre es für sie nichts, einfach Alltag. Nein, das kaufe ich nicht. Fand das nicht wirklich passend/naheliegend bzw. es geht einfach extrem schnell. Sie müsste das irgendwie sorgsamer vorbereiten, sich vielleicht einen perfiden Trick ausdenken, wie sie den Lieferanten loswird. Also mein Hauptkritikpunkt liegt beim Ende, das ist mir zu wenig konsequent hergeleitet, das würde ich mir noch einmal überlegen.

Bei den Charakteren, diesen verschiedenen Berufsgruppen, sehe ich noch Potential. Also im Grunde genommen bleiben die ja relativ oberflächlich, bspw. die Psychologin könnte sich doch mehr wie eine Psychologin verhalten: Sie könnte das gemeinschaftliche Essen zu einer Art Therapiesitzung umfunktionieren, indem sie den anderen entsprechende Fragen stellt. Was macht das mit euch, wenn der Lieferant nachts durch das Haus schleicht? Als die Erzählerin sich in die Hand schneidet, könnte sie darauf eingehen und das Hinterfragen: Hast du dich absichtlich geschnitten, weil du eine Pause von deiner Rolle brauchst? Wieso brauchst du überhaupt eine Pause? Belastet dich deine Rolle so sehr? Und so weiter. Also für mich wäre das dann eindringlicher, bisschen dunkler auch, wenn die Psychologin eben mehr in ihrer eigenen Rolle aufgehen würde. Das nur als Beispiel. Sätze wie diese hier

Wir sitzen am großen Küchentisch und reden. Über den Geisteszustand des Chirurgen oder wie wohl das Zimmer vom Lieferanten aussieht.
sind ja gut und recht, aber das ist Behauptung, ich will doch als Leser selbst erleben und erfahren, wie da die Beziehungen untereinander aussehen, da würde sich für mich anbieten, das auszudialogisieren (gibt's das Wort? :D) und den Charakteren dadurch etwas mehr Tiefe, Dreidimensionalität, zu verleihen. Im Ansatz ist das ja bereits vorhanden, bspw. hier:
„Würdest du nicht lieber respektvoll behandelt werden?“ fragt die Psychologin, aber ich antworte nicht auf diese lächerliche Frage.

Den Lieferanten finde ich gut so, da würde ich nicht mehr allzu viel machen. Beim Chirurgen hingegen, fände ich es spannender, wenn der mehr von seiner Arbeit preisgeben würde, also auch in den Dialogen, dass er ihr vielleicht von der menschlichen Anatomie erzählt oder wie man gewisse Schnitte am menschlichen Körper durchführen muss, um das Herz zu entnehmen oder so, dass er darauf referenziert in den Gesprächen, einfach damit ich als Leser ein besseres Gefühl für seine Rolle kriege. Was macht er überhaupt mit den Organen und den ganzen Leichen? (Ich nehme stark an, der schnippelt nicht nur rum, um zu üben und zu lernen ;)) Momentan wird für mich eher behauptet: Das ist der Chirurg, das ist die Psychologin, das der Lieferant. Ihre entsprechenden Tätigkeiten sind für mich noch zu wenig im Text verankert, auch warum die Ordnung so aufrechterhalten werden muss, wie sie eben ist. Was sind da die Abhängigkeiten untereinander? Für mich eine grosse Leerstelle: Was ist die Rolle des Chronisten? Was schreibt der auf? Vorname, Name und Alter der Leichen? Schreibt der vielleicht auf, was die anderen beim Essen sagen (er also eine Art Protokollant für die Psychologin ist oder sein könnte)? Hockt er nur dort und isst selbst kaum, ein wortkarger Geselle, weil er nur schreibt und schreibt? Für mich ist der Chronist zu losgelöst von diesem Konstrukt, ich habe nicht verstanden, wieso seine Rolle existiert, wofür der in der Geschichte fungiert. Gerade auch, weil die Erzählerin sich ja hauptsächlich mit ihm und der Psychologin unterhält. Der kommt zu kurz. Also ich würde vorschlagen, die Psychologie der Figuren und ihre Rollen untereinander stärker zu verzahnen. Macht das Sinn? :D Wenn das geschickt gemacht ist, kommt der Leser vielleicht sogar von selbst drauf: Ah, das ist die Psychologin, das der Chronist (oder halt so ähnlich) und der Text müsste das gar nicht so direkt benennen, sondern ich mir als Leser Zug um Zug die einzelnen Rollen dieser Gemeinschaft selbst erschliessen. Ich verstehe schon, dass Du damit wohl insgesamt auch ein wenig Gefahr laufen würdest, das Geheimnis des Textes offenzulegen, aber meiner Meinung nach könnte das auch funktionieren, ohne zu viel zu verraten. Ein weiteres Beispiel:
Am nächsten Morgen wache ich wie immer früh auf, obwohl mich das Gespräch mit dem Lieferanten lange nicht einschlafen ließ.
Wieso hat sie dieses Gespräch um den Schlaf gebracht? Was war da so einschneidend für sie? Das der Lieferant seinen Job nicht gerne macht? Aber sie hinterfragt ja schon vorher die Rollen der Einzelnen, da ist das nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, denke ich. Ansonsten sind das ja eher Belanglosigkeiten: Willst du Brot? Spiegelei? Ich hab mich geschnitten. In dem nächtlichen Gespräch könnte der Lieferant etwas bewegen in der Prota, es könnte vielleicht ein Initialisator für den ersten Schritt sein: Ich will lieber die Arbeit des Lieferanten machen, nicht die des Mädchens für alles. Da müsste dann vielleicht der Lieferant etwas mehr über seine Arbeit preisgeben, damit sie danach im Bett darüber nachdenkt. So wie es jetzt ist, kann ich das zwar wahrnehmen, es bleibt aber relativ oberflächlich.

Zu guter Letzt: Die Psychologin, wenn sie diese Sitzungen beim Abendessen machen würden, könnte der Prota vielleicht auch langsam auf die Schliche kommen, sie in die Enge treiben mit ihren Fragen, aus ihr herauskitzeln wollen, was mit ihr geschehen ist, weil ihr aufgefallen ist, dass sie sich irgendwie verändert hat (eben durch das Gespräch mit dem Lieferanten).

EDIT: Noch eine kleine Randnotiz. Die Protagonistin könnte ihre Gesprächspartner verbal abtasten, um herauszufinden, welche Rolle ihr mehr als die eigene zusagt. Am Ende könnte sich andeuten, der Lieferant war nur der erste Schritt, also danach geht sie vielleicht weiter, will erleben, was es bedeutet, der Chirurg zu sein und von da zur Psychologin, um die inneren Aspekte der Gemeinschaft zu verstehen. Am Schluss ist sie die Chronistin, die diesen Prozess aufgeschrieben hat. Ich finde, es ist schon ein wenig so im Text angelegt, wenn man über das Ende hinweg nachdenkt. Okay, führt wohl ein wenig weit, Du weisst, dass sind alles nur Ideen bzw. Gedanken.

Ich finde den Text stilistisch noch etwas durchwachsen und zeige Dir anhand ein paar Beispielen und Vorschlägen innerhalb der ersten Absätze auf, was ich damit meine. Wie immer: Das ist natürlich Geschmackssache, ich erwarte von keiner Autorin/keinem Autoren, dass etwas von meinen Anmerkungen und Alternativformulierungen übernommen wird.

Er schneidet die Leichen auf, entnimmt ihnen die Organe und steckt sie in Gläser mit Formaldehyd, die er in die Regale stellt. Es stehen viele Regale im Keller, vom Boden bis unter die Decke reichen sie.
Vielleicht die Wiederholung mit den Regalen einstampfen. Er schneidet die Leichen auf, entnimmt ihnen die Organe und steckt sie in Gläser mit Formaldehyd. Reihen von Regalen stehen im Keller, vom Boden bis unter die Decke reichen sie.

Alle, bis auf den Lieferanten, der immer für sich bleibt und ganz oben, unter dem Dach, wohnt.
Viele Kommas, der Satz könnte auch knapper gefasst werden: Alle, bis auf den Lieferanten, der ganz oben unter dem Dach wohnt. Dass der Lieferant immer für sich bleibt, brauchst Du nicht zu erwähnen, es wird daher klar, dass alle gemeinsam Essen bis eben auf ihn.

Keiner von uns hat ihn je gesehen, aber manchmal höre ich ihn nachts in seinem Zimmer herumlaufen, immer auf und ab, bis er schließlich in die Küche geht und sich an den Resten vom Abendessen bedient.
Da würde ich ein paar Füllsel rauskippen.

Ich höre, wie er die Kühlschranktür öffnet und wieder schließt, das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler stellt.
Füllwort.

Ich kenne alle Zimmer im Haus, auch den Keller des Chirurgen mit den vielen unheimlichen Gläsern in den Regalen. Das Zimmer vom Lieferanten kenne ich nicht.
Auch das hier könnte kürzer formuliert werden: Ich kenne alle Zimmer im Haus, nur das vom Lieferanten kenne ich nicht. Dass sie den Keller mit den Gläsern und den Regalen kennt, ist klar, dies wird ja gleich zu Beginn der Geschichte erläutert.

Er ist uns allen unheimlich und die anderen beiden sind so froh wie ich, dass er erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen.
Die anderen beiden sind froh wie ich, dass er erst durchs Haus schleicht, wenn wir schlafen. Das der Lieferant ihnen unheimlich ist, das steckt da schon drin, weil sie froh sind, ihm nicht persönlich zu begegnen, weil davon erzählt wird, dass er nachts durchs Haus schleicht.

Ich koche, kaufe ein und kümmere mich um den Haushalt. Vor ein paar Tagen habe ich die Psychologin gebeten, einkaufen zu gehen.
Wiederholung mit 'einkaufen' könnte einspart werden: Ich koche und kümmere mich um den Haushalt (-> da gehört doch auch das Einkaufen dazu?). Vor ein paar Tagen habe ich die Psychologin gebeten, einkaufen zu gehen.

„Es gibt eine Ordnung in diesem Haus und das ist gut so!“
Diese Betonung, 'das ist gut so', finde ich überflüssig. Es wird auch ohne solche Aussagen klar (später gibt's die glaub ich auch noch ein-, zweimal), wie die Bewohner zur vorherrschenden Ordnung stehen, bzw. dass die eben nicht gebrochen werden sollte. Finde ich zu sehr 'on the nose'.

Ich stelle ihm ein Tablett mit Gekochtem und einem Glas Orangensaft auf den Tisch an der Wand, das einzige Stück Wand, das nicht voller Regale steht.
Sagt man das: Mit Gekochtem? Klingt für mich gestelzt. Ich stelle ihm das Tablett mit seiner Mahlzeit und einem Glas Orangensaft auf den Tisch an der Wand.

„Mach mir einen Kaffee!“ befiehlt er mir und ich tue es, fülle Wasser und Kaffeepulver in die Maschine, stelle wortlos die Tasse vor ihn auf den Tisch[PUNKT] und a [A]ls er den heißen Dampf einatmet, sagt er: „Igitt, das riecht wie Kotze!“
Auch da würde ich ein paar Wörter einsparen.

Mit sein [d]em Arm fegt er die Tasse vom Tisch, runter auf den Boden, wo sie zerspringt, und die dunkle Flüssigkeit [verteilt] sich auf den Fliesen verteilt.
Bisschen was streichen, umstellen. Fände ich runder so.

Soweit mal. Insgesamt ganz gerne gelesen, aber für mich könnte der Text noch etwas geschliffen werden, die Charaktere vertieft. Ist jetzt etwas lang geworden, vielleicht findest Du etwas, was Du für dich mitnehmen kannst.

Beste Grüsse,
d-m

 
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Liebe @Katta

Das habe ich sehr gerne gelesen. Ich gehe mal ganz anders an diesen Text ran, als ich das sonst tue, ausschliesslich auf der inhaltlichen Ebene, in der Annahme, dass es dir vielleicht hilft zu erfahren, wie der Text gelesen wird / gelesen werden kann. Es folgen wilde Spekulationen und Assoziationen. Du musst darauf nicht eingehen, mir geht es nur darum, dir mitzuteilen, welche Gedanken der Text bei mir ausgelöst hat.

Ich glaube, der Gedanke, der am stäksten wirkt, ist dieser: Die Protagonistin will Veränderung, doch es fällt ihr nicht ein, die Ordnung selbst zu verändern. Sie will nur eine andere Position in der Ordnung einnehmen. Dabei ist sie sogar bereit, Dinge zu tun, die sie - allerdings auf eine sehr abstrakte und emotionslose Weise - schrecklich findet. Dass die Ordnung selbst mit keinem Satz hinterfragt wird - im Gegenteil stets betont wird, dass alles seine Ordnung haben muss - bildet für mich daher ein Stück weit den Einstieg in eine Interpretation oder besser, in die Gedankenkette, die der Text bei mir in Gang setzt. Der zweite Hebel bildet die Frage, wer das alles eigentlich bezahlt, wer ist da eigentlich Chef/in, der Hintermann, die Verantwortliche? Ein Stück weit lautet meine Antwort: Es gibt keinen Chef, es ist die Ordnung selbst, die Struktur, es gibt keine Verantwortliche. Der Lieferant ist bloss ein Lieferant. Am ehesten ist der Chirurg diejenige Figur, die die Fäden zieht. Der Chirurg will wissen. Er ist getrieben.
Dass die Figuren keine echten Menschen darstellen sollen, wird schnell klar, daher taucht auch schnell die Frage auf, wofür die Ordnung als Ganzes steht. Möglichkeiten sind die Psyche (mit ihren Unterfunktionen, dann wäre der Text so ein Art Erweiterung eines tiefenpsychologischen Modells, spielte das nicht in "Unten" eine Rolle?). Die Familie. Die Gesellschaft. Ein Unternehmen. Die Wissenschaft. Eine 1:1-Entsprechung finde ich bei keiner dieser Übertragungen, und das ist ja auch gut so, ansonsten hätten wir allenfalls ein relativ plumpes Gleichnis vorliegen.
Dennoch habe ich den Eindruck, dass der Schlüssel beim Chirurgen liegen muss. Er will den Menschen verstehen, das ist sein Antrieb. Dieser Antrieb ist edel, doch in der vorliegenden Ordnung führt er zu Mord und Totschlag, zu grossem Leid. Oder liegt der Schlüssel beim Lieferanten? Weshalb besorgt er dem Chriurgen eigentlich keine Menschen, die bereits tot sind? Zuweilen hatte ich das Gefühl, es mit künstlichen Intelligenzen zu tun zu haben. Es gibt da diese Vision, dass eine KI, deren einzige Aufgabe es ist, möglichst viele Büroklammern herzustellen, am Ende auch Büroklammern aus Menschen herstellen wird. Daran hat mich dein Lieferant erinnert. Auf der anderen Seite löst der Lieferant ja seine Aufgabe nicht zufriedenstellend, er bringt nur Männer mittleren Alters um. Dafür habe ich keinen Grund gefunden. Ich habe den Eindruck, das müsse ein weiterer Schlüssel zum Text sein, aber ich krieg den nicht zu fassen.
Also, eine einfache Übertragung im Sinne von: Aha, es geht um den Kapitalismus und der Chronist steht für die Medien und der Chirurg steht für ... die Marktforschung?? ;), gelingt mir nicht. Was bleibt, ist der Gedanke, dass Menschen eher bereit sind, schlimme Dinge zu tun, um in der Ordnung aufzusteigen (oder nur schon: einen anderen Platz einzunehmen), individuellen Spielraum zu bekommen, nicht mehr Mädchen für alles zu sein, statt die Ordnung selbst zu hinterfragen.
Die Rolle der Psychologin gefällt mir sehr gut. Sie ist einerseits legitmierende Instanz: Alles braucht eine Ordnung. Sie federt aber auch Irritationen ab, lindert (floskelhaft) allfällige psychische Schmerzen. So eine Art Propaganda-Wohlfühl-Ich-höre-und-verstehe-dich-aber-geändert-wird-hier-nichts-Psychologin. Abgesehen von der Prota kann ich mit dieser Figur am meisten anfangen, der Chirurg und der Lieferant bleiben mir insgesamt vielleicht doch etwas zu enigmatisch, der Chronist kommt in der Geschichte m.E. zu kurz.
Ah, vielleicht doch das Modell einer Psyche? Der Chrirug will verstehen. Er sammelt. Er will die Vielfalt kennenlernen. Den Menschen ganz und gar erfassen. Wenn er nicht Leichen sezieren kann, wird er ungeduldig, fordert Nachschub. Er ist getrieben und leidenschaftlich. Der Lieferant ist sein Gehilfe. Er ist rational. Er liefert. Leider nicht das richtige Material, sodass der Trieb weiterhin ungestillt bleibt. Wenn er liefert, geht er dabei über Leichen. Allerdings verschont er Frauen und Kinder, es gibt also doch noch so etwas wie eine Restmoral. Dazwischen die Psychologin. Sie spürt zwar, dass diese Ordnung katastrophal ist. Aber sie ist eine Gefangene. Sie legitmiert und betreibt Symptombekämpfung. Der Chronist ist gar kein Chronist. Er tut nur so. Er hilft eher zu verdrängen als zu erinnern. Er hält einzig fest, dass da ein Ungleichgewicht herrscht zwischen dem, was der Chirurg fordert und dem, was der Lieferant liefert. (Insofern wäre die marginale Rolle, die er im Text bekommt, absolut gerechtfertigt) Und dann noch die Prota, die irgendwie da ist, damit das ganze System aufrechterhalten werden kann, so ein Stück weit der Alltagsverstand, der common sense. Ja, das fände ich ein hübsches Modell eines funktionalen Soziopathen, vielleicht gar eines Triebtäters. Und zwar ein Soziopath, der sich am Ende dazu bekennt, wer er ist. Das führt dazu, dass am Ende auch noch die letzten Hemmungen fallen, und auch Kinder und Frauen über die Klinge springen müssen, nicht nur Männer mittleren Alters. Die Prota wird den Chirurgen zufriedenstellen!
So, jetzt höre ich aber auf mit den wilden Spekulationen. Guter Text, ansonsten hätte ich mich nicht auf diesen Deutungsparcours begeben, in dessen Zuge man ja auch ein bisschen Gefahr läuft, sich lächerlich zu machen. :D

Lieber Gruss
Peeperkorn

P.S. Ich kann doch nicht aufhören, haha! Ein wichtiges Element ist ja die Verletzung. Die bringt überhaupt Bewegung in die Sache. Sie führt dazu, dass die Prota ihre Funktion für eine Weile nicht übernehmen kann und beginnt, über Funktionen und die Ordnung (mehr als zuvor) nachzudenken. Das könnte ein äusseres Ereignis sein, im Modell, das ich am Ende ins Auge gefasst habe, vielleicht tatsächlich eine Krankheit oder ein Unfall, der dazu führt, dass das gesamte Innenleben neu arrangiert wird.

 

„Sag dem Lieferanten, das er mir das nächste Mal eine Frau bringt. Immer bringt er mir Männer, wie soll ich dazulernen, wenn er mir immer nur Männer bringt?“

Ja, die Marktwirtschaft und die Betriebswirtschaftslehre, kurz, der Kapitalismus hat Einzug gehalten in die Medizin (und der Bundesgesundheitsminister ist ihr & sein Prophet), was in der Fusionswelle (darinnen der Größere den Kleineren „frisst“ von den Kliniken bis hinab zu den „selbständigen“, fachärztlichen Praxen, die zusammenfinden müssen, um sich einige Zeit gegen übermächtige (amerikanische, vielleicht schon humanistisch verbrämte Maffia-) Methoden durchzusetzen, dass der erste Satz in der „Ordnung“ des „Hauses“ – da ist Deine feine, kleine Geschichte ein gelungener „Schachzug“ und ich will noch ein wenig an der Sprache feilen, wie hier bereits,

liebe @Katta

Im Keller, wo es keine Fenster gibt, wohnt der Chirurg.
Warum der Plural „keine“, wenn es nicht mal im Singular „wo es nicht ein Fenster gibt“ gilt?
Wenn ich zB von einem Beamten ernstlich gefragt werde, ob ich Kinder habe, kann ich - ohne unwahr zu reden - "nein" (nicht aber "kein") ernstlich und ehrlich sagen ...
besser also
Im Keller, wo es kein Fenster gibt, wohnt der Chirurg.

Dem verquirlten Plural „wo es keine Fenster gibt“ korrespondiert der Auftritt der Befindlichkeiten
Im Erdgeschoss wohnen die Psychologin, der Chronist und ich. Hier befindet sich auch die Küche, in der…
wo ein bescheidenes „sein“ genügt, das sich doch substantiviert zu ganzen Philosophien ausweitet und als das Sein alles Leben wie alle Dinge beherrscht. Warum also nicht schlicht
Hier ist auch die Küche, in der…
(da kann es sogar den Kompromiss „hier findet sich die Küche ...“ verwenden)

wir manchmal gemeinsam essen. Alle, bis auf den Lieferanten, der immer für sich bleibt und ganz oben, unter dem Dach, wohnt.
Warum die schwache Klammer, wenn „der immer für sich bleibt und ganz oben wohnt unter dem Dach.“

Ich kenne alle Zimmer im Haus, auch den Keller des Chirurgen mit den vielenKOMMAgrauenhaften Gläsern in den Regalen.
Die Anzahl ist unabhängig vom Grauen …
Vor ein paar Tagen habe ich die Psychologin gebeten, einkaufen zu gehen.
Warum so umständlich, wenn das komplexe Prädikat „einkaufen zu gehen bitten“ Komma-freie-Zone bleiben kann?

Dann sagt er stolz: „Ich bin fertig!“KOMMA und isst mit uns.
Ohne Komma müsste das erste Wort nach Ausrufezeichen trotz der Gänsefüßchen mit Majuskel, statt Minuskel beginnen ...

ähnlich hier

„Mach mir einen Kaffee!“ befiehlt er mir und ich tue es, …
und hier
„Würdest du nicht lieber respektvoll behandelt werden?“ fragt die Psychologin, aber …
kommstu selber drauf … und dass Du’s weißt, belegt's doch dieser Satz
„Gib mir einen O-Saft!“, sagt er.

Ich sage ihm nicht, dass ich es hasse, einkaufen zu gehen.
Zwotes Komma weg –
es zerschlägt das komplexe Prädikat „einkaufen (zu gehen) hassen“

„Komm morgen wieder, damit ich mir die Wunde ansehen kann.“
Ausrufezeichen, statt Punkt

„Oh!“ Er hält den Kopf ein wenig schief. „Das wusste ich nicht“
Punkt!

Kann nicht schlafen. Kann ich mich zu dir setzen?“
Ja, so spricht man gemeinhin. Aber dass „ich“ sitzen kann trifft sicherlich zu 90 oder mehr Prozent zu und alle Welt weiß es. Wie wäre es mit dem Tausch des Modalverbs „können“ gegen das Modalverb „dürfen“?

... die Spülmaschine. „Danke für das leckere Essen[!]“, sagt er und verlässt die Küche.
Bis gerade hoffte ich noch, dass vom Allgemeinmediziner bis zum Zahnarzt (vom „Wattebäuschchen“ bis zum „Bohrer!“ also) das Ausrufzeichen eine gesicherte Zukunft – nun erkenne ich es unter den bedrohten Arten ...)

Ich gehe ihm hinterher in die Garage, setzte mich …
Hinterher ist man immer schlauer, aber wenn ich hinter wem auch immer gehe, geh ich hinter [ihm // ihr] her

Wie dem auch wird,

gern gelesen vom

Friedel

 

also das hier, hat mich ja echt verzweifeln lassen:
Ich noch mal kurz, wenn ich darf @Katta . Ich wollte dich mit meinem Kommentar nicht verzweifeln lassen! Ich finde deinen Text ja wirklich gut (den Einstieg und die Grundstimmung finde ich sogar wirklich bemerkenswert!). Und so wie ich die anderen Kommentare gelesen habe, geht es den anderen ähnlich. Welcher Text ist schon perfekt in der ersten Fassung?
Ich denke vor allem, dass da wirklich viel drin steckt in der Idee und auch schon in der jetzigen Fassung. Wenn du da noch ein wenig schraubst, ist das meinem Empfinden nach, ein wirklich starker Text. Wollte ich dir nur kurz auf deinen Kommentar hin da lassen.

Viele Grüße
Habentus

 

Hey @Habentus,

Ich wollte dich mit meinem Kommentar nicht verzweifeln lassen!
ja, das war auch ein bisschen mit einem Augenzwinkern gemeint. So schnell verzweifle ich nicht, ist aber echt nett von dir, das noch mal zu erklären. Danke dir dafür!

Hallo @deserted-monkey,
entschuldige meine späte Antwort und vielen Dank für deinen Kommentar.

mir gefällt die Richtung, die Du seit "Unten" einzuschlagen scheinst.
hehe, ja mal gucken ... ich weiß selbst noch nicht so genau ...

Die Ich-Erzählerin jedoch beginnt diese Regeln zu brechen. Erst hinterfragt sie ihre und die Rolle der anderen bloss, aber dann entschliesst sie sich zu einer Veränderung. Sie passt den Lieferanten in der Küche ab, springt über ihre Ängste. Sie überredet ihn dazu, sie auf eine Fahrt mitzunehmen. Am Schluss bringt sie den Lieferanten um, weil sie selbst die Lieferantin werden möchte, sie mag nicht mehr das Mädchen für alles sein.
Das ist hilfreich. So kann ich noch mal schauen, manchmal ist einem ja selbst gar nicht klar, was man zu erreichen versucht, aber ich lese es gar nicht so, dass sie sich zu einer Veränderung entschließt, also erst ganz zum Schluss hat sie diesen Moment der Erkenntnis, ich glaube, vorher merkt sie nur, dass was nicht stimmt ... dass ihre Rolle/Funktion sie nicht so glücklich macht, wie die anderen deren Rolle ... ich werde also noch mal schauen, dass das vielleicht klarer wird ...

Ihre Entscheidung und die darauffolgenden Handlungen jedoch werden mir zu wenig hergeleitet, also ihr Mord am Lieferanten kommt sehr abrupt, da gab es für mich eigentlich keine Vorzeichen. Auch habe ich mich gefragt: Wie kann sie den Lieferanten so einfach umbringen? Der Mann ist sich gewöhnt zu töten, der wird das ein oder andere Ass im Ärmel haben, ihr gelingt das aber einfach so ihn zu überrumpeln. Es ist ihr erster Mord und sie macht das direkt mir einer Beiläufigkeit, als wäre es für sie nichts, einfach Alltag. Nein, das kaufe ich nicht. Fand das nicht wirklich passend/naheliegend bzw. es geht einfach extrem schnell. Sie müsste das irgendwie sorgsamer vorbereiten, sich vielleicht einen perfiden Trick ausdenken, wie sie den Lieferanten loswird. Also mein Hauptkritikpunkt liegt beim Ende, das ist mir zu wenig konsequent hergeleitet, das würde ich mir noch einmal überlegen.
Ich denke, ich verstehe, was du meinst. Da muss ich noch mal grübeln, weil du es anders liest als ich, was ja grundsätzlich ok ist - manchmal ;-) ZB auch hier:
Wieso hat sie dieses Gespräch um den Schlaf gebracht? Was war da so einschneidend für sie? Das der Lieferant seinen Job nicht gerne macht? Aber sie hinterfragt ja schon vorher die Rollen der Einzelnen, da ist das nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, denke ich.
Da muss ich noch mal genau gucken, wie du zu dieser Schlussfolgerung kommst. Das Gespräch hat sie um den Schlaf gebracht, weil der Lieferant im Gegensatz zu allen anderen nicht so richtig glücklich ist, mit dem was er tut ... offenbar wird das aber gar nicht deutlich (vermutlich auch, weil ich in der Auseinandersetzung hier im Forum mir selbst über manche Dinge erst klar werde). Vermutlich kommt das, durch die Art wie sie fragt: Was, wenn du kein XY mehr sein willst? Vielleicht müsste sie eher fragen: Macht es dich glücklich? Tust du es gerne? Immer? Vielleicht wird dann auch am Ende deutlicher, dass es diese Entwicklung eben vorher nicht gibt. Die Psychologin will nicht einkaufen gehen, das stößt dem Ich sauer auf, vielleicht ist dem Ich hier zum ersten Mal so unklar klar, dass sie 1. festhängt und 2. alle anderen auch festhängen, aber damit mehr als nur zufrieden sind. Das Ich verletzt sich und das wiederum löst aus, dass sie aus ihrer Rolle fällt und statt zu kochen, schläft sie. Ich glaube, was eine bessere Herleitung bzw Erklärung braucht ist, warum sie in die Küche zum dem Lieferanten geht. Vielleicht ist das die Crux, vielleicht fällt danach alles an seinen Platz, wenn das klarer wird. Sie käme nie auf die Idee, den Lieferanten umzubringen. Die Ordnung im Haus ist halt wie sie ist. Aber die Verletzung zeigt ja: Auch wenn ich nicht koche, bleibt das Haus stehen und brennt nicht ab (wichtige Erkenntnis, sollte ich für den Leser wohl besser rüberbringen). Dann fährt sie mit, nicht weil sie den Lieferanten beerben will, sondern ... weil? Auch da muss wohl eine Erklärung her. Kann ich dir gar nicht genau sagen, muss ich selbst erst mal überlegen. Aber sie fährt mit und dann sieht sie, was der Lieferant tut und merkt, dass fühlt sich gar nicht so schrecklich an, besser als einkaufen vermutlich. Und dann fragt sie: Kann ich nicht mitmachen? Und beide wissen, dass das nicht geht und es ist der Lieferant, der ihr "Potential" sieht und auch "denkt", sie könnte ihn beerben, aber es ist erst sein Gedanke, sein Blick der sie auf die Idee bringt. Sorry, jetzt hab ich furchbar lang erklärt, was ich will, aber ich denke, ich kann jetzt probieren, es besser umzusetzen ;-)

Bei den Charakteren, diesen verschiedenen Berufsgruppen, sehe ich noch Potential. Also im Grunde genommen bleiben die ja relativ oberflächlich
Da werde ich auf jeden Fall noch mal schauen ...
ich will doch als Leser selbst erleben und erfahren, wie da die Beziehungen untereinander aussehen, da würde sich für mich anbieten, das auszudialogisieren
und das werde ich auch auf jeden Fall machen, also ausdialogisieren ;-) ... mal gucken, was das auch noch so Neues bringt ...

Beim Chirurgen hingegen, fände ich es spannender, wenn der mehr von seiner Arbeit preisgeben würde, also auch in den Dialogen, dass er ihr vielleicht von der menschlichen Anatomie erzählt oder wie man gewisse Schnitte am menschlichen Körper durchführen muss,
Ja, das könnte ich mir gut vorstellen, dass er so etwas erzählt, wenn er fertig ist und hochkommt und dann stolz was erzählt, solange er noch gut gelaunt ist ...

(Ich nehme stark an, der schnippelt nicht nur rum, um zu üben und zu lernen ;))
Genauso stelle ich es mir vor. Was mir noch klar geworden ist, in den letzten Tagen, das Haus ist eben das Haus und es dreht sich letztlich um den Chirurgen, die Ordnung stellt sicher, dass der Chirurg "arbeiten" kann, d.h. schnippeln und Organe entnehmen und sammeln. Und da ist die Rolle des Chronisten dann wirklich noch mal wichtig zu überdenken, warum der wichtig ist. Das will ich aber natürlich alles nicht explizit schreiben ... das darf dann auch jeder sehen wie er will ...

Deine Stilkorrekturen sehe ich mir an, das Ich soll natürlich auch etwas seltsam klingen, aber es können sicher ein paar Füllsel raus usw. Das schaue ich mir dann noch mal in Ruhe an, wenn ich auf das auf der Konstruktionsebene hingekriegt habe und weil meine Antwort eh schon so lang ist, verzichte ich auf einzelne Anmerkungen einzugehen und hoffe, das ist ok.

Ganz lieben Dank jedenfalls noch mal für deinen Kommentar, der mir weitergeholfen hat.

@Peeperkorn und @Friedrichard
Euch antworte ich morgen und freue mich schon darauf!

Viele Grüße
Katta

 

Hallo Katta!

Kurz und bündig: Mir hat dein Text außerordentlich gut gefallen, der mich stark an Kafka gemahnt; wurde von den ersten Sätzen geradezu in ihn hineingezogen. Ich mag Thema, Stil und Sprache, wüsste nicht, wie man ihn besser machen könnte.
Nach all den umfangreichen Vorkommentaren beschränke ich mich auf das bloße Lob und habe, abgesehen von der Formulierung: ...wo es keine Fenster gibt ... die ich auf : ... in einem fensterlosen Keller ... ändern würde, nur noch eine Kleinigkeit anzumerken.

Er ist lecker.
Der Löffel oder das Gulasch?

Alles Liebe, gerne gelesen, gerne wieder,
Manuela :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Peeperkorn,

Das habe ich sehr gerne gelesen.
Das freut mich sehr und ich bin sehr gerne deinen Gedanken zum Text gefolgt, auch weil ich selbst ja mit keiner bewussten Deutungsabsicht an den Text gegangen bin und ich jetzt meine Lesart mit eurer abgleichen kann.

Dabei ist sie sogar bereit, Dinge zu tun, die sie - allerdings auf eine sehr abstrakte und emotionslose Weise - schrecklich findet.
Das ist so ein Punkt, dem ich zustimme und bei dem ich mich selbst frage, ob das so geht und funktioniert. Ich weiß, dass diese Art von emotionsloser Prota es für den Leser schwierig macht mitzugehen. Als Leser steht man vor der Prota oder dem Text eher wie vor einem Kuriositätenkabinett, als dass man mitempfindet.
Dass die Ordnung selbst mit keinem Satz hinterfragt wird - im Gegenteil stets betont wird, dass alles seine Ordnung haben muss - bildet für mich daher ein Stück weit den Einstieg in eine Interpretation oder besser, in die Gedankenkette, die der Text bei mir in Gang setzt.
Super. Das lese ich genauso und das soll auch so bleiben. Das Haus ist so eine ganz eigene Art Mikrokosmos ...
Der zweite Hebel bildet die Frage, wer das alles eigentlich bezahlt, wer ist da eigentlich Chef/in, der Hintermann, die Verantwortliche? Ein Stück weit lautet meine Antwort: Es gibt keinen Chef, es ist die Ordnung selbst, die Struktur, es gibt keine Verantwortliche. Der Lieferant ist bloss ein Lieferant. Am ehesten ist der Chirurg diejenige Figur, die die Fäden zieht. Der Chirurg will wissen. Er ist getrieben.
Vielleicht ist dieses "losgelöst sein" auch zum Teil eine Antwort (von mir) auf die Mode heutzutage, alles zu erklären. Mich nervt das manchmal. Hast du die Serie Picard aus dem Star Trek Universum gesehen? Da gabs so Rückblicke, da hab ich gedacht: Euer Ernst? Ich will einfach nicht wissen, wie Jean-Luc Picard aufgewachsen ist ... Ich wünsche mir, dass die mir sein Verhalten ohne Rückgriff auf die Vergangenheit erklärbar machen. Und ja, das Haus ist das Haus und hat eine Ordnung. That's it, genau wie du sagst. Kann der Leser dann hinnehmen oder doof finden ...

Dass die Figuren keine echten Menschen darstellen sollen, wird schnell klar, daher taucht auch schnell die Frage auf, wofür die Ordnung als Ganzes steht. Möglichkeiten sind die Psyche (mit ihren Unterfunktionen, dann wäre der Text so ein Art Erweiterung eines tiefenpsychologischen Modells, spielte das nicht in "Unten" eine Rolle?). Die Familie. Die Gesellschaft. Ein Unternehmen. Die Wissenschaft. Eine 1:1-Entsprechung finde ich bei keiner dieser Übertragungen, und das ist ja auch gut so, ansonsten hätten wir allenfalls ein relativ plumpes Gleichnis vorliegen.
Das war eine echte Herausforderung für mich, beim Schreiben da nicht dran zu denken bzw das immer wieder wegzuschieben (keine Ahnung, ob mir das immer so gut gelungen ist). Das hat mir "Unten" nämlich ein bisschen zerschossen. Ich drifte da berufsbedingt schnell Richtung Psyche (und musste selbst an Schulz von Thuns Inneres Team denken). Und ich bin froh, dass du da keine 1:1 Entsprechung gefunden hast, obwohl ja dann doch noch und auch sehr überzeugend dann ...
Dennoch habe ich den Eindruck, dass der Schlüssel beim Chirurgen liegen muss. Er will den Menschen verstehen, das ist sein Antrieb. Dieser Antrieb ist edel, doch in der vorliegenden Ordnung führt er zu Mord und Totschlag, zu grossem Leid.
Es geht auch um die Frage, ob denn Erkenntnisdrang überhaupt so edel ist und umso klarer ich mir über bestimmte Dinge bzgl des Textes werde, umso besser werde ich vielleicht überarbeiten können. Erkenntnisdrang kann zu guten Dingen führen (Medizin), aber auch zu schlechten (Atombombe). Der Erkenntnisdrang selbst ist neutral, denke ich und nix worauf es sich lohnt, stolz zu sein. Entweder man hat den (Chirurg) oder eben nicht (Lieferant, Mädchen für alles). Es ist ja auch keine Leistung 1,90m groß gewachsen zu sein, statt nur 1,50m. Das habe ich versucht, der Psychologin in den Mund zu legen ...

Daran hat mich dein Lieferant erinnert. Auf der anderen Seite löst der Lieferant ja seine Aufgabe nicht zufriedenstellend, er bringt nur Männer mittleren Alters um. Dafür habe ich keinen Grund gefunden. Ich habe den Eindruck, das müsse ein weiterer Schlüssel zum Text sein, aber ich krieg den nicht zu fassen.
Ja, genau. Da hab ich mich auch gefragt, ob das noch Erklärung braucht. Warum kommt der Lieferant seiner Aufgabe nur so ungenügend nach. Zum Einen ist die Antwort, denke ich, darin zu finden, dass er eben nicht so 100%ig glücklich und zufrieden damit ist. Männer mittleren Alters sind häufig alleine unterwegs (war so mein Gedanke) und darum leichte Beute. Er macht es sich leicht ...
Sie federt aber auch Irritationen ab, lindert (floskelhaft) allfällige psychische Schmerzen. So eine Art Propaganda-Wohlfühl-Ich-höre-und-verstehe-dich-aber-geändert-wird-hier-nichts-Psychologin. Abgesehen von der Prota kann ich mit dieser Figur am meisten anfangen, der Chirurg und der Lieferant bleiben mir insgesamt vielleicht doch etwas zu enigmatisch, der Chronist kommt in der Geschichte m.E. zu kurz.
Ja, das zieht sich ja recht konsequent durch die Kommentare, dass ich an den Personen noch ein bisschen Feilen könnte. Werde ich auch tun (gerade ist aber hier so viel los und ich bin sooo müde). Was ich durch die Kommentare hier gelernt habe über den Text ist, dass das Haus eine Ordnung hat. Es wohnen dort diese fünf Leute und die zentrale Figur ist der Chirurg und alle anderen halten quasi das System aufrecht, damit der Chirurg "arbeiten" kann. Sinn hat seine Arbeit aber keine, er schneidet Leichen auf, lernt dazu usw, wendet dieses Wissen aber nie an (bis auf die Verletzung des Ichs). Ich könnte mir vorstellen, dass der Chronist Protokoll über die Leichen führt, der Chirurg ihm dann sowas sagt wie: Datum, männlich, 45 Jahre alt ... Leber: 2043 Gramm mit ungewöhnlich roter Farbe, Stauungsleber ... blabla ...
Allerdings verschont er Frauen und Kinder, es gibt also doch noch so etwas wie eine Restmoral [...] Der Chronist ist gar kein Chronist. Er tut nur so. Er hilft eher zu verdrängen als zu erinnern.
Auch eine interessante Sicht, ein interessantes Modell (siehe Inneres Team von Schulz von Thun) eines funktionalen Soziopathen, wie du schreibst, mit der Erkrankung als äußeres Ereignis, das innere Umstrukturierung verlang. Klingt für mich total plausibel. Wahrscheinlich werde ich aber dem Chronisten mehr Raum geben und eben die Funktionen der einzelnen Figuren noch ein wenig ausbauen, umso auch die Ordnung noch mal klarer zu machen ... mal gucken, obs dann immer noch passt.

Lieben Dank noch mal, @Peeperkorn, es war mir eine Freude, deinen Deutungsparcours zu lesen.

Hello @Friedrichard,
auch dir lieben Dank für deinen Kommentar. "nicht ein Fenster" oder "fensterlos" (wie von @Manuela K. vorgeschlagen), da werde ich noch mal überlegen. Und die Kommas werde ich auch noch korrigieren. Ich weiß natürlich wie die Regel ist bei direkter Rede, aber es rutschen doch immer noch welche durch. Danke fürs Aufsammeln.

Hallo auch @Manuela K.,
auch dir vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar. Freut mich natürlich, dass du nichts zum Verbessern findest, wahrscheinlich werde ich mich aber noch mal ransetzen und ein bisschen feinschleifen, weil ich selbst den Text jetzt ein bisschen besser verstehe. Ich hoffe, du magst ihn dann immer noch. Zum Gulasch: Das werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr los, dass ich "der Gulasch" sage, aber du hast natürlich Recht und ich weiß ja auch, dass es "das Gulasch" heißt, muss mich aber immer wieder dran erinnern. Wie bei Apfelmus, das, nicht: der. Obwohl ich niemals "der Mus" sagen würde, nur "der Apfelmus" ... versteh das mal einer!

Viele Grüße an euch alle und ein schönes Wochenende
Katta

 

Hallo @Katta

Es kann sein, dass sich einiges wiederholt, da ich die anderen Kommentare vorher nicht lesen wollte, um nicht beeinflusst zu werden. Also lege ich mal los:

Da ich deine Geschichte „Unten“ kenne, war ich neugierig auf deinen nächsten seltsamen Versuch. Ich muss sagen, der hier gefällt mir gut, weil ich fast durchgängig in einer seltsamen, interessanten Traumwelt fernab unserer Alltagserfahrung war, die in sich stimmig ist.

Da ist der Chirurg, der sozusagen den Überbau dieser Welt repräsentiert, ein Mann der Wissenschaft, der aber merkwürdigerweise im Keller sitzt. Dann die Psychologin. Sie ist für das geistige Wohl zuständig. Das Mädchen für alles für das körperliche. Ein Gedächtnis braucht es auch und der Lieferant liefert mit seiner niederen Arbeit die Grundlagen für diese Welt. Eine Art Modell für die Gesellschaft? Oder für einen Organismus vielleicht, in dem jedes Organ seine Funktion hat?

Es reicht eine kleine zufällige Veränderung, der Schnitt in der Hand, um eine Ereigniskette auszulösen, und das scheinbar stabile Gleichgewicht verschiebt sich.

Aber warum immer deuten, den Text nicht einfach mal auf sich wirken lassen.

Der Schluss mit den zwei Leichen gefällt mir nicht so. Das liest sich für mich wie eine Art Pointe, eine Effekthascherei, welche die Geschichte nicht nötig hat. Das würde ich eher so schreiben, dass die Erzählerin sich sicher ist, in Zukunft die neue Lieferantin zu sein und den Job besser zu erledigen. Die Angst in den Augen des Lieferanten reicht völlig.

Hier noch Kleinigkeiten:

„Mach mir einen Kaffee!“ befiehlt er mir
Komma hinter dem Anführungszeichen.
„Würdest du nicht lieber respektvoll behandelt werden?“ fragt die Psychologin
Der gleiche Fehler. Nur, dass er diesmal hinter einem Fragezeichen auftaucht.
„Sag dem Lieferanten, das er mir das nächste Mal eine Frau bringt.
dass
„Das es eine Ordnung gibt in diesem Haus. Es stimmt.“
dass
Ich bin froh darüber. Sie wird mich unterstützen, denn das ist ihre Aufgabe. Sie tut das gerne. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch.
setze
Ich gehe ihm hinterher in die Garage, setzte mich auf den Beifahrersitz des Lieferwagens.
setze

Duplizität der Fehler. :)

Grüße
Sturek

 

Freut mich natürlich, dass du nichts zum Verbessern findest, wahrscheinlich werde ich mich aber noch mal ransetzen und ein bisschen feinschleifen, weil ich selbst den Text jetzt ein bisschen besser verstehe. Ich hoffe, du magst ihn dann immer noch. Zum Gulasch: Das werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr los, dass ich "der Gulasch" sage, aber du hast natürlich Recht und ich weiß ja auch, dass es "das Gulasch" heißt,
Nur nicht zu viel schleifen. Manchmal haut einem das die beste Story zusammen. ;)
Zum Gulasch: Das Wort kommt aus dem Ungarischen, heißt aber dort Pörkölt. Gulyás wird in Ungarn eine Gulaschsuppe genannt.
Anbei: In Deutschland darf man das Gulasch auch mit dem männlichen Generikum versehen, wie ich grade von Wiki lernte. Mein Korrekturvorschlag war somit bloß länderspezifisch bedingt.
Gut schleif! :)

 

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