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Die Niederkunft Sunabras auf dem Planeten Sambob
Auszug aus dem Bericht der planetaren Kommission zur Einordnung extraterrestischer Himmelskörper über den Planeten Sambob vom August 3578 EZ:
[...] Den Planeten umgibt eine atmosphärische Hülle, deren Herkunft offenbar damit zu tun hat, dass auf seiner Oberfläche eine Lebensform existiert, die stoffwechselbedingt rhythmisch Gase ausstößt. Die Art und Zusammensetzung dieser Gase konnte noch nicht abschließend analysiert werden. Es wird vermutet, dass sie das Resultat einer kreativen, kollektiven Form der Erheiterung über unverständliche Kommunikationspartikel sind, die wahrscheinlich nur von den Lebensformen dieses Planeten verstanden werden können. Der Planet wird aufgrund einiger Vorkommnisse, die ihn höchst bedrohlich erscheinen lassen, zur Zeit als Sperrzone der Alpha-Kategorie zugeordnet. [...]
*
"Captain?"
Raumfähre Moonspace I war soeben auf dem fremdartigen Planeten gelandet.
"Cap-tain?"
Das Dröhnen der schubumkehrenden Bremsraketen verklang.
"CAPTAIN!"
"Nennen Sie mich nicht immer Captain, Bob! Sie wissen genau, wie ich es hasse, Captain genannt zu werden, seit Jahrzehnten, die wir hier gemeinsam in der Fähre verbracht haben, hasse ich das schon, Bob. Sie weigern sich noch immer, mich nicht Captain zu nennen. Das ist unbegreiflich, Bob! Un-be-greif-lich!"
"Captain? Sollen wir die ZBV-Leute heute schon rausschicken oder die Nacht abwarten?"
"Ich denke, wir sollten erst einmal gründlich die Lage sondieren. Mein Gefühl sagt mir, dass dies hier kein Lollilutschen wird, schauen Sie doch mal raus."
Bob wandte sich dem Monitor zu und aktivierte die Außenkameras.
"Ich sehe nichts, mein Gott, ich sehe nichts, Captain!"
"Natürlich sehen Sie nichts, Bob. Samanta hat Ihnen den Bildschirmschoner auf manuell geschaltet. Wie lange kennen Sie eigentlich Sam? Wie oft hat sie diesen Spaß schon mit Ihnen getrieben, Bob?"
Bob dachte nach. Der Captain hatte recht. Sam hatte ihn bereits aberdutzende Male auf diese Weise hereingelegt. Manchmal war sie sogar während der Schlafphasen aufgestanden, nur dieses blöden Scherzes wegen.
Bob deaktivierte den Schoner und ein - wenn auch dürftiges - Bild der Umgebung des Raumschiffes flackerte auf. Die elektronische Ausstattung der Fähre war auf dem Stand des Jahres 1963, als die Expedition unter größter Geheimhaltung gestartet worden war. Sie wurde auch später nie publik gemacht, da die Moonspace I von den Schirmen des Kontrollzentrums verschwunden war. Eine kolossale Blamage.
Das Ziel, den Mond zu treffen, hatte sie um einige tausend Meilen verpasst. Nur dank glücklicher Fügungen und herausragender Improvisationskunst war es der Besatzung gelungen, zu überleben und sogar eine erfolgreiche Strategie auszutüfteln, die einen unbefristeten Flug ermöglichte. Gut, dass sich in dieser schwierigen Zeit (vor 120 Jahren) noch einige Kartoffeln an Bord befunden hatten.
"Sieht gar nicht übel aus. Ich sehe Strukturen, die auf pflanzliches Leben deuten könnten. Sehen Sie, Captain."
"Nennen Sie mich nicht so, Sie Arschloch!"
Der Captain blickte auf das niedrigauflösende, flackernde Schwarzweißbild.
"Welche Pflanzen?"
"Dort links."
Er zog ein Brillentuch aus der Tasche und wischte damit über den Monitor.
"Hier sind Ihre Pflanzen, Bob." Er deutete auf das Tuch. "Ist auch nicht das erste Mal, dass Sie das Diesseits mit dem Jenseits verwechseln. Wie auch immer, wir warten mit den Robotern bis morgen, die Nächte sind hier eh kurz."
Am nächsten Morgen, nach drei Stunden und 17 Minuten, öffnete sich die Ausstiegsluke und eine Gruppe ZBV-Roboter trat heraus.
"Captain, sie sind jetzt draußen. Ich öffne die Sichtluken."
"Ich heiße Samanta", sagte Samanta, "außerdem glaube ich mich erinnern zu können, dass der Captain nicht Captain genannt werden möchte. - Gut, schalten Sie zwei davon auf Handbetrieb, die Anderen lassen wir erst einmal selber machen."
Samanta, die von Bob ein Kind erwartete, war, wie der Captain es formulierte, 'ein nicht unansehnliches weibliches Wesen mit übertriebenem Brustwuchs'. Er interessierte sich nicht sonderlich für sie und war froh, dass Bob sich der Generationensicherung angenommen hatte.
"ZBV 05 ist gestolpert, soll ich die anderen ...?"
"Nein, lassen Sie ihn liegen, Bob. Wir können ihn später bergen."
Bob und Samanta schauten abwechselnd auf den Monitor, welcher Bilder der Kameras übertrug, mit denen jeder der Roboter bestückt war, und durch die Sichtluken des Raumschiffes. ZBV 05´ Kamera fing nur mehr einen kleinen Ausschnittes des Planetenbodens ein.
"Was ist das?" Bob deutete auf das Monitorbild der Übertragung von ZBV 05.
"Hm. Da ist etwas ... etwas Winziges. Können Sie heranzoomen? Geht das schärfer?"
Bob schob an Reglern.
"Ein Wesen ... das lebt ... ein Lebewesen! Sehen Sie, Sam, es bewegt sich - und da ist noch eines - und da ein drittes."
Samanta starrte auf das Bild. "Ja, eine Art von ... Tier. Eines scheint zu schauen. Meinen Sie nicht? Falls das ein Auge ist, schaut es. Jetzt fährt es etwas aus ..."
In diesem Moment blitzte der Monitor grell auf, und das Bild verschwand.
"Es hat ZBV 05 zerstört!" Bob begann zu zittern. "Wo ist der Captain?"
"Nennen Sie mich noch einmal so, degradiere ich sie!", rief der Captain, der gerade in den Kontrollraum schritt. "Was gibt es?"
"Sie haben einen unserer Roboter ..."
"Das weiß man nicht, Bob", fuhr ihm Samanta ins Wort, "vielleicht sitzt es auch nur auf seiner optischen Linse. Prüfen Sie mal seine anderen Funktionen."
"Leben ...?", entfuhr es dem Captain.
Bob schob abermals an Reglern, um die Funktionen von ZBV 05 zu überprüfen.
"Ich empfange noch schwache Impulse, sie schwächen sich weiter ab, 05 scheint zu ... sterben."
"So ein Quatsch", sagte der Captain und schälte sich eine Pellkartoffel. "Es ist sein Akku. Das war schon immer sein Problem, weichen Sie auf Notversorgung aus, schalten Sie alles ab und gehen Sie auf Mikro. Ich habe den Universaltranslator bereits aktiviert."
Gehen zwei Tronoster auf einen Hügel. Sagt der eine: Gaziguz. Sagt der andere: Ich springe von zwei Steinen und puste eine Schildkröte auf. Sagt der erste: Dann bekomme ich Sunabra, ungeschüttelt.
Hahahaha!
Der Captain schaltete den Translator wieder aus. "Was meint ihr?"
Samanta und Bob schwiegen eine Weile.
"Ich denke, es handelt sich um eine intelligente Lebensform von geringer Grösse", durchbrach Bob die Stille. "Die Syntax lässt vermuten, dass dort eine Art Witz erzählt wurde. Und dann wurde offenbar gelacht. Wieviel Prozent Translatorplausibilität?"
"92", sagte der Captain, "kein übler Wert, falls es ein Witz war . Ich aktiviere noch einmal."
Die Randowalder Korbschmiede unterbricht das Geloffel. Warum hört das Geloffel auf? Ist denn heute Loffelpause? Nein, ruft die aufgepustete Schildkröte. Steine sind im Geloffel!
Hahahaha!
"Schalten Sie aus, das ist ja nicht zu ertragen." Samanta verzog das Gesicht. "Und wieso reden die nicht über uns? Hier landen doch sonst keine Raumschiffe. Ich verstehe das nicht. Ich bin der Ansicht, dass es sich hier nur um eine winzige Lebensform von verschwindend geringer Intelligenz handeln kann. - Und schaut mal hier!" Sie wies mit dem Zeigefinger aus einer der Sichtluken. Überall vom Boden her stiegen kleine, grünlich-gelbe Wölkchen auf.
"Sie scheinen alle zu rauchen", sagte Bob.
"Ich glaube, sie rauchen, wenn sie lachen", sagte der Captain.
Zwischen den Wölkchen tappten die ZBVs, die auf Autopilot geschaltet waren, in engen konzentrischen Kreisen umher. Die manuellen standen herum, nur ZBV 05 lag hingestreckt auf dem Boden, seine Hauptbetriebslampe glomm noch schwach.
"So kommen wir nicht weiter. Wir gehen raus", sagte der Captain, nachdem sonst niemand das Wort ergriffen hatte.
"Wir ... also, wir alle?", fragte Bob und schien damit andeuten zu wollen, dass er auch gern bliebe.
"Haben Sie Angst, Bob? Aber gut, bleiben Sie, ich gehe mit Sam."
"Aber Sam ist hochschwanger. Wenn nun ...".
"Ich weiß, dass ich schwanger bin, Bob. Auch wodurch. Und tatsächlich sogar, von wem!"
Bob fiel etwas in sich zusammen und schwieg.
"Vielleicht wäre es von Vorteil einen ... wie soll ich sagen, einen Witz parat zu haben. So als Willkommensgruß. Die scheinen ja strukturell auf dieser Basis zu kommunizieren. Da wäre es vielleicht hilfreich ...".
"Sie haben recht, Sam. Wir speisen einen in unseren Translator ein. Kennen Sie einen guten?"
Samata überlegte nur kurz: "'Kommt eine Frau in den Kontrollraum. Alle schlafen. So, jetzt schalte ich den Bildschirmschoner auf manuell, sagt die Frau und rennt schnell weg. Am nächsten Tag kommt ein Mann und schaltet den Monitor an. Aber er sieht nichts'."
Alle lachten.
"Nicht so schlecht", lobte der Captain, als man sich beruhigt hatte, "ich denke aber, wir sollten statt der Frau 'aufblasbare Schildkröte' nehmen und den Mann Gaziguz nennen."
Dann machten sich Samanta und der Captain zum Ausstieg bereit.
*
Etwas metallisch scheppernd und krächzend, jedoch mit nahezu ohrenbetäubender Wucht, erscholl also folgendes aus dem Lautsprecher des tragbaren Translators, den Sam wie einen Rucksack über ihrem schwergerundeten Bauch trug:
Kommt eine aufblasbare Schildkröte in den Kontrollraum. Alle schlafen. So, jetzt schalte ich den Bildschirmschoner auf manuell, sagt die aufblasbare Schildkröte und rennt schnell weg. Am nächsten Tag kommt Gaziguz und schaltet den Monitor an. Aber er sieht nichts.
Der Captain stand witternd vor dem Raumschiff: "Irgendeine Reaktion? Gelächter oder so?"
"Nein, Captain.", sagte Sam. "Gar nichts. Vielleicht lachen sie zu niedrigfrequent?"
"Das ist schon möglich, ich sehe aber grad auch keinen von ihnen."
"Oder sie haben die Pointe nicht verstanden. Wissen sie, Captain, ich finde das mit der Schildkröte eigentlich auch unlogisch. Schildkröten können nicht 'schnell wegrennen'."
"Aufgeblasene Frauen schon, was, Sam?" Der Captain ließ das Geräusch eines unterdrückten Auflachens vernehmen. "Okay, Sam, ändern Sie's mal in 'Geloffel'."
Sam tat, wie ihr geheißen und aktivierte die Wiedergabefunktion des Universaltranslators aufs Neue:
Kommt eine Geloffel in den Kontrollraum. Alle schlafen. So, jetzt schalte ich den Bildschirmschoner auf manuell, sagt die Geloffel und rennt schnell weg. Am nächsten Tag kommt Gaziguz und schaltet den Monitor an. Aber er sieht nichts.
Zu ihrem Erstaunen bildeten sich in einiger Entfernung vereinzelt kleine Gaswölkchen.
"Sehen Sie das, Sam? Die scheinen das witzig zu finden. Aber muss es nicht 'der Geloffel' heißen?"
"Nicht, wenn es eine Frau ist - 'der' Geloffel wäre keine. Ich habe aber kein Lachen gehört, vielleicht gehen wir näher heran, zu der Anhöhe dort, und spielen den Witz nochmal ab, während wir uns zu ihnen hinunterbeugen?"
"Gute Idee, lassen Sie uns das machen, Sam!"
Bob beobachtete aus der Sichtluke, wie der Captain und Samanta auf die sich bereits auflösenden Wölkchen zustrebten. Er sah, wie sie sich zum Boden wandten und Samanta den Translator einschaltete. Den Witz, der jetzt abermals erklang, konnte er brüchig durch einen in der Nähe herumstehenden ZBV mithören.
Plötzlich hüllte eine große, gelblich-grüne Wolke den Captain und Samanta ein. Als sich diese verzogen hatte, erkannte Bob, dass beide sich darin aufgelöst haben mussten, denn sie waren verschwunden.
Doch etwas lag dort noch, etwas, dass ihm auf eine sonderbare Weise vertraut erschien. Er wies den nahebei stehenden ZBV an, es zu bergen und ins Raumschiff zu schaffen.
Wenig später erschien der ZBV an der Luftschleuse. In seinen Greifarmen aus bitterkaltem Stahl hielt er ein Neugeborenes. Das kleine Mädchen sprach:
"Gehen zwei Tronoster auf einen Hügel. Sagt der eine: Gaziguz. Sagt der andere: Ich springe von zwei Steinen und puste eine Schildkröte auf. Sagt der erste: Dann bekomme ich Sunabra, ungeschüttelt."
Und dann begann es zu weinen.